Protocol of the Session on October 11, 2000

Ich bedanke mich für die Einbringung dieses Antrags der SPD-Fraktion. - Ich mache noch einmal auf meine einleitende Feststellung aufmerksam, dass beide Anträge nach übereinstimmender Auffassung im Ältestenrat heute zusammen diskutiert werden sollen. Das schließt natürlich nicht aus, dass wir über beide Anträge getrennt diskutieren. Ich habe jetzt eine Wortmeldung vorliegen, die sich auf beide Anträge bezieht, sodass wir zunächst einmal beide Anträge einbringen mussten. Das war der Grund für meine Intervention.

Nun hat der Kollege von der Heide das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Mitglieder des Ausschusses für Bundes- und Europaangelegenheiten sehen es sehr gern, wenn das Thema Europa hier im Plenum behandelt wird. Ich hätte mir wirklich gewünscht, dass das Thema Grundrechtecharta hier in diesem Hause an einer günstigeren Stelle besprochen wird.

(Beifall bei der CDU - Mientus [SPD]: Das ist die Qualifikation des Ältestenrats!)

- Herr Mientus, wir wollen jetzt nicht kritisieren, sondern nur bemerken.

(Zurufe von der SPD)

- Hören Sie bitte einmal zu, Herr Plaue; ich mache das hier ja nicht aus Spaß. - Was den Antrag „Europa ist das, was wir daraus machen“ betrifft, können wir ja verstehen, dass der parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Fraktion keinen besonderen Wert darauf gelegt hat, den Zeitpunkt zu verschieben. Ich will damit nicht sagen, dass mich die Fleißarbeit meines Kollegen Helmut Knebel nicht überzeugt, aber es gibt da Dinge, lieber Kollege Knebel, über die wir schon lange sprechen und die wir im Ausschuss auch schon mit dem Minister erörtert haben. Ich möchte jetzt einige Beispiele anführen, an denen man dies festmachen kann.

Uns erfreut - das sage ich ganz bewusst auch mit einem kritischen Unterton -, dass sich die SPDFraktion und die Landesregierung diesem Thema nun etwas intensiver widmen, nachdem sie es zehn Jahre lang nur so nebenher haben laufen lassen.

(Zuruf von Mientus [SPD])

- Da, Herr Ausschussvorsitzender, stimme ich Ihnen zu. Da haben Sie die Kurve gekriegt und merken jetzt, wie wichtig Europa ist und wie es sich hier im Lande nicht nur finanziell, sondern auch in der Fläche auswirkt. Insofern noch einmal der Appell: Vergessen Sie Europa nicht! Machen Sie Europa nicht nur auf dem Papier, sondern versuchen Sie, es auch in die Wirklichkeit zu übertragen. Hier erkennen wir in der Tat noch einige Defizite.

Herr Kollege Knebel, wenn ich zwei Dinge daraus ziehe, dann auch ein bisschen Kritik an der Regierung. Sie haben das Europahaus hier in Hannover zu Recht angesprochen. Da ist der Minister ja schon mächtig zurückgerudert. Ich finde es gut, dass Sie ihn dahin gehend ermahnt haben, dass dies kein Haus werden darf, in dem nur Broschüren verteilt werden, sondern es muss ein Haus werden, das Europa verkörpert, das auch europapolitische Kompetenz verkörpert und in dem auch Beratung stattfindet. An der Stelle sind wir wieder bei Ihnen. Wir haben auch im Ausschuss schon mehrfach darüber gesprochen, dass wir derartige Einrichtungen wünschen, in denen Europa zentral stattfindet und auch die Kompetenz gebündelt ist.

Was nun das Haus in Brüssel anbelangt, sage ich einmal Folgendes: Nehmen Sie einmal das Immo

bilienkataster des Landes. Gucken Sie sich an, welche überflüssigen Immobilien es dort gibt. Machen Sie die zu Geld, und errichten Sie ein richtiges Haus in Brüssel; denn das ist der wichtigste Part, den wir dort spielen können. Vorortpräsenz in Brüssel, Lobbyismus für Niedersachsen. Das müssen wir immer wieder einfordern. Zu diesem Zweck muss auch Geld in die Hand genommen werden. Ich habe das auch dem Minister Senff schon im Ausschuss gesagt.

Dazu gehört auch - diesbezüglich hat er auch schon einen richtigen Ansatz gewählt -, dass unsere Mitarbeiter in Richtung Europa geschult werden, dass unsere Mitarbeiter auch in den Kommissionen vor Ort tätig sind und um die Dinge wissen, die dort laufen. Wenn Sie diesbezüglich unsere Hilfe brauchen, werden Sie auch die Arbeitskreismitglieder der CDU-Fraktion an Ihrer Seite finden.

Tun Sie uns aber einen Gefallen: Da wir ohnehin schon über viele Dinge miteinander sprechen beispielhaft erwähnen möchte ich nur einmal die Regierungskonferenz ETC -, sollten wir uns nicht auch noch mühsam mit Anträgen über solche Angelegenheiten plagen, bei denen wir schon ein großes Einvernehmen haben.

Abschließend noch einmal Folgendes: Die Fleißarbeit erkenne ich an. Wenn es aber um Kritik geht, sollten Sie diese auch verbindlich hier hinein schreiben. Dann lässt sich leichter miteinander reden, und man muss keine eineinhalb Seiten durchlesen.

(Plaue [SPD]: Das geht doch noch! Eineinhalb Seiten! Wenn es einein- halb Ordner wären!)

Wir alle versuchen, aus Europa das Beste zu machen. Lassen Sie uns diesen Weg auch weiter gehen, aber - wie gesagt - konstruktiv und nicht plakativ. - Danke schön.

(Beifall bei der CDU)

Herr Kollege Wenzel hat jetzt das Wort.

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich bin etwas verwundert über die Weichenstellung der SPD im Ältestenrat. Wenn wir hier über einen Antrag diskutieren, der nach dem Willen der SPD

„das Thema Europa stärker in die Politik bringen und in die Verwaltung hinein tragen“ und „eine Verstärkung der Europapolitik des Landes offensiv vorantreiben will“, dann ist es bedauerlich, wenn wir über diese beiden Aspekte nur unter einem Tagesordnungspunkt diskutieren. Ich habe hier leider nicht die Freiheit zu sagen, dass ich meine Redezeit um fünf Minuten ausdehne, um dann auch noch zum zweiten Antrag sprechen zu können. Deshalb werde ich mich jetzt auf den Antrag zur Grundrechtecharta konzentrieren und zu dem anderen Antrag nicht so viel sagen.

Vieles von dem, was dort steht, ist gut und richtig. Das haben wir hier im Plenum und auch im Ausschuss schon gesagt und zum Teil auch selbst gefordert. Diesbezüglich erwarten wir nun konkrete Umsetzungsmaßnahmen der Landesregierung und auch einen konkreten Niederschlag im Haushalt. Andere Formulierungen, die etwa der Beweihräucherung des Ministerpräsidenten dienen, halte ich dagegen eher für verzichtbar.

Wiederum andere Dinge vermisse ich aber. Dies gilt etwa für die Frage, wie der Ausschuss für Bundes- und Europaangelegenheiten gestärkt werden kann und wie wir in die Lage versetzt werden können, auch als Landtag zeitnah über wichtige Brüsseler Entwicklungen unterrichtet zu werden. Was soll ich mit einem 15 cm hohen Stapel EU-Richtlinien anfangen, wenn ich ihn erst sechs Tage vor der Abstimmung im Plenum des Bundesrates bekomme? In diesem Fall wird das Mitentscheidungsverfahren zur Farce, worüber in den Fraktionen im Prinzip ja auch Einigkeit besteht. Deshalb sollten wir bei der Beratung dieses Antrags prüfen, ob wir einige Passagen aufnehmen können, die für die Zukunft eine Verbesserung dieser Situation gewährleisten.

Nach meinem Dafürhalten sollten wir in den Antrag auch hineinschreiben, wie wir die Landesinteressen definieren und welche verbindlichen Inhalte und Ziele wir verfolgen. - So weit zum ersten Antrag.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, zum Thema Grundrechtecharta: Als sich der Europäische Rat auf dem Höhepunkt der Krise der Kommission Santer in Köln traf, war man sich einig, dass man jetzt gemeinsam nach vorn blicken müsse. Es bewahrheitete sich eine alte Weisheit, nämlich: Jede Krise ist auch eine Chance. Man beschloss an dieser Stelle die Erarbeitung einer Europäischen Charta der Grund-, Menschen- und Bürgerrechte.

Ein Lichtblick im Vergleich zu den Kungelrunden der Europäischen Räte war auch die Arbeit des Konvents unter dem Vorsitz von Roman Herzog. Dem Konvent gehören neben Vertreterinnen und Vertretern des Europäischen Parlaments und der EU-Mitgliedstaaten auch Vertreter der nationalen Parlamente an. Das Ergebnis kann sich wirklich sehen lassen, auch wenn ich hoffe, dass noch einige Artikel überarbeitet werden, etwa der Passus zur unternehmerischen Freiheit, der natürlich im Spannungsbogen zu Artikel 14 Abs. 2 unseres Grundgesetzes - Sozialpflichtigkeit des Eigentums - steht. Das ist hier der Maßstab. Zu den wirtschaftlichen und sozialen Grundrechten erhoffe ich mir also noch einige Konkretisierungen.

Elementar ist jedoch - das hat auch mein Kollege Peter Rabe angesprochen, und das findet sich dann auch in dem Antrag prioritär wieder - das Recht auf die Einklagbarkeit individueller Grund- und Freiheitsrechte vor Gericht. Ein Recht darf nicht als Gnade gewährt werden, ein Recht ist nur dann ein Recht, wenn jeder und jede Einzelne im Zweifel auch die Möglichkeit erhält, sein oder ihr Recht gerichtlich durchzusetzen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, das Ergebnis des Konvents zur Erstellung der Grundrechtecharta, wird nicht mehr aus der Welt zu schaffen sein, und das ist auch gut so. Auch wenn man sich in Nizza vielleicht nur auf eine feierliche Proklamation einigen sollte, muss das Ziel trotzdem klar sein: Wir erwarten vom Europäischen Rat in Nizza einen völkerrechtlich verbindlichen Vertrag.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Die Grundrechtecharta ist aber zugleich auch der Beginn einer Diskussion über eine europäische Verfassung. Wir haben deshalb auch einen Änderungsantrag zu dem Antrag der SPD zur Regierungskonferenz vorgelegt, der eindeutig sagt, in welche Richtung der Dampfer fahren soll. Wir werden diesen Antrag, der sich ja noch im Beratungsverfahren befindet, hoffentlich im nächsten Plenum zur Entscheidung bringen können.

Ich glaube, die europäische Debatte leidet oft daran, dass konkrete Ziele zur Weiterentwicklung Europas nie vereinbart wurden, sondern dass immer nur der nächste mühsame Konsens der Ministerrunden am Horizont erkennbar war. Mit der Berliner Rede von Außenminister Fischer wurde dieses Stop and go durchbrochen. Noch in der

Rolle des Privatmanns hat Fischer die Ziele skizziert, und, was noch viel wichtiger war, sie waren mit Frankreich abgestimmt.

Ziel muss die Überwindung der demokratischen Lähmung der europäischen Institutionen und die Schaffung einer europäischen Verfassung sein. Diese Verfassung muss drei grundlegende Elemente enthalten: erstens die Grund-, Menschenund Bürgerrechte - darüber sprechen wir heute; das ist die Grundrechtecharta -, zweitens die Definition einer gleichgewichtigen Gewaltenteilung, die ein europäisches Parlament und eine europäische Regierung in die Lage versetzt, die gesetzgebende und die exekutive Gewalt tatsächlich auszuüben, und drittens die glasklare Kompetenzabgrenzung zwischen EU, Nationalstaaten, Ländern und Kommunen. Eine solche Verfassung sollte schließlich der Bevölkerung Europas zu einem Referendum vorgelegt werden.

Meine Damen und Herren, ich möchte abschließend sagen: Wir stimmen dem Antrag der SPD auf sofortige Abstimmung zu. Sollte sich dafür keine Mehrheit finden, möchte ich darum bitten, auch eine Beratung im Ausschuss für innere Verwaltung vorzusehen. - Vielen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Zu dem Antrag unter Tagesordnungspunkt 28 - EU-Grundrechtecharta - möchte sich jetzt der Kollege Eveslage äußern. Ich erteile ihm das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die CDU-Fraktion begrüßt den Entwurf der Charta der Grundrechte als wichtigen Beitrag auf dem Weg der europäischen Integration. Die Charta, wenn sie denn in Nizza beschlossen wird, wird das Wertefundament der Europäischen Union festigen und die demokratische und rechtliche Kontrolle der europäischen Institutionen verbessern.

Die Präambel definiert die Europäische Union als Wertegemeinschaft. Durch die Bezugnahme auf das geistig-religiöse Erbe der Europäischen Union, durch die Festschreibung der Menschenwürde und des Rechtes auf Leben, durch die Heraushebung der zentralen Rolle des Individuums und durch die ausdrückliche Betonung des Subsidiaritätsprinzips

bekennt sich die Charta zum europäischen Menschenbild auf christlich-abendländischer Grundlage. Grundrechte und Grundfreiheiten der Bürgerinnen und Bürger gegenüber der Europäischen Union werden erstmals klar und für jedermann verständig zusammengefasst.

Allerdings ist diese Charta keine neue Rechtsgrundlage, sondern die Grundlagen für alles das, was in der Charta zum Ausdruck kommt, finden sich schon an unterschiedlichen und sehr verschiedenen Stellen in den europäischen Verträgen.

(Rabe [SPD]: Wo ist der Daten- schutz?)

Die CDU begrüßt die ausdrückliche Klarstellung in Artikel 52 Abs. 2, wonach die Charta weder neue Zuständigkeiten noch neue Aufgaben für die Europäische Union begründet. Vielmehr garantiert die Charta Grundrechtsschutz im Rahmen der Zuständigkeiten der Europäischen Union.

Die Zuständigkeitsverteilung im EU-Vertrag und im EG-Vertrag bedürfen allerdings an vielen Stellen der Präzisierung. Die Verabschiedung der Charta macht es deshalb notwendig, die Zuständigkeiten und die Kompetenzen zwischen der Union und ihren Mitgliedstaaten umfassend abzugrenzen. Damit die Bürgerinnen und Bürger ihre Rechte gegenüber den Organen der Europäischen Union auch tatsächlich einklagen können, muss die klare Kompetenzabgrenzung gleichzeitig verabschiedet werden.

Wir alle sollten - da möchte ich Herrn Rabe ausdrücklich zustimmen - dem Vorsitzenden des Grundrechtekonvents, Bundespräsident a. D. Dr. Roman Herzog, für sein großes Engagement beim Zustandekommen der Charta danken.

(Beifall bei der CDU und von Rabe [SPD])

Meine Damen und Herren, die Erarbeitung der Charta hat gezeigt, dass sich der Weg, in dem so genannten Konvent neben Vertretern der nationalen Regierungen auch Vertreter des Europäischen Parlaments und der nationalen Parlamente mitwirken zu lassen, bewährt hat. Wir können beklagen, dass die deutschen Länderparlamente nicht beteiligt waren. Aber die Länder als solche waren beteiligt, und zwar über den Bundesrat, durch das Mitglied im Konvent, durch den thüringischen Europaminister Gnauck.

Das Ergebnis des Konvents ist ein Kompromiss, der sinnvollerweise von keinem der Beteiligten infrage gestellt werden darf, wenn er zum Erfolg führen soll. Dazu gehört, dass eine Ausweitung der erarbeiteten Grundrechtecharta um weitere, neue Grundrechte, wie in dem Antrag der SPD gefordert, illusorisch ist, zumindest in dem Umfang, in dem das in dem vor uns liegenden Antrag formuliert ist. Roman Herzog hat die Grundrechtecharta dem französischen Staatspräsidenten Chirac als dem derzeit amtierenden Präsidenten der Europäischen Union überreicht. Sie wird in Nizza feierlich deklariert werden.

(Rabe [SPD]: Aber das heißt doch nicht Stillstand der Debatte!)

- Darf ich bitte weiterreden, Herr Rabe?

Ich darf einmal fragen, welche Fassung die SPDFraktion bei der Vorbereitung dieses Antrags - wenn sie ihn denn selber vorbereitet hat zugrunde gelegt hat.