Protocol of the Session on January 25, 2001

Die Bundesregierung hat sich das Ziel gesetzt, dass bis 2015 doppelt so viele Güter auf der Schiene transportiert werden wie im Jahr 1997. Deshalb wird es die Bundesregierung auch nicht hinnehmen, dass die Güterverteilzentren, denen im Verbund verschiedener Verkehrsträger eine wichtige logistische Aufgabe zukommt, geschlossen werden. Wir haben in Niedersachsen ein funktionierendes Netz von Güterverteilzentren aufbauen wollen, haben dafür auch sehr viele Mittel des Landes zur Verfügung gestellt. Wir können es nicht akzeptieren, dass die Bahn das im Prinzip schließen und sich nur auf lukrative lange Strecken konzentrieren möchte.

Ich will nicht missverstanden werden: Mit unserem Antrag wollen wir nicht in das vielstimmige Konzert der Besserwisser einstimmen. Wir wollen zum Ausdruck bringen, dass die Bundesregierung der Bahn helfen muss, damit sie sich in ihrer Finanznot nicht zu derartigen Maßnahmen genötigt sehen muss. Nicht der Bahn, sondern dem Schienenverkehr insgesamt muss geholfen werden, damit der Personen- und Güterverkehr auf der Schiene endlich eine attraktive Alternative zum Individualverkehr auf der Straße wird.

Die Bundesregierung hat u. a. mit der Verwendung der UMTS-Millionen für die Schiene bereits eindeutige finanzielle Signale in diese Richtung gesetzt. Der neue Verkehrsminister Kurt Bodewig hat vor wenigen Tagen, am 18. Januar, im Deutschen Bundestag sein Konzept für eine integrierte Verkehrspolitik vorgestellt. Er hat deutlich gemacht, dass eine offensive Politik für die Schiene zu den Arbeitsschwerpunkten seiner Infrastrukturpolitik gehört. Wir unterstützen ihn dabei.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, unsere Fraktion ist mit verschiedenen Maßnahmen, wie sie die Deutsche Bahn plant, nicht einverstanden. Deshalb haben wir diesen Entschließungsantrag formuliert. Ich hoffe, die anderen Fraktionen folgen uns da. Wir können uns die Kritik auch leisten, meine Damen und Herren. Unsere Koalitionsregierung in Berlin hat der Bahn nicht nur mit klugen Reden helfen wollen, sondern sie hat die Investitionsmittel für die Schiene in den Jahren 1999, 2000 und 2001 deutlich erhöht. Der Opposition hier im Landtag empfehle ich dagegen Zurückhaltung bei diesem Thema. Ihre damalige Regierung - meine Damen und Herren, das muss auch einmal gesagt werden - hat sich bei der Finanzierung unseres Verkehrsnetzes nämlich nicht mit Ruhm bekleckert.

(Zustimmung bei der SPD)

Nicht nur der völlig unterfinanzierte Bundesverkehrswegeplan belastet die jetzige Regierung; versagt hat die Kohl-Regierung auch bei der Umsetzung der Bahnreform nach 1994. Zugesagt hatte sie der Bahn jährliche Investitionsmittel von 10 Milliarden DM. Schon 1995 wurden es nur 9 Milliarden DM. Dann sank es weiter auf 7,2 Milliarden DM und auf 6,7 Milliarden DM. Im Jahr des Regierungswechsels, 1998, dem letzten Jahr der Regierung Kohl, waren es 5,7 Milliarden DM.

(Beckmann [SPD]: Verrotten lassen haben sie die Bahn! Richtig verrotten lassen!)

Herr Pällmann hat uns erklärt: Wir brauchen 10 Milliarden DM zum Erhalt und zur Pflege des bestehenden Netzes; Neuinvestitionen sind da nicht mit eingerechnet. - Das war allen klar, auch der damaligen Regierung.

Zusammen mit Herrn Mehdorn sind wir heute mit einem völlig veralteten Schienennetz und einem ebenso veralteten Fahrzeugbestand konfrontiert.

Meine Damen und Herren, die Schuld trifft nicht diejenigen, die uns die schonungslose Analyse präsentieren; schuld sind diejenigen, die ihrer finanziellen Verantwortung damals nicht nachgekommen sind, und das ist die Regierung Kohl gewesen.

Die fehlenden Mittel sind aber leider noch nicht die ganze Wahrheit. Weil die frühere Bundesregierung die für die verschiedenen Verkehrsträger unterschiedlichen Rahmenbedingungen nicht angetastet hat, wird der Verkehrsträger Schiene durch die fehlende Chancengleichheit im Wettbewerb noch zusätzlich belastet. So muss für Lkw bisher keine Straßennutzungsgebühr in der Höhe der verursachten Kosten bezahlt werden - anders als beim Schienenverkehr, bei dem der volle Trassenpreis erwirtschaftet werden muss. Die frühere Bundesregierung hat auch keine Angleichung der unterschiedlichen Bedingungen im europäischen Wettbewerb durch die Öffnung der Netze in andere europäische Länder zugunsten deutscher Schienenunternehmen erreicht.

Erste Schritte auf dem Wege zur Chancengleichheit auf der Schiene hat die rot-grüne Bundesregierung mit einigen ordnungspolitischen Maßnahmen bereits unternommen. Ich nenne nur die Einführung der Autobahnmaut für schwere Lkw und die verkehrsmittelunabhängige Entfernungspauschale für Berufspendler. Wir hätten uns übrigens vorstellen können, diese noch ein Jahr früher einzuführen. Weitere Schritte sind notwendig.

Im Vordergrund steht dabei aus Sicht unserer Fraktion die konsequente Öffnung des Schienennetzes für alle Anbieter von Schienenverkehr. Nur durch Chancengleichheit und durch diskriminierungsfreien Zugang zum Netz wird es gelingen, einen fairen Wettbewerb auf der Schiene und in Konkurrenz zum Marktführer Bahn herzustellen. Was wir auf der Schiene brauchen, ist das Werben konkurrierender Dienstleister um potentielle Kunden für ihr Mobilitätsangebot, damit auch dort eines Tages der Kunde König sein kann. Warum sollte uns das nicht auch so gelingen wie z. B. auf dem Telefonmarkt?

Meine Damen und Herren, Niedersachsen mit seiner großen Anzahl von nicht bundeseigenen Eisenbahnen hat hervorragende Voraussetzungen für einen Umstrukturierungsprozess in diesem Sinne. Wir wollen, dass diese privaten Eisenbahnen in den Wettbewerb mit der DB eintreten können. Wir brauchen diese Anbieter auch deshalb,

um die Schienenverkehre in unserer Region weiter entwickeln zu können. Ein Beispiel dafür, wie gut das funktioniert, ist der gelungene Start der Nordwestbahn. Sie hat seit November vergangenen Jahres mit 300 km das bundesweit größte private Regionalnetz im Personenverkehr. Den Erfolg des niedersächsischen Modells hat der Bundesverkehrsminister in seiner Rede vor dem Bundestag so beschrieben: Sie, die Nordwestbahn, hat nur ein Problem. Sie kann die Nachfrage kaum bewältigen. Ich würde mich freuen, wenn ich solche Probleme öfter auf dem Tisch hätte. - Diesen Worten von Kurt Bodewig kann ich nichts hinzufügen.

Ich bitte Sie darum, in gemeinsamer Verantwortung für dieses Land diesen Antrag zu unterstützen und mehr Konkurrenz auf der Schiene zu organisieren, damit wir unsere Ministerin für Wirtschaft, Technologie und Verkehr nach Berlin schicken können mit dem Wissen: Wir stehen einhellig hinter dieser Politik der Stärkung der Schiene. - Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD)

Zu den beiden vorliegenden Anträgen möchte sich jetzt der Herr Kollege Dinkla äußern. Bitte!

(Frau Steiner [GRÜNE]: Möchte er das wirklich, oder muss er? – Beck- mann [SPD]: Du musst dich nicht ent- schuldigen für die Bundesregierung!)

Herr Präsident! Herr Kollege Schurreit, lassen Sie mich auf Ihre Bemerkungen eingehen, zunächst auf Ihre Bemerkung zu den UMTS-Milliarden; das Thema ist heute ja schon mehrfach angesprochen worden. - Ich habe immer das Gefühl, dass diese Milliarden von der neuen Bundesregierung nicht nur verteilt werden, sondern auch der Eindruck erweckt werden soll, der Milliarden-Regen sei ein Erfolg der neuen Bundesregierung.

(Beckmann [SPD]: Irgendetwas stimmt mit deinem Gefühl nicht!)

Ich will einmal in Erinnerung rufen, dass die KohlRegierung die politischen Weichenstellungen vorgenommen hat. Sie sind jetzt die Gewinner der Milliarden-Einnahmen dank richtiger Entscheidungen der Kohl-Regierung.

(Beckmann [SPD]: Das mit den Ge- winnern stimmt! – Wenzel [GRÜNE]: Nein, wir! Wir kriegen 6 Milliarden für die Schiene! Deshalb sind wir alle die Sieger!)

- Gewinner sind wir alle, aber es kann nicht angehen, dass die SPD sozusagen den Anschein erweckt, sie habe die politischen Weichenstellungen vorgenommen; denn das hat sie nicht.

(Wenzel [GRÜNE]: Das haben wir durchgesetzt! – Unruhe)

Herr Kollege Schurreit, es gibt eine erfreuliche Bewegung. Sie haben die Koordinaten heute etwas verschoben. Ich freue mich darüber, dass Sie in Ihre heutige Bewertung auch zahlreiche Argumente der CDU-Position aufgenommen haben; Herr Wenzel nickt. Insofern haben wir jetzt eine neue Ausgangssituation.

Ich habe Ihren Antrag aufmerksam gelesen. Der Schluss hat mir natürlich nicht so ganz gepasst. Da hätten Sie, muss ich sagen, etwas mutiger sein können. Zum Schluss wird nur eine zaghafte Bitte an die Landesregierung formuliert, nämlich: „Der Landtag bittet die Landesregierung, zu gegebener Zeit zu berichten.“

(Rolfes [CDU]: Untertänig!)

Herr Schurreit, die Zeit haben wir nicht mehr! Wir müssen wirklich sehen, dass wir vorankommen.

(Zurufe von der SPD)

CDU und Grüne haben dieses Thema immer wieder auf die Agenda gesetzt, haben die Landesregierung zu harten Verhandlungen aufgefordert. Wir wurden eigentlich immer wieder mit demselben Ergebnis konfrontiert. Was die Verhandlungen des Landes und auch die Bemühungen des Ministerpräsidenten angeht, so schwankte das ja immer wieder zwischen minimalen Erfolgen und weiteren Rückschlägen; der Pflichtbeifall der SPD-Fraktion war immer sicher. Die Forderungen von CDU und Grünen wurden als überzogen, als übertrieben dargestellt.

(Zurufe von der SPD)

Das war die alte Position. Über Jahre hinweg hieß es:

(Beckmann [SPD]: Das wiederholst du jedes Mal! Warum verweist du nicht auf das Protokoll?)

Man muss mit der Bahn strittige Fragen im Konsens lösen. - Das war doch die Standardformulierung, Herr Kollege Beckmann.

(Beckmann [SPD]: Genau! Standard- formulierung!)

Wenn wir harte Verhandlungen des Landes gefordert haben, haben Sie immer gesagt: Das kann man so nicht machen. Wir müssen erst versuchen, gelassen und ruhig mit der Bahn zu verhandeln. - Das war sicherlich ein Fehler. Insofern ist die Position der SPD jetzt neu.

Fakt ist und bleibt, dass die Bahn AG die Schwachstelle, den vertragslosen Zustand - Herr Wenzel hat das richtigerweise schon ausgeführt -, rigoros und gnadenlos zulasten des Landes Niedersachen ausgenutzt hat, um gerade hier in einen Kürzungs- oder Schließungsrausch zu verfallen, zudem die Schließung von Reisezentren anzukündigen und Serviceleistungen weiter einzuschränken.

Die Bahnkunden fühlen sich in Niedersachsen mit Sicherheit nicht mehr als Kunden, sondern nur noch als statistische Größen oder, wenn Sie so wollen, als Beförderungsfälle. Nach meiner Überzeugung passt die Philosophie des Unternehmens nicht mehr. Ginge es nach Herrn Mehdorn und hätten wir heute noch die Lok mit dem Kohlentender, dann müssten die Fahrgäste wahrscheinlich bald Kohlen schaufeln.

Ich meine, meine Damen und Herren, es ist ein Zustand erreicht, der nicht mehr akzeptiert werden kann. Nach meiner Überzeugung - das hat Herr Schurreit auch gesagt - sind unternehmenspolitisch falsche Entscheidungen getroffen worden. Das ist wohl völlig unstrittig.

(Präsident Wernstedt übernimmt den Vorsitz)

Herr Kollege Schurreit, es wäre schön gewesen, wenn Sie nicht in den üblichen Fehler verfallen wären, die alte Kohl-Platte aufzulegen nach dem Motto: Die CDU hat Schuld. Die alte Bundesregierung hat alles falsch gemacht.

(Zuruf von Schurreit [SPD])

Sie behaupten in Ihrem Antrag - lassen Sie mich ausreden; ich habe Sie ja auch ausreden lassen -: Die alte Bundesregierung ist für das Desaster verantwortlich. - Sie dürfen nicht übersehen: Seit September 1998 tragen Sie im Bund die Verantwortung. Sie hätten vieles ändern können. Ich behaupte nicht, dass die Bahnreform in allen Bereichen richtig gewesen ist. Es mag hier und da zu Webfehlern gekommen sein, aber der Bund hat 1994 die Bahn entschuldet.

(Beckmann [SPD]: Webfehler? Große Löcher sind entstanden!)

- Herr Beckmann, das Problem ist, dass Sie nicht in Ruhe zuhören können. Aber Sie stören mich nicht. Ich kann Sie beruhigen. - Sie haben aber politisch die Chance, dieses zu ändern. Sie haben in vielen anderen Bereichen ja auch politische Änderungen herbeigeführt.

Im Jahre 2000 wurde von der Spitze der Bahn immer wieder gesagt, bis 2005 würde ein Gewinn in Höhe von 13 Milliarden DM erwirtschaftet werden. Das war Mitte 2000. Im September kam dann die Ansage: Das stimmt nicht. Wir werden in diesem Zeitraum 7 Milliarden DM Minus machen. - Nachdem McKinsey die neue Bewertung im Hause vorgenommen hat, also seit Dezember 2000, geht es um eine Größenordnung von minus 17 Milliarden DM. Das heißt, zwischen Sommer 2000 und jetzt liegt eine Differenz in Höhe von 30 Milliarden DM. Das kann man nicht mit einfachen Erklärungen abtun. Es ist für mich nicht nachvollziehbar, wie es zu solchen eklatanten Fehlentschätzungen innerhalb des Hauses kommen konnte.

Eklatant ist natürlich auch die Entscheidung der Bundesregierung, auch die Bahn AG mit der Ökosteuer zu belasten. Das ist eine zusätzliche Belastung von jährlich 250 Millionen DM, die weder steuerpolitisch noch vor allem ökologisch zu begründen ist. Ich glaube, dass dies eine völlig falsche Entscheidung war.

(Zuruf von Frau Steiner [GRÜNE])

Ich will nun auf einen Punkt eingehen, den Sie, Herr Schurreit, vorhin auch schon angesprochen haben, nämlich das Ergebnis der PällmannKommission. Ich kann nur dazu raten, das Ergebnis der Pällmann-Kommission ernst zu nehmen und mit Fachleuten über eine konkrete Umsetzung zu diskutieren, weil ich glaube, dass diese Kommission ideologiefrei viele Dinge auf den Punkt

gebracht hat. Es sollte dann - wenn Sie so wollen – mit verkehrpolitischen Lebenslügen aufgeräumt werden, die zum Teil durchaus über Jahre hinweg Konjunktur hatten. Ich finde, wir wären gut beraten - wir haben ja im Ausschuss die Möglichkeit dazu –, das, was jetzt gesagt worden ist, zu vertiefen.