„Es sind geschlossene Einrichtungen mit geschlossenen Plätzen in einer offenen Anstalt wie dem Birkenhof.“
Dadurch wird doch deutlich, dass Sie geschlossene Anstalten wollen. Ich kann mich auch nicht des Eindrucks erwehren - wie das Frau Janssen-Kucz hier vorgetragen hat -, dass es in Richtung Kinderknast geht. Das wollen wir nicht, meine Damen und Herren!
- Herr Gabriel hat heute sehr deutlich vorgetragen, dass wir für die wenigen Fälle, in denen es notwendig ist, eine Inobhutnahme haben bzw., wenn es erforderlich ist, in einem solchen Heim - wie es vorgetragen wurde - mit einem guten therapeutischen und pädagogischen Förderplan. Er hat auch vorgetragen, dass wir, wenn wir in Niedersachsen den Bedarf an solchen Plätzen haben, diese dann auch vorhalten werden. Wir werden aber so lange andere Plätze belegen - wenn es überhaupt notwendig ist -, solange sie frei sind. Wir liegen da völlig auf einer Linie. Es wird Ihnen nicht gelingen, uns auseinander zu dividieren.
Meine Damen und Herren, ich möchte Ihnen noch vortragen, was die Deutsche Vereinigung für Jugendgerichte und Jugendgerichtshilfe, Landesgruppe Niedersachsen, dazu vorträgt:
„Die wohlfeile Forderung nach härteren Strafen ist Ausdruck der Ratlosigkeit, fehlenden Wissens über Ursachen und Verlauf von Jugendkriminalität und insbesondere irriger Vorstellungen über die Wirkung strafrechtlicher Sanktionen. Strafen, je formeller und schärfer sie sind, insbesondere freiheitsentziehende Sanktionen wie der geforderte Arrest, erhöhen das Risiko einer erneuten Straf
Herr Wulff, das ist ein Beispiel dafür, dass Sie in die völlig falsche Richtung laufen. Alle Fachleute haben - auch in der Expertenanhörung - gesagt, dass Großeinrichtungen oder Einrichtungen, in denen man viele Kinder unter einem Dach betreut, der falsche Weg sind. Wir sind für kurzfristige Inobhutnahme in eine geschlossene Einrichtung mit guter therapeutischer Betreuung, aber nur wenn es notwendig ist.
Meine Damen und Herren, ich möchte darauf zurückkommen: Was passiert eigentlich, bevor der erste Ladendiebstahl, die erste massive Gewalt, der erste Vandalismus festgestellt wird? Was passiert, bevor sieben-, acht- oder neunjährige Kinder dabei ertappt werden? - Darum geht es doch. Es geht doch nicht darum, dass wir über das Ende einer solchen Entwicklung diskutieren, wenn möglicherweise eine Heimeinweisung nötig ist, sondern wir müssen über die Entwicklung unserer Kinder reden. Wir müssen darüber reden, was man tun kann, damit solche negativen Entwicklungen überhaupt nicht eintreten.
Da stelle ich fest: Diese Landesregierung hat in den letzten Jahren sehr viel auf den Weg gebracht. Sie hat sehr viele Initiativen und Aktivität entwickelt, um die Erziehungskompetenz zu stärken, um Gewaltprävention voranzutreiben und um die Situation der Familien zu verbessern.
Herr Gabriel hat Ihnen heute Morgen gesagt, er könnte drei DIN-A 4-Seiten, einzeilig bedruckt, eng beschrieben und ohne Rand vorlesen. Ich mache nur einen kleinen Ausschnitt dieser Bilanz, weil ich zu wenig Zeit habe, um alles vorzutragen. Es gibt
über 130 Präventionsräte, initiiert durch die Landesregierung; diverse Gewaltpräventionsprojekte im ganzen Land; PRINT-Programm, das Präventions- und Integrationsprogramm, 77 Stellen im ganzen Land; Impulsprogramme zur Gewaltprävention; 1 700 Beratungslehrer an den Schulen, die das Feld beackern; Konfliktlotsen an den Schulen; Schulpartnerschaften mit der örtlichen Polizei; Schule und Jugendhilfe arbeiten verstärkt zusammen; Hilfen für Erziehungsberatungsstellen und Suchtberatungsstellen vom Land; Ausbildung der Erzieherinnen mit Schwerpunkt der Gewaltprä
vention; 140 Millionen Euro zur Unterstützung der Kindergärten, zur Unterstützung von Bildung und Erziehung für die Kleinsten; 90 Millionen Euro für die Heimerziehung; das Bündnis für ein Leben mit Kindern in Niedersachsen, die „Aktion Niedersachsen – Kinderland“; die Moderatorenausbildung zur Erhöhung der Erziehungskompetenz und, meine Damen und Herren, vieles mehr.
Zum Schluss möchte ich noch deutlich machen: Wir können über das alles diskutieren. Diese vielen staatlichen Maßnahmen - ob vom Land, vom Bund oder von der Kommune initiiert - sind notwendig; keine Frage. Aber am Schluss bleibt immer noch die Feststellung: Die erste Erziehungs- und Sozialisationsinstanz ist die Familie.
Alle Kinder haben Eltern. Eltern haben dafür zu sorgen, dass ihre Kinder mit Liebe, Fürsorge und Zärtlichkeit, aber auch mit Konsequenz erzogen werden, dass Werte und Normen vermittelt werden, dass Sitten und Kultur vermittelt werden und vieles andere mehr. Wir müssen den Eltern helfen, die Schwierigkeiten haben, diese Aufgabe zu meistern. Aber wir müssen auch an sie appellieren: Liebe Eltern, verstärkt eure Erziehungsbemühungen, damit es nicht zu solchen Entwicklungen kommt! - Danke schön.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist nicht das erste Mal, dass wir in diesem Landtag über Kriminalität von Kindern und Jugendlichen diskutieren. Es ist auch nicht das erste Mal, dass der Stil einer solchen Debatte durch eine öffentliche Diskussion provoziert worden ist, an der Politiker beider großen Parteien beteiligt waren. Ich möchte auf Diskussionen vor der letzten Bundestagswahl im Jahr 1997 zurückgreifen.
Im beginnenden Bundestagswahlkampf 1998 hat mein Kollege Thomas Schröder zu diesem Thema im Landtag gesprochen:
„Kriminalitätsfurcht lässt sich herbeireden. Jede neue Diskussion im Bundestag, jeder neue Gesetzesvorschlag
treibt sie voran und bietet zugleich Anlass für den nächsten. Für die Forderung der Exponenten des starken Staates gibt es nämlich keine Sättigungsgrenze.“
Genau das erleben wir heute wieder. Das, was Thomas Schröder damals gesagt hat, stammt nicht von ihm, sondern von Henning Scherff, der sich in Bremen sehr intensiv mit solchen Problemen befasst hat.
Als wir 1998 in den Wahlkampf eingestiegen sind, hat Herr Pfeiffer, der damals noch beim Kriminologischen Institut war, gesagt: Derzeit meinten manche, einander in der Rolle als Sheriff der Nation überbieten zu müssen. Über Jugendkriminalität werde eine hysterische Wahlkampfdebatte geführt, die wichtige Erkenntnisse ignoriere. Was etliche Politiker veranstalteten, sei unerhört. Geschlossene Heime seien kein Mittel zur Bekämpfung der Jugendkriminalität.
Zur selben Zeit forderte der damalige bayerische Justizminister, dass die Crashkids Dennis und Mehmet häufiger Gitterluft schnuppern müssten. Dagegen der Stuttgarter Polizeipräsident Volker Haas: Die Leute alle einsperren, das ist so ziemlich das Dümmste. - Unser damaliger Justizminister Weber - nur um zu zeigen, wie das zwischen den Volksparteien hin und her geht - sagte: Vor 20 Jahren ist die geschlossene Heimunterbringung aus fachlich guten Gründen abgelehnt worden. Und die Argumente von damals gelten zum großen Teil heute auch noch. - Wenige Tage später sagte der damalige Kanzlerkandidat Gerhard Schröder: Im Streit über geschlossene Heime für kriminelle Jugendliche hat sich die SPD für einen härteren Kurs gegen jugendliche Täter ausgesprochen. Ihre Verbrechen seien so massiv, dass man auf geschlossene Heime nicht verzichten könne. - Der HAZ-Kommentar dazu lautete damals:
„All dies nährt den Verdacht, dass es Schröder bei seinem in der Sache späten, aber nach allen Wahlkampfregeln rechtzeitigen Schwenk mehr ums punkten im Wahljahr geht als um Kriminalitätsprävention bei Kindern.“
Meine Fraktion unterstützt das, was Gitta Trauernicht heute in der Sache zur Prävention vorgetragen hat. Wir sehen aber mit Sorge, dass sich der Ministerpräsident, wenn Christian Wulff und die CDU ins Rohr stoßen und die Debatte wieder aufheizen, mehr um die Stammtische als um die schwierigen Kinder bemüht.
Das Muster, das ewig wiederholt wird, trägt dazu bei, dass wir für eine aufgeklärte Politik im Umgang mit schwierigen Kindern keine wirkliche Zustimmung finden. Es gibt scheinbar so etwas wie eine gefühlte Kriminalität. Dazu, dass es diese Kategorie gibt, tragen Politiker, die reißerisch diskutieren, sehr bei.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte auf ein paar Dinge eingehen. Frau Harms und Frau Janssen-Kucz, ich glaube, wir tun uns keinen Gefallen, wenn wir vor dem Hintergrund der Tatsache, dass es einige wenige Kinder gibt, die sehr gewalttätige Straftaten begehen, so tun, als sei es in Ordnung, wenn die 29 Straftaten begehen können, bevor das zuständige Jugendamt endlich aktiv wird. Das geht so nicht!
Ich bin der Letzte, und zwar auch von meiner Ausbildung, meinem Lebensweg und von dem her, was ich in der außerschulischen Jugendarbeit über 15 Jahre ehrenamtlich gemacht habe, der sich nicht um Kinder und Jugendliche kümmern will, und zwar anders als durch Knäste und Inobhutnahmen. Ich finde es zwar schlimm, wie der Kollege Wulff den Eindruck erweckt,
Einzelfälle gibt, bei denen die geschlossene Heimunterbringung die einzige Möglichkeit ist, in einer befristeten Zeit das Kind wieder zur Ruhe zu bringen, ihm Ansprechpartner zu geben, ihn vor den prügelnden Eltern zu schützen, ihn in ein anderes Lebensumfeld zu bringen, bin ich seiner Meinung. Das ist so. Ich bin der festen Überzeugung, dass es diese Einzelfälle gibt, die man auch als Einzelfälle behandeln muss. Der Fehler der Politik ist, dass wir über die Kinder und über die Jugendlichen reden. Das werden Sie bei mir nicht erleben.
Wissen Sie, was das Problem beim Fall „Artur“ ist, der 29 Straftaten begangen hat? - Das Problem ist, dass wir erst bei der 29. Straftat anfangen, über die geschlossene Heimunterbringung zu reden.
- Ich habe Ihnen gut zugehört. Ich bin sehr an der Sache interessiert. Lassen Sie mich einmal ausreden. - Es geht darum, dass wir bei der ersten Straftat, spätestens aber nach einer Reihe von Straftaten, überlegen müssen, welche Instrumente wir über die Jugendgerichte und über die örtlichen Jugendbehörden haben, dort einzugreifen. Hierbei gibt es nicht nur die Maßnahmen Inobhutnahme und Heim. Eine Vielzahl von Maßnahmen ist vorher möglich. Wenn ich das aber ignoriere, wenn es mir egal ist, was die Polizei dazu sagt, wenn ich Zustände habe, dass der Polizei durch die Sozialarbeiter der Zutritt zu einem Jugendzentrum verboten wird, dann ist es auch die Aufgabe des Ministerpräsidenten dieses Landes, zu sagen: So geht das nicht!