Manchmal habe ich den Eindruck - bei aller Schwierigkeit der Probleme -, Sie fixieren sich zumindest verbal ausschließlich auf die Steigerung von Abiturientenquoten und vergessen dabei, dass es viele junge Menschen in unserem Schulwesen gibt, die förderbedürftig sind und um die man sich vielleicht einmal besonders kümmern muss, z. B. im Hauptschulbereich und auch in anderen Bereichen.
Dann zum Thema des tatsächlichen Unterrichtsausfalls, meine Damen und Herren. Es hat seinerzeit der Kreiselternrat des Landkreises Gifhorn - das ist ja Ihre Heimat, Frau Ministerin - auf der Basis einer an 28 Schulen durchgeführten Erhebung festgestellt, dass sage und schreibe 17 % der vorgesehenen Schulstunden ausfallen.
Über das Land hinweg gerechnet, heißt das: Pro Woche - und das ständig, meine Damen und Herren - fallen in Niedersachsen 250 000 Unterrichtsstunden aus. Auch das, finde ich, ist eine ganz blamable Bilanz, eine Schande.
Ich will einmal aus einem Brief zitieren, den ich erst vor ein paar Tagen bekommen habe und der die Verhältnisse an einer Grundschule in Hannover aus der Sicht besorgter Eltern beschreibt. Darin steht:
„Seit den Herbstferien hat kaum vernünftiger Mathe-, Deutsch- und Sachunterricht stattgefunden. Laut Aussagen der Rektorin liegt die Unterrichtsversorgung offiziell bei nur 86 %. In diesen 86 % sind allerdings viele Stunden enthalten, die man nur als Beschäftigungstherapie und Aufbewahrung bezeichnen kann. Mit Hilfe solcher Beschäftigungstherapien und Aufbewahrungen der Kinder lassen sich die Zahlen wunderbar frisieren.“
Das schreiben uns Eltern, meine Damen und Herren. Das hat sich nicht irgendeine Opposition ausgedacht. Das sind offenbar die wahrgenommenen tatsächlichen Verhältnisse.
Meine Damen und Herren, wir erwarten in den nächsten Jahren an den allgemein bildenden Schulen und insbesondere im berufsbildenden Bereich noch fast 30 000 zusätzliche Schülerinnen und Schüler. Für notwendige Strukturverbesserungen, wie Hochbegabtenförderung, mehr Naturwissenschaften, mehr Ganztagsschulen - alles hehre Ziele -, stehen noch ganze 300 Stellen im Haushalt. Ansonsten steht die SPD-Regierung mit leeren Händen da, ohne eine einzige zusätzliche Lehrerstelle für die Sicherung der Unterrichtsversorgung. Wenn ich ins SPD-Wahlprogramm gucke, sehe ich, dass man plötzlich auf die Idee kommt, eine Unterrichtsgarantie ankündigen zu wollen, und sagt: Wir werden die Ressourcen, die daraus entstehen, dass bis 2008 die Schülerzahlen zurückgehen, entsprechend einsetzen. Zu Deutsch: Sie wollen gar nichts machen, Sie warten auf Bevölkerungsschrumpfungen und meinen, dann wäre der
Bewusst Sand in die Augen gestreut hat die Landesregierung auch mit den 700 Einstellungen zum November letzten Jahres, um angesichts der maroden Unterrichtsversorgung zur besten Wahlkampfzeit, wie ich meine, noch einmal punkten zu wollen. Wir wissen, entgegen der Behauptung der Presseinformation des Niedersächsischen Kultusministeriums vom 31. Juli 2002 hat es keine 700 zusätzlichen Stellen gegeben. Sie haben lediglich auf bereits vorhandene, durch die Altersteilzeit gesperrten Lehrerstellen Einstellungen vorgenommen und werden - so Ihre mittelfristige Finanzplanung - die erforderlichen Finanzmittel zum 31. Juli 2004 wieder einkassieren. Vor der Wahl soll also die Fassade einer gesicherten und verbesserten Unterrichtsversorgung aufgebaut werden, und nach der Wahl wird dann wieder abgeräumt. So kennen wir das! Aber damit müssen Sie dann selber fertig werden. Am 2. Februar bekommt man für solche Verhaltensweisen möglicherweise auch die Quittung.
Meine Damen und Herren, wir stehen vor dem wahnsinnig großen Problem des wachsenden Lehrermangels, weil nicht genügend Lehrkräfte ausgebildet worden sind, obwohl absehbar war, dass in den nächsten Jahren über 40 % der Lehrkräfte in den Ruhestand gehen werden. Bereits heute kann jede fünfte Lehrerstelle nicht wie ausgeschrieben besetzt werden. Frau Ministerin, insbesondere Sie, aber auch Ihre politischen Freunde tragen dafür die Verantwortung, weil sich in den entscheidenden Jahren ab 1995 Abiturientinnen und Abiturienten nicht für den Lehrerberuf entschieden haben. Es ging nämlich um die Rahmenbedingungen: Das begann mit „faulen Säcken“, das hatte etwas mit Bezahlungs- und Stellenangeboten und auch mit Werbemaßnahmen zu tun. Erst in der letzten Zeit verbessern sich offenbar die Einschreibungszahlen, weil die jungen Leute merken, dass da eine Katastrophe im Anflug ist, und vielleicht auch interessante Stellen im Auge haben.
Dann kommt letztlich das ganz vernichtende Urteil der PISA-Studie, auch im Ländervergleich, womit SPD-Bildungspolitik im Bund wie auch in den Ländern abgeurteilt wird: Bei 14 untersuchten Bundesländern lag Niedersachsen in der Königsdisziplin, der Lesekompetenz, nur auf dem zehnten, im Bereich der mathematischen und naturwis
senschaftlichen Grundbildung sogar nur auf dem elften Platz. International liegt Niedersachsen bei der Lesekompetenz auf Platz 29 hinter Polen, aber allemal noch vor Lettland und Brasilien. Bayern liegt übrigens auf Platz 8. Meine Damen und Herren, fast 30 % unserer 15-Jährigen können gerade mal auf Grundschulniveau rechnen. Damit liegt Niedersachsen im Bund auf vorletzter Stelle. Die Braunschweiger Zeitung vom 27. Juni 2002 urteilt zu Recht:
Meine Damen und Herren, dann kommt der Knüller: Sie haben ein Schulgesetz vorgelegt, das niemand versteht und niemand wirklich will. Herr Kollege Wulf aus Oldenburg, ich empfehle allen den klugen und brandaktuellen Artikel aus der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom vergangenen Montag unter der folgenden Überschrift: „Das Sinnlose verstehen - Sigmar Gabriels Schulpolitik“. Es geht dort um den Etikettenschwindel und um die Förderstufe. Ich will Ihnen wenigstens das eine oder das andere Zitat zuteil werden lassen, weil Sie den Artikel in Gänze möglicherweise gar nicht aushalten. Ich zitiere:
„So funktioniert das also. Schüler ganz unterschiedlicher Leistungsstärke bekommen einen Unterricht an ganz unterschiedlichen Schulen, von dem der Gesetzgeber aber befindet, er sei gleichwertig, weshalb man die Kinder ihren Schulen auch zulosen oder per Bezirksfestlegung zuweisen kann.
Die Devise für das künftige private Bildungsglück in Niedersachsen lautet: Daumendrücken oder Umziehen.“
Dass wir das nicht mitmachen können, ist ja wohl klar. Ich zitiere weiter- so schließt der Artikel -:
„bildungspolitische Ideale durch, an die niemand anders mehr als man selbst glaubt. Man erfindet einfach
Das ist die Realität, das die Wahrheit Frau Ministerin, wie man Bildungspolitik in Niedersachsen beurteilt.
Herr Plaue, ich habe Ihnen das oft gesagt: Sie reklamieren jetzt doch Politik für die Wirklichkeit. Nehmen Sie doch zur Kenntnis, dass niemand die Förderstufe will. Nehmen Sie zur Kenntnis, was Sie in allen Podiumsdiskussionen und in den Veranstaltungen von Ihrer Basis gesagt bekommen, und finden Sie doch einmal ein Wort dazu, etwa so: Weg mit dieser Förderstufe. Wir haben uns geirrt. - Aber ich vermute, Sie werden diesen Schritt nicht mehr schaffen.
Meine Damen und Herren, die Regierung hat versucht, bei dem PISA-Desaster noch die Kurve zu kriegen. Die Tinte der Unterschrift unter dem neuen Schulgesetz war noch nicht trocken, da kam schon der nächste Knüller: Die Selbständige Schule ist das neue Leitbild. Damit wir uns nicht falsch verstehen, Herr Wernstedt: Eigenverantwortung und Selbständigkeit in den Schulen stärken - das sind gute Ideen, die gehören auch zu unseren Leitzielen. Aber alles bitte sehr der Reihe nach.
Immer mehr Aufgaben werden auf die Schulen übertragen. Sie streichen 10 % der Schulassistentenstellen. Sie lassen Schulleiterinnen und Schulleiter auf verlorenem Posten alleine. Mangelverwaltung wird von oben weggedrückt, und oben wird der schlanke Fuß gemacht. Das alles verstehen wir nicht unter Selbständiger Schule.
Es heißt dann: Leute, ihr seit ja selbständig. Ihr kümmert euch selbst um die Lehrer. Ihr dürft jetzt selbst entscheiden, wofür kein Geld da ist. - Das verstehen wir nicht unter selbständiger Schule.
Meine Damen und Herren, wir werden im Fall der Regierungsübernahme umgehend erste konkrete Schritte zur Stärkung der Eigenverantwortung an den Schulen machen, z. B. als vertrauensbildende Maßnahme die Präsenztage wieder aufheben. Die Schulen sollen in Eigenverantwortung regeln, dass Dienstbesprechungen, Lehrerfortbildungen, Kolle
giumsausflüge sowie die dienstliche Vorbereitung der jeweiligen Schulhalbjahre in der unterrichtsfreien Zeit erfolgen. Ich habe den Eindruck, das können die Schulen besser in Eigenverantwortung für sich selber regeln. Da brauchen sie keine Bevormundung aus Hannover, Frau Ministerin: Das können die alleine.
Ich sage Ihnen: All diese schwierigen Aufgaben können die Schulen nur bewältigen, wenn man sich als Gesellschaft hinter sie stellt, wenn man als Politik etwas macht, wenn man nicht von „faulen Säcken“ und all diesen Dingen redet, sondern wenn man sagt: Wir wollen eure Arbeit wertschätzen, wir wollen sie unterstützen, und wir wollen - wo es immer geht - die Erziehungsberufe positiv begleiten.
Ein paar Anmerkungen in aller Deutlichkeit. Wir wollen es im Lande Niedersachsen nicht länger hinnehmen, dass die Stundenpläne der Kinder löchrig sind wie ein Schweizer Käse.
Bei aller Beschönigung sind wir auch nicht bereit hinzunehmen, dass unsere Schülerinnen und Schüler ständig zu den PISA-Verlierern gehören und wir letztlich auf den Abstiegsplätzen der Bildungsbundesliga landen.
Wir müssen wieder heraus aus diesem Tal, wir wollen nicht Elfter sein, sondern wir wollen irgendwann Fünfter sein und irgendwann um den Spitzenplatz mitkämpfen. Dafür muss man politisch auch etwas tun und darf nicht alles schönreden.
Ich sage Ihnen genauso offen: Diesem ganzen Etikettenschwindel rund um die Förderstufe, dem Marsch ins Gesamtschulland werden wir ein Ende bereiten. Mit uns wird das nicht gehen.
Wir werden unmittelbar nach dem Wahltag die Weichen anders stellen: für ein begabungsgerechtes, wohnortnahes und durchlässiges Schulwesen in Niedersachsen.
Das beinhaltet z. B. die Förderung des Bildungsauftrages des Kindergartens und den Ausbau der Grundschulen als Bildungsfundament. Da haben Sie jahrelang versagt. Falls Sie jetzt noch versuchen, Frau Ministerin, etwas nachzubessern, dann werden wir das übernehmen, wenn Ihre Vorarbeiten gut sind. Das habe ich Ihnen gestern schon gesagt. Ansonsten machen wir das alles selbst.