Protocol of the Session on October 12, 2000

Es hat ferner in ständiger Rechtsprechung bestätigt, dass die Ehe ohne Wenn und Aber als Gemeinschaft von Mann und Frau zu verstehen ist. Mit der Ehe und Familie werden bewusst Gemeinschaften geschützt, die das Fortbestehen der Gesellschaft sichern. - So das Bundesverfassungsgericht.

(Beifall bei der CDU)

„Ehe und Familie werden vom Grundgesetz nicht nur im Interesse individueller Freiheit der Ehepartner und Familienangehörigen, sondern ebenso um der Freiheit des Einzelnen in der lebenden Gemeinschaft und um den Erhalt unserer Gemeinschaft Willen geschützt. Ehe und Familie sind die Voraussetzung für die bestmögliche körperliche, geistige und seelische Entwicklung von Kindern.“

So das Bundesverfassungsgericht.

Jüngst hat das Bundesverfassungsgericht weiter festgestellt:

„Mit dem Hinweis, dass immer mehr Ehen kinderlos bleiben bzw. nicht auf Kinder ausgerichtet sind, wird die Annahme nicht widerlegt, dass die

Ehe vor allem deshalb verfassungsrechtlich geschützt ist, weil sie eine rechtliche Absicherung des Partners bei der Gründung einer Familie mit gemeinsamen Kindern ermöglichen soll.“

Meine Damen und Herren, Ehe und Familie gelten nach wie vor als die beständigste Form des Zusammenlebens in der Gesellschaft. Das ist übrigens der Grund für ihre Privilegierung.

In der Anhörung zu dem Gesetzentwurf wurde fast von allen Sachverständigen deutlich gemacht, dass es Ziel des Gesetzentwurfes sei, das beschriebene Leitbild zu verändern. Das wäre letztlich aber nur durch die Änderung unserer Verfassung möglich. Das heißt, meine sehr verehrten Damen und Herren, der Gesetzentwurf hält einer verfassungsrechtlichen Prüfung nach Meinung der meisten Sachverständigen in der Anhörung nicht stand.

(Frau Elsner-Solar [SPD]: Das war nur Guido Westerwelle!)

Frau Kollegin Litfin, schon jetzt haben deshalb die Länder Bayern und Sachsen erklärt, dass sie das Bundesverfassungsgericht anrufen werden. Wie ein solches Normenkontrollverfahren ausgehen wird, scheint aufgrund der bisherigen ständigen Rechtsprechung völlig klar.

(Frau Litfin [GRÜNE]: Aber es muss erst einmal die Norm geben, bevor es ein Normenkontrollverfahren gibt!)

Trotz oder gerade, weil das Familienbild brüchig geworden ist, braucht unsere Gesellschaft klare verfassungsrechtliche Vorgaben. An diesen wollen wir auch künftig festhalten. Ein konkurrierendes Leitbild für das Zusammenleben, parallel zur Ehe und Familie, kommt für uns nicht in Betracht.

(Beifall bei der CDU)

Frau Litfin, Sie haben mit Ihrem Hinweis auf das Verhalten heterosexueller Paare in Frankreich ja eben die Katze aus dem Sack gelassen, indem Sie deutlich zum Ausdruck gebracht haben: Sie wollen eine Ehe light, Sie wollen ein solches Konkurrenzverhältnis. - Das wollen wir nicht mitmachen.

Wir werden auch nicht zulassen, dass zusätzliche Ungerechtigkeiten geschaffen werden. Diese wären im Übrigen auch verfassungswidrig, weil sie sich gegen den Gleichheitsgrundsatz richten. Dadurch, dass Sie künftig gleichgeschlechtlichen

Paaren die Möglichkeit des Steuersplittings einräumen wollen, werden nämlich allein erziehende Mütter und Väter schlechter gestellt als kinderlose homosexuelle Paare.

(Beifall bei der CDU)

Ungleiches kann nicht gleich behandelt werden. Dieser Rechtsgrundsatz rechtfertigt die Ungleichbehandlung zwischen Verheirateten einerseits und allein Erziehenden und gleichgeschlechtlichen Paare andererseits. Ungleichbehandlung bedeutet deshalb keine Diskriminierung.

Familie, meine Damen und Herren, ist da, wo Kinder sind. Wenn es im Bereich von Ehe und Familie wirklich weiteren Handlungsbedarf gibt, dann vor dem Hintergrund dieser Feststellung. Leider bewerten wir Familien eher anhand ihrer Strukturen und weniger anhand ihrer Werte und Leistungen. Das heißt, dass Handlungsbedarf vor allem dort besteht, wo Kinder sind. Konkret bedeutet dies, dass wir uns zunächst über eine Verbesserung der Situation allein erziehender Mütter und Väter

(Beifall bei der CDU)

und von unverheirateten Paaren mit Kindern unterhalten müssen, bevor wir uns diesem Themenkomplex zuwenden.

(Frau Pothmer [GRÜNE]: Das eine schließt das andere nicht aus!)

Das schließt allerdings nicht aus - das will ich versöhnlich sagen -, dass wir nicht doch bereit wären, dort an Verbesserungen der Situation gleichgeschlechtlicher Paare mitzuwirken, wo dies ohne Veränderung unseres Leitbilds und nicht durch privatrechtliche Verträge möglich ist, wo also einfachgesetzliche Regelungen getroffen werden müssen. Dies sollte durch notarielle Erklärung begleitet werden, um nicht in jedem Einzelfall das Bestehen einer Lebensgemeinschaft nachweisen zu müssen. Dies gilt z. B. für das Mietrecht, um nach dem Tod des Partners in das bestehende Mietverhältnis eintreten zu können, für das Zeugnisverweigerungsrecht, für Besuchsregelungen in JVAs oder für das Besuchsrecht in Krankenhäusern. Ferner sollten steuerliche Vergünstigungen für den Fall geprüft werden, dass ein schwer kranker oder arbeitsunfähiger Lebenspartner unterstützt werden muss.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, insbesondere die Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, wenn Sie tatsächlich zu einer Verbesserung der Situation gleichgeschlechtlicher Paare beitragen wollen, dann sollten Sie den Kompromiss mit uns suchen. Ihr Vorhaben, mit dem immerhin die Änderung von 112 Gesetzen verbunden ist, wird weder die erforderliche Bundesratsmehrheit bekommen noch einer verfassungsrechtlichen Prüfung standhalten. Darum sollte es in Ihrem Interesse sein, wenn Sie es hier wirklich ernst meinen, den Kompromiss mit den großen Oppositionsparteien zu suchen. Denn sonst werden Sie auch in einem Jahr feststellen, dass Sie keinen einzigen Zentimeter weiter gekommen sind. Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU)

Frau Kollegin Elsner-Solar, Sie haben jetzt das Wort.

Frau Präsidentin! Verehrte Damen und Herren! Die Geschichte der Verfolgung und Diskriminierung von Homosexuellen ist lang und reicht zurück bis ins Altertum. Unwissenheit und Vorurteile prägten den Umgang der mehrheitlich heterosexuell orientierten Gesellschaften mit dem Umgang der Homosexuellen. Jahrhundertelang wurden Menschen mit gleichgeschlechtlich orientierter Sexualität verfolgt, bestraft und umgebracht. Sie wurden - das zu Ihrer Weiterbildung - sogar noch für Erdbeben und Naturkatastrophen verantwortlich gemacht.

In der Neuzeit tat sich insbesondere der Preußische Nationalstaat über alle seine angegliederten Provinzen mit der Bekämpfung von Homosexualität hervor.

(Ontijd [CDU]: Die Geschichte ken- nen wir doch!)

- Aber Sie haben sie wahrscheinlich nicht ordentlich verinnerlicht.

Diese Linie setzt sich bruchlos über die Nazizeit bis in die jüngste Geschichte der Bundesrepublik Deutschland fort. Das muss immer mal wieder deutlich gesagt werden.

Wir entfernen heute niemanden mehr aus dem Staatsdienst, wir schicken auch niemanden mehr

ins Gefängnis, nur weil er als Mann einen Mann oder als Frau eine Frau liebt. Unser Grundgesetz verpflichtet uns zu Toleranz und Achtung der Menschenwürde. Doch zur konsequenten Umsetzung benötigen wir in Deutschland wohl immer noch die Korsettstangen von veränderten Gesetzeslagen und verändertem Recht.

Etwa 10 % aller Menschen sind homosexuell orientiert. Ein großer Teil davon lebt auch homosexuell orientiert. Diese Menschen wollen heraus aus der Stigmatisierung und aus der Ausgrenzung.

Der vorgelegte Gesetzentwurf aus Berlin orientiert sich folgerichtig am Bild des menschenwürdigen, verantwortlich handelnden Staatsbürgers. Er verlangt nicht mehr und nicht weniger als das Recht, dass freie Menschen sich freiwillig binden und füreinander Verantwortung übernehmen können. Dazu muss eine Reihe von Vorschriften und Gesetzen angepasst und umgestaltet werden; Herr Stratmann hat darauf verwiesen. Das ist ein Stückchen Arbeit, das da vor allen liegt, aber es muss getan werden. Das betrifft im Wesentlichen Namensrecht, Mietrecht, Unterhaltsrecht, gesetzliche Vertretung und Erbrecht.

Ich sehe nicht, wie die Abschaffung der Diskriminierung von homosexuellen Partnerschaften bestehende oder entstehende Ehen und Familien gefährden könnte.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Niemandem soll hier etwas weggenommen werden.

Wir wissen, dass zurzeit noch etwa 30 % der Menschen in unserer Gesellschaft homosexuelle Partnerschaften ablehnen. Als große Volkspartei haben wir das auch zu berücksichtigen und zu beachten. Aber für mich ist wichtig, dass dieser Streit endlich anfängt, dass er anfängt, über die Szene hinaus zu reichen, und dass er in den gesellschaftlichen Gruppen geführt wird. Dieser Streit ist wichtig, weil er der Weg für gesellschaftliche Anerkennung ist. Demokratie verlangt immer noch, eine Mehrheit von dem eigenen Anliegen zu überzeugen. Wir haben gute Argumente für diese Veränderung. Wir debattieren konkret und ergebnisorientiert, auch wenn wir faktisch nicht zuständig sind. Denn bei diesem Gesetz handelt es sich um ein Bundesgesetz.

Es ist schon darauf verwiesen worden, dass in Frankreich, in den Niederlanden, in Schweden und in Dänemark seit längerer Zeit Gleichstellungsgesetze für homosexuelle Partnerschaften bestehen. Das Abendland ist nicht untergegangen. Es ist notwendig, meine lieben Kolleginnen und Kollegen von der CDU, die Realität wahrzunehmen. Auch wenn zurzeit noch unklar ist, wie der eingebrachte Gesetzentwurf den Bundestag nach Abschluss der Beratungen verlassen wird, macht es, so denke ich – zunächst war ich im Zweifel -, Sinn, dass wir über diesen Antrag hier im Parlament und in den Ausschüssen reden. Mir kam es eigentlich als zu früh vor, doch nach den Einlassungen des geschätzten Kollegen Stratmann ist es umso notwendiger, dass wir uns über die Einzelpunkte auseinander setzen.

Eines ist heute schon sicher: Bange machen gilt nicht. Sich vor einer Stellungnahme drücken gilt auch nicht. Ich bedaure, dass das Bundesverfassungsgericht in den letzten Jahren mehr und mehr zu einer Institution geworden ist, die der Politik Entscheidungen abnehmen muss.

(Ontijd [CDU]: Das ist unerhört!)

Von daher wünsche ich mir, dass wir in der Politik wieder den Mut finden, solche schwierigen Entscheidungen gesellschaftlich zu vertreten und auch akzeptabel und annehmbar zu machen. Wir stehen in der Verantwortung und in der Verpflichtung, den Emanzipationsprozess der Schwulen und Lesben, ihrer Angehörigen und ihrer Kinder zu unterstützen, unabhängig von den politischen Ebenen, auf denen wir tätig sind. Das sei noch einmal gesagt – ich habe das extra aufgenommen: auch der Kinder. Denn der Kollege Biallas hatte vorhin den Eindruck erweckt, als ob schwule Väter keine Kinder zeugen könnten.

(Biallas [CDU]: Nicht mit dem Part- ner zusammen!)

Es ist wirklich notwendig, dass man Abschied nimmt von dem Vorurteil, dass alle Lesben männerhassende Frauen und alle Schwulen promiskuitive Männer seien. – Danke für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD und bei den Grü- nen – Jahn [CDU]: Sie hat es richtig gehört, aber bewusst falsch interpre- tiert!)

Danke schön, Frau Kollegin Elsner-Solar. – Meine Damen und Herren, mir liegen keine weiteren Wortmeldungen zu diesem Tagesordnungspunkt vor. Darum schließe ich die Beratung.

Wir kommen zur Ausschussüberweisung. Vorgeschlagen wird, den Ausschuss für Rechts- und Verfassungsfragen mit der federführenden Beratung und die Ausschüsse für Gleichberechtigung und Frauenfragen und für Sozial- und Gesundheitswesen mit der Mitberatung zu beauftragen. Wenn Sie dem Ihre Zustimmung geben wollen, bitte ich um Ihr Handzeichen. – Danke. Wer stimmt dagegen? – Niemand. Möchte sich jemand der Stimme enthalten? – Das ist auch nicht der Fall. Dann haben Sie einstimmig so beschlossen.

Ich rufe jetzt auf

Tagesordnungspunkt 33: Erste Beratung: Gründung einer Interregio-Gesellschaft Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Drs. 14/1903