Protocol of the Session on December 13, 2000

Mut ist dabei umso erstaunlicher, als Sie doch ständig den Eindruck erwecken, im Zweifel selbst der bessere Fachminister zu sein.

Mehr Politik zu wagen bedeutet nach meiner Überzeugung aber auch, Widerspruch zuzulassen. Eine Landesregierung muss es deshalb ertragen können, wenn die Landesvertretung der Elterninitiativen aus Kindertagesstätten ein Volksbegehren auf den Weg bringt, dessen Inhalt ihr nicht gefällt. Ihr Gegenzug, nämlich die gesamte Landesförderung zu streichen, dokumentiert keinen politischen Wagemut, sondern politischen Kleinmut oder Schlimmeres.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der CDU)

Nach zwölf Monaten hat sich Herr Gabriel vor allem den Ruf erworben, sich in fast alle Politikbereiche einzumischen. Wirklich übel nehme ich ihm, dass er das ausgerechnet in der Finanzpolitik bleiben lässt. Angesichts des Artenschutzes, den Herr Aller im Kabinett offensichtlich genießt, frage ich mich manchmal: Ist Heiner Aller der Vogel des Jahres? - Wenn das so ist, Herr Aller, dann nehmen Sie sich vor Frau Pruin in Acht!

Herr Ministerpräsident, Sie haben selbst gesagt, die Neuverschuldung sei eine offene Flanke dieser Landesregierung. Mich interessiert weniger die offene Flanke als vielmehr die offene Rechnung; denn die Parole „Schröder zahlt“ gilt noch nicht einmal für den Großteil der EXPO-Kosten, geschweige denn für die ganz normalen Landesschulden. Während andere Länder und der Bund ihre Neuverschuldung kontinuierlich zurückfahren, verstetigen Sie die niedersächsische Kreditaufnahme auf einem gefährlich hohen Niveau. Der erreichte Schuldenstand von mehr als 70 Milliarden DM und die darauf fälligen Zinszahlungen schränken den politischen Handlungsspielraum des Landes mittlerweile dramatisch ein.

„Mehr Politik wagen“ heißt nicht nur, sich zu entscheiden für, sondern eben auch zwischen etwas. Das Prinzip „allen wohl und keinem weh“ hat sich überlebt und hinterlässt eine gigantische Staatsverschuldung.

(Zustimmung von Wulff (Osnabrück) [CDU])

Das sind nicht meine Worte, sondern das sind die Worte des Ministerpräsidenten vom März dieses Jahres. Er liefert damit ungewollt eine immer noch

aktuelle Zustandsbeschreibung sozialdemokratischer Regierungspolitik in Niedersachsen.

(Zustimmung bei den GRÜNEN und bei der CDU)

Allein 25 Milliarden DM oder 35 % aller Landesschulden sind von der seit 1994 allein regierenden Sozialdemokratie zu verantworten. Knapp 8,5 Milliarden DM davon fallen in die Amtszeit von Finanzminister Aller. Leider sind das nicht Herrn Allers Privatschulden; es sind die Schulden aller Niedersachsen. Hätte die SPD es im Kreuz gehabt, nur ein Fünftel der seit 1994 aufgenommenen Kredite zu vermeiden, könnten allein aus den Zinsersparnissen 3.000 Lehrerinnen und Lehrer zusätzlich und dauerhaft finanziert werden.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der CDU)

Meine Damen und Herren, genau das ist in den vergangenen Jahren der argumentative Zusammenhang für unsere Fraktion gewesen. Wir haben immer wieder auf eine Absenkung der Nettokreditaufnahme gedrängt. Wir wollen die Zinsausgaben des Landes verringern, auch zulasten von Investitionen, um zusätzlichen Spielraum in der Bildungspolitik zu gewinnen.

Angesichts der großflächigen Entlastungswirkung der rot-grünen Steuerreform halten wir es nicht nur für möglich, sondern sogar für erforderlich, Abstriche auch bei den Wirtschaftsförderprogrammen des Landes vorzunehmen. Quer durch alle Einzelpläne schlagen wir Ihnen deshalb vor, investive Ausgabenansätze zu kürzen. Gerade Arbeitgeber und Wirtschaftsverbände werden nicht müde, auf einen Subventionsabbau zu drängen. Wir wollen diese Verbände beim Wort nehmen. Wir wollen das eingesparte Geld für eine Absenkung der Neuverschuldung einsetzen. Wir wollen die Kreditaufnahme in einem ersten Schritt um 250 Millionen DM, um eine viertel Milliarde DM, absenken, und damit eine Trendumkehr einleiten. Niedersachsen hat sich zu lange und zu hoch verschuldet. Gerade ein Ministerpräsident einer neuen Generation sollte das wissen.

Meine Damen und Herren, den Anstieg der Zinsausgaben zu bremsen ist Voraussetzung dafür, insbesondere in der Bildungspolitik handlungsfähig zu bleiben. Die bisherigen Anstrengungen der Landesregierung reichen dafür bei weitem nicht aus. Nach wie vor ist ein hoher Unterrichtsausfall an den niedersächsischen Schulen die Regel. Im

mer schwerer fällt es, vor allem in naturwissenschaftlichen Fächern geeignete Lehrer zu finden, auch deshalb, weil die Ausbildung junger Nachwuchskräfte zu lange vernachlässigt worden ist.

Die derzeit in der Schulstatistik stehende Unterrichtsversorgung von 97,8 % entspricht nach den Berechnungsgrundlagen von 1993 genau 88 %, und in dieser Zeit ist nicht eine Stunde dazugekommen. Es ist deswegen auch keine Katastrophenrhetorik, Frau Jürgens-Pieper, wenn der Landeselternrat dies kritisiert, sondern es ist leider die ganz alltägliche Situation an Niedersachsens Schulen.

(Beifall bei den GRÜNEN und Zu- stimmung bei der CDU)

Wir anerkennen die schwierige Situation in der Nachwuchswerbung. Deshalb wollen wir die Schulen zumindest vorübergehend auch für Fachkräfte öffnen, die nicht den üblichen Weg der Lehrerausbildung beschritten haben.

(Beifall bei den GRÜNEN und Zu- stimmung bei der CDU)

Um sich geeignete Personen etwa aus der regionalen Wirtschaft, Künstler oder Sportler einkaufen und damit das Unterrichtsangebot ergänzen zu können, benötigen die Schulen aber zusätzliche freie Mittel, Mittel, die wir ihnen über eine Bildungsstiftung zur Verfügung stellen wollen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Wir schlagen Ihnen dabei vor, dieser Stiftung als Vermögenswert Teile der bisher in der Hannoverschen Beteiligungsgesellschaft gehaltenen Landesbeteiligung zu übertragen. Das neue Stiftungsrecht erlaubt einem Unternehmen, auch der HanBG, Wirtschaftsgüter, eben auch Aktien und Genussscheine, an eine Stiftung zu spenden, ohne dass dies als verdeckte Gewinnentnahme zu versteuern wäre. Der Ertrag dieser Beteiligung stünde der Entwicklung der niedersächsischen Bildungslandschaft also ungeschmälert zur Verfügung. Es wäre aus unserer Sicht mehr als sinnvoll, Unternehmensbesitz des Landes in dieser Weise produktiv werden zu lassen.

Meine Damen und Herren, wenn Bildungspolitik in Niedersachsen ein Schwerpunkt bleiben und womöglich durch zusätzliche Angebote wie Ganztagsschule ergänzt werden soll, dann sind strukturelle Eingriffe in die Personalausgaben des

Landes unvermeidlich. Mehr Geld für Bildung zur Verfügung zu stellen bedeutet, in anderen Verwaltungsbereichen größere Einsparungen vornehmen zu müssen. Diese Landesregierung hat das nicht geschafft.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Spätestens seit 1996, nämlich seitdem eine regierungsinterne Arbeitsgruppe darauf hingewiesen hat, ist bekannt, dass die Versorgungsausgaben des Landes dramatisch steigen. Um allein diese Mehrkosten zumindest annähernd auszugleichen, war geplant, in der laufenden Wahlperiode 5.527 Stellen im Landesdienst zu streichen. Tatsächlich finden sich im Haushalt 2001 mehr Stellen, als im Haushalt 1998 vorhanden waren. Schon heute ist klar, dass die Landesregierung ihr Einsparziel bis zum Ende der Legislaturperiode um mindestens 4.000 Stellen verfehlen wird.

Meine Damen und Herren, natürlich begrüßen wir es ausdrücklich, dass die Landesregierung neue Stellen für Lehrerinnen und Lehrer geschaffen hat. Wir werfen Ihnen aber vor, dass Sie es versäumt haben, dafür an anderer Stelle bei den Personalausgaben einzusparen. Vorschläge dazu haben wir Ihnen immer wieder gemacht. So haben es etliche Ressorts, z. B. das Umwelt-, Wissenschafts- und Sozialministerium, immer noch nicht geschafft, die in den Zielvereinbarungen festgelegte Verschlankung der Hierarchien in ihren Häusern umzusetzen. Eine systemgerechte Besoldungs- und Vergütungsstruktur der Ministerialverwaltung ist nach wie vor nicht in Sicht.

Wir wollen, dass Behörden in der Ortsinstanz gemeinsam organisatorisch geführt werden können, auch wenn sie unterschiedlichen Ressorts zuzuordnen sind. Wir wollen Doppelarbeit vermeiden, z. B. indem wir die Aufgaben der Grundbuchämter, des Liegenschaftskatasters und der Wertermittlung nach Baugesetzbuch in einer Behörde zusammenführen. Insbesondere wollen wir die zweigliedrige Landwirtschaftsverwaltung in Niedersachsen zusammenführen, z. B. indem wir die Landestreuhandstelle der NORD/LB zu einer zentralen Bewilligungsstelle aufwerten. Diese Idee hat Herr Gabriel noch vertreten, als er Fraktionsvorsitzender war. Heute will er davon nichts mehr wissen. Das finden wir kläglich.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, leistungsfähige Regionalverwaltungen machen aus unserer Sicht die

Bezirksregierungen Hannover und Braunschweig entbehrlich. Die Mittel der Straßenbauverwaltung wollen wir budgetieren. Weitergehende Stelleneinsparungen als die, die in den Zielvereinbarungen festgelegt sind, sehen wir hier genauso als möglich an wie bei Berg- und Wasserwirtschaftsämtern.

Wir haben immer wieder angemahnt, die stationären Wahlleistungen in der Beihilfe auszusetzen, so wie es ein halbes Dutzend anderer Bundesländer Niedersachsen mittlerweile vormacht. Außerdem haben wir Sie aufgefordert, die ärztliche Abrechnungspraxis gegenüber niedersächsischen Beamten und Versorgungsempfängern zu überprüfen. Geschehen ist bisher nichts. Sie haben nicht einmal die Anregung aufgegriffen, die nach dem Arbeitsund Sicherheitsgesetz erforderlichen amtsärztlichen und präventiven Untersuchungen zentral durch das Finanzministerium auszuschreiben, um gegenüber dem isolierten Vorgehen der einzelnen Ressorts zu Einsparungen, zu Preisnachlässen zu kommen.

Ministerpräsident Gabriel hat in seinem ersten Regierungsjahr in der Haushaltspolitik nichts erreicht. Er hat es nicht einmal versucht, und dieses Versäumnis wird ihn einholen, und zwar schneller, als ihm lieb ist.

Meine Damen und Herren, Niedersachsen ist ein Flächenstaat. Herr Gabriel hat immer wieder betont, nach der EXPO würden die Mittel anders verteilt, nach der EXPO sei die Fläche dran. Dies sollte vor allem für die Verkehrsinvestitionen des Landes gelten. Die nackten Zahlen des Haushaltsplans 2001 sprechen eine andere, aber eine sehr deutliche Sprache. Im Jahre 2001, dem ersten Jahr nach der EXPO, belaufen sich die dem Land zweckgebunden zur Verfügung stehenden Mittel zur Förderung des öffentlichen Personennahverkehrs auf gut 511 Millionen DM. Von dieser Investitionssumme fließen in den Großraum Hannover rund 188 Millionen DM oder 37 % aller Landesmittel. Der Anteil der Fläche am Förderkuchen wird sich demzufolge kaum erhöhen und wegen der feststehenden Zahlungsverpflichtung für künftige Haushaltsjahre auf Sicht auch nicht nennenswert verändern. Der Region Hannover seien diese Investitionsmittel gegönnt. Nach meiner Überzeugung braucht es einen konkurrenzfähigen Großraum, um sich im Wettbewerb mit anderen Wirtschaftsräumen Deutschlands und Europas zu behaupten.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Wir befürworten deshalb auch grundsätzlich den Gesetzentwurf zur Bildung der Region Hannover, und wir weisen Einwände aus anderen Landesteilen zurück, wenn sie darauf hinauslaufen, dass der Langsamste das Tempo vorgeben will.

(Möhrmann [SPD]: Das ist wider- sprüchlich, Herr Kollege!)

Aber Niedersachsen, Herr Möhrmann, ist ein Flächenstaat, und es ist die wachsende Kluft zwischen den verschiedenen Landesteilen, die uns Sorgen bereitet. Es ist der unterschiedliche Entwicklungsstand der Regionen, der aus unserer Sicht eine Umverteilung von Fördermitteln zugunsten der Fläche in Niedersachsen nötig macht.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der CDU)

Meine Damen und Herren, ein nicht geringer Teil der EXPO-bedingten Verkehrsinvestitionen wurde auf Pump finanziert. Über den Schattenhaushalt der Niedersächsischen Finanzierungsgesellschaft wurden mehrere 100 Millionen DM bereitgestellt, die in den kommenden Jahren ratenweise abbezahlt werden müssen. Es ist diese Form der Vorfinanzierung, die dazu führt, dass auch im Jahre 2001, also im Jahr nach der EXPO, ein Großteil der Investitionsmittel für den ÖPNV in die Landeshauptstadt fließt und zur Entwicklung der Fläche nicht zur Verfügung steht. Wenn man etwas anderes will, dann muss die NFG aufgelöst und müssen alle dort angesiedelten Projekte in den regulären Landesetat übernommen werden. Deshalb wollen wir die Steuermehreinnahmen des laufenden Jahres dazu nutzen, um die Darlehen der Niedersächsischen Finanzierungsgesellschaft zum Haushalt 2002 vollständig abzulösen und damit mehr Investitionsmittel für die Fläche verfügbar zu machen. Wenn es wirklich auch Ihr Ziel ist, Fördergeld in dieser Weise umzuverteilen, dann kann ich Sie nur auffordern: Schließen Sie sich uns an.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Dem ländlichen Raum eine verbesserte Anbindung mit öffentlichen Verkehrsmitteln zu verschaffen, ist auch eine notwendige Schlussfolgerung aus den gestiegenen Energiepreisen. Natürlich wissen wir, dass eine große Zahl von Menschen außerhalb der Ballungsräume zur Nutzung des Pkw auch in absehbarer Zeit keine Alternative haben wird. Dennoch ist ein attraktives Nahverkehrsangebot grundsätzlich geeignet, auch im ländlichen Raum, mehr Menschen in Busse und Bahnen zu holen.

Das Beispiel der Nordwestbahn belegt das eindrucksvoll. Wir wollen deshalb den Nahverkehrsbetrieb auf weiteren Schienenstrecken im Land ausschreiben und durch mehr Wettbewerb eine moderne Flächenbahn in Niedersachsen vorantreiben.

Wer als Berufspendler mobil sein muss, soll künftig eine spürbar erhöhte Entfernungspauschale erhalten. Wir sind sehr froh, dass sich die Landesregierung nicht mit ihrer Absicht hat durchsetzen können, die Pauschale nach Verkehrsmitteln zu staffeln. Dies wäre kein Anreiz zum Umsteigen, sondern für falsche Steuererklärungen gewesen. In solchen Fällen tut es gut, dass der Einfluss des Ministerpräsidenten auf Entscheidungen der rotgrünen Bundesregierung manchmal doch geringer ist, als es seine 23-seitige Halbzeitbilanz unterstellt.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren von der CDU, natürlich ist die Abschaffung der Ökosteuer keine Alternative zu einer erhöhten Entfernungspauschale. Das ist schon deshalb falsch, weil der Steueranteil an den jüngsten Preiserhöhungen sehr gering ausfällt.

(Möllring [CDU]: Deshalb kann man sie doch abschaffen!)

Sie, Herr Wulff, haben das im letzten Landtagswahlkampf noch anders gesehen, als Sie sich nachdrücklich für die Einführung einer Ökosteuer ausgesprochen haben. Fehlende Glaubwürdigkeit ist also nicht nur ein Problem dieser Landesregierung, sondern auch manchmal ein Problem der CDU.

(Beifall bei den GRÜNEN - Möllring [CDU]: So wirst du nicht Finanzmi- nister!)

Herr Möllring, ich bin übrigens gar nicht unfroh, dass uns in der Bewertung der Behandlung des Themas Ökosteuer so viel trennt. Denn gäbe es diese Trennung zwischen uns nicht, dann wären ja plötzlich wir die CDU. Ich weiß gar nicht, ob Sie das wirklich wollen.