Protocol of the Session on April 25, 2002

Wenn wir es gemeinsam erreichen, uns darauf zu verständigen, dass wir diese Mittel künftig nicht zur Verfügung haben werden, um die sozialen Verwerfungen in Gesellschaft und Wirtschaft zu lösen, dann haben wir wohl die Ausgangslage, um uns wirklich den Problemen, die für alle offensichtlich sind, zu widmen.

Meine Damen und Herren, die Abgeordnete Schröder von der CDU-Fraktion hat in der Plenarsitzung am 14. März eine Anfrage zur mündlichen Beantwortung gestellt. Auf diese mündliche Anfrage hat sie von der Landesregierung u. a. folgende Antwort erhalten:

„Zu den Aufgaben der örtlichen Träger der Sozialhilfe gehört auch die Hilfe zur Arbeit, die nicht nur in den in der Anfrage genannten Kommunen, sondern auch in anderen Städten und Landkreisen mit hohem Engagement wahrgenommen wird. Wenn in der Anfrage die Organisation zur Erledigung dieser Aufgabe als Modell bezeichnet wird, vermittelt dies den Eindruck, dass hier einzelne Kommunen Modelle entwickelt hätten, die von anderen übernommen werden. Das ist aber ersichtlich nicht der Fall; tatsächlich hat jeder örtliche Träger gewissermaßen sein eigenes Modell, das sich von den anderen mehr oder weniger unterscheidet. Diese Vielfalt ist letztlich auch ein Grund dafür, dass ein aussagekräftiger Vergleich der Erfolge dieser Maßnahmen kaum möglich ist. Auch die amtliche Sozialhilfestatistik ist nur bedingt dafür geeignet, Aussagen über die Effizienz zu untermauern.“

Meine Damen und Herren, worüber sprechen wir hier? - Wir sprechen hier über Arbeitslosigkeit und sich daraus später ergebende Sozialhilfebedürftigkeit. Wenn dies, wie es die Landesregierung in ihrer Antwort, die ich soeben zitiert habe, selbst ausführt, die wichtigste sozialpolitische Aufgabe überhaupt ist und deren Wahrnehmung nach Aussagen von führenden DGB-Vertretern etwa 80 bis 85 Milliarden Euro jährlich erfordert, dann ist die Aussage der Landesregierung, dass sie eigentlich gar keine Basiszahlen hat, schon recht ernüchternd.

Ich frage Sie: Nach welchen Kriterien betreiben Sie eigentlich Politik? - Wenn Sie nur begrenzte Ressourcen haben, müssen Sie Schwerpunkte setzen. Ich würde darunter verstehen, dass man sich dann erst den dringendsten Aufgaben und Fragen zuwendet, die in unserer Gesellschaft die größten Probleme bereiten. Man kann es natürlich auch so machen, dass man sich zuerst den Aufgaben widmet, die die größten Schlagzeilen bringen.

(Watermann [SPD]: Das ist das Sys- tem Wulff!)

Es ist sicherlich richtig, dass es im Sozialhaushalt, im gesamten Landeshaushalt viele Ansätze gibt, die, wenn man sie isoliert sieht, sicherlich Gutes bringen. Jeder Integrationskurs, jeder Kurs, in dem Menschen wieder darauf vorbereitet werden, auf dem Arbeitsmarkt tätig sein zu können, ist sicherlich gut und richtig und im Einzelfall auch sehr wichtig, weil er Glück für Einzelne oder für ganze Familien bringen kann.

Wenn man aber nur begrenzte Ressourcen hat, muss man diese Ressourcen nach sachlichen Gesichtspunkten einsetzen. Ich frage Sie deshalb, Frau Ministerin: Warum geben wir die Gelder nicht - -

(Watermann [SPD]: Ist das jetzt ein Antrag, oder ist das hier eine Frage- stunde?)

- Herr Kollege, ich meine, dass das eine sachliche Frage ist. Der Herr Ministerpräsident hat eben gesagt, dass wir in der Lage sein sollten, einmal zuzuhören. Ich weiß nicht, ob Sie in Ihrem Gebiet Probleme mit der Arbeitslosigkeit haben. Aber ich könnte es mir vorstellen. Ich kenne nämlich keine Gebietskörperschaft, die diese Probleme nicht hat.

Frau Ministerin, wir lesen in diesen Tagen, dass Sie in Niedersachsen ein flächendeckendes Netz von Jugendbüros aufbauen wollen.

(Zustimmung von Groth [SPD])

Sie haben verkündet, wie vielen Menschen in diesen Jugendbüros geholfen worden ist. Das ist löblich, und das ist gut. Aber ich frage Sie: Woher wissen Sie, dass es in Anbetracht der begrenzten Ressourcen, die Sie haben, die wichtigste Aufgabe ist, Jugendbüros einzurichten? Warum kümmern Sie sich ganz besonders um diese Gruppierung? Könnte es, wenn Sie wirklich nachprüfbare Zahlen und Fakten hätten, nicht auch wichtig sein, sich um Senioren - wenn man in diesem Zusammenhang diesen Begriff überhaupt verwenden kann - zu kümmern, sich um Menschen zu kümmern, die Anfang 50 sind, arbeitslos geworden sind und sozusagen keine Perspektive mehr haben, ohne besondere Hilfe in den Arbeitsmarkt integriert zu werden?

(Beifall bei der CDU)

Oder könnte es sein, dass Sie sich um Familienväter kümmern müssen, die 25 oder 27 Jahre alt sind, die eine Frau und drei, vier oder mehr Kinder zu versorgen haben? Könnte es nicht sein, dass die Ressourcen dort noch besser eingesetzt würden als bei Jugendbüros?

(Mühe [SPD]: Schirmbeck, Sie reden wie der Blinde von der Farbe!)

Warum grenzen Sie einzelne Gruppen aus? - Frau Ministerin, wir brauchen ein Konzept für Niedersachsen, in dem uns eine Basisbeschreibung der vorliegenden Probleme gegeben wird. Dann müssen die Ressourcen, die zur Verfügung gestellt werden, zielgerichtet eingesetzt werden. Wir haben sowohl in der Diskussion um die Frage der Abgeordneten Schröder als auch bei anderer Gelegenheit darauf hingewiesen, dass es in Niedersachsen eine ganze Reihe von kommunalen Gebietskörperschaften gibt, die auf diesem Gebiet Hervorragendes leisten - an der einen oder anderen Stelle durchaus auch mit Unterstützung des Landes Niedersachsen, des Bundes und der EU, was sehr löblich ist. In vielen Fällen müssen wir aber feststellen, dass das Land den Projekten, die es unterstützt oder initiiert, lediglich Anschubfinanzierungen gewährt, denen man sich eigentlich gar nicht entziehen kann, ohne sich vor Ort den Vorwurf gefallen lassen zu müssen, dass man sozialpolitisch hartherzig sei, und dass die Träger, die diese Maßnahmen in Angriff genommen haben, nach zwei oder drei Jahren allein stehen und zusehen müssen, wie sie das Projekt weiterfinanzieren.

(Beifall bei der CDU)

Deshalb hat der eine oder andere ein flaues Gefühl, wenn er auf Ihre Anregungen eingeht. Sie werden dieses Problem nicht lösen, indem Sie sich um einzelne Gruppierungen kümmern. Sie müssen vielmehr ein überzeugendes Gesamtkonzept entwerfen. Ich hatte eben ausgeführt, dass es einige Gebietskörperschaften gibt, die in diesem Zusammenhang Beispielhaftes vorzuweisen haben.

(Zustimmung von Frau Schliepack [CDU])

Warum nehmen Sie nicht gemeinsam beispielsweise mit dem Landkreistag oder dem Städte- und Gemeindebund diese Anregungen auf, setzen sich sachlich mit denen an einen Tisch und versuchen, ein Modell für Niedersachsen zu entwickeln, das schließlich auch einen Imagegewinn für Niedersachsen darstellen würde, um in einem geschlossenen zukunftsgerichteten System die Probleme anzugehen, die in Niedersachsen leider - ich betone: leider - größer sind, als es in anderen Gebietskörperschaften und Ländern in Deutschland der Fall ist?

Wir brauchen in diesem Zusammenhang konkrete Tatkraft des Landes. Da diese Tatkraft nicht vorhanden ist, gehen innovative Gebietskörperschaften zunehmend dazu über, diese Arbeit, die Sie nicht leisten, zu leisten, indem sie sich in Arbeitsgemeinschaften, Innovationsringen oder Ähnlichem zusammenschließen. Sie machen das auf Landesebene, aber eben auch überregional, um diese in unserem Antrag beschriebenen unterstützenden Vorarbeiten zu leisten, die wir eigentlich von Ihnen erwarten.

Wir haben festgestellt, dass die Probleme in den Gebietskörperschaften unterschiedlich gelagert sind. Es ist schon interessant aufzuarbeiten, warum diese Unterschiede bestehen. Dafür kann es im Einzelfall sehr plausible Gründe geben, dafür kann es in Einzelfällen aber auch überhaupt keine plausiblen Gründe geben, sondern liegt vielleicht nur daran, dass vor Ort schlechtere Arbeit geleistet wird.

(Groth [SPD]: Oder weil man zu spät begonnen hat! Aber um diese Fehler abzubauen, muss man ver- gleichbare Daten haben. (Schwarz [SPD]: Sie müssen mal ins Gesetz schauen! Dann wissen Sie es!)

- Ich muss nicht ins Gesetz schauen, Herr Kollege Schwarz. Wir machen nicht Politik nach Gesetzen, sondern Politik in Form sehr konkreter Maßnahmen vor Ort.

(Mühe [SPD]: Natürlich machen wir Politik nach Gesetzen! Politik ist die Ausgestaltung von Gesetzen!)

Ich meine, dass wir auf diesem Gebiet gerade in den CDU-geführten Landkreisen beachtliche Erfolge vorweisen können. Sie sollten versuchen, dass die SPD-regierten Landkreise in Niedersachsen diesen Standard erreichen. Dann wären wir in Niedersachsen schon eine ganze Ecke weiter.

(Beifall bei der CDU)

Sie erklären immer, Sie wollten in diesem Zusammenhang den Bereich Südoldenburg umbauen. Wenn Sie den in Südoldenburg bestehenden Standard in ganz Niedersachsen vorweisen könnten, wären wir auch schon eine ganze Ecke weiter.

(Beifall bei der CDU)

Meine Damen und Herren, das Besondere an diesen Maßnahmen ist - ich komme auf die Gedanken zurück, die wir vorhin in der Fragestunde ausgetauscht haben -, dass Sie für alle diese Aktivitäten dann, wenn sie richtig greifen, kein zusätzliches Geld benötigen. Wenn Sie sich hier wirklich ernsthaft einbringen, werden Sie feststellen, dass Sie mit den verschiedenen Trägern der sozialen Einrichtungen, die es zwar überall im Lande gibt, die aber leider nicht so vernetzt arbeiten, wie wir es uns wünschen, viele einzelne Menschen und Familien glücklich machen können und dass wir gleichzeitig Finanzmittel in erheblichem Umfang einsparen können. Im Ergebnis werden wir also Mittel haben, um denen, die in unserer Gesellschaft unsere besondere Solidarität brauchen, fühlbar und dauerhaft helfen zu können, und werden wir Mittel haben, um die galoppierende Staatsverschuldung anzuhalten und an der einen oder anderen Stelle die notwendigen Investitionen in unsere Gesellschaft und unsere Wirtschaft zu tätigen, die unabweisbar sind.

Frau Ministerin, Sie haben mich über eine Zeitung aufgefordert, quasi mehr in die Verschuldung einzusteigen. Wenn wir wirklich glauben, dass wir uns den finanziellen Spielraum, den wir heute nicht

haben, durch zusätzliche Verschuldung schaffen müssen, dann wird das unabweisbare Ergebnis sein, dass Sie im nächsten Jahr noch weniger finanzpolitischen Spielraum haben. Dann werden Sie irgendwann gar keinen finanzpolitischen Spielraum mehr haben und nicht das, was Sie als Ihr oberstes Ziel angeben, nämlich soziale Gerechtigkeit in unserer Gesellschaft, sondern das Gegenteil davon erreichen. Deshalb ist Ihre Politik von einer sozialen Schieflage gezeichnet.

Ich fände es gut, wenn wir uns - Sie würden sagen: an einem Runden Tisch - zusammenfinden würden und die Erfahrungen, die viele Gebietskörperschaften in Niedersachsen und darüber hinaus auf diesem Gebiet gesammelt haben, in ein schlüssiges niedersächsisches Modell einbringen würden. Dazu fordern wir Sie auf. - Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU)

Nach der Einbringung und dem ersten Wortbeitrag spricht Herr Watermann.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Schirmbeck, Sie haben vorhin in der Fragestunde sehr deutlich hervorgehoben, dass Sie die kommunale Selbstverwaltung als einen wesentlichen Bestandteil begreifen. Es verwundert allerdings, dass Sie als erfahrener Landes- und Kommunalpolitiker nicht wissen, dass gerade diese kommunale Aufgabe in den Landkreisen erledigt wird, und zwar in ganz unterschiedlichen Ansätzen. Natürlich ist es richtig, dass Christdemokraten schwarze Landkreise und schwarz regierte Städte nach vorne schieben.

(Kethorn [CDU]: Ganz gut dastehen! - Rolfes [CDU]: So was machen wir doch nicht! - Bei Licht betrachtet ist es immer so, wie man die Statistik hindreht. (Zurufe von der CDU)

Jeder dreht sie sich so hin. Jeder, der die RankingListe in die Hand nimmt und sie genau betrachtet, weiß natürlich, wo die meisten Vermittlungen stattfinden, denn das passiert in ganz anderen Landkreisen als in denen, die Sie benennen. Sie wissen sehr wohl, dass diese Objekte und Arbeiten,

die Sie in den Landkreisen durchführen, natürlich unter ganz anderen Kriterien zu betrachten sind. Egal wo und mit welchen Ansätzen wir diese Arbeit beginnen, sie bringt am Anfang bei den Sozialhilfeempfängern, die noch vermittelbar sind, immer einen Riesenerfolg.

(Rolfes [CDU]: Wann hat das denn begonnen?)

Sie wissen sehr genau, dass man, je länger man daran arbeitet, feststellt - so wie wir es in Göttingen bei MoZArT gesehen haben, wo ein Modellobjekt läuft, um Sozialhilfe und Arbeitslosenhilfe zusammenzubringen -, dass es nur gut geht, solange man am Anfang steht. Wenn Sie weiterarbeiten, sehen Sie auch, dass Sie gerade unter den Sozialhilfeempfängern Personen finden, die große Probleme haben, weil sie altersbedingt gerade für den ersten Arbeitsmarkt nicht mehr so funktionstüchtig sind. Wenn Sie in Ihren Landkreis sehen, finden Sie in den Sozialhilfestatistiken Menschen, die aus ganz bestimmten Gründen nicht ohne Weiteres zu vermitteln sind.

(Rolfes [CDU]: Das sagen wir doch die ganze Zeit)

Es gibt in diesem Land eine Situation, die Ihr Vizepräsident im März-Plenum deutlich gemacht hat. Er hat in einer Debatte dem Kollegen Schwarz gesagt, man solle nicht immer schwarz-weiß malen. Das hat Herr Schirmbeck jetzt übernommen. Aber Herr Gansäuer hat in seiner moralischen Art und Weise allen Landkreisen attestiert, dass jeder Landkreis mit seinen Verwaltungen und seinen Mehrheiten darum bemüht ist, Arbeitslosigkeit zu beseitigen. Ich meine, das sollten Sie hier auch unterstellen.

Wenn Sie den Text Ihres Antrags lesen, werden Sie feststellen, dass es sich eher um eine betriebswirtschaftliche Darstellung handelt. Ihr Wortbeitrag war etwas anders. Ich meine, dass wir in diesem Land genügend Ansätze haben, dass Ihr Antrag im Prinzip an der Sache vorbei geht und dass die Wahlkampftaktik vorne steht. Wir sind der Meinung, dass die Sozialhilfeträger, die Landkreise, der Landkreistag und viele andere durchaus in der Lage sind, diese Modelle individuell weiterzuentwickeln. Die kommunale Selbstverwaltung steht für uns obenan. Aus diesem Grunde werden wir abwarten, was die Beratung zu diesem Antrag bringt. - Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD)

Frau Pothmer!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Schirmbeck, für mich ist Ihr Antrag der wiederholte Versuch, so zu tun, als würden nur in CDU-geführten Kommunen erfolgreiche Modelle zur Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt stattfinden.

(Widerspruch bei der CDU)

Diese Darstellung wird nicht präziser und bildet die Wirklichkeit auch dann nicht besser ab, wenn Sie sie zum x-ten Mal wiederholen.

(Zustimmung von Frau Steiner [GRÜNE])