Protocol of the Session on June 14, 2001

(Beifall bei den GRÜNEN - Mühe [SPD]: Dann ward ihr nicht kampag- nefähig!)

Zum Thema Ganztagsschule möchte ich Folgendes sagen: Es werden doch nur die Haupt- und Realschulen in diesen Genuss kommen, die bereit sind, zu kooperieren. Wir wollen bei den Kleinen anfangen, nämlich das Angebot bei den Grundschulen ausbauen. Von daher bin ich eigentlich sehr erfreut darüber, dass ich positive Signale gehört habe. Was Änderungen an unserem Antrag angeht, werden wir gesprächsbereit sein. Lassen Sie uns das aber gemeinsam gestalten. - Danke schön.

Frau Kollegin Vockert möchte noch die 31 Sekunden Redezeit ausnutzen, die sie hat.

(Mühe [SPD]: Habe ich auch noch Zeit? - Gegenruf von Frau Bührmann [SPD]: Deine Zeit ist abgelaufen! - Heiterkeit)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte auf die Anmerkungen des Kollegen Mühe eingehen. Herr Mühe, es ist festzuhalten, dass Sie - das haben Sie in Ihrer Rede sehr deutlich zum Ausdruck gebracht - auf dem Stand von 1990 stehen geblieben sind. Sie haben nicht dafür gesorgt, dass Tagesmütterprojekte - hierzu haben wir 1993 einen Antrag eingebracht - umgesetzt worden sind. Sie haben auch nicht dafür gesorgt, dass die Anzahl der Krippenplätze und der Hortplätze erhöht worden ist.

(Mühe [SPD]: Stimmt doch überhaupt nicht! Das ist eine glatte Unwahrheit! - Weitere Zurufe von der SPD)

Aber Sie wollen sich für das loben lassen, was das Land alles gemacht hat. Das ist völlig falsch.

Auch Ihre Sprache, Herr Mühe- das ist mein letzter Punkt -, ist verräterisch. Sie sind deshalb auf dem Stand von 1990 stehen geblieben, weil auch Sie hier nur von Betreuung gesprochen haben. Das finde ich wirklich schofelig.

(Möhrmann [SPD]: Na, na, na!)

Das wird den Interessen der Kinder in der heutigen Zeit nicht gerecht. Das heißt, Sie setzen nur auf Eltern und auf Populismus und nicht auf Kindgemäßheit, zu der Bildung, Betreuung und Erziehung gehören.

(Beifall bei der CDU - Mühe [SPD]: Verehrte Frau Vockert, für Sie war Ganztagsbetreuung und Schule doch immer Teufelswerk! - Weitere Zurufe von der SPD)

Meine Damen und Herren, wir kommen damit zur Ausschussüberweisung. Der Ältestenrat schlägt vor, mit der Federführung und Berichterstattung den Ausschuss für Jugend und Sport zu befassen und mitberatend den Kultusausschuss, den Ausschuss für Haushalt und Finanzen, den Ausschuss für innere Verwaltung und den Ausschuss für Gleichberechtigung und Frauenfragen zu beteiligen. Wer dem folgen möchte, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Das ist so geschehen.

Wir kommen zu

Tagesordnungspunkt 24: Erste Beratung: Ehegattensplitting neu gestalten: Das Leben mit Kindern fördern und nicht den Trauschein - Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen - Drs. 14/2518

Die Redezeiten sind wie folgt festgelegt: SPD, CDU und GRÜNE jeweils bis zu zehn Minuten und Landesregierung bis zu fünf Minuten. - Frau Kollegin Pothmer bringt den Antrag ein.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Dass die Rahmenbedingungen für Familien mit Kindern erheblich verbessert werden müssen und die Vereinbarkeit von Beruf und Familie für Frauen endlich erleichtert werden muss, ist wohl unbestritten. Auch bei der Debatte zum Tagesordnungspunkt 23 - Ganztägiges Betreuungs- und Bildungsangebot für Kinder - wurde das nicht grundsätzlich infrage gestellt, sondern es wurde eigentlich nur die Frage gestellt, wer und wie das im Einzelnen finanziert werden soll. An einer Stelle - aber nur an dieser Stelle - gebe ich Ihnen Recht, Frau Vockert: Es wird in dieser Debatte niemand mehr ernst genommen werden, der nicht sagt, woher das Geld kommen soll. Ich will in diesem Zusammenhang deutlich sagen:

Wenn wir eine qualitative und quantitative Verbesserung wollen, dann müssen wir darüber reden, ob wir die Aufgabenteilung und Finanzteilung, die es derzeit gibt - nämlich der Bund ist zuständig für die finanzielle Förderung der Familien, die Kommunen sind zuständig für die baulichen Voraussetzungen der Kinderbetreuungseinrichtungen und das Land ist zuständig für eine personelle Förderung -, infrage stellen und neu regeln.

(Zustimmung bei den GRÜNEN)

Wir werden auch auf Bundesebene das Geld nicht drucken können. Auch dort wird es nur um eine Umverteilung gehen können. In diesem Zusammenhang will ich deutlich sagen: Für uns geht es schlicht um eine Umverteilung der Förderung, und zwar weg vom Trauschein und hin zu einer Familienförderung.

Meine Damen und Herren, dass das Ehegattensplitting als Instrument der Familienförderung versagt hat, wissen wir nicht erst, seitdem der Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung

vorgelegt worden ist, in dem deutlich gemacht wird, dass in dieser Gesellschaft Kinderhaben ein erhebliches Armutsrisiko darstellt und dass in der Bundesrepublik Deutschland jedes siebte Kind in Armut lebt und aufwächst. Ich finde, das macht deutlich, dass man beim Ehegattensplitting nicht von einer Form der Familienförderung reden kann.

Des Weiteren ist es so, dass sich die gesellschaftlichen Bedingungen erheblich gewandelt haben und sich die Formen, in denen Menschen zusammenleben, ebenfalls geändert haben. Herr Finanzminister Aller, wenn Sie die Ehe als Vorstufe von Familie sehen, also quasi als Keimzelle der Familie, wie ich jüngst in einem Interview, das Sie gegeben haben, lesen konnte, und das als Argument dafür nehmen, den Trauschein entsprechend steuerlich zu begünstigen, dann nehmen Sie schlicht und ergreifend die gesellschaftliche Wirklichkeit und die Veränderungen nicht zur Kenntnis.

Die Anzahl der nichtehelichen Lebensgemeinschaften, der Scheidungen und der Ehen, die absichtlich oder unabsichtlich kinderlos bleiben, wird immer größer. Das Bild der gesellschaftlichen Wirklichkeit wird zunehmend geprägt von nichtehelichen Lebensgemeinschaften und von Einelternfamilien. Die zuletzt genannten Gruppen profitieren jedoch in keiner Weise von den steuerlichen Regelungen des Ehegattensplittings. Die Ungerechtigkeit besteht nicht nur darin, dass diese Gruppen nicht gefördert werden, jedenfalls nicht über das Ehegattensplitting, sondern die Ungerechtigkeit besteht darüber hinaus auch darin, dass nur bestimmte Formen der Ehe gefördert werden. Ein Elternpaar, das einer Teilzeitarbeit nachgeht und bei dem beide Partner gleich viel verdienen - ein Lebensentwurf also, der auf Gleichberechtigung und gemeinsamer Teilhabe beider Lebensbereiche ausgerichtet ist und damit eigentlich von dieser Landesregierung gefördert werden soll -, wird durch das Ehegattensplitting steuerlich bestraft. Auch diese Gruppen haben von dem Ehegattensplitting keine Vorteile.

Das gilt übrigens auch für die Ehen und für die Familien, deren Einkommen sehr gering ist, die also gar keine oder ganz wenig Steuern zahlen. Auch die profitieren nicht vom Ehegattensplitting.

(Zuruf von Rolfes [CDU])

- Herr Rolfes, Sie sind doch gleich selbst dran. Dann können Sie Ihre schwachen Argumente mithilfe des Mikrofons hier vortragen.

(Zurufe von der CDU)

Dem Staat sind offensichtlich nicht alle Ehen gleich viel wert. Der Staat fördert mit dem Ehegattensplitting nur eine ganz bestimmte Lebensform, nämlich die Ehe des gut verdienenden Mannes mit seiner Hausfrau,

(Rolfes [CDU]: Das ist völlig falsch!)

und zwar völlig unabhängig davon, ob Kinder vorhanden sind oder nicht.

Dass darüber hinaus das Ehegattensplitting als Bremse der Frauenerwerbsarbeit wirkt, können wir im Übrigen sehr gut in unseren europäischen Nachbarländern sehen. Die haben vergleichbare steuerliche Regelungen schon vor Jahrzehnten abgeschafft mit dem Ergebnis, dass die Frauenerwerbstätigkeit erheblich zugenommen hat, und zwar übrigens nicht nur die Frauenerwerbstätigkeit, sondern auch die Anzahl der Kinder, die in den betreffenden Ländern geboren werden. Im Gegensatz zu einer landläufigen Auffassung ist es nämlich nicht etwa so, dass Frauenerwerbstätigkeit die Frauen daran hindert, Kinder zu kriegen, sondern es ist umgekehrt: Dort, wo die Frauen berufstätig sind, wo sie eine eigene Erwerbsbiografie aufgebaut haben, haben sie auch den Mut, sich für Familie und Kinder zu entscheiden.

Bei der bei uns geltenden steuerlichen Regelung ist es jedoch so, dass jede Erwerbstätigkeit der Frau die Splittingwirkung reduziert, d. h. dass durch das Splitting relativ weniger Geld vom Staat kommt. Das führt dazu, dass bei uns relativ viele Frauen auf eine versicherungspflichtige Erwerbstätigkeit verzichten. Die Frauen suchen sich häufig Aushilfsjobs, arbeiten schwarz, und zwar mit den bekannten Ergebnissen von kleinen Renten und von Altersarmut.

Lassen Sie mich jetzt noch etwas zu der Frage sagen, ob unser Vorschlag verfassungsgemäß ist. Ich war doch etwas entsetzt, als ich in der NWZ lesen musste, dass das Finanzministerium unserem Antrag schon eine Absage erteilt hat. Ein Sprecher des Finanzministeriums hat nämlich gesagt, das Grundgesetz stelle Ehe und Familie unter den besonderen Schutz des Staates und schreibe das Ehegattensplitting nach höchstrichterlicher Entscheidung in der jetzigen Form geradezu vor. Herr Aller, sagen Sie einmal, wie interessengeleitet ist eigentlich die Interpretation eines solchen Verfassungsgerichtsurteils in Ihrem Hause? Das Verfassungsgericht hat damals nicht entschieden, dass

diese Art der Besteuerung notwendig ist und vom Grundgesetz verlangt wird, sondern das Verfassungsgericht hat damals entschieden, dass diese Art der Besteuerung nicht verfassungsfeindlich ist, hat aber gleichzeitig deutlich gemacht, dass es eine Form ist, den Anforderungen des Artikels 6 Abs. 1 nachzukommen. Die Interpretation, die von Ihrem Hause geliefert wird, scheint mir doch höchst interessengeleitet zu sein.

Jetzt möchte ich Ihnen noch ein paar Neuigkeiten mitteilen. Das Bundesfamilienministerium hat ein Gutachten in Auftrag gegeben, das zu dem Ergebnis kommt, dass das Ehegattensplitting in der derzeitigen Form verfassungswidrig ist. Es ist verfassungswidrig, und ich finde das absolut logisch, weil es nämlich nur eine ganz bestimmte Konstellation der Ehe fördert und andere eben nicht in den Genuss dieser steuerlichen Vorteile kommen. Das ist eine Ungleichbehandlung, die in dem genannten Gutachten ganz deutlich herausgearbeitet wird, indem es heißt: Das ist verfassungswidrig.

Ich hoffe nun, Herr Finanzminister, dass Sie sich dem Wandel der Gesellschaft nicht vollständig verschließen und vielleicht auch einmal bei Ihrer SPD-Kollegin nachfragen, ob in ihrem Hause das Gutachten gelesen werden kann. Das hätte für Sie einen erheblichen Erkenntnisgewinn. - Vielen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Das Wort hat der Kollege Bontjer.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat Recht, wenn sie in der Begründung zu ihrem Entschließungsantrag feststellt, dass das bestehende Ehegattensplitting dem gesellschaftlichen Wandel von Partnerschaft und Familie in jeder Hinsicht und in jeder Beziehung nicht mehr gerecht wird und dass das von der Bundesregierung verabschiedete Familienpaket ein wichtiger Baustein zur besseren Förderung von Familien und Kindern ist.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Das Thema, über das wir heute hier diskutieren, Frau Pothmer, ist ja nicht ganz neu.

(Frau Harms [GRÜNE]: Das stimmt!)

Ich erinnere an die Debatten in den Jahren 1994 und 1996. Damals ging es um die Abschaffung des Ehegattensplittings zur Finanzierung der Umsetzung des Rechtsanspruchs auf einen Kindergartenplatz.

In der Zwischenzeit hat sich einiges getan. Durch das Zweite Gesetz zur Familienförderung wird ein weiterer wichtiger Schritt zur Verbesserung der finanziellen Situation der Familien ab dem Jahre 2002 erfolgen, und dann wird auch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 10. November 1998 umgesetzt. Ich will hier nur mit einem Satz die auf Niedersachsen entfallenden Kosten von rund 200 Millionen DM erwähnen. Das ist ein gewaltiger Batzen, aber wir tragen diese Belastung gern im Interesse unserer Familien.

(Zustimmung von Möhrmann [SPD])

So einfach, wie sich die Damen und Herren der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen die Lösung des Problems Ehegattensplitting vorstellen, ist es allerdings nicht. Dieses Thema muss sehr behutsam angegangen werden. Wir können uns nicht einfach über die Verfassung hinwegsetzen, und wir haben uns auch an der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu orientieren. Sie sind ja selbst auch darauf eingegangen. Was Sie dabei aber nicht erwähnt haben, ist, dass das Bundesverfassungsgericht festgestellt hat, dass der gesetzlichen Unterhaltspflicht der Ehegatten untereinander Rechnung getragen werden muss. Das haben Sie nicht erwähnt, obwohl das ein ganz wichtiger Punkt ist.

Insofern ist eine Änderung des Splittings verfassungsrechtlich sehr riskant. Das dürfte auch für die von den Grünen in die Diskussion gebrachte Einführung eines Realsplittings gelten. Ein solches Realsplitting gibt es bekanntlich bereits für getrennt lebende oder geschiedene Ehegatten. Im Übrigen ist ein Realsplitting für gleichgeschlechtliche Lebensgemeinschaften vorgesehen. Das Bundesverfassungsgericht wird sich schon bald klar zu der Frage positionieren müssen, ob Ehegattenvergünstigungen auch für gleichgeschlechtliche Lebensgemeinschaften mit dem Grundgesetz vereinbar sind. Die Bayerische Staatsregierung will bekanntlich auf diesem Wege das Gesetz zur Homosexuellenehe stoppen. Für die künftige Familienförderung wird diese Entscheidung von sehr großer Bedeutung sein.

Meine Damen und Herren, wie ich schon gesagt habe, ist das Thema der Abschaffung des Ehegattensplittings sehr vielschichtig, und es ist geboten, an das Thema mit Zurückhaltung heranzugehen. Dafür gibt es gewichtige Gründe. Würde nämlich das Splitting abgeschafft, so würden die Ehen von Alleinverdienenden steuerlich wesentlich stärker belastet, und es würde ein Druck zur Aufnahme einer Erwerbstätigkeit durch den anderen Ehepartner erzeugt. Ich habe Zweifel daran, ob dies der richtige Weg ist.

Das von den Grünen erwähnte Mehraufkommen von 19 Milliarden DM bedeutet im Übrigen eine Steuerbelastung für viele Haushalte und damit Proteste der Betroffenen, und berechtigte Unterhaltsansprüche - mit dieser Frage hat sich das Verfassungsgericht ja beschäftigt - der weniger oder nicht verdienenden Ehepartner werden damit wohl kaum ausreichend berücksichtigt.

Hinzu kommt, meine Damen und Herren, dass höher Verdienende und insbesondere Selbständige Einschränkungen beim Splitting ausweichen können, indem sie eine für sie günstige Aufteilung des Einkommens vornehmen, was Arbeitnehmer nicht können.

Meine Damen und Herren, würden wir dem Vorschlag der Grünen folgen und das Realsplitting einführen, so würde das zu einer erheblichen Mehrbelastung unserer jetzt bereits stark belasteten Finanzämter führen. Das Realsplitting würde jeden Ehepartner zu einem selbständigen Steuerfall machen.