Protocol of the Session on December 11, 2002

im Frühling erlebt haben, war für mich ein so undemokratischer, peinlicher Vorgang, dass wir das eigentlich nicht noch einmal erleben möchten.

(Beifall bei der CDU)

Deswegen haben wir unseren Gesetzentwurf erst vor einigen Tagen vorgelegt.

(Voigtländer [SPD]: Und dann die Gesetzesberatung zwischen Weih- nachten und Neujahr, Herr Buse- mann?)

Sie kennen ihn mittlerweile ebenfalls. Jeder kann ihn sich aus dem Internet herunterladen. Wir haben ihn den Verbänden und anderen geschickt. Jeder soll uns Ratschläge geben. Wir wollen das Gesetz miteinander optimieren. Hierzu wird ab dem 3. Februar 2003 ein würdiges Gesetzgebungsverfahren in Gang gesetzt, Herr Kollege,

(Voigtländer [SPD]: Ach so!)

und nicht, wie wir es im Frühling erlebt haben, ein Entwurf parlamentarisch durchgedrückt.

Wir haben bereits die ersten Stellungnahmen erhalten. Es freut einen denn doch, wenn von fachkundiger berufener Seite

(Voigtländer [SPD]: Fachkunde ist gut!)

schon die ersten Komplimente eingetroffen sind. Was uns von der Vereinigung der Handwerkskammern in Niedersachsen - die wollen Sie ja auch gern als Partner gewinnen; das gelingt Ihnen nur nicht - gesagt wird, möchte ich nur kurz vortragen. Ich möchte nur eine oder zwei Passagen zitieren. Die sagen, dass der Entwurf durchweg positiv bewertet wird. „Es werden deutliche Zielmarkierungen für einen konsequenten Kurswechsel gesteckt.“ Und dann noch drei Kernsätze:

„Die Einführung eines begabungsgerechten Schulwesens mit profilierten Hauptschulen, Realschulen und Gymnasien beginnend ab Klasse 5 wird von uns“

- dem Handwerk

„begrüßt. Die Weiterentwicklung des Bildungsauftrags insbesondere für die Grundschule und die Hauptschule wird von uns positiv beurteilt. Daher

unterstützen wir selbstverständlich die von der CDU vorgelegten Pläne, die als kooperative Gesamtschule ohne Gymnasialzweig geplante kooperative Haupt- und Realschule zu streichen.“

Das ist das niedersächsische Handwerk! Damit sollten Sie sich einmal auseinander setzen. Dazu bekommen Sie auch noch Gelegenheit.

(Möllring [CDU]: Die brauchen Ruhe in der Schule! Nicht, dass sich dort ir- gendwelche Pädagogen austoben!)

Wir jedenfalls werden nach dem Februar das Gesetz entsprechend weiter beraten. Wir werden es vielleicht optimieren. Es wird noch vor der Sommerpause beschlossen werden, damit die Schulträger die Weichenstellung schon ab Mitte 2003 vornehmen können.

(Beifall bei der CDU)

Erfreulich ist - das hätten Sie in Ihrer Situation vielleicht auch gern -, dass wir, wenn wir die Freien Demokraten als Koalitionspartner gewinnen, auch in der Bildungspolitik einen verlässlichen Partner haben werden.

(Voigtländer [SPD]: Herr Möllemann wird es schon richten!)

Da gibt es beinahe Deckungsgleichheit in der schulpolitischen Vorstellung. Das macht in dieser Frage allemal Koalitionsverhandlungen recht einfach und das Regieren dann auch. Was bei Ihnen zwischen Rot und Grün möglicherweise an Streit entsteht, habe ich Ihnen ja bereits heute Morgen erzählt. Aber Sie werden auch gar nicht in eine solche Situation kommen. Das mag Sie dann auch ein bisschen entspannt sitzen lassen.

(Beifall bei der CDU)

Es ist ja hochinteressant, wenn man - auch heute Morgen wurden da Vorstellungen angedeutet - auf der Seite der Grünen noch von der sechsjährigen Grundschule schwärmt. Vor ein paar Tagen bin ich mit Ihrer Landesvorsitzenden zusammengetroffen. Da kommen dann auch noch Dinge wie „Schule ohne Sitzenbleiben“ oder „Schule ohne Zensuren“ und „Die Schülerinnen und Schüler möglichst lange zusammen lassen“. Dazu kann ich nur sagen: Das wird schon reichlich spannend, wenn Sie einmal irgendetwas miteinander aushecken müssten. Aber davor wollen wir unsere Schülerinnen und

Schüler bewahren, weil wir, wie ich glaube, ein vernünftiges Gesamtkonzept haben.

Nun wird es ja gleich wieder heißen - ich höre das schon -: Warum kommen die erst jetzt mit einem solchen Gesetzentwurf? - Wenn ich gewusst hätte, dass Sie unserem Gesetzentwurf zustimmen wollten, dann hätten wir ihn im Frühling vorgelegt.

(Heiterkeit und Beifall bei der CDU)

Da das nun aber möglicherweise ein bisschen anders wird, sage ich: Wir stellen es jetzt Ihnen, dem Parlament, und der Öffentlichkeit vor. Dann erinnern Sie sich einmal an das Jahr 1990; da gab es ja interessante Ereignisse. Das hat ja in Niedersachsen vielleicht eine gewisse Tradition. Als die SPD sechs Wochen vor der Landtagswahl 1990 den Entwurf eines Kindertagesstättengesetzes vorlegte, sprach der Abgeordnete Kirschner von Ihrer Fraktion damals davon, dass dies nicht Wahlkampf sei, sondern eine Selbstverpflichtung der SPD für die kommende Legislaturperiode. Sie hatten damals 100 % versprochen. Die Wählerinnen und Wähler haben 20 % bekommen.

Was uns angeht, möchte ich Ihnen sagen - das ist der Unterschied zu 1990 -: Es gibt jetzt zwar einen Regierungswechsel, aber wir versprechen 100 % und liefern auch 100 %. - Danke schön.

(Lebhafter Beifall bei der CDU)

Der Antrag der Fraktion der Grünen wird jetzt von Frau Kollegin Litfin eingebracht. Bitte schön!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Busemann hat hier behauptet, die SPD habe kein Konzept. Ich denke, das Problem ist eher, dass die Regierung zu viele Konzepte im Schulbereich hat

(Busemann [CDU]: So kann man es auch ausdrücken!)

und dass diese Konzepte nicht zueinander passen wollen, sondern dass sie teilweise einander widersprechen

(Zuruf von der CDU: Sie ist konzept- los!)

und dass in den Schulen eher der Eindruck von Chaos entstanden ist, in dem man sich nur noch schlecht oder gar nicht orientieren kann.

Das Schlimme ist, dass die Konzepte entweder nicht ernst gemeint sind oder nicht verstanden werden. Ich kann es mir nicht anders erklären, wenn die Frau Kultusministerin die selbständige Schule - die sehr, sehr gut ist - hoch hält und uns allen in der letzten Landtagssitzung erzählt, die Grundschule in Hude habe ein wunderbares Förderkonzept und eine wunderbare Förderstruktur;

(Zuruf von der SPD: Hat sie auch!)

diese Struktur werde sie, die Kultusministerin, allen anderen Grundschulen zunächst empfehlen; wenn die sie nicht freiwillig übernähmen, würde sie sie ihnen verordnen. Wo bleibt da die Selbstständigkeit? Entweder ist das Konzept nicht verstanden worden - das wäre sehr, sehr unangenehm -, oder es ist nicht ernst gemeint, und das ist, glaube ich, noch unangenehmer.

Ich will versuchen, Ihnen kurz und knapp unseren Antrag zu erläutern. Ich meine, wir haben lange genug miteinander, gegeneinander, aneinander vorbei über PISA geredet.

(Voigtländer [SPD] - zur CDU -: Die haben gar nichts über PISA geredet! Die haben gar nichts verstanden! We- der gelesen noch verstanden!)

Wir können nicht umhin, uns bewusst zu werden, dass PISA festgestellt hat, dass in den Ländern, in denen Kinder relativ lange gemeinsam gefördert werden, die Leistungsergebnisse dieser Kinder, wenn sie denn Jugendliche und 15 Jahre alt sind, wesentlich besser sind als bei uns in der Bundesrepublik Deutschland. Die Wissenschaftler haben uns auch erklärt, warum das geschieht. Sie haben uns ins Stammbuch geschrieben, dass unsere Schulen keine fördernden Schulen sind, dass sich der Unterricht ändern muss, dass er individueller auf jedes einzelne Kind und seine Bedürfnisse eingehen muss.

Zu Busemanns Kritik, wir wollten das Sitzenbleiben abschaffen: Das möchte ich gern. Ich würde gerne das Sitzenbleiben abschaffen. Professor Baumert, auch der „deutsche PISA-Papst“ genannt,

(Voigtländer [SPD] - zur CDU -: Den kennen sie aber nicht!)

ein Mensch, der wirklich etwas von seinem Fach versteht, hat dazu gesagt, Sitzenbleiben sei das offene Eingeständnis nicht erkannten Förderbedarfs.

Das leisten sich andere Länder, deren 15-Jährige dann viel bessere Leistungen erbringen als unsere 15-Jährigen, schon lange nicht mehr. Sie erkennen den Förderbedarf, und sie können auf Sitzenbleiben verzichten. Auch bei uns ist ja festgestellt worden, dass Sitzenbleiben nicht weiterhilft, sondern dass das sitzen gebliebene Kind, der sitzen gebliebene Jugendliche nach wie vor im unteren Leistungsbereich auch der neuen Klasse herumdümpelt, weil nicht ausreichend gefördert wird.

Wir wollen den Beispielen folgen, die uns andere Länder geben. Aber wir sind auch vernünftig. Ich habe in der letzten Sitzung gesagt, die Haushalte des Landes Niedersachsen für die nächsten Jahre haben keine Haushaltslöcher, sondern sie sind ein einziges Loch. Das heißt, wir müssen sehen, wie wir möglichst effektiv und effizient ein Schulwesen organisieren, durch das wir unsere Kinder und Jugendlichen maximal fördern können.

Deshalb schlagen wir dem Landtag heute vor, dass Schulverbünde gegründet werden, in denen sich jeweils bis zu vier Grundschulen mit einer Orientierungsstufe zusammentun und dafür sorgen, dass die Kinder, die diese Schulen besuchen, sechs Jahre lang miteinander durch eine pädagogische Hand nach einem pädagogischen Konzept gefördert werden, damit sie sich adäquat entwickeln können.

Dieses Modell hat den Vorteil, dass die Schulträger nicht neu bauen müssen, nicht anbauen müssen; denn vorhandene Räume können weiterhin genutzt werden. Dieses Modell hat den Vorteil, dass - so sage ich - der Zwang zur Zusammenarbeit von Grundschule und jetziger Orientierungsstufe, die von mir aus auch Förderstufe heißen kann - das ist mir ganz egal -, ganz unmittelbar besteht, weil es quasi eine Schule ist, die mit diesen Kindern sechs Jahre lang arbeitet.

Dieses Modell hat den Vorteil, dass Sie uns Grünen nicht mehr vorwerfen können, in unserer sechsjährigen Grundschule sei der Fachlehrer- und Fachlehrerinnenbedarf nicht zu decken. Denn die benötigten Fachlehrer und Fachlehrerinnen haben wir an der jeweiligen Orientierungsstufe. Wir haben so die Möglichkeit, sie schon vorher, also in den ersten vier Bildungsjahren der Kinder, in den Grundschulen einzusetzen.

Wir hätten mit diesem Modell auch das Problem der fehlenden Englischlehrer- und -lehrerinnen an den Grundschulen gelöst. Da haben wir immer noch ein gigantisches Problem. Die Landesregierung hat zwar ad hoc Englisch ab Klasse 3 eingeführt. Das ist eine gute Maßnahme. Die würden wir auch unterstützen wollen. Aber sie hat das Fachlehrer- und Fachlehrerinnenproblem nicht gelöst, sodass Englisch fachfremd unterrichtet werden muss, was relativ misslich ist, weil an dieser Stelle gerade beim Lernen einer Fremdsprache Didaktik sehr, sehr wichtig ist. Die fehlt dann in der Grundschule. Viele Orientierungsstufenlehrer und -lehrerinnen erzählen uns, dass sie das, was die Kinder in der Grundschule nicht strukturiert gelernt haben, zunächst einmal wieder beseitigen müssen, um für die Kinder Struktur in die Fremdsprache zu bringen. Auch das können wir uns nicht leisten. Es ist aus meiner Sicht aus dem Fenster geworfenes Geld und vertane Bildungszeit der Kinder.

Wir sehen in einem weiteren Punkt in unserem Antrag vor, dass die Landesregierung aufgefordert werden soll, auf die Profilklassen, die sie bilden will und in denen Kinder in zwölf Jahren das Abitur ablegen sollen, zu verzichten. Das ist ein sehr, sehr teures Modell. Wir werden nicht allzu viele Kinder oder Jugendliche haben, die in diese Klassen gehen. Das heißt, die Anzahl der Klassen an den Gymnasien wird sich erhöhen. Wir werden für diesen „Sonderzug“ zusätzliche Lehrkräfte brauchen. Es ist vorprogrammiert, dass wie in anderen Bundesländern, die so etwas schon ausprobiert haben, ein Großteil der Schüler und Schülerinnen nach einem halben Jahr oder nach einem Jahr wieder in den normalen Zug im Gymnasien zurückwechselt und wir nur relativ wenig Schüler und Schülerinnen in dem „Schnellzug“ übrig behalten.