Protocol of the Session on September 12, 2000

Jeder von uns stelle sich einmal vor, ein Drittel der Bevölkerung in seinem Wahlkreis, in seiner Heimatstadt wohnte in Wohnungen eines Wohnungsunternehmens, und diese Wohnungen würden kurzfristig zum Verkauf gestellt, ohne den Oberbürgermeister einzubeziehen, ohne den Oberstadtdirektor zu informieren, ohne die Abgeordneten zu informieren, ohne die Betriebsräte zu informieren, ohne die Mietervereinigung zu informieren. Niemand ist informiert worden! Es ist einfach in die Öffentlichkeit gegeben worden: Innerhalb eines Jahres wird das zu Geld gemacht; Rendite zählt; Shareholder-value; Aktionäre wollen Dividende sehen; wir wollen zukaufen; wir brauchen Geld; wir wollen es umsetzen.

(Unruhe)

Das ist - um das hier einmal sehr deutlich zu sagen - nicht unser Bild von sozialer Marktwirtschaft.

(Beifall bei der CDU)

Ein Unternehmen im Sinne Ludwig Erhards besteht nicht nur, um Gewinne zu machen, Rendite zu erzielen, Reibach zu machen, sondern Unternehmen entstehen und bestehen - um das für die CDU-Landtagsfraktion in Erinnerung an Ludwig Erhard hier mal wieder sehr deutlich in den Raum zu stellen -, um auch einen Mehrwert für die Gesellschaft zu erzeugen, das bei ihren Produkten zu überprüfen und sich der sozialen Verantwortung eines großen Unternehmens zu stellen.

(Unruhe)

Eine weitere Bemerkung. Hier wird ja die Historie angesprochen. Ich halte es für einen Fehler, dass Sie das Jahr 1989 immer wieder ansprechen. Herr Gabriel, Sie wollen doch nicht sagen, dass es für Salzgitter selig machend wäre, wenn es heute noch ein Staatsstahlunternehmen wäre.

(Zuruf von Plaue [SPD])

Für die Preussag war letztlich dieser Gang mit Herrn Pieper und der Preussag der richtige Weg. Das Unternehmen war in den 90er-Jahren so erfolgreich und es ist jetzt so gut aufgestellt, weil es privat am Markt operiert hat und deswegen ja auch begehrt war.

Nur, 1998 ist im Landtagswahlkampf vergessen worden, die Frage der Wohnungen vernünftig zu regeln.

(Plaue [SPD] lacht)

In den §§ 4 und 5 des zwölf Paragrafen umfassenden Kaufvertrages von 1989 hatte es noch eine Bestimmung gegeben, nach der der Käufer nur 2.500 Wohnungen verkaufen darf - daran hat sich die Preussag nicht gehalten - und nach der er sich der sozialen Verantwortung stellen muss. Jetzt ist ein Vorgang auffällig. Der SPD-Bundestagsabgeordnete in Salzgitter, der parlamentarische Geschäftsführer der Bundestagsfraktion, Herr Schmidt, hat bis zur Bundestagswahl immer erklärt, man könne das juristisch einklagen, die Verträge gäben das her, die SPD würde, wenn sie es könnte, eine Klage bei der Europäischen Kommission und gegen die Preussag führen. Nach der Bundestagswahl hat Herr Schmidt kleinlaut erklärt, er habe sich das im Kanzleramt noch einmal angeguckt, er müsse jetzt zu einem anderen Ergebnis kommen, man könne nichts tun, es sei alles in Ordnung, er rühre das Thema nicht mehr an. So können wir beim Thema Preussag und beim Thema Salzgitter hier miteinander nicht mehr verfahren! Ich bin froh darüber, dass wir einen gemeinsamen Antrag beschließen werden. Wir sollten die Historie nicht ständig so hindrehen, wie es uns gerade gefällt.

(Beifall bei der CDU)

Vielen Dank. - Das Wort hat noch einmal der Herr Ministerpräsident.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Weil ich finde, dass man auch dem Oppositionsführer nicht durchgehen lassen darf, wenn er erklärt, man solle die Historie nicht bemühen, sie aber dann selbst bemüht, dann auch noch unvollständig, muss man ein paar Daten in Erinnerung rufen.

(Vizepräsident Jahn übernimmt den Vorsitz)

Ich habe nach einem Gespräch Mitte August mit den Betriebsräten des Wohnungsbauunternehmens der Preussag bereits am 25. August begonnen, in einem Gespräch mit dem Vorstandsvorsitzenden der Preussag, Herrn Dr. Frenzel, diese Planung zur

Bildung eines Konsortiums vorzubereiten und durchzuführen. Nach meinem Kenntnisstand hat es zum damaligen Zeitpunkt keinerlei Initiativen von anderer Seite gegeben - außer in der Stadt Salzgitter, und das mit guten Gründen, weil man da am meisten bedroht ist.

Herr Wulff, bei allem Respekt vor der Bedeutung der Opposition auch für dieses Haus will ich darauf hinweisen, dass es jedenfalls an dieser Stelle eine Initiative der Betriebsräte des Wohnungsbauunternehmens gewesen ist. Die haben mich gebeten, an dieser Stelle aktiv zu werden. Wenn Arbeitnehmer und ihre Arbeitnehmervertretung gute Ideen haben, dann sollte man nicht versuchen, sie als Parteipolitiker zu instrumentalisieren. Das ist die Initiative der Betriebsräte des Wohnungsbauunternehmens gewesen.

(Beifall bei der SPD und Zustimmung bei den GRÜNEN)

Danach haben wir nicht nur den Oberstadtdirektor, sondern auch Herrn Eppers informiert. Das wissen Sie inzwischen, leider nicht durch Herrn Eppers, sondern jetzt durch die Debatte.

(Eppers [CDU]: Das ist so nicht rich- tig!)

Dann will ich nur noch darauf hinweisen, dass Sie eben die Historie schon wieder verdreht haben. Bei dem Antrag vom 16. Februar 1989 und bei der Debatte im Niedersächsischen Landtag am 17. März 1989 ging es nicht mehr um die Frage, ob die Privatisierung verhindert werden kann, Herr Wulff - das war leider schon entschieden -, sondern der Antrag zielte darauf, das Wohnungsbauunternehmen herauszulösen und selbständig zu machen, damit nicht das eintritt, was wir heute hier erleben. Damals hat Ihre Regierung und hat Ihre Partei das gegen den Widerstand der SPDOpposition im Niedersächsischen Landtag durchgepeitscht, hat auch die Braunschweiger Abgeordneten genötigt zuzustimmen. Das ist die historische Wahrheit in der Situation!

(Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren, wenn der damalige Ministerpräsident und die damalige Landesregierung unter Gerhard Schröder 1998 der CDU gefolgt wären, dann hätten wir die Anteile an der Salzgitter AG nicht übernehmen können. Sie sind erst im März 1999 bei einer einstimmig verabschiedeten Entschließung im Niedersächsischen

Landtag dazu gekommen, dem Halten von Anteilen an der Salzgitter AG zuzustimmen. Vorher haben Sie das in diesem Haus massiv bekämpft.

(Wulff (Osnabrück) [CDU]: Das stimmt doch gar nicht!)

Daran möchte ich gern erinnern, weil ich finde, dass man nicht so verfahren darf, erst zu sagen "Ich will lieber nicht davon reden", um dann aus seiner Erinnerung eine Historie zu beschreiben, die so offenbar nicht richtig ist.

(Wulff (Osnabrück) [CDU]: Das stimmt ja nicht!)

Wir müssen für die Zukunft lernen, finde ich, dass es keinen Sinn macht, bei strukturbestimmenden Unternehmen permanent auf Privatisierung zu drängen, sondern dass der Staat auch eine bestimmte Schutzfunktion für die Beschäftigten und auch für die Bewohnerinnen und Bewohner von Städten wie Salzgitter hat. Es wäre gut, wenn wir in Zukunft die ordnungspolitischen Debatten, die in der Regel ideologisch geprägt sind, an der Realität messen würden. Da sind wir heute mit der Nase auf ein Problem gestoßen, das in diesem Lande viele Jahre vernachlässigt worden ist und das eigentlich erst mit der Initiative des damaligen Ministerpräsidenten wieder in die richtige Bahn gelenkt worden ist. Das ist die historische Entwicklung in Niedersachsen! Leider haben wir dafür heute zu wenig Möglichkeiten; ich hätte lieber mehr.

(Beifall bei der SPD)

Herr Kollege Plaue hat das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte ganz kurz nur drei Punkte ansprechen.

Erstens. Herr Kollege Wulff, so geht das nun wirklich nicht! Sie können nicht eine Rede mit dem Appell an den Landtag beginnen, aus dieser Debatte Parteipolitisches herauszuhalten, und gleichzeitig die Mitgliedschaft von Konzernvorständen in demokratischen Parteien zum Gegenstand der Debatte machen.

(Beifall bei der SPD)

So geht das deshalb nicht, weil dann sozusagen als Erwiderung darauf hier im Landtag oder überhaupt in politischen Diskussionen natürlich auch die politische Mitgliedschaft von anderen Konzernvorständen zum Thema gemacht wird. Ob wir damit der Zusammenarbeit und, wenn man so will, der Akzeptanz von Politik gegenüber Wirtschaft einen Dienst erweisen, das wage ich allerdings zu bezweifeln, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD)

Zweiter Punkt. Mit Interesse, Herr Kollege Wulff, habe ich Ihren Beitrag zur sozialen Verantwortung, zur sozialen Marktwirtschaft und zur Rolle von Ludwig Erhard in diesem Zusammenhang gehört.

(Wulff (Osnabrück) [CDU]: Das war der Begründer!)

- Ja, der Begründer, wenn Sie so wollen. - Der musste sozusagen als Kronzeuge dafür herangezogen werden, dass man dieses Wohnungsbauunternehmen nicht verkaufen darf.

(Wulff (Osnabrück) [CDU]: Das ist ja eine Verkürzung, die wieder unzulässig ist! Das ist wieder völlig unzulässig!)

Herr Kollege Wulff, ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie diese Grundsätze und diese Erkenntnisse Ihrem Kandidaten für das Oberbürgermeisteramt hier in Hannover mitteilen könnten. Der will nämlich die GBH verkaufen, meine sehr verehrten Damen und Herren!

(Unruhe)

Das ist ein Wohnungsunternehmen. Das hat die Menschen, die dort wohnen, auch erschreckt, meine Damen und Herren - Anspruch und Wirklichkeit!

(Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren, letzte Bemerkung: Ich und meine Fraktion sind dennoch bereit, diesen Antrag, den wir gemeinsam formuliert haben, gemeinsam zu tragen. Lassen Sie uns bei unseren Diskussionsbeiträgen auf diese Gemeinsamkeiten Rücksicht nehmen, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD)

Der Kollege Gansäuer erhält für die CDU-Fraktion eine zusätzliche Redezeit von bis zu drei Minuten.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Da ich damals zum Teil bei den Verhandlungen involviert war, habe ich überhaupt kein Problem damit, zu sagen, dass wir uns aus niedersächsischer Sicht, einschließlich der damaligen Landesregierung, in Teilen - das hat Herr Wulff auch schon vorgetragen - eine andere Lösung vorgestellt hatten. Gerade deshalb hat Herr Albrecht nach der Verabschiedung dieses Konzeptes durch die Bundesregierung und des Verkaufs einen Anteil von 10 % organisiert. Das war damals eine sehr schwierige Arbeit, um einen minimalen Einfluss auf die Preussag zu behalten. Dieser Einfluss ist durch den Verkauf dieses Anteils leider nicht mehr vorhanden. Hätten wir ihn heute noch, dann stünden wir heute strategisch etwas günstiger da. Das kann man wohl nicht bestreiten. Wir sollten aber das Kapitel nun abschließen, denn Schuldzuweisungen helfen Salzgitter nicht weiter, und sie vergrößern

(Zuruf von der SPD)

- es ist doch so - die Ängste der Menschen. Mit einigen haben wir gestern noch gesprochen.