Protocol of the Session on February 16, 2000

(Möllring [CDU]: Das stimmt nicht! Das hat Herr Gabriel ganz anders er- zählt!)

Wir haben darüber nun lange diskutiert. Herr Wulff, Sie haben hier in der ersten Beratung versucht, Ihr Anliegen zum Teil auch unter Verdrehung von Statistiken zu begründen. Ich werde darauf gleich noch zu sprechen kommen.

Herr Dinkla, Sie haben Ihr Anliegen hier heute mit ein bisschen mehr Polemik zu begründen versucht. Ich habe keinen zwingenden Grund dafür gesehen, und eigentlich habe ich das alles auch schon in der ersten Beratung gesagt. Ich will mich deshalb heute nur noch einmal auf drei Punkte beschränken, die mir wesentlich erscheinen.

Erstens möchte ich hier noch einmal festhalten das ist schon mehrfach gesagt worden -: Unserer Wirtschaft geht es gut. Niedersachsens Wirtschaft hat in den 90er-Jahren ein überdurchschnittliches Wachstum zu verzeichnen. Herr Coenen, Sie haben hier eben einen Zwischenruf gemacht, dass das alles getürkte Zahlen seien. - Das sind Zahlen vom Statistischen Bundesamt und Arbeitsmarktzahlen der Arbeitsmarktverwaltung.

In Niedersachsen sind in den 90er-Jahren so viele Jobs entstanden wie in keinem anderen Bundesland.

(Beifall bei der SPD)

Sowohl relativ als auch absolut haben wir die meiste Anzahl an neuen Arbeitsplätzen in Niedersachsen geschaffen - vor Bayern -, und das, Herr Wulff, nicht nur bei Volkswagen - da sind es sogar weniger geworden -, sondern diese neuen Arbeitsplätze sind fast ausschließlich im Mittelstand entstanden. Ich finde, dass das ein gesundes Wachstum ist.

Apropos Wachstum: Lassen Sie mich hier noch einmal feststellen, dass wir durch das überdurchschnittliche Wachstum das Süd-Nord-Gefälle inzwischen gekippt haben. Insofern hat sich dieses Gefälle nicht weiter verfestigt, wie Sie, Herr Wulff, unter Zitieren von Herrn Prewo hier beim letzten Mal festgestellt haben. Ich möchte dem ausdrücklich widersprechen.

Zweitens. Trotz dieser positiven Bilanz bei der Entwicklung der Arbeitsplätze und beim Wirtschaftswachstum ist die Arbeitslosigkeit noch hoch. Das muss man zugeben. Daran müssen wir arbeiten.

(Fischer [CDU]: Zu hoch!)

Dennoch - das will ich hier auch einmal sagen, und vielleicht überrascht Sie das auch - hat sich der Abstand bei der Arbeitslosenquote zum westdeutschen Durchschnitt in den 90er-Jahren verringert, nämlich von 2,2 Prozentpunkten in 1990 auf 1,6 Prozentpunkte im Jahresdurchschnitt 1999. Also gibt es auch hier einen positiven Trend. Sicherlich könnte die Bilanz hier besser sein. Dafür, warum dies nicht so ist, gibt es ebenfalls zwei plausible Gründe. Herr Schurreit hat es hier eben schon erwähnt: Seit Öffnung der Grenze ist die Bevölkerung in Niedersachsen um fast eine halbe Million Menschen angewachsen. Darüber hinaus kommen täglich 55.000 Pendler aus den neuen Bundesländern zur Arbeit nach Niedersachsen. Das heißt, dass wir hier in unserem Bundesland wegen der extrem langen früheren Zonengrenze - - -

(Möllring [CDU]: Und wie viele pen- deln nach Hamburg und Bremen?)

- Das sind nur die Pendler aus den ostdeutschen Ländern. Wir haben also einen erheblichen Anteil der hohen Arbeitslosigkeit und des schwachen Arbeitsmarktes in den ostdeutschen Bundesländern hier mitzutragen. Das muss man ebenfalls sehen.

Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang noch eine Anmerkung zu dem machen, Herr Wulff, was Sie hier beim letzten Mal sozusagen als Beleg für die Strukturschwäche Niedersachsens im Vergleich zu den ostdeutschen Ländern vorgebracht haben. Sie haben gesagt, dass die Arbeitsplatzdichte in Ostdeutschland höher sei als bei uns. So ist es in der Tat. Aber was ist denn „Arbeitsplatzdichte“? Sie wird als Zahl der Arbeitsplätze je 1.000 Einwohner gemessen. Die ist in den neuen Bundesländern deshalb so hoch, weil dort so viele Menschen weggegangen sind. Die Bevölkerungszahl ist geschrumpft. Dadurch ist die Arbeitsplatzdichte größer geworden. Wo sind die aber hingegangen? Vor allem nach Niedersachsen! Deshalb ist sie bei uns geringer geworden.

Wenn man das also einmal so betrachtet - nämlich richtig betrachtet -, dann heißt das, - -

(Möllring [CDU]: Wollen Sie sich jetzt gegen die Wiedervereinigung aussprechen oder was?)

- Ich belege doch nur einmal, dass man dies nicht als Argument nehmen kann. Das ist ein falsches Argument. Das bedeutet, dass dieses Argument eher für Niedersachsen und für die Stärke unserer Wirtschaft spricht als umgekehrt.

Es kommt noch ein Zweites hinzu. In den neuen Bundesländern hat der zweite Arbeitsmarkt ein wesentlich größeres Gewicht als bei uns. Während in Niedersachsen 1999 auf 1.000 Einwohner nicht einmal zwei geförderte Arbeitnehmerinnen und Arbeitsnehmer in Arbeitsbeschaffungs- bzw. Strukturanpassungsmaßnahmen waren, waren es in den neuen Bundesländern mit fast 23 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern fast zehnmal so viele wie bei uns. Auch das führt natürlich dazu, dass die Arbeitsplatzdichte dort nicht mit unserer verglichen werden kann.

Unter dem Strich kann man also sagen: Das Thema „Arbeitsplatzdichte“ ist eigentlich im Gegensatz dazu, wie es Herr Wulff hier gegen Niedersachsen verwendet hat, ein Argument für Niedersachsen.

Ich gebe zu: Statistiken sind gelegentlich tückisch. Deshalb empfehle ich Herrn Wulff, in Zukunft etwas sorgfältiger damit umzugehen.

(Beifall bei der SPD)

Der dritte Punkt, den ich anführen möchte, ist das Bündnis für Arbeit und Ausbildung. Hier führen wir den Dialog mit den gesellschaftlichen Gruppen, Herr Dinkla, den Sie eben eingefordert haben. In dieses Bündnis sind Vertreter aller gesellschaftlichen Gruppen einbezogen. Das Bündnis beschäftigt sich in zehn Arbeitsgruppen

(Zuruf von der CDU: Mit sich selbst!)

mit den zentralen Themen „Beschäftigung“ und „Ausbildung“. Wir haben auch keine Angst davor, Herr Dinkla, dort neue Probleme zu diskutieren, und wir nehmen auch gerne neue Vorschläge in diesem Gremium auf. Wir haben das bisher auch schon getan. Ich sehe deshalb beim besten Willen nicht, welchen Sinn es machen würde, eine neue Expertengruppe hierfür einzusetzen.

Meine Damen und Herren, abschließend lassen Sie mich noch eine Bemerkung zu Ihrer Rede, Herr Wulff, bei der Einbringung dieses Antrages machen. Sie zitieren als Kronzeugen den Hauptgeschäftsführer der Industrie- und Handelskammer Hannover, Herr Prewo, der Ihnen einen Brief geschrieben hat.

(Dinkla [CDU]: Nicht nur er!)

Dies beeindruckt mich nicht allzu sehr, zumal wir ja auch die Nähe von Herr Prewo zu Ihrer Partei kennen.

(Dinkla [CDU]: Es gibt noch viele andere!)

Ich habe nun in den letzten Wochen ebenfalls einen Brief von Herrn Prewo zugesandt bekommen. Wenn Sie erlauben, zitiere ich einmal aus diesem Brief, den mir Herr Prewo geschickt hat. Er schreibt:

(Glocke der Präsidentin)

„Die niedersächsische Wirtschaft wird im Jahre 2000 einen deutlichen Aufschwung erleben. Der konjunkturelle Trend zeigt steil nach oben.“

So weit Herr Prewo!

(Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren, Herr Kollege Wulff hat um das Wort gebeten. - Herr Kollege Wulff, ich gebe Ihnen zwei Minuten Redezeit.

Sehr verehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir sind schon ziemlich erschüttert.

(Widerspruch und Lachen bei der SPD - Demonstrativer Beifall bei der SPD - Plaue [SPD]: Schauspieler!)

Wir können uns das nur noch so erklären, dass Sie mit Ihrer Amtszeit vermutlich jenseits der Grenzen liegen, die der Ministerpräsident als Amtszeitbegrenzung für Minister ins Gespräch gebracht hat.

Wie anders wollen Sie eigentlich anders erklären, Herr Fischer, dass Niedersachsen als einzigem Bundesland eine Verdoppelung seiner Fördergebietskulisse in der Europäischen Union zugestanden worden ist, als damit, dass das seine Ursache allein darin findet, dass wir uns wirtschaftlich weit schlechter als die anderen Bundesländer entwickelt haben? Sonst hätten wir in Europa nicht in dieser Weise begünstigt werden können.

(Beifall bei der CDU)

Wie können Sie als Wirtschaftsminister eigentlich alle Stellungnahmen aller niedersächsischen Wirtschaftsbereiche ignorieren? Die Handwerkskammerpräsidenten, die Hauptgeschäftsführer, die IHKs, die Vertreter der Wirtschaft, der Verbände,

der freien Berufe - alle haben geschrieben, sie hielten es für überfällig, dass unserem Antrag hier stattgegeben werde.

(Beifall bei der CDU)

Bei der ersten Beratung haben Sie uns vorgeworfen, mit falschen Zahlen zu operieren. Sie haben heute nachgewiesen, die Zahlen seien zwar richtig, aber sie seien anders zu interpretieren. Damit haben Sie sich gegenüber dem letzten Mal korrigiert und sich indirekt ja auch dafür entschuldigt, den Vorwurf erhoben zu haben, wir hätten mit falschen Zahlen operiert.

Die Arbeitslosenstatistik für den laufenden Monat weist aus, Herr Fischer, dass Niedersachsen noch um 0,1 % besser dasteht als das Saarland - trotz EXPO-Sonderkonjunktur! Wenn Sie die EXPOSonderkonjunktur als Jahrhundertprojekt mit der derzeit größten Baustelle Europas auf dem Messeund EXPO-Gelände herausrechnen, dann kommen Sie zu dem Ergebnis, dass wir bei der Arbeitslosigkeit den Schlusslichtplatz aller westdeutschen Flächenländer einnehmen. Wenn vor diesem Hintergrund die Opposition anregt, in einer EnqueteKommission die Diskussion in das Parlament zu bringen, wie wir Universitäten, Forschungs- und Technologieeinrichtungen mit zukunftsträchtigen Wirtschaftszweigen vernetzen können, dann ist das nicht so billig, polemisch und einfältig abzuweisen und zurückzuweisen, wie Sie es hier zum zweiten Mal getan haben.

(Beifall bei der CDU)

Ich kann nur sagen: Sie werden die Folgen zu spüren bekommen,

(Zuruf von der SPD: Wer?)

wenn Sie hier das Parlament ausschalten, es ignorieren, und draußen den Ministerpräsidenten Gabriel bei der IHK Hannover/Hildesheim erklären lassen, er sei offen für die Anregung der Einsetzung einer Enquete-Kommission, er wolle sich dem Thema stellen, er wolle ergebnisoffen diskutieren, während wenige Stunden später im Ältestenrat das Vorhaben niedergestimmt wird. Sie müssen hier dafür gerade stehen - Sie haben sich ja auch gemeldet, Herr Plaue -, dass Sie den Ministerpräsidenten des Landes Niedersachsen schlichtweg im Regen stehen lassen.

(Widerspruch bei der SPD)

Montags wird angekündigt, man wolle den Gedanken prüfen, am Dienstag - so blamieren Sie dann ja den ausscheidenden IHK-Präsidenten Lorenz stellt sich Herr Lorenz in Hildesheim hin und lobt den Niedersächsischen Ministerpräsidenten, weil der ergebnisoffen diskutieren wolle, am Mittwoch aber im Ältestenrat sammeln Sie den Vorschlag wieder ein und sagen: Machen wir nicht; das ist uns auch nicht peinlich, das will unser Wirtschaftsminister nicht.