Protocol of the Session on September 12, 2000

- es ist doch so - die Ängste der Menschen. Mit einigen haben wir gestern noch gesprochen.

Was mich abseits aller unterschiedlichen Auffassungen - ich finde es großartig, dass wir wenigstens in der Sache eine Gemeinsamkeit haben besonders bestürzt, will ich an dieser Stelle sagen. Wolfgang Schultze weiß, dass ich ihn persönlich sehr schätze. Das ist überhaupt kein Thema. Aber wie auf der Basis eines solchen Vertragswerkes, in dem der Preussag in den §§ 4 und 5 eine besondere soziale Verpflichtung auferlegt wird - die §§ 4 und 5 sind ja in das Vertragswerk aufgenommen worden, weil die damalige Bundesregierung auch dadurch, dass wir sie auf diese schwierige Situation der Mieter aufmerksam gemacht haben, den Käufer veranlassen wollte, im Sinne sozialer Sicherung in Salzgitter Wohnungspolitik zu betreiben -, ein solches großes Unternehmen so ungeheuer - das sage ich mit aller Deutlichkeit - unsensibel mit den Gefühlen von Menschen umgeht, das bestürzt mich wirklich zutiefst.

(Beifall bei der CDU)

Man kann bei allem anderen anderer Meinung sein. Aber, meine sehr verehrten Damen und Herren, so hat sich Ludwig Erhard soziale Marktwirtschaft nicht vorgestellt.

Ich möchte hinzufügen: Auch wenn es die §§ 4 und 5 nicht gegeben hätte, hätte ich das Verhalten der Preussag skandalös gefunden.

(Zuruf von der SPD)

- Lasst uns doch versuchen, ein wenig ernsthaft über die Dinge zu reden. - Ich erlebe überall, dass Großkonzerne immer genau wissen, was der Staat für sie tun muss. Ich meine, wir sollten einmal gemeinsam sagen, dass Großkonzerne in der Bundesrepublik Deutschland eine soziale und gesellschaftliche Verantwortung haben.

(Beifall bei der CDU - Zurufe von der SPD)

Nichts anderes war und ist die ethische Grundlage der sozialen Marktwirtschaft. Wenn Sie das nachlesen wollen, dann können Sie das gerne tun. Ich möchte wiederholen: Ich finde das Verhalten der Preussag an dieser Stelle unglaublich und skandalös.

Ein letzter Punkt. Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich finde es sehr merkwürdig, dass das manche Kollegen vor dem Hintergrund einer solchen Bedrückung der Menschen in Salzgitter noch sehr humorvoll und lustig finden. Das ist aber Ihre Angelegenheit. Die Leute schauen ja zu und beobachten Sie sehr genau.

(Zuruf von der SPD)

- Das war ja eben so. - Ich möchte an dieser Stelle Folgendes sagen: Der Grund, warum wir hier diese Debatte führen, ist Folgender. Wenn die Preussag AG vorher mit der Stadt, mit den politischen Parteien im Rat, mit der Landesregierung, vielleicht auch mit dem Landtag gesprochen hätte, dann wäre diese Debatte und wären die Negativschlagzeilen, die sich die Preussag jetzt einhandelt, wahrscheinlich nicht nötig gewesen und den Mietern wäre geholfen worden.

(Beifall bei der CDU)

Das Wort hat Frau Kollegin Harms.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mir scheint, dass es den Fraktionen doch sehr schwer fällt, insbesondere der CDU, zu dem Verzicht auf eine Beratung des Themas im Rahmen der Aktuellen Stunde zu stehen und dafür diesen gemeinsamen Antrag zu beraten. Vielleicht wäre das andere Verfahren das Angemessenere gewesen. Denn ich meine, dass die Betroffenen in Salzgitter, über die hier so viel geredet wird, mit diesem Verlauf der Debatte verhältnismäßig wenig anfangen können, weil jetzt politische Interessen konsequent draufgesattelt werden.

Ich bin - das möchte ich Ihnen, Herr Wulff, und dem geschätzten Kollegen Gansäuer sagen - immer wieder begeistert davon, wie Sie in den vergangenen Jahren immer wieder Ihr soziales Herz entdecken. Ich frage mich aber, wo Sie es denn konsequent vertreten und ob das, was Sie hier sagen, wenn Sie z. B. direkt mit Vertretern der Industrie, an die Sie jetzt mit harschem Worte appelliert haben, sprechen,

(Wulff (Osnabrück) [CDU]: Mit Sicherheit!)

einen konsequenten Niederschlag findet.

Ich hatte dazu im Rahmen meiner Landtagsarbeit eine Gelegenheit gehabt, und zwar bei einer Einladung, die der Landtagspräsident Wernstedt kurz vor den Sommerferien ausgesprochen hat. Hierzu war - schon seit längerem angekündigt - auch Herr Frenzel eingeladen. Herr Frenzel spielt ja in dieser ganzen Debatte eine herausragende Rolle. Sie haben ihn heute wieder direkt attackiert. Es ging an diesem Abend um das Verhältnis der Politik zur Industrie am Beispiel des Verhältnisses Niedersachsen und Preussag.

(Wulff (Osnabrück) [CDU]: Da wurde Herr Eppers ausgeladen! Kennen Sie die Hintergründe?)

Herr Frenzel und ich hatten den ganzen Abend immer wieder Auseinandersetzungen. Ihre dritte kritische Position dazu fehlte. Die CDU war an diesem Abend ausgesprochen wortkarg. Sie waren nicht da.

(Wulff (Osnabrück) [CDU]: Es war doch nur einer zugelassen!)

Herr Wulff, Sie waren als Fraktionsvorsitzender wegen der Bedeutung dieses Gespräches persönlich eingeladen.

(Wulff (Osnabrück) [CDU]: Jetzt reicht es mir!)

Ich finde, man muss dann wirklich einen Knopf an solche Positionen machen und sie auch bei solchen Gelegenheiten konsequent vertreten.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Meine Damen und Herren, ich schließe die Beratung zu dem vorliegenden Antrag. Ich möchte daran erinnern, dass die Fraktionen übereingekommen waren, über den Antrag sofort abzustimmen, und dafür erbitte ich jetzt Ihre Aufmerksamkeit.

Wer der Entschließung zustimmen möchte, den bitte ich um ein Handzeichen. - Ich frage nach Gegenstimmen. - Ich frage nach Stimmenthaltungen. - Ich stelle fest, dass die Entschließung einstimmig angenommen ist.

Ich möchte die Kolleginnen und Kollegen davon unterrichten, dass die Fraktionen übereingekommen sind, noch nicht in die Mittagspause einzutreten, sondern das Vormittagsprogramm abzuwickeln und dafür die Mittagspause bis 15 Uhr zu verlängern. Wir werden die Beratungen dann wieder aufnehmen.

Ich erbitte darum nun Ihre Aufmerksamkeit für den

Tagesordnungspunkt 2: Erste Beratung: Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Niedersächsischen Ausführungsgesetzes zum Bundessozialhilfegesetz - Gesetzentwurf der Landesregierung - Drs. 14/1840 - Berichtigung - zu Drs. 14/1840

Frau Ministerin Merk wird den vorliegenden Gesetzentwurf einbringen.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sie, die Abgeordneten des Niedersächsischen Landtags, haben am 17. Dezember letzten Jahres einstimmig eine Entschließung verabschiedet, die die Überschrift „Die Kostenträgerschaft in der Sozialhilfe zusammenführen“ hatte.

(Vizepräsident Gansäuer über- nimmt den Vorsitz)

Darin wurde die Landesregierung aufgefordert, „im Bund mit den örtlichen Trägern der Sozialhilfe die gemeinsame Kostenträgerschaft, das so genannte quotale System, als Instrument der Kostenteilung in der Sozialhilfe einzuführen.“

(Unruhe)

Wenn Sie die Unterhaltungen im Plenarsaal einstellen, dann können wir der Rednerin besser zuhören. - Bitte schön!

Heute kann ich Ihnen einen Gesetzentwurf vorlegen, der die erforderlichen gesetzlichen Regelungen zur Einführung des „Quotalen Systems“ enthält. Land und Kommunen sind sich einig, dass dieser Schritt notwendig und richtig ist. Darüber bin ich froh. Die Gespräche und die Anhörungen, die wir in den letzten zwei Jahren durchgeführt haben, waren am Ende von dieser Einigkeit geprägt.

Meine Damen und Herren, im Folgenden möchte ich Ihnen kurz erläutern, welche Ziele wir - mit „wir“ meine ich das Land und die Kommunen, die ja beide Träger der Sozialhilfe sind - mit der Einführung eines „Quotalen Systems“ erreichen wollen. Alle Beteiligten sind sich einig, dass mit dem „Quotalen System“ die Leistungen kundengerechter und effizienter zu erbringen sind. In vierfacher Hinsicht erwarten wir positive Auswirkungen: Erstens soll das System eine sachgerechte Hilfe für die Hilfeempfängerinnen und -empfänger gewährleisten, zweitens mehr Bürgernähe bringen, drittens den Verwaltungsaufwand - das ist mir besonders wichtig - minimieren und viertens durch größere Sparsamkeit und Wirtschaftlichkeit die Kosten senken helfen.

Meine Damen und Herren, bisher richtet sich die Kostenträgerzuständigkeit nach der Form der Hilfe, vor allem in der Behindertenhilfe. Das heißt: Wenn jemand ambulante Pflege brauchte, musste der Landkreis oder die kreisfreie Stadt, in der die Hilfeempfängerin oder der Hilfeempfänger lebte, zahlen. Bei stationärer oder teilstationärer Pflege zahlte dagegen das Land. Beide Seiten standen immer wieder in der Versuchung, Kosten auf den jeweils anderen Träger zu verschieben. Die Frage nach der Zuständigkeit überlagerte die nach der sachgerechten Hilfe. Das ging oft genug zulasten der Betroffenen. Das konnte etwa bedeuten, dass ein behinderter Mensch, der nach seinen Fähigkeiten mit ambulanter Hilfe sehr wohl hätte selbständig leben können, diese Hilfe eben nicht bekam und stattdessen stationär betreut werden sollte.

Damit ist jetzt Schluss; denn das „Quotale System“ überwindet das bisherige Gegeneinander von Land und Kommunen und bringt beide - das ist bedeutsam - in eine gemeinsame Verantwortung. Es wird sinnlos, Energie darauf zu verwenden, einen Hilfeempfänger möglichst einem anderen Kostenträger zuzuschieben, weil im „Quotalen System“ die Kosten nicht mehr fallweise verteilt werden. Dadurch wird es auch überflüssig, das Handeln des jeweils anderen Kostenträgers mit großem Aufwand zu kontrollieren. So wird nicht nur der Verwaltungsaufwand geringer, sondern wir erreichen auch eine schnellere und bürgernähere Hilfe.

Wie soll das „Quotale System“ ganz praktisch funktionieren? - Für jeden Landkreis und für jede kreisfreie Stadt wird künftig eine Quote festgelegt, nach der sich sein oder ihr Beitrag zum Gesamtaufwand für Sozialhilfeleistungen bemisst. Basis für die erste Berechnung der Quote sind die Leistungen in den Jahren 1997 bis 1999. In den Jahren 2002 bis 2004 wird die Quote jährlich überprüft. Später wird immer dann neu beraten werden, wenn ein Träger nachweist, dass seine Quote bei einer Neufestlegung um mindestens drei Prozentpunkte verändert werden müsste.

Das Land wird seine für 2001 geplanten Mittel um knapp 53 Millionen DM aufstocken. Dadurch werden die Kommunen entlastet, die für die Betreuung alter Menschen in Pflege- und Behinderteneinrichtungen seit Jahren mehr Geld aufbringen müssen.

Der Gesetzentwurf enthält nur die Regelungen, die der Gesetzgeber selbst treffen muss. Daneben ist in

dem Gesetzentwurf eine Reihe von Verordnungsermächtigungen vorgesehen, deren Ausfüllung notwendig ist, um das Gesamtvorhaben zu verwirklichen. Die wichtigsten Verordnungen werden wir Ihnen zumindest im Entwurf noch parallel zu der parlamentarischen Beratung des Gesetzentwurfs zuleiten. Das gilt insbesondere für die Verordnung, in der erstmals die Quoten festgelegt werden. Gern hätte ich Ihnen die Verordnungen zusammen mit dem Gesetzentwurf vorgelegt. Da wir uns aber einig waren, dass das „Quotale System“ zum 1. Januar kommenden Jahres funktionieren soll, müssen wir Gesetz und Verordnungen in Etappen erstellen.

Ich bin froh, dass es gelungen ist, den Gesetzentwurf noch so rechtzeitig vorzulegen, dass das Parlament ausreichend Zeit, d. h. mehr als ein Jahr Zeit, hat, um darüber gründlich zu beraten. Dies ist nicht allein das Verdienst der Landesregierung. In diesem Zusammenhang sind auch die Kommunen zu nennen, die schon bis Mai, also früher als üblich, dem Landesamt für Statistik ihre Daten aus dem Jahre 1999 übermittelt haben. Dadurch konnten im Rahmen der Verbandsanhörung den kommunalen Gebietskörperschaften die aktuellen Daten zur Verfügung gestellt werden. Dafür möchte ich den Kommunen und dem Landesamt danken.

Des Weiteren ist in diesem Zusammenhang zu erwähnen, dass das Gerüst für den Gesetzentwurf in einer gemeinsamen Arbeitsgruppe aus Vertretern des Landes und der Arbeitsgemeinschaft der kommunalen Spitzenverbände Niedersachsens ausgearbeitet worden ist. Auch dieser Arbeitsgruppe möchte ich herzlich danken. Alle Gespräche und Sitzungen waren durch Offenheit und Fairness gekennzeichnet. Gleichwohl - das darf ich ruhig sagen - war es mühevoll, das vorliegende Ergebnis zusammenzubringen. Darüber bin ich nach den zweieinhalb Jahren erleichtert, wie Sie sich vorstellen können, und möchte allen Beteiligten noch einmal herzlich danken.

Meine Damen und Herren, ich bin sicher, dass von dem „Quotalen System“ alle Beteiligten profitieren werden, die Hilfeempfängerinnen und -empfänger, weil damit die bestmögliche Form der Hilfe im Vordergrund steht, und die Sozialhilfeträger, weil sie besser zusammenarbeiten werden, Doppelarbeit vermeiden und so Kosten sparen können.

Ich bin froh, dass der Beschluss, den Sie damals in großer Gemeinsamkeit gefasst haben, nunmehr

umgesetzt wird, und ich hoffe, dass der vorliegende Gesetzentwurf zügig beraten wird. - Danke schön.

(Beifall bei der SPD)