Protocol of the Session on October 11, 2000

Tagesordnungspunkt 27: Erste Beratung: Europa ist das, was wir daraus machen Antrag der Fraktion der SPD - Drs. 14/1894

Tagesordnungspunkt 28: Erste Beratung: EU-Grundrechtecharta - Antrag der Fraktion der SPD - Drs. 14/1896

In der ersten Beratung erfolgt die Einbringung des Antrages zum Tagesordnungspunkt 27 durch den Kollegen Knebel, dem ich das Wort erteile.

(Eppers [CDU]: Heute gar nicht zu E- Commerce?)

Kollege Eppers, wir können ja einmal zusammen um den Salzgitter-See laufen.

(Eppers [CDU]: Lieber nicht!)

- Lieber nicht, sagt er.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Mein Kollege Peter Rabe und ich haben uns darauf geeinigt, obwohl beide Punkte zusammen beraten werden sollen, eine getrennte Einbringung zu machen, um das voneinander zu trennen. Ich werde mir Mühe geben, mich bei der Einbringung unseres Entschließungsantrages „Europa ist das, was wir daraus machen“ kurz zu halten.

In die europapolitische Debatte ist seit dem Regierungsantritt von Ministerpräsident Gabriel Bewegung gekommen. Die SPD-Fraktion begrüßt das sehr, und wir müssen nun gemeinsam dafür sorgen, dass sich dies auch in der niedersächsischen Landespolitik widerspiegelt. Europa gewinnt immer mehr an Bedeutung, und darüber sind wir uns alle einig, meine ich.

Lassen Sie mich kurz am Beispiel der Erweiterung der Europäischen Union darstellen, wie wichtig eine Optimierung der niedersächsischen Europapolitik zum jetzigen Zeitpunkt ist.

Die Erweiterung der Europäischen Union steht unmittelbar bevor, und die Vorteile für alle sind

bereits sichtbar. Die mittel- und osteuropäischen Länder im Erweiterungsprozess haben in kurzer Zeit ihre demokratischen Systeme stabilisiert. Das wäre - so meine ich - ohne die Perspektive der europäischen Integration nicht so schnell und sicherlich auch nicht so erfolgreich verlaufen.

Die Vorteile zeigen sich auch an der wirtschaftlichen Entwicklung. Die Erweiterungsländer Mittelund Osteuropas wickeln inzwischen 50 bis 70 % ihres Außenhandels mit der EU ab. Die Bundesrepublik profitiert davon am meisten.

Niedersachsen hat einen Lagevorteil. Im Handel mit diesen Ländern verdreifachte sich der Export von 1992 bis 1998.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, in naher Zukunft gehören 500 Millionen Menschen der Gemeinschaft an - ohne die Türkei. Das ist nicht nur ein quantitatives Ereignis, sondern ein qualitativer Quantensprung.

(Zuruf von der SPD: Richtig!)

Wir werden in wenigen Jahren ein europäisches Regierungssystem auf mehreren Ebenen haben, und dafür werden jetzt die Weichen gestellt. Entscheidend für Niedersachsen wird es dabei sein, welche Rolle die Länder in Zukunft in dem tripolaren Dreieck Land/Mitgliedstaat/Europäische Union spielen werden. In unserem Interesse liegt es, als regionale Ebene mit eigenen effektiven Rechten in der europäischen Liga mitgestalten zu können. Wir wollen uns nicht mit innerstaatlichen Beteiligungsrechten gegenüber der Bundesregierung begnügen.

Wir haben zwar europaweit kaum Bündnisgenossen, denn die Bundesrepublik mit ihren Ländern mit eigener Staatlichkeit bildet dabei eine Ausnahme. Die Schweiz könnte es noch sein, aber die ist ja nun nicht in der EU.

Die Bundesrepublik, meine sehr geehrten Damen und Herren, hat jedoch als größtes Mitglied einer erweiterten Europäischen Union eine besondere Rolle. Deswegen bin ich optimistisch, dass es uns als Länder gelingt, auch weiterhin einen eigenen Fuß in die Europa-Tür zu bekommen und auch dort zu behalten. Das heißt doch, dass wir zukünftig noch genauer als bisher die Interessen von Niedersachsen bestimmen und die Auswirkungen von europäischen Politiken auf unser Land analysieren müssen.

Wir müssen die Ziele einer niedersächsischen Europapolitik festlegen und diese auf allen Ebenen optimal durchsetzen - regional, national und in Brüssel.

Unabdingbar für eine erfolgreiche Europapolitik ist dabei eine verbesserte Qualifikation der Landesbediensteten sowie auch deren verbesserter quantitativer Einsatz.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich möchte aus unserem Entschließungsantrag nur zwei Punkte herausziehen und darauf kurz eingehen.

(Eveslage [CDU]: Das ist aber sehr kurz!)

Erstes Stichwort ist die Landesvertretung in Brüssel. Die meisten von Ihnen kennen das derzeit in Brüssel vom Land genutzte Haus, und Sie alle haben sicherlich Ihre leidvollen Erfahrungen damit sammeln müssen, was es bedeutet, länger als zwei Stunden in der ehemaligen Garage, im Tiefparterre, zu tagen. Das heißt doch: Wenn wir unsere Präsenz in Brüssel und somit die qualitative Arbeit verstärken wollen, brauchen wir auch - und das möglichst schnell - das geeignete niedersächsische Haus in Brüssel ebenso wie das Europahaus hier in Hannover. Es darf - so meine ich - nicht so sein, dass dieses Haus nur herabgestuft ist, um dort vielleicht Broschüren von Europa zu verteilen. Dort sind alle Kräfte, die sich mit Europa auseinander setzen wollen, die in Europa aktiv werden wollen, an die Hand zu nehmen, und die sind auch von Anfang bis Ende in ihren Anliegen über dieses Europahaus hier in Hannover zu begleiten.

(Zustimmung bei der SPD)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, greifen wir also allesamt diesen Entschließungsantrag auf. Ich freue mich gewiss auf eine zielgerichtete, an niedersächsischen Interessen und Zielen ausgerichtete Aussprache und Debatte im Ausschuss für Bundes- und Europaangelegenheiten. - Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD)

Es erfolgt jetzt die Einbringung des Antrages unter Tagesordnungspunkt 28 durch den Kollegen Rabe. Bitte sehr!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es wundert mich ja, dass wir in dieser Reihenfolge vorgehen, aber das ist sicherlich keine Kritik - -

Wir machen das jetzt einmal in der Reihenfolge, ohne dass wir darüber streiten. Bitte sehr!

Okay. Wir haben leider auch nur sehr wenig Zeit. Ich hätte mir gerade für dieses intensive und wichtige Thema der EU-Grundrechtecharta eine breitere Debatte gewünscht.

(Eveslage [CDU]: Wer hat das denn so vorgeschlagen?)

Ich will mich deshalb auf zwei Punkte beschränken, Kollege Eveslage, und wäre Ihnen dankbar, wenn Sie auch zuhören würden; denn ich glaube schon, dass wir hier ein gemeinsames Anliegen haben.

Der erste Punkt ist: Wir müssen feststellen, dass die EU-Grundrechtecharta bereits fast fertig ist. Es handelt sich dabei um eine sehr beachtenswerte Arbeit des Konvents, der in neun Monaten sehr konzentriert und konsensorientiert die 54 Artikel entworfen hat. Dem Konventsmitglied Professor Jürgen Meyer ist zuzustimmen: Die Charta ist ein echter Meilenstein in der Entwicklung der Union, der deutlich macht, dass die EU nicht nur Wirtschafts- und Währungsunion ist, sondern vor allem auch eine Wertegemeinschaft.

Meine Damen und Herren, für diese Arbeit unter Leitung unseres ehemaligen Bundespräsidenten Roman Herzog schulden wir den Konventsmitgliedern Dank.

(Beifall bei der SPD)

Man kann natürlich fragen, warum sich jetzt noch zu diesem Zeitpunkt die norddeutschen Landtage und Bürgerschaften hier zu Wort melden. Wir sind mit Sicherheit nicht so anmaßend, zu glauben, dass wir durch unsere Entschließung den jetzt vom Konvent vorgelegten Text noch entscheidend verändern können. Es gibt aber zwei gute Gründe, weshalb wir uns hier gleichwohl zu Wort melden. Wir melden mit diesem Entschließungsantrag unmissverständlich und deutlich den Anspruch der deutschen Landesparlamente an, am beginnenden

verfassungsgebenden Prozess in der EU selbst beteiligt zu werden.

(Beifall bei der SPD)

Es ist ja schon als ein Erfolg anzusehen, dass im Konvent eine Mehrzahl von nationalen und europäischen Parlamentariern neben Regierungsmitgliedern gearbeitet hat. Eine solche Verfassungsgebung - und wir sehen in der Tat die EU-Grundrechtecharta als einen Beginn einer europäischen Verfassung an, sogar in Richtung einer europäischen Magna Charta - muss von demokratisch direkt legitimierten Abgeordneten mitgestaltet werden.

(Zustimmung von Wernstedt [SPD])

Dazu gehören auch die Abgeordneten der europäischen Regionen mit eigenen Gesetzgebungszuständigkeiten.

Der zweite Gesichtspunkt ist, dass die Staats- und Regierungschefs in Nizza bzw. Biarritz auch über die Frage der Rechtsverbindlichkeit dieses Entwurfs der Charta entscheiden werden. Wir, die norddeutschen Landtage und Bürgerschaften, fordern eindringlich die Einklagbarkeit dieser Grundrechte. Die deutsche Geschichte - das wissen wir alle - hat mit den bloßen programmatischen Äußerungen von Grund- und Menschenrechten in der Weimarer Reichsverfassung ein Beispiel dafür gegeben, dass Grundrechte zu ihrer effektiven Durchsetzung auch der richterlichen Kontrolle bedürfen.

Vor diesem Hintergrund haben wir als SPDFraktion gemeinsam mit den anderen vier norddeutschen SPD-Fraktionen der Küstenländer Schleswig-Holstein, Mecklenburg-Vorpommern, Hamburg und Bremen den vorliegenden Entschließungsantrag erarbeitet. Zur Vorbereitung haben wir am 7. September 2000 auf der EXPO gemeinsam eine Expertenanhörung durchgeführt. Wir haben hochrangige und wichtige politische Experten angehört, u. a. den Vizepräsidenten a. D. des Bundesverfassungsgerichts, Herrn Professor Dr. Ernst Gottfried Mahrenholz, das Konventsmitglied Professor Meyer, darüber hinaus aus Niedersachsen die Konventsmitglieder Minister Dr. Weber und Minister Senff. Auf der Grundlage dieses Kenntnisstandes ist dann der Ihnen jetzt vorliegende Antrag entstanden, den ich jetzt aus Zeitgründen nicht näher kommentieren kann.

Das Besondere dabei ist nicht nur, dass hier zu einem wichtigen europäischen Thema ein gemeinsamer Antrag der norddeutschen Küstenländer vorliegt, sondern das Besondere daran ist, dass dieser Antrag in allen fünf Länderparlamenten in diesen Wochen zeitgleich eingebracht wird.

(Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren, das ist ein Novum in der Geschichte unseres Länderparlamentarismus. Ich glaube, wir haben nur auf diese Art und Weise eine Chance, gemeinsam Europapolitik zu formulieren. Wir werden den Verlauf der Debatte hier in diesem Hause und in den anderen Hohen Häusern mit großem Interesse verfolgen.

Meine Damen und Herren, man muss diese Debatte breit und intensiv führen. Aber schon heute muss dieser Antrag auf den Weg gebracht werden, um noch bis zum Gipfel Aufmerksamkeit zu erlangen. Deshalb beantrage ich für die SPD-Fraktion sofortige Abstimmung. - Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD)

Ich bedanke mich für die Einbringung dieses Antrags der SPD-Fraktion. - Ich mache noch einmal auf meine einleitende Feststellung aufmerksam, dass beide Anträge nach übereinstimmender Auffassung im Ältestenrat heute zusammen diskutiert werden sollen. Das schließt natürlich nicht aus, dass wir über beide Anträge getrennt diskutieren. Ich habe jetzt eine Wortmeldung vorliegen, die sich auf beide Anträge bezieht, sodass wir zunächst einmal beide Anträge einbringen mussten. Das war der Grund für meine Intervention.