Protocol of the Session on December 14, 2000

(Heiterkeit)

Meine Damen und Herren, ich hatte zu Recht vermutet, dass das unserer Heiterkeit ein bisschen dienlich sein würde.

Wir kommen im Zusammenhang mit der Innenpolitik nun zur Wortmeldung des Abgeordneten Hagenah zum Thema Verwaltungsreform.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Besonders bei der Verwaltungsreform droht die Regierung Gabriel zu versagen. Der einsame Ankündigungsweltmeister hat sich hier bereits nach einem Jahr heillos in seinen gegenteiligen Ankündigungen und Versprechen verheddert. Ein Schritt vor, zwei Schritte zurück - das ist häufig das Ergebnis seiner Umtriebigkeit.

Ist der Beauftragte für Staatsmodernisierung im vorliegenden Haushaltsplan durch die gut dotierte formelle Stellvertretung scheinbar noch gestärkt, so wird er nun im Zuge der Kabinettsumbildung durch die Rückübertragung der inneren Reformaufgaben an das Innenministerium personell faktisch trockengelegt. Hatte der Ministerpräsident der demonstrierenden Gewerkschaft der Polizei im Oktober noch die Besoldungserhöhung zum 1. November in Aussicht gestellt,

(Unruhe - Glocke des Präsidenten)

schafft Finanzminister Aller erst zum 1. Januar 2001 die Voraussetzungen für diese Besoldungserhöhung.

Es gilt das gebrochene Wort. Das ist der Politikstil der Regierung Gabriel, meine Damen und Herren. Obwohl der Ministerpräsident in seiner Regierungserklärung vor einem Jahr die Verwaltungsreform als eine zentrale Aufgabe für seine Amtszeit hervorgehoben hatte, ist davon im vorliegenden Haushaltsentwurf nichts zu spüren.

(Unruhe)

Wie bei Glogowski dümpelt der Finanzansatz dafür auf niedrigstem Niveau dahin. Im Vergleich zu privatwirtschaftlichen Unternehmen dieser Größe, die sich in einem derart umfassenden Reformprozess befinden, liegt Niedersachsen nur bei etwa einem Zehntel der finanziellen Aufwendungen für die beabsichtigten Umstrukturierungen.

In dem Änderungsantrag der Fraktion der Grünen haben wir deshalb durch Umschichtung die ressortübergreifenden Mittel zur Personalentwicklung und die Umsetzungsmittel für den Reformarbeitsmarkt mehr als verdoppelt. Das ist besonders deshalb unerlässlich, weil die Beschäftigten längst im Stakkato der widersprüchlichen Vorgaben der Landesregierung so stark verunsichert und demotiviert sind, dass das Phänomen innerer Kündigungen um sich greift.

Die niedersächsische Verwaltungsreform wird von quer eingeschobenen unkoordinierten Sparaktivitäten erdrückt. Eine Vielzahl personalwirtschaftlicher Maßnahmen der Landesregierung mit Rasenmäherwirkung kumuliert geradezu zu unzumutbaren Härten und Qualitätsverlusten. Das geht hin bis zu drohender Rechtsungleichheit und Einnahmeverlusten. Die Einstellungsinitiative Lehrer im Jahre 2000 des Ministerpräsidenten führte mitten in laufender Reform und Personalabbau zu Einstellungsstopp und Mehrarbeit im gesamten übrigen Landesdienst im Gegenwert von 75 Millionen DM. Das Streichen der versprochenen Leistungszulagen in 2001 führt nicht etwa zu verstärkten Investitionen in die Reform, sondern die Mittel versickern in der Konsolidierung. Bereits in 2000 sind durch Umstellung der Besoldungstabellen etwa 15 Millionen DM beim Finanzminister gelandet. In 2001 werden es 67 Millionen DM sein, die nicht an die Arbeitnehmer zurückfließen.

Die unzureichend mit Finanzmitteln ausgestattete Altersteilzeit fällt pro Antragsteller mit 33 % der Personalkosten dem betroffenen Ressortpersonalbudget zur Last und verengt dementsprechend die Finanzmasse für die verbleibenden Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die im Reformprozess ohnehin voll gefordert sind. Der vor einigen Monaten herausgegebene Erlass zur befristeten Einstellung als Regelfall führt zur Übertragung des Hire-andfire-System aus konjunkturabhängigen Industriebranchen auf den Landesdienst. Mit immer mehr befristet beschäftigten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern aber werden alle internen Reformbemühungen zur Farce.

Die globale Minderausgabe im Haushalt 2001 in der Größenordnung von 420 Millionen DM schlägt voll auf die ausgeknautschten Budgets bei vorgegebenem Beschäftigungsvolumen durch. Sie ist ebenfalls personalwirtschaftlich voll wirksam und erhöht dadurch wiederum den Einspardruck.

Die Landesregierung verspielt durch diese fortwährende Springprozession der Nachverschlechterungen das Vertrauen und die Bereitschaft der Beschäftigten zur Mitwirkung an der Verwaltungsreform. Erfolgreiche Verwaltungsreform braucht aber das genaue Gegenteil: verlässliche Rahmenbedingungen und aktive Mitwirkung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.

Beispiele für ein Kaputtsparen und für Demotivation jeglichen Engagements für die notwendige Effizienz- und Funktionalreform sind überall zu beobachten:

Zum Beispiel ist die Gewerbeaufsicht zu nennen. 15 % Einsparquote trotz stark ansteigender Vorgaben zur Kontrolle von der EU und aus Berlin. Rechtssicherheit und Verbraucherschutz müssen aber flächendeckend gewährleistet sein und dürfen nicht durch ein Kaputtsparen zur Willkür verkommen.

Was das Landesamt für Bezüge und Versorgung angeht, so ist im vorigen Jahr durch eine Flut von Eingaben im zuständigen Ausschuss deutlich geworden, dass unten nicht mehr rechtzeitig umgesetzt wird und bei Krankheit oder Bedürftigkeit nicht mehr rechtzeitig gezahlt wird, weil die Systeme nicht funktionieren. Heute ist in diesem Bereich eine Riesenfluktuation festzustellen. Alle die, die in diesen Bereich umgesetzt werden, versuchen, sich möglichst schnell wieder abzusetzen.

In der Steuerverwaltung sind die Vollzugsdefizite inzwischen insbesondere im Innendienst festzustellen. Hier verlieren wir tatsächlich Millionen.

Meine Damen und Herren, wir müssen zum kooperativen Reformprozess zurück. Die Abgabe von Personal in den Reformarbeitsmarkt muss sich für die abgebenden Behördenteile sofort finanziell entlastend rechnen. Zugleich muss dort eine zielgerichtete Qualifizierung und Vermittlung für den Bedarf anderer Dienststellen erfolgen. Nur mit mehr Geld und verstärkten Anstrengungen kann dem Vertrauensverlust entgegengewirkt werden und kann Kooperationsbereitschaft neu gewonnen werden. - Vielen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Nunmehr spricht der Kollege Althusmann.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Eine ungute Mischung aus Erstarrung und Aktionismus kennzeichnet den gern als niedersächsisch gepriesenen Weg der Verwaltungsreform. Diese Erstarrung kommt im Übrigen nicht von ungefähr. Die Internet-Hompage unter www.sigmar.de unseres geschätzten Ministerpräsidenten ist ein beredtes Beispiel dafür, was Erstarrung bedeutet. Die letzte Presseerklärung auf dieser Internet-Hompage stammt vom 15. Dezember 1999, ist also fast genau ein Jahr alt. Es ist seine eigene Regierungserklärung unter dem Motto „Chancenland Niedersachsen“.

Meine Damen und Herren, gerade in Sachen Verwaltungsreform hat diese Landesregierung die Chancen, die sie gehabt hätte, vor Herrn Gabriel, aber insbesondere auch zu seiner Zeit, nicht ausreichend für eine durchgreifende Verwaltungs- und Funktionalreform in Niedersachsen genutzt. Worthülsen wie „aktivierender Staat“ oder „Diskurs“ oder selbst „kooperativer Reformprozess“ - was auch immer das bedeuten mag, Kollege Hagenah

(Hagenah [GRÜNE]: Mit den Mitar- beitern! Aber das verstehen Sie nicht!)

- eines muss sich diese Landesregierung ins Stammbuch schreiben lassen: In einem Jahr Gabriel ist eigentlich nur eines passiert: Ihnen ist eingefallen, zum ersten Mal eine Bestandsaufnahme der Mittelinstanz, der Bezirksregierungen, durchzuführen. Sie nennen dies „Regionalmanagement“ und wollen Regionalpräsidien einrichten.

Nun will ich Ihnen einmal vorlesen, was denn in Niedersachsen so unter „Regionalmanagement“ verstanden werden soll.

Da wurden die Projekte und Aktivitäten aus dem Bereich der Bezirksregierung Lüneburg abgefragt. Unter Punkt 9 können Sie unter „Regionalmanagement“ nachlesen: Regionale Esskultur der Lüneburger Heide. - Unter Punkt 18 heißt es: Entwicklung eines touristischen Angebots in Bezug auf Wind- und Wassermühlen in der Lüneburger Heide. - Meine Damen und Herren, wenn das die zukünftigen Aufgaben der Bezirksregierungen, der Regionalpräsidien oder wie immer Sie es nennen wollen sind, dann ist das wahrlich der falsche Ansatz.

(Zustimmung von Eveslage [CDU] - Zuruf von Rabe [SPD])

Zweites Beispiel, Herr Rabe. - Das Zweite, was Herr Gabriel in dem einen Jahr geleistet hat, ist die Fortsetzung der Diskurse. Ein Diskurs fand u. a. auch in Goslar statt. In Goslar fand nämlich der Diskurs zu den Alltagshilfen für Senioren statt. Ein vom Land finanziertes und initiiertes - ich muss es leider so sagen - großes Kaffeetrinken brachte atemberaubende Erkenntnisse, nämlich im Prinzip überhaupt keine. Man hat am Ende festgestellt, dass es wichtig ist, unsere Senioren im Land Niedersachsen womöglich zu Kassenwarten auszubilden. Diese landeseigene Großvolkshochschule, in die Sie viel Geld hineinpumpen, meine Damen und Herren, darf nicht dazu dienen, die Arbeit einer Landesregierung, die in ihren Politikfeldern gescheitert ist, nachzubessern bzw. nachzuholen.

(Beifall bei der CDU)

Wenn Erfolg politisches Handeln legitimiert, dann war ein Jahr Ministerpräsident Gabriel ein verlorenes Jahr.

(Inselmann [SPD]: Na, na, na!)

Nach sieben Jahren - übrigens ebenso verlorenen Jahren - erfolgt die Rückgliederung der ehemaligen Chefsache Verwaltungsreform aus der Staatskanzlei in das Innenministerium. Das ist - da ist der Kommentar der „Hannoverschen Allgemeinen“ von vor wenigen Tagen heranzuziehen - wahrlich kein Motivationsschub für die Mitarbeiter des Landes Niedersachsen.

Nun detailliert zur Bilanz. - Die Personalausgaben des Landes Niedersachsen je Einwohner sind trotz Stellenabbaus um 15 % gestiegen. Die Personalausgabenquote von über 45 % steigt bis zum Jahr 2004 einschließlich der Landesbetriebe ausweislich der Mipla nochmals um weitere 5 %. Der Stellenbestand im Vergleich 1999 zu 2001 ist ebenfalls erneut gestiegen, obwohl inzwischen weit mehr als 18.000 Stellen in Landesbetriebe verlagert wurden und obwohl inzwischen ein Ausgabevolumen von 3,5 Milliarden DM in die Landesbetriebe des Landes Niedersachsen verlagert wurde. Die Versorgungsausgaben des Landes Niedersachsen rauschen auf die 4-Milliarden-Grenze zu. Auch die Altersstruktur haben Sie nicht nutzen können oder werden Sie nicht nutzen. Innerhalb der nächsten fünf bis zehn Jahre wird die Altersstruktur der Beamten des Landes Niedersachsen dazu führen, dass etwa 7.000 Mitarbeiter ausscheiden werden.

Aber dennoch gelingt es Ihnen nicht, im Rahmen der Zielvereinbarungen die von Ihnen immer wieder so hoch gepriesenen 5.527 Stellen zu definieren.

Darüber hinaus empfinden wir es als wahrlich dreist, wenn der Niedersächsiche Ministerpräsident gegenüber der “Frankfurter Rundschau” im November erklärt, dass in Niedersachsen seit 1996 13.800 Stellen im Rahmen der Verwaltungsreform abgebaut worden wären.

(Eveslage [CDU]: Wo denn?)

Gleichzeitig erläutert jedoch sein Finanzminister im Ausschuss für Haushalt und Finanzen auf unsere Nachfrage nach den kw-Vermerken, mit denen man ja bekanntlich wunderbar zaubern kann, dass bis zum Jahre 2003 lediglich 1.246 kw-Vermerke erbracht werden können. Wirkliche Stelleneinsparungen sind offenbar nur die 1.135 Stellen im Haushaltsplanentwurf 2001. Rund 3.000 Stellen können Sie jedoch trotz aller Ankündigungen im Lande Niedersachsen nicht erbringen.

Ein Vorschlag, der schon eine Menge bringen würde, aber, ich gebe zu, nicht besonders viel, ist: Wenn Sie sich einmal richtig tief ins eigene Fleisch schneiden wollen, Herr Ministerpräsident, dann könnten Sie Ihren ohnehin überflüssigen Europaminister abschaffen. Für ihn sind nämlich im Einzelplan 02 immerhin 300.000 DM veranschlagt.

(Inselmann [SPD]: Ach Gott!)

Das wäre die erste Stelle, Herr Inselmann, die Sie auf dem Reformarbeitsmarkt des Landes Niedersachsen zwischenparken könnten.

(Beifall bei der CDU)

Auf diesem wunderbaren Etikett „Reformarbeitsmarkt in Niedersachsen“ wurden bisher ganze neun Stellen in den Bereich anderer Dienststellen verlagert. Der Europaminister wäre dann der Zehnte.

Wie wenig Sie, meine Damen und Herren, Ihren Mitarbeitern zutrauen, zeigt nicht nur der überdimensionierte Bereich der Dienstleistungen an Außenstehende mit mehr als 775 Millionen DM; der ist selbst dann überdimensioniert, wenn Sie die Kosten für das IZN entsprechend abrechnen würden. Ein beträchtlicher Teil dieser Überdimensionierung entfällt auf das so genannte Projekt P 53 und die damit verbundene vertragliche Bindung zwischen dem Land Niedersachsen und Beratungsund Softwarefirmen über die nächsten Jahre.

Aber auch an einer anderen Stelle fehlen inzwischen dem Land Niedersachsen kontinuierliche Kontrolle und insbesondere Zugriffsmöglichkeit auf seine selbst verausgabten Gelder im Rahmen der Verwaltungsreform. Lassen Sie mich zwei nette Beispiele für wahrlich tolle Ausgaben des Landes Niedersachsen nennen. Im Bereich der Personalentwicklungsmaßnahmen gibt das Land Niedersachsen inzwischen rund 7 Millionen DM über die verschiedenen Haushaltspläne verteilt aus. Beispiele für diese Personalentwicklungsmaßnahmen sind die soziologische Untersuchung der Beurteilungsstatistik bezüglich eventueller geschlechtsspezifischer Benachteiligungen im MJ und ressortübergreifend der Gesundheitsbereich, der Lauftreff des Niedersächsischen Landesamtes für Ökologie. Meine Damen und Herren, wer für diese Dinge Geld ausgibt und seit Jahren nicht in der Lage ist, zu kontrollieren, wo dieses Geld auch wirklich hingeht, der hat es nicht verdient, dass er sagen kann, Verwaltungsreform im Lande Niedersachsen wäre Chefsache.

Im Übrigen ist es bedenklich, dass wir bis zum Ende des Jahres 2005 warten müssen, bis landesweit eine Kosten- und Leistungsrechnung eingeführt wird.

Lassen Sie mich zum Schluss zur Benachteiligung der Beamten kommen. 80 Polizeibeamte des Landes Niedersachsen warten auf ihre Beförderung nach A 10, damit dieses ruhegehaltsfähig wird. Erklären Sie doch einmal, nachdem wir gestern mal eben eine Staatssekretärin für einen Tag ernannt haben, diesen 80 Polizeibeamten, die 30 Jahre auf dem Buckel haben, was Sie hier gemacht haben.

(Beifall bei der CDU - Plaue [SPD]: Sie sind immer gut im fordern! Aber bei Ihrem Haushaltsantrag waren Sie ganz klein!)

Im November hat der Niedersächsische Ministerpräsident hier gesagt - Herr Plaue, Sie können gleich mitmachen -, die Beamten des Landes Niedersachsen sollten seiner Ansicht nach zum 1. November rückwirkend eine entsprechende Besoldungserhöhung, angepasst an das Tarifergebnis der Angestellten, bekommen.

(Plaue [SPD]: Wo war Ihr Ände- rungsantrag zum Haushalt?)