Protocol of the Session on December 11, 2002

(Wulf (Oldenburg) [SPD]: Das haben wir schon längst realisiert!)

Sie entlässt diese Schulform auch aus der Verpflichtung, Empfehlungen für den weiteren Bildungsgang zu treffen. Wir dagegen definieren den Bildungsauftrag der Grundschule ausdrücklich: sprachliche Grundsicherheit in Wort und Schrift, eine aktive Lesefähigkeit, mathematische Grundfertigkeiten, die Begegnung mit der ersten Fremdsprache und den Umgang mit Informations- und Kommunikationstechniken.

Außerdem nehmen wir die Grundschule in die Pflicht, eine Empfehlung für die geeignete weiterführende Schulform zu geben, und wir stellen auch sicher - auch wenn Sie das völlig anders sehen -: Der Elternwille nach Klasse 4 ist frei, und die Eltern entscheiden in eigener Wahl über die geeignete Schulform für ihre Kinder.

(Wulf (Oldenburg) [SPD]: Und was ist mit Klasse 6?)

- Ich kenne ja Ihre Position. Ich weiß auch nicht, was daran verwerflich sein soll. Gucken Sie einmal in die Schulverfassungen in Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz oder Schleswig-Holstein. Das sind ja sozialdemokratisch geführte Länder. Die haben durchaus ähnliche Regelungen. Also akzeptiere ich nicht, dass uns da aus irgendeinem Grund irgendwelche Vorwürfe gemacht werden.

(Beifall bei der CDU)

Dritter Punkt, meine Damen und Herren. Die SPD setzt auf den Etikettenschwindel der Förderstufe, auf die alte Orientierungsstufe mit noch weniger Differenzierungsmöglichkeiten

(Wulf (Oldenburg) [SPD]: Noch mehr Förderung!)

- das sagen Sie; ich sehe das ganz anders - und ohne jegliche Chance einer schulformspezifischen Profilierung. Die Förderstufe der SPD ist kein inhaltlicher Bestandteil der weiterführenden Schulen, sondern ein Fremdkörper mit eigenem Kollegium und den Lehrplänen der alten Orientierungsstufe. Ich sage Ihnen hierzu wie auch schon heute Morgen: Das ist wiederum ein misslungener niedersächsischer Sonderweg, man kann auch sagen: eine Verschlimmbesserung. Mir wäre die O-Stufe alter Fassung im Grunde genommen noch erhaltenswert gegenüber dem, was Sie da letztlich vorhaben.

Unser Schulgesetz macht die Verhältnisse klar: Wir besiegeln die Abschaffung der Orientierungsstufe, wir verhindern die Einführung der SPDFörderstufe und damit vor allem auch - das wird damit offenbar von Ihnen bezweckt - die flächendeckende Umwandlung Niedersachsens zu einem Gesamtschulland. Mit uns jedenfalls nicht!

(Beifall bei der CDU)

Wir setzen ausdrücklich auf ein begabungsgerechtes, durchlässiges modernes Schulwesen mit profilierten Hauptschulen, Realschulen und Gymnasien ab Klasse 5.

Wir reden nicht nur über die Hauptschule, Herr Kollege, sondern wir wollen sie auch schulgesetzlich stärken: durch den Verweis auf die Stärkung von Grundfertigkeiten und Kulturtechniken, durch die ausdrückliche Berufsbezogenheit und durch die vorgeschriebene Zusammenarbeit mit der Berufsschule.

Wir stehen für ein Höchstmaß an Durchlässigkeit und damit dafür, dass Bildungsabschlüsse keine Bildungssackgassen sind. Alle weiterführenden Schulen ermöglichen alle Abschlüsse nach Klasse 10.

(Beifall bei der CDU)

Ich weiß ja, was Sie zur Durchlässigkeit sagen. Für uns heißt das: Durchlässigkeit wird auch über das berufsbildende Schulwesen sichergestellt, wenn die abgeschlossene Lehre dem Realschulabschluss entspricht und der Meisterbrief den Hochschulzugang sichert.

(Voigtländer [SPD]: Das haben wir jetzt schon!)

Wir wollen die Durchlässigkeit auch noch weiter verbessern, indem wir über die Versetzungsverordnung einen Rechtsanspruch auf den Wechsel

der Schulform bei entsprechenden schulischen Leistungen festschreiben. Die Schuljahrgänge 5 und 9 werden dabei als besondere Einfädelungsspuren ausgestaltet. Damit stellen wir uns auch dem Problem des früheren Beginns der zweiten Fremdsprache. Dieses Problem lösen Sie mit all Ihren Modellen bislang jedenfalls nicht.

Vierter Punkt. Die SPD steht für das Auslaufen selbständiger Hauptschulen und Realschulen, für das Ende des Erfolgsmodells Realschulland Niedersachsen

(Wulf (Oldenburg) [SPD]: Im Gegenteil!)

und für das Verschwinden selbständiger Gymnasien. Der Philologenverband hat Ihnen schon vorgerechnet - wir machen ähnliche Vorhaltungen -, dass das wahrscheinlich bis zu 100 Schulstandorte in Niedersachsen kostet. Sie haben den Vorhalt heute Morgen, dass hier ein Standortvernichtungsprogramm läuft, nicht aufgegriffen und nicht widerlegt, Frau Ministerin. Da liegen wir mit unserem Verdacht durchaus auf der richtigen Linie, dass man hier einen SchulstandortKonzentrationsprozess betreibt. Dazu kann ich Ihnen nur eindeutig sagen: Das machen wir jedenfalls nicht! Wir wollen Schulstandorte erhalten, und wir wollen noch weitere Angebote machen.

(Voigtländer [SPD]: Was ist das denn überhaupt „Schulstandort-Konzentra- tion“?)

Wir wollen zum Beispiel auch - das trauen Sie uns ja gar nicht zu - das gymnasiale Angebot im ländlichen Raum erleichtern, und wir wollen die Einrichtung von kleinen Gymnasien im ländlichen Raum auch ohne gymnasiale Oberstufe, die von der SPD bislang durch die Förderstufenverordnung verhindert werden. Wir haben da durchaus gesetzliche Möglichkeiten angelegt.

Fünftens. Die SPD - da will ich Sie auf Ihren Parteitagsbeschluss vom 2. März ansprechen - will jetzt ja auch gemäß Gesetz sehr stark auf kooperative und integrierte Schulformen setzen.

(Voigtländer [SPD]: Auch die Konse- quenz aus PISA!)

Der schulpolitische Parteitag fand bezeichnenderweise in solch einer Betonburg, einer IGS, statt. An keiner Stelle hat es auf Ihrem Parteitag, Herr Kollege - Sie waren möglicherweise dabei -, so

viel Beifall gegeben wie bei der Forderung nach einem Gesamtschulland Niedersachsen.

(Voigtländer [SPD]: Das wäre ja gut!)

- Ja, ja, das mögen Sie auch so meinen. Das wollen wir dann im Lande Niedersachsen auch politisch miteinander auskämpfen.

(Voigtländer [SPD]: Ihre ganzen Samtgemeinden wollen das doch!)

Wir tolerieren - das sage ich hier ausdrücklich bestehende Gesamtschulstandorte. Aber genauso sicher sage ich: Weitere Gesamtschulstandorte wird es mit uns in Niedersachsen nicht geben.

(Beifall bei der CDU)

Bundesländer, die im Gegensatz zu Niedersachsen im innerdeutschen PISA-Leistungsvergleich erfolgreich sind - wie Bayern, Baden-Württemberg, Sachsen und andere - und hervorragende Leistungen gerade auch beim Abbau von sozialen Unterschieden und bei der Förderung ausländischer Schülerinnen und Schüler gezeigt haben, haben zum Teil überhaupt keine Gesamtschulen. Also kommen Sie nicht damit, als wenn die Gesamtschule da die richtige Antwort wäre!

Wir jedenfalls stehen zu dem Wunsch der Schulträger, Hauptschulen und Realschulen organisatorisch zusammenzufassen. Das muss aber nicht bedeuten, dass daraus kleine Gesamtschulen werden. Das ist auch nach den bisherigen Konzeptionen durchaus möglich, und daran werden wir auch nicht rütteln.

Sechstens. Die SPD hat, wie ich meine, kein Konzept - das habe ich heute Morgen ebenfalls ausgeführt - für das Abitur nach zwölf Schuljahren.

(Voigtländer [SPD]: Wir haben eines! Sogar im Gesetz!)

- In Ihrem Gesetz ist das noch nicht einmal erwähnt, Herr Kollege!

(Voigtländer [SPD]: Sie können es sich ansehen!)

- Dann haben Sie es offenbar nicht gelesen. - Das Gleiche gilt für die überfällige Reform der gymnasialen Oberstufe. Sie haben einmal Vorschläge im Wege eines Runden Tisches gemacht; danach haben wir davon im Grunde nicht viel wieder gese

hen. „Verpasste Chancen“ möchte ich Ihnen in diesem Zusammenhang dazu sagen.

(Voigtländer [SPD]: Warum sprechen Sie eigentlich zur Sache nicht frei?)

Ob es Sachsen ist, Thüringen, das Saarland, Hamburg, Baden-Württemberg, Mecklenburg-Vorpommern oder Sachsen-Anhalt - alle gehen den Weg des Abiturs nach zwölf Jahren und bieten einen entsprechenden gymnasialen Bildungsgang an. Insofern meine ich: Dem können wir uns guten Gewissens anschließen. Das sollten Sie sich ebenfalls endlich angewöhnen. Die Grünen müssen in dieser Frage ohnehin noch lernen, weil sie auf die Frage „Abi nach zwölf Jahren“ offenbar nur restriktive Antworten haben oder sich mit dieser Frage überhaupt nicht beschäftigen.

(Wernstedt [SPD]: Nach wie viel Jah- ren haben Sie denn Abitur gemacht?)

Auch für die gymnasiale Oberstufe gilt jedenfalls: Es muss eine vertiefte Allgemeinbildung in Kernfächern gestaltet werden mit individueller Profilierung und fächerübergreifendem, selbstständigem und projektorientiertem Lernen. Man kann es verkürzt auch so ausdrücken: Es soll die Möglichkeit der Abwahl von Fächern insbesondere an der gymnasialen Oberstufe durchaus eingeschränkt werden. Das macht auch Sinn.

Wir machen mit einem solchen Schulgesetzentwurf vielleicht nicht alles anders, aber wir machen damit vieles besser. Es ist weiß Gott Reformbedarf genug vorhanden.

(Zustimmung bei der CDU - Voigt- länder [SPD]: Sie machen gar nichts!)

- Sie können das ja gleich alles erzählen.

Wir wissen, dass mit der notwendigen Strukturreform die inhaltliche Reform des Schulwesens einhergehen muss: die Vorbereitung auf lebenslanges Lernen, ein solides Wissensfundament, ein modernes Fremdsprachenkonzept, informationstechnische Grundbildung, Wirtschaftslehre sowie die Stärkung des mathematisch-naturwissenschaftlichen Unterrichts. Dafür setzen wir mit unserem Gesetz durchaus vernünftige und die richtigen Rahmenbedingungen.

Nun mag ja nicht alles perfekt sein, auch nicht unser Gesetzentwurf. Aber das Bessere ist immer der Feind des Guten, meine Damen und Herren. Das, was wir bei Ihrem Gesetzgebungsverfahren

im Frühling erlebt haben, war für mich ein so undemokratischer, peinlicher Vorgang, dass wir das eigentlich nicht noch einmal erleben möchten.