Protocol of the Session on January 23, 2003

(Beifall bei der CDU)

Meine Damen und Herren, ich kann jetzt die Beratung schließen. Wir kommen zur Ausschussüberweisung - formal jedenfalls. Federführend soll sich der Ausschuss für Sozial- und Gesundheitswesen mit dem angesprochenen Thema befassen, mitberatend der Ausschuss für innere Verwaltung und der Ausschuss für Rechts- und Verfassungsfragen. Gibt es Widerspruch? - Das ist nicht der Fall. Dann ist so entschieden.

Ich rufe auf

Tagesordnungspunkt 37: Besprechung: Vorsorgender Bodenschutz in Niedersachsen und landwirtschaftliche Klärschlammausbringung - Große Anfrage der Fraktion der CDU - Drs. 14/3928 - Antwort der Landesregierung - Drs. 14/4120

Die schriftliche Antwort der Landesregierung liegt Ihnen vor. Das Wort hat der Kollege Hogrefe.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es geht um vorsorgenden Bodenschutz, und in dem Zusammenhang erinnere ich mich an den ersten Umweltminister in der Geschichte des Landes Niedersachsen, Dr. Werner Remmers. Ich bin stolz darauf, dass er unserer Partei angehört hat. Dr. Werner Remmers hat immer betont: Es gibt drei Umweltmedien - Wasser, Luft und Boden. Er hat immer gesagt: Der Boden ist das wichtigste Umweltmedium. Heute sagt der Wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung dazu: Der Boden ist vielfach zu wenig beachtet worden. Er ist ein kaum beachteter Naturschatz. - Meine Damen und Herren, das ist zutreffend. Wir haben viel erreicht bei der Reinhaltung der Luft, und wir haben viel getan zur Verbesserung der Gewässergüte. Aber die Böden in Deutschland, in Europa, in der ganzen Welt sind gefährdeter denn je. Dabei ist der Boden ein Zentralmedium mit Schnittstellen zu Luft und Wasser. Ich will das kurz erläutern.

(Frau Harms [GRÜNE]: Sind Sie zu uns übergelaufen, Herr Kollege?)

- Zu Ihnen komme ich gleich noch, liebe Kollegin. Sie sind ja Gärtnerin. - Böden speichern Kohlenstoff und Stickstoff. Sie können durch klimatische Schwankungen sogar klimaschädliche Gase wie Methan, Kohlenstoffdioxyd und Distickstoffoxyd, auch Lachgas genannt, in erheblichen Mengen freisetzen. All dies sind stark klimarelevante Gase.

Der Boden, natürlich nur ein gesunder Boden, ist die ganz entscheidende Lebensgrundlage der gesamten Flora und Fauna. Frau Harms, ich habe natürlich damit gerechnet, dass Sie sich äußern würden. Ich möchte Ihnen einen gesunden Boden aus der Nähe zeigen.

(Der Redner überreicht Frau Harms [GRÜNE] ein mit Erde gefülltes Glas - Frau Harms [GRÜNE]: Woher kommt die?)

Frau Harms, wenn Sie auf die Bodenoberfläche und hinter die Glasscheiben gucken, werden Sie beispielsweise Regenwurmröhrchen erkennen.

(Frau Harms [GRÜNE]: Das stimmt!)

Würden Sie das Glas ausschütten, würden Sie sicherlich bis zu 20 Regenwürmer unterschiedlicher Arten finden.

(Adam [SPD]: Beweisen!)

Sie wissen auch, dass zahlreiche andere Lebewesen in diesem Boden enthalten sind und dass erst die Gesamtheit der Lebewesen diesen Boden ausmacht.

Dieser Boden stammt von einer Fläche, die vor etwa 100 Jahren noch eine reine Heidefläche war. Dort fanden im Frühjahr Windverwehungen statt. Damals hat man gesagt, der Boden sei durch jahrhundertlange Übernutzung unfruchtbar geworden. Vier Generationen, in denen über Mistdüngung und vieles mehr sehr viel Humus in den Boden eingebracht wurde, haben genügt, um daraus wieder einen gesunden, fruchtbaren Boden zu machen, der heute, auch wegen der günstigen Grundwasserverhältnisse, Zuckerrüben und Weizen trägt.

Aber dieser Boden ist hoch fragil und leicht zu zerstören. Wenn Sie diesen Boden nur zehn Minuten mit Wasser schütteln, schwemmt der Humus es sind nur 3 % - aus, und es bleiben 97 % Sandkörner übrig, Sandkörner wie am Strand.

(Frau Harms [GRÜNE]: Schwarzer Sand!)

- Ganz genau. Frau Harms als Gärtnerin bestätigt das. - Diese 97 % für sich allein wären völlig unfruchtbar. Einen solchen Boden kann man aber nicht nur durch mutwilliges Schütteln mit Wasser, sondern auch durch Bewirtschaftung zerstören. Wenn Sie diesen Boden nur 12 bis 15 Jahre falsch bewirtschaften, haben Sie wieder den Zustand wie vor über 100 Jahren, nämlich einen devastierten, einen unfruchtbaren Boden. Ich wollte deshalb einmal an einem Objekt demonstrieren, wie wichtig es ist, dass wir mit unseren Böden, insbesondere mit bestimmten Böden, sorgsam umgehen.

Jetzt weg vom Einzelbeispiel: In Europa sind 23 % ehemals fruchtbarer Böden inzwischen durch Bodendegradation irreparabel geschädigt. Sie können nicht einmal durch vernünftige Bewirtschaftung wieder solche Erträge wie früher erbringen.

Ein weiteres großes Problem, das zurzeit in allen Fachzeitschriften diskutiert wird, ist die Bodenverdichtung. Hier entstehen Schäden, die nur in langen Zeiträumen und dann auch nur zum Teil wieder repariert werden können. Über die Wind- und Wassererosion weiß jeder in diesem Hause Bescheid. Dazu brauche ich wohl gar nichts zu sagen.

Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, bisher habe ich nur über sichtbare Schäden am Boden gesprochen. An einem Boden kann

aber auch viel passieren, was wir mit bloßem Auge gar nicht sehen. Das sind Veränderungen der Bodenmatrix und Veränderungen in der chemischen Zusammensetzung, die nicht einmal durch ein Mikroskop zu sehen sind.

Damit sind wir beim Thema: Welche Stoffe bringen wir in unsere Ackerböden ein? Mit dieser Frage sind wir beim Thema Düngemittel und landwirtschaftliche Verwertung von Klärschlamm. Die Bedeutung dieses Themas mögen Sie daran erkennen, dass das Umweltbundesamt - früher in Berlin, jetzt in Dessau - derzeit allein 25 Forschungsvorhaben zu dem Thema bearbeitet.

Alle Fachleute sind sich einig, dass die geltende Klärschlammverordnung längst nicht mehr tragbar ist. Die meisten Fachleute sind sich auch einig, dass der Kreislaufwirtschaftsgedanke, den Frau Griefahn hier vor fünf oder sechs Jahren noch vehement vertreten hat, beim Klärschlamm nicht mehr angebracht ist, denn es handelt sich hier um eine bewusste Schadstoffsenke. Da wird mit großem Aufwand und sehr teuer aus dem Abwasser das herausgenommen, was man den Flüssen nicht übergeben will, und dann bringt man es großflächig wieder in die Biosphäre ein. Für bestimmte Stoffe wie Phosphor ist das in Ordnung, aber leider enthält der Klärschlamm viele Substanzen, die eigentlich nicht wieder in diesen biologischen Kreislauf hinein dürfen. Von diesen Substanzen müssten nach Auskunft des Umweltbundesamtes eigentlich mindestens 50 - das sind nur die organischen Schadstoffe - ständig untersucht werden. Es werden aber nur zehn untersucht.

In der Bundesrepublik kennen wir über 100 000 synthetisch-organische Verbindungen. Aber nur für etwa 10 % gibt es toxikologische Daten. Das heißt zusammengefasst: Wirklich niemand weiß, wie viele dieser Verbindungen überhaupt in einem bestimmten Klärschlamm vorkommen.

Jetzt komme ich zu den Antworten der Landesregierung auf unsere Anfrage. Wir hatten z. B. gefragt, ob der Regierung bekannt ist, ob aufgrund menschlicher oder tierischer Ausscheidungen womöglich auch Arzneimittelrückstände im Klärschlamm vorkommen. Dazu sagt die Regierung: Untersuchungsergebnisse zur Arzneimittelkonzentration im Klärschlamm liegen bisher nicht vor.

Wir hatten weiter gefragt: Wie hoch ist der Gehalt an schädlichen Verbindungen in Klärschlämmen aus ländlichen Regionen Niedersachsens im Vergleich zu Wirtschaftsdüngern? Dazu sagt die Re

gierung: Vergleichende Untersuchungen im Bereich der organischen Schadstoffe sind für beide Substanzen nicht flächendeckend durchgeführt worden.

Herr Jüttner, wie kann die Landesregierung angesichts solcher Antworten überhaupt noch die weitere landbauliche Verwertung von Klärschlämmen propagieren?

(Zustimmung bei der CDU)

Das waren die organischen Schadstoffe. Wie sieht es bei den Schwermetallen aus? Der Antwort der Regierung und Veröffentlichungen des Umweltbundesamtes ist zu entnehmen, dass bei regelmäßiger jährlicher Klärschlammdüngung oder Kompostausbringung bei Sandböden innerhalb von zwei bis drei Generationen eine solche Schwermetallanreicherung stattfindet, dass die Vorsorgewerte der Bundesbodenschutzverordnung überschritten werden. Die Landesregierung sagt dazu nur: Denkbar wäre eine Absenkung der Grenzwerte um bis zu 40 % bei Kupfer und Zink. Die wissenschaftlichen Erkenntnisse des Umweltbundesamtes in diesen Bereichen hält sie für diskussionswürdig. Daraus können wir nicht entnehmen, was die Landesregierung nun eigentlich will. Will sie handeln, oder will sie nicht handeln?

Zum Kreislaufgedanken habe ich schon etwas gesagt. Auch dazu gibt es keine klare Auskunft. Gilt er noch, oder gilt er nicht mehr?

Meine Damen und Herren, auch zu der Frage, welche Düngewirkung Klärschlamm überhaupt hat, gibt die Landesregierung relativ unkonkrete Antworten. Auch zu dem Hinweis, dass man eigentlich wohl die Pflanzenverfügbarkeit der Nährstoffe, beispielsweise des Phosphors, wirklich angeben müsse, wie das bei allen Düngemitteln der Fall und gesetzlich vorgeschrieben ist, gibt es keine konkrete Antwort. Wir wissen nicht, ob man das umsetzen will. Bisher haben wir das nicht erfahren. Vielleicht sagt Herr Jüttner etwas dazu.

Meine Damen und Herren, im Vorwort zu unserer Anfrage haben wir darauf hingewiesen, dass bestimmte Flächen in Niedersachsen seit über 50 Jahren mit Abwasser und Klärschlamm gedüngt werden. Wir hätten uns gewünscht, dass einmal konkrete Ausführungen zu den Ergebnissen gemacht worden wären. Zum Beispiel:

Erstens. Wie sind die Vorteile der landwirtschaftlichen Verwertung, die durchaus vorhanden sind, zu gewichten?

Zweitens. Welche nachgewiesenen langfristigen Folgen treten auf?

Drittens. Welche Risiken bestehen bei bestimmten Böden und bestimmten Klimaverhältnissen?

Wenn man uns das nur einmal an zwei Beispielen konkret beschrieben hätte, wenn man das untersucht, gewichtet und bewertet hätte, hätte man eine Grundlage für verantwortliche politische Entscheidungen, die auch einfache Leute verstehen und die man draußen im Lande vertreten kann.

Aber, meine Damen und Herren, es geht absolut nicht an, dass, wie schon vor 14 Tagen geschehen, SPD-Landtagsabgeordnete ihren Lokalredaktionen Musterpresseerklärungen geben, in denen sozusagen stand: Beim Klärschlamm ist alles in Ordnung; das kann alles so weitergehen. – Meine Damen und Herren, so geht es wirklich nicht.

(Beifall bei der CDU)

Es gibt eine Lösung des Problems, wenn man dem Kreislaufgedanken folgt - das halten wir ebenso wie auch das Bundesumweltamt für sinnvoll -, indem man den Phosphor aus dem Klärschlamm herausholt und ihn wieder in den Kreislauf bringt. Auf diese Weise könnte man vier Fünftel des Phosphats, das in das Abwasser gelangt, sozusagen in den lebendigen Kreislauf zurückführen. Das wäre sehr sinnvoll. Schweden macht das. Wir wünschen uns, dass die Landesregierung hier fortfährt.

Meine Damen und Herren, das Resümée:

Erstens. Landwirtschaftliche Klärschlammverwertung ist möglich und zulässig.

Zweitens. Sie verlief in den letzten Jahrzehnten wirklich unproblematisch, aber die Schadstoffgehalte im Klärschlamm werden nicht ausreichend gemessen.

Drittens. Wir wissen zu wenig über die langfristige Wirkung im Hinblick auf die Bodengesundheit.

Viertens. Wir brauchen aus Vorsorgegründen eine neue Klärschlammverordnung mit abgesenkten Grenzwerten.

(Zustimmung bei den GRÜNEN)

Alle Beseitigungspflichtigen sind beim Klärschlamm gehalten, sich eine zweite Verwertungsschiene aufzubauen. Das sagen auch die Kommunen in Niedersachsen.

(Glocke des Präsidenten)

- Ich komme gleich zum Schluss. – Zusammengefasst als letzter Satz, meine Damen und Herren: Die Erde verfügt nur noch über wenige, bisher nicht genutzte potenziell landwirtschaftlich nutzbare Flächen. Praktisch alle fruchtbaren oder wenigstens extensiv nutzbaren Areale werden bereits bewirtschaftet. Bodenschutz ist deshalb wegen der Welternährungslage das Umweltthema Nummer eins. Ich würde mich freuen, Herr Jüttner, wenn Sie mir darin zustimmen würden.