Ich erinnere noch einmal an unseren Antrag „Gewalt gegen Frauen – ein Thema für Männer“ aus dem Jahre 1995, der nach zwanzigmonatiger Beratung endlich in einen Entschließungsantrag eingemündet war. Die Maßnahmen, die damals von uns allen beschlossen wurden, sind bis heute leider nicht erfüllt worden. Dafür ist zu wenig getan worden. Ich warne auch gleich das Land Niedersachsen davor, noch etwaige Modelle anzuleiern. Dafür haben wir schon keine Zeit mehr. Auch Presseerklärungen zu dem Thema helfen nicht mehr.
Wir brauchen die Voraussetzungen für eine zügige Umsetzung des Gesetzes in unserem Land. Wir als Politikerinnen und Politiker müssen die Voraussetzungen dafür schaffen. – Ich danke Ihnen.
Danke schön, Frau Schliepack. – Meine Damen und Herren, Frau Kollegin Bockmann ist die nächste Rednerin. Sie wollen den Antrag Ihrer Fraktion einbringen und auch Redezeit Ihrer Frak
Frau Präsidentin, ich bringe den Antrag in der Drucksache 2300 ein. – Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! 200 000 Kriminalitätsopfer in der Bundesrepublik Deutschland hätten theoretisch Anspruch nach dem Opferentschädigungsgesetz. Aber nur 13 % von ihnen nehmen die Chance auf Auszahlungen etc. wahr. 87 % ignorieren diese Rechte schlichtweg.
Wir haben nach den Gründen gesucht. Es könnte Unkenntnis sein. Es könnte auch daran liegen, dass die Opfer keinen Anlass sehen, staatsbürokratische Papierfronten aus Anträgen bewältigen zu wollen. Ein weiterer Grund könnte darin liegen, dass sie die Straftaten, die traumatischen Erlebnisse nicht verarbeitet haben und einfach in Ruhe gelassen werden wollen - auch deshalb, weil sie vom Staat als so genanntes Beweismittel vor Gericht gebraucht wurden, aber auf ihre individuellen Opferinteressen nicht eingegangen wurde.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, diese vier Beispiele haben eines gemeinsam: Sie verletzten das Gerechtigkeitsempfinden der Gesellschaft. Solche Entwicklungen dürfen sich in einem funktionierenden Rechtssystem nicht verfestigen. Da wir gerade diesem Ist-Zustand nicht gleichgültig gegenüberstehen, sehen wir einen sehr dringenden Handlungsbedarf.
Wir müssen deshalb eine gesamtgesellschaftliche Anstrengung unternehmen, um die Opfer aus diesem, wie ich meine, ungerechten Randbereich herauszuholen.
Sicherlich hat es in der Vergangenheit viele Aktivitäten gegeben, z. B. vom Weißen Ring, der sehr wertvolle Arbeit geleistet hat. Aber das allein reicht nicht aus. Wir werden zwar auch in Zukunft auf ihn angewiesen sein, aber wir müssen mehr tun. Wir wollen, wenn man so will, eine Imagebildung mit ganzheitlichem Konzept in Sachen Opferschutz. Wir wollen eine gesamtgesellschaftliche Diskussion, die dem Opferschutz Profil geben soll. Ein geeignetes Mittel, um diesen Diskussionsprozess zugunsten der Opfer in Gang zu setzen, ist aus unserer Sicht die Ergänzung der Rechtsstaatsprin
zipien in der Niedersächsischen Verfassung. Es ist angemessen, wenn die Staatsziele Umweltschutz, Tierschutz etc. existieren, den Schutz von Kriminalitätsopfern ebenfalls mit aufzunehmen und somit die Verfassung zu vervollständigen.
Die erforderliche Zweidrittelmehrheit hat auch noch einen anderen positiven Effekt. Die Parteien werden von dem so genannten Säulendenken wegkommen, und es wird einen übergreifenden politischen Konsens geben.
Den ersten glaubwürdigen Schritt in diese Richtung wollen wir mit dem Projekt „Netzwerk Opferhilfe“ starten. Dieses Netzwerk soll sozusagen ein maßgeschneidertes System für die Bedürfnisse der Opfer sein, natürlich parallel zum täterorientierten Strafverfahren. Konkret wird das so aussehen: Der soziale Dienst der Justiz soll mithilfe von Fachhochschulen, Polizei, Rechtsanwälten, Jugendämtern etc. und natürlich auch mithilfe von freien Trägern wie dem Weißen Ring eine aktive Opferhilfe organisieren. Wenn man an die praktische Arbeit dieses Netzwerks denkt und daran, welche Arbeitseinsätze geleistet werden können, u. a. von Studenten der Fachhochschulen, die das ehrenamtlich leisten wollen, dann kommen z. B. folgende Themen in Betracht: die Einrichtung einer ständigen Anlaufstelle für Opfer, eine frühzeitige Krisenintervention – Stichwort „Opfertelefon“ -, aber auch die Begleitung von Zeugen bei der Staatsanwaltschaft bzw. auch die Vorbereitung auf die Verhandlungssituation bei Gericht und die Vermittlung von Kontakten – sei es finanzieller oder therapeutischer Art, sei es zum Täter-OpferAusgleich oder zur Begleitung des Strafverfahrens. Last but not least soll durch diese Arbeit oder eine andere Hilfe in Form der Begleitung zu Selbsthilfegruppen auch die Eigeninitiative der Opfer wieder aktiviert werden.
Nachdem ich die Stichworte dieses Arbeitsprogramms genannt habe, bitte ich Sie, auf das Opferentschädigungsgesetz zurückzublicken. Dieses Netzwerk wird sozusagen in eine Opferbetreuungslücke hineinstoßen, die bisher besteht und die beseitigt werden soll, sodass das Netzwerk der Einstieg zum Ausstieg aus der Opfervernachlässigung sein wird.
Ein wichtiger Punkt dieses Entschließungsantrags ist auch die praktische Hilfe für Frauen. Frau Kollegin, Sie haben das eben sehr detailliert und gut
ausgeführt. Es ist schließlich - Sie haben es ausgeführt - kein Geheimnis, dass hinter vielen Wohnungstüren die Faust regiert. Es ist ein unerträglicher Zustand, dass die Frau flüchten muss, die Kinder ihre Kinderzimmer verlassen müssen und der Mann, der ausrastet, bleiben darf.
Wir sind der Bundesregierung sehr dankbar, dass sie diesen Stein ins Rollen gebracht hat. Dass aber auch wir in Niedersachsen ganz konkrete Hilfe leisten wollen, wird in dem Antrag klar. Wir wollen, dass die Frauen aus der - ich sage einmal Zone der Angst befreit werden. Wir wollen praktische Hilfen in der Form, dass Türschlösser ausgewechselt werden können, in Form von Betreuung, in Form von Notrufeinrichtungen usw.
Damit komme ich auf das zurück, was gestern Gegenstand der Geschäftsordnungsdebatte war: Hier ist der Punkt, in dem beide Anträge ineinander übergreifen. Natürlich wollen wir später in den Ausschussberatungen die Fakten problemspezifisch diskutieren; das ist keine Frage. Aber wir wollen vor allen Dingen vermeiden, uns auseinander dividieren zu lassen, und wir wollen auf keinen Fall den Eindruck erwecken, dass Frauenprobleme hier untergehen.
Das Problem ist wesentlich vielschichtiger. Das geht auch aus dem CDU-Entschließungsantrag hervor: Dort ist die Präventionsarbeit bei Jugendlichen aufgeführt etc. Die Grünen haben in der Dezember-Plenarsitzung den Antrag „Männergewalt in Familien effektiv bekämpfen“ eingebracht. - Das Thema ist also breit gefächert.
Heute soll der erste Aufschlag sein, sozusagen das In-Gang-Bringen der Diskussion, an deren Ende auf alle Fälle praktische Hilfen stehen sollen.
So sehr wir die Zielrichtung des CDU-Antrages, in Niedersachsen aktive Hilfe für Frauen zu leisten, auch unterstützen, so sehr sehen wir darin leider einen kleinen handwerklichen Fehler. Dieser besteht in der Forderung nach einer Änderung des Niedersächsischen Gefahrenabwehrgesetzes. Diese Problematik ist erkannt. Die Innenminister der Länder haben sich damit auch bereits befasst, und zwar insoweit, als dass der zivilrechtliche Schutz für Frauen verbessert werden soll, natürlich in Harmonie mit den Gefahrenabwehrgesetzen.
Unabhängig davon, dass wir dem Ergebnis der eingesetzten Facharbeitsgruppen nicht vorgreifen wollen, sehen wir in dem Niedersächsischen Gefahrenabwehrgesetz einige Besonderheiten. Es enthält nämlich einige Normierungen mehr als die Gefahrenabwehrgesetze anderer Länder: Mit dem Platzverweis und der Ingewahrsamnahme stehen weitere rechtlichen Möglichkeiten zur Verfügung, um einen angemessenen Beitrag im Gesamtkonzept zur Bekämpfung der Gewalt gegen Frauen leisten zu können.
§ 17 Abs. 1 Satz 2 des Niedersächsischen Gefahrenabwehrgesetzes beinhaltet den konkreten Platzverweis aus den Wohnungen zur Abwehr einer gegenwärtigen erheblichen Gefahr.
Diese Normierung, Frau Pawelski, beinhaltet auch einen Platzverweis für mehrere Tage. Das ist der entscheidende Punkt: Dieser Platzverweis kann für mehrere Tage erfolgen - so lange, bis das Zivilgericht eine Entscheidung trifft.
Im Ergebnis ist daher festzustellen: In Niedersachsen ist - im Gegensatz zu anderen Ländern - eine Gesetzesänderung nicht erforderlich.
Nehmen wir nun einen anderen Punkt dieses Antrags, Punkt 4: Interventionsstellen einrichten. Das geschieht schon, meine sehr verehrten Damen und Herren. Zu Beginn des nächsten Jahres, also zum In-Kraft-Treten des Gesetzes, ist in Niedersachsen die Einrichtung von drei Interventionsstellen geplant; das ist bereits in Vorbereitung.
Nehmen wir einen weiteren Punkt Ihres Antrags, Punkt 11: eine Bündelung der Zuständigkeit bei den Familienrichtern vornehmen. - Worauf diese
Forderung abzielt, ist aus dieser Formulierung nicht so ganz ersichtlich. Aber wir haben fantasievoll interpretiert und verstehen darunter die Forderung nach Beschleunigung und Konzentration der familiengerichtlichen Verfahren.
Wir haben uns die Zahlen aus Österreich besorgt. Österreich ist von der Einwohnerzahl her so groß wie Niedersachsen. In Österreich sind in einem von uns benannten Zeitraum 577 Anträge eingegangen. Wir haben das mit der hiesigen Justiz verglichen und sind der Auffassung, dass das geleistet werden kann. Dem steht natürlich nicht entgegen, dass die Familienrichter besonders geschult werden können; das ist ein anderer Punkt.
Nehmen wir den vorletzten Punkt, nämlich bei Umsetzung des Gewaltschutzgesetzes für eine Begleitforschung zu sorgen. - Diese Forderung ist sicherlich berechtigt. Aber in der Begründung des Gesetzentwurfs steht, dass nach zwei bis drei Jahren Daten eingeholt und verglichen werden sollen. Insbesondere hier sind die Länder aktiv; sie wollen die Ergebnisse dieses Gesetzes erfahren und nicht immer auf die Erfahrungen aus Österreich zurückgreifen.
Lassen Sie uns festhalten, dass wir Frauen uns auf keinen Fall splitten lassen wollen, egal ob es hier um Opfer in Gestalt von Kindern, Männern oder Frauen geht. Wir wollen den Umgang mit den Opferinteressen - z. B. bei der Flucht der Frau vor dem Schläger - positiv begleiten, denn bei Licht gesehen müssen wir feststellen, dass es sich hier in der Gegenwart um eine sozialpolitische Geisterfahrt handelt. Lassen Sie uns diesen Zustand beenden und nicht nach dem Motto „meine Frauenpolitik - deine Frauenpolitik“, sondern nach dem Motto „unsere Frauenpolitik“ verfahren. Denn eines ist klar: Wenn wir es gemeinsam machen, wird es am allerbesten gelingen. - Ich danke für die Aufmerksamkeit.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Glauben Sie mir, die Rolle der Kassandra gefällt mir nicht. Aber meinen Sie allen Ernstes, dass die Diskussionsstruktur, die Sie mit Ihrem Vorgehen, nämlich der Zusammenlegung beider Anträge, geschaffen haben, einen Sinn macht?
Ihre Vorstellung von Gender Mainstreaming scheint sich darin zu erschöpfen, dass der Frauenaspekt auf einen von acht Spiegelstrichen reduziert wird. Das ist aber wahrlich nicht das, was damit gemeint ist. Ich bin der festen Überzeugung, dass der Umgang, den Sie hier gesucht haben, der notwendigen Debatte um diese Frauenproblematik in keiner Weise gerecht wird.