Protocol of the Session on January 26, 2000

(Beifall bei den GRÜNEN)

Es ist für mich inzwischen klar: Helmut Kohl hat das Grundgesetz gebrochen. Helmut Kohl hat wiederholt gegen das Parteiengesetz verstoßen. Obwohl Helmut Kohl fünf Mal den Eid auf die Verfassung geleistet hat, hat er die Verfassung gebrochen. Er hat es - das ist das Schlimme daran nicht getan, um sich persönlich zu bereichern. Wir haben hier ausführlich über die Glogowski-Affäre geredet. Es gibt jetzt die Schlagzeilen über Minister Schleußer in Nordrhein-Westfalen; auch dabei zeichnet sich übrigens wohl so etwas wie eine Rücktrittsnotwendigkeit ab. Aber das ist nicht das Schlimmste im Zusammenhang mit den Affären, die Politikern vorgeworfen werden. Helmut Kohl hat die Verfassung gebrochen, um den politischen Gegner - die so genannte Linke in der Bundesrepublik - im demokratischen Wettstreit um die Regierungsmacht auszuhebeln. Zuletzt ist ganz offensichtlich in Hessen mit schmutzigem Geld finanziert worden, dass die CDU an die Macht gekommen ist.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Meine Damen und Herren, solche Verfassungsbrüche dürfen auf keinen Fall folgenlos bleiben. Ob diese CDU-Krise tatsächlich eine CDU-Krise bleibt oder ob sich daraus eine Staatskrise entwickelt, das hat damit zu tun, wie wir tatsächlich Konsequenzen aus diesem Skandal ziehen. Ich bin der Meinung, dass sehr deutliche Konsequenzen gezogen werden müssen. Ich meine, dass wir die Grundlagen der Parteienfinanzierung ganz streng überprüfen müssen. Ich hielte es für richtig, noch einmal zu überprüfen, ob eine staatliche Parteienfinanzierung nicht besser ist und ob in der Ausein

andersetzung im Wahlkampf weniger Geld für Parteien nicht mehr sein könnte.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Ich bin der Meinung, dass bedingungslose Transparenz eingeführt werden muss, was die Finanzierung angeht. Ich meine auch, dass wir uns im Detail neu über Regelungen für Minister und Abgeordnete einigen müssen. Auch dabei steht für mich ganz vorne die Einführung von Transparenz. Ich meine, dass wir unsere gesamten Bezüge offen legen müssen. Das muss sich durch alle Ebenen des demokratischen Systems ziehen; das fängt in Landtagen an und geht bis in das Europaparlament. Wir müssen zeigen, von wem wir unser Geld bekommen. Ich meine, dass der Wähler wirklich bei jeder Wahl sehen muss, wer außer den Bürgern die Abgeordneten noch finanziert, und entscheiden können muss, ob er diese Doppelfinanzierung wirklich möchte.

Eine ganz wichtige Regelung sehe ich außerdem in einer Befristung von Mandatszeiten. Ich meine, man sollte Gerhard Schröder tatsächlich beim Wort nehmen. Er hat gesagt: Eigentlich sind zwei Legislaturperioden für einen Kanzler genug. - Wir machen im Moment die Erfahrung, dass Politik als lebenslanger Beruf ganz offensichtlich nicht nur Menschen beschädigt, sondern im Zweifelsfall auch das gesamte System, auf dem unsere Demokratie aufgebaut ist. – Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Lebhafter Beifall bei den GRÜNEN)

Das Wort hat nunmehr der Abgeordnete Plaue.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die große deutsche Wochenzeitung „Die Zeit“ hat das Desaster, in dem die CDU im Augenblick steckt, in ihrer jüngsten Ausgabe mit dem Begriff „GAU“ überschrieben. Ich möchte die Frage stellen, ob es wirklich ein Unfall gewesen ist, der an das Licht der Öffentlichkeit gekommen ist. Es ist vielleicht in dem Sinne ein Unfall, wie die Auguren gehofft haben, dass das, was sie getan haben, nicht das Licht der Öffentlichkeit erblickt. Ansonsten ist von einem Unfall nicht viel zu spüren. Einen zielgerichteten, ganz konsequenten Verstoß gegen Recht und Gesetz würde ich jedenfalls nicht einen Unfall nennen.

In den Krisen, denen unser parlamentarisches System bisher ausgesetzt war, und in den Skandalen, die es in der Nachkriegsrepublik gegeben hat, ist es bisher jedenfalls nicht vorgekommen, dass der Ehrenvorsitzende einer Partei aus dem Amt gedrängt wurde. Es ist bisher auch noch nicht passiert, dass sich ein Parteivorsitzender vor dem Parlament und der deutschen Öffentlichkeit dafür entschuldigen musste, dass er die Öffentlichkeit und das Parlament über seine tatsächlichen Beziehungen zu jenem Herrn Schreiber bewusst in die Irre geführt hat. Es ist schließlich auch noch nicht vorgekommen, dass eine Generalsekretärin erklären musste, dass in dem Bericht der Wirtschaftsprüfer Begriffe über das Finanzgebaren ihrer Partei enthalten sind, die Züge von Geldwäsche erkennen lassen, meine sehr verehrten Damen und Herren.

Dies ist ein Desaster für die CDU, aber es ist auch ein Tiefschlag für alle demokratischen Parteien in der Bundesrepublik Deutschland. Die Parteien müssen auf demokratischen Wettstreit ausgerichtet sein. Dazu gehört auch das Risiko, dass man einmal eine Wahl verliert und sich in der Opposition wiederfindet. Wenn der Machterhalt um jeden Preis sichergestellt werden muss, dann führt das zu den Auswüchsen, die wir im Augenblick zu Recht unter dem Begriff „System Kohl“ diskutieren und kritisieren.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Kohl und Kanther haben das Parteiengesetz und das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland mit Füßen getreten. Weil das so ist, Rebecca Harms, weiß ich nicht, ob es wirklich erforderlich ist, dass wir uns neue Regeln geben.

Es gibt Regeln, die das, was passiert ist, eigentlich verbieten. Es gibt Gesetze, die verbieten, dass man Spenden, die man bekommt, durch dunkle Kanäle an der Öffentlichkeit vorbeileitet. Ich habe es nicht für möglich gehalten, meine Damen und Herren, dass nach dem, was wir im Zusammenhang mit dem Flick-Skandal diskutiert haben und woraus wir eigentlich Erkenntnisse in Bezug auf unser Verhalten abgeleitet haben, noch einmal eine solche Situation entstehen konnte.

Es geht leider - das möchte ich deutlich sagen zurzeit in der öffentlichen Diskussion und in der öffentlich diskutierten Wahrnehmung nicht nur um Kritik an der CDU bzw. an den Verursachern, sondern es wird sehr schnell das Unwort von „den

Politikern, die alle etwas am Stecken haben“ gebraucht. Ich meine, dies ist ungerecht gegenüber den vielen tausenden, ja zehntausenden ehrenamtlichen und hauptamtlichen Politikerinnen und Politikern, die tagtäglich ihre Pflicht tun und nicht verdient haben, dass sie in diesen Sumpf mit hineingezogen werden.

(Beifall bei der SPD)

Ausgerechnet jene konservativen Law-and-orderPolitiker, die nicht müde geworden sind, zur Verteidigung des Rechtsstaats Kronzeugenregelung, Beugehaft, große Lauschangriffe und - nicht zu vergessen - Antigeldwäsche-Gesetze einzusetzen, haben das Recht gebrochen - wie sie gesagt haben: zum Wohle der Partei.

(Zuruf von Frau Pothmer [GRÜNE])

In der Tat haben sie das Wohl der Partei über das Wohl des Staates und über das Wohl von Recht und Gesetz gestellt. So etwas darf es nicht geben, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Das höchste Ehrenwort, das ein Politiker geben kann, sind der Eid auf die Verfassung und der Eid auf die Gesetze vor diesem Parlament oder vor dem Deutschen Bundestag und vor dem deutschen Volke. Was ist von einem Ehrenwort zu halten, das Herr Dr. Kohl gegeben hat, wenn er das Ehrenwort an vermeintliche Parteispender für höher erachtet als das Ehrenwort gegenüber dem deutschen Volke? - Nichts ist davon zu halten, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD)

Es ist bleibender Schaden entstanden. Als politische Parteien müssen wir alle danach streben, dass dieser Schaden begrenzt wird. Wir müssen durch unser Verhalten dafür sorgen, dass die Bürgerinnen und Bürger wieder Vertrauen in das fassen, was ich rechtsstaatliches Verhalten nenne.

Meine Damen und Herren, Herr Kollege Wulff, hier sind keine Fehler gemacht worden, wie Sie und Herr Schäuble es den Menschen einzureden versuchen wollen, sondern es sind ganz bewusst Handlungen gegen Recht und Gesetz eingeleitet worden. Dies ist nicht zu rechtfertigen. Der dadurch entstandene Schaden wird sich in den Kassen der CDU widerspiegeln. Es kann sein, dass Ihre Partei dadurch in existentielle Probleme gerät.

Deshalb möchte ich an dieser Stelle ganz deutlich sagen: Ich meine, dass unser demokratisches System in der Nachkriegsrepublik entscheidend davon geprägt war, dass es an der Basis zwei große Volksparteien gegeben hat und noch gibt - eine konservative Volkspartei und eine fortschrittlichsoziale Volkspartei.

Ich bin der festen Überzeugung, dass es auch in Zukunft eine große konservative Volkspartei in Deutschland geben muss. Aber nirgendwo steht geschrieben, dass diese Partei CDU heißen muss, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD)

Sie selbst haben es in der Hand, dafür zu sorgen, dass durch Aufklärung und in der Tat auch durch Erneuerung eine Rechtfertigung dafür entsteht, dass die CDU auch noch in Zukunft existiert. Sie selbst müssen die CDU aus dem Sumpf herausführen.

Ich bin mir darüber im Klaren, dass der immaterielle Schaden, der entstanden ist, viel größer ist. Ich bin auch der Meinung, wir können diesen immateriellen Schaden nur dadurch abbauen und wieder gutmachen, dass wir den Menschen das bieten, was sie wirklich wollen, Herr Kollege Wulff, nämlich Aufklärung, und zwar wirkliche Aufklärung. Die Menschen wollen wissen, ob der sechste Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland käuflich gewesen ist, meine sehr verehrten Damen und Herren. Sie wollen wissen, von wem und wofür Helmut Kohl die Millionen bekommen hat. Sie wollen wissen, woher das Geld eigentlich stammt, das die hessische CDU - über die Schweiz und Liechtenstein, und zwar mit der unglaublichen Lüge, es seien Erblasser jüdischen Glaubens gewesen, die ihr das Geld vermacht hätten - in einen schmutzigen Wahlkampf hineingesteckt hat, den sie dann in Hessen gewonnen hat.

(Beifall bei der SPD)

Sie wollen auch wissen, meine sehr verehrten Damen und Herren, ob der französische Konzern Elf Aquitaine Wahlkampfhilfe geleistet hat und gegebenenfalls wofür dies geschehen ist.

Solange diese Fragen nicht beantwortet sind, solange Sie, Herr Kollege Wulff, und Ihre Freundinnen und Freunde im Parteivorstand keine Anstalten machen, die Betroffenen wirklich dazu zu zwingen, diese Fragen zu beantworten, wird der Schaden für diese Parteiendemokratie bestehen bleiben.

(Starker Beifall bei der SPD und Bei- fall bei den GRÜNEN)

Das Wort hat der Abgeordnete Schwarzenholz für bis zu zwei Minuten.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Als ich gelesen habe, dass die Fraktionen der SPD und der Grünen verabredet haben, gemeinsam diesen Schwerpunkt heute zum - wenn möglich sogar alleinigen - aktuellen Tagesordnungspunkt zu erklären, habe ich mich natürlich gefragt, ob es denn tatsächlich von ihnen etwas zu hören geben wird, das strukturell Antworten auf diese Herausforderung bzw. diese katastrophale Situation gibt. Ich habe aber nichts gehört.

(Frau Harms [GRÜNE]: Stimmt nicht! Du hast nicht zugehört, Christi- an!)

Als ich mir dann in Erinnerung gerufen habe, dass die Fraktionen der SPD und der Grünen im Landtag verabredet haben, die Beratung von atompolitischen Anträgen auszusetzen und sich in Schweigen zu hüllen und dass die Fraktion der Grünen seit Monaten darauf verzichtet, atompolitische Schwerpunkte auf die Tagesordnung zu setzen,

(Frau Harms [GRÜNE]: Wir haben im letzten Plenum zu Stade debat- tiert!)

obwohl in Niedersachsen die Genehmigung von Endlagern, der PKA und von anderem droht, frage ich mich: Wird die Situation der CDU nicht in Niedersachsen dazu benutzt, um von den tagespolitischen Auseinandersetzungen und dem, was diesem Land von der Bundesregierung droht, abzulenken? Ist das Ganze nicht ein ziemlich perfides Ablenkungsmanöver?

(Unruhe bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Das wäre es nicht, liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn Sie konkrete Vorschläge, die auch Mut erforderten, auf den Tisch gelegt hätten, z. B. Vorschläge, die in eine ganz andere Richtung gingen als das, was der Kollege Plaue eben gesagt hat, nämlich Vorschläge, die darauf hinausliefen, Parteispenden zu begrenzen.

(Frau Harms [GRÜNE]: Ja! Das habe ich gerade doch gesagt!)

Warum sagen wir nicht, das es keine Spenden über 20.000 DM geben darf und dass das Finanzierungssystem der Parteien so zu regeln ist, dass sie funktionieren können? Dann sind eben die Kampagnen herunterzufahren, und es hängen nicht so viele Wahlplakate. Was wäre denn dabei das Problem?

Ich glaube das, was Sie gesagt haben, Herr Plaue, nicht. Das geht an der Realität vorbei. Sie wissen selbst, welchen Problemen auch Ihre Partei in der Vergangenheit in bestimmten Fragen auch im Zusammenhang mit der Flick-Affäre ausgesetzt war. Sie wissen selbst, was zurzeit in NordrheinWestfalen läuft. Wenn wir keine strukturellen Vorschläge machen, die wirklich tief greifend sind, werden wir nicht die Möglichkeit haben, den Menschen glaubhaft zu machen, dass diese Republik nicht käuflich ist. Denn das ist das eigentlich Verheerende an dieser Katastrophe.

Ich hätte es nie für möglich gehalten, dass - wie in Hessen - mit einer derartigen Form von krimineller Energie gezielt Geld verschoben wird. - Ich weiß, dass es den meisten Kollegen von der CDU genauso geht. - Dem muss ein Riegel vorgeschoben werden. Die bisherigen Mechanismen haben versagt. Ich meine, auch wir als Parteien sind gefordert, Vorschläge zu machen. Das müssen aber radikale Vorschläge sein, und es dürfen nicht solche allgemeinen Erklärungen, wie sie Herr Plaue heute auf den Tisch gebracht hat, sein.

(Plaue [SPD]: Erzählen Sie mal was über die Erblasser der PDS, Herr Kollege!)

Das Wort hat nun der Kollege Wulff.

(Unruhe – Glocke des Präsidenten)