(Frau Pothmer [GRÜNE]: Das ist doch Unsinn! - Wulff (Osnabrück) [CDU]: Das ist auch von der CDU erfunden worden!)
- Es gibt doch eine Anfrage, und in der Antwort werden die Zahlen genannt. - Wir liegen in der Spitzengruppe der Länder. Das ist ganz eindeutig.
Frau Pothmer, ich gebe doch zu: Wir haben das Geld nicht. Meine Position ist die Folgende. Die Debatte über das soziale Jahr ist wie die über Wehr- oder Zivildienst eine nationale Frage und Aufgabe. So, wie wir früher 90 % der Wehrpflichtigen eingezogen und finanziert haben, ist es auch eine Aufgabe, dieses Thema auf der Bundesebene zu debattieren und dann in der Konsequenz zu finanzieren; denn ich sage ganz offen: Wir als Land haben das Geld nicht.
Aber worum geht es? - Gestern hat in der SPDFraktion ein junger Praktikant, der dort über die Initiative „Abgeordnete begleiten“, die der Landtagspräsident immer durchführt, anwesend war, auf meine Bitte hin seine Meinung zu dem Thema gesagt. Er hat eine interessante Frage gestellt. Er hat gefragt: Woher nimmt der Staat eigentlich das Recht, mir ein Jahr meines Lebens zu nehmen?
Ich fand das deshalb interessant, weil ich über diesen Satz des Jugendlichen gern nachdenken würde. Es ist nicht so, dass ich die Position nicht tolerieren kann, ich habe nur eine andere Vorstellung.
Genau! Frau Harms, daran merken Sie, dass wir dann, wenn es an das Eingemachte geht, doch relativ nah beieinander sind. Exakt das habe ich ihn gefragt.
(Frau Harms [GRÜNE]: Dann kann ich nur sagen: Hildesheim und Mund- stock! - Widerspruch bei der SPD)
- Frau Harms, ich versuche, darüber eine ernsthafte Diskussion zu führen, und ich sage Ihnen: Alles das, was wir in all den Parteien, die es betrifft, an Parteispendenskandalen erleben - die Debatte geht hier übrigens auch darüber hinaus mit Blick auf bestimmte Versorgungsansprüche -, gehört mit dazu. Aber ich glaube, die Distanz zum Staat hat ganz andere Ursachen. Diese Skandale sind oft nur der Tropfen, die das Fass zum Überlaufen bringen. Es gibt ein Staatsverständnis, nach dem der Staat den Menschen gegenübersteht, anonym ist. Nach diesem Verständnis ist der Staat für Leistungen zuständig, aber man selber hat zu ihm eigentlich keine innere Beziehung.
Ich meine, wir müssen auch an einigen Beispielen klar machen, dass wir nicht nur eine abstrakte Wertedebatte führen, sondern dass das Verhältnis zum Staat auch konkret werden muss.
Frau Harms, ich glaube aber nicht, dass das ausreicht. Ich bin nicht der Meinung, dass das Erziehung, Umgang in der Politik, Engagement und anderes ersetzt. Aber ich bin der Überzeugung, dass es Bereiche gibt, in denen wir auch in unserer Verfassung klar machen müssen, dass man ein Jahr für diesen Staat und seine Aufgaben opfern soll und dass das keine Veranstaltung von Freiwilligkeit ist, weil es in vielen Bereichen Verlässlichkeit geben muss; denn derjenige, der freiwillig anfängt, kann auch freiwillig aufhören.
Es geht auch darum, dass wir Fragen, von denen wir wissen, dass wir sie nicht mit staatlichen Mitteln lösen können, weil wir in den nächsten Jahren das Geld nicht haben werden, stellen und die ihnen zugrunde liegenden Themen aufgreifen. Hierzu gehört die Unterstützung des Ehrenamtes, gehört die Hausaufgabenhilfe am Nachmittag in den Ganztagsschulen, gehört die Frage, wie wir Öffnungszeiten von Kindergärten und Kinderhorten verlängern. Hier versprechen wir - alle miteinander - den Leuten das Blaue vom Himmel.
- Entschuldigung, Sie wissen doch auch, dass das, was Stoiber und andere hierzu versprechen, nicht bezahlbar ist!
- Ich habe doch gar nichts dagegen, dass wir diese schönen Programme weiterhin noch ein paar Wochen lang in der Öffentlichkeit diskutieren. Im Kern geht es aber darum, dass wir die Probleme dann nach den Wahlen einmal lösen müssen.
(Frau Harms [GRÜNE] lacht - Wulff (Osnabrück) [CDU]: Sie sind doch seit zwölf Jahren an der Regierung? Warum machen Sie das denn nicht?)
Ich sage es ganz konkret: Ich bin der Überzeugung, dass wir über einen solchen Gemeinschaftsdienst alle diese Fragen mit in den Griff bekommen können. Das zu machen, halte ich für vernünftig.
Ich will mich nicht darum drücken, zu sagen, welche Alternative wir, Frau Harms, zu der schlechten Situation von Frauen haben, die berufstätig sein wollen, außer der Behauptung - die kann man natürlich aufstellen -, dass der Staat in den kommenden Jahren in der Lage sein wird, das alles zu bezahlen, was wir in dem Bereich zum Beispiel an Verlängerung von Öffnungszeiten der Horter, der Krippen und der Ganztagsschulen brauchen.
In Wahrheit können wir das ja oftmals nicht erfüllen. Deswegen - so glaube ich - müssen wir auch darüber reden, wie wir dieses Land durch bessere Strukturen unterstützen. Dabei kann man nicht immer den einfachsten Weg gehen, indem man sagt, wir schaffen die Wehrpflicht ab und den Zivildienst gleich mit, und ansonsten setzen wir auf freiwilliges Engagement.
So gut das freiwillige Engagement ist - 2,5 Millionen Bürgerinnen und Bürger machen das in Niedersachsen -, so sehr bitte ich, dass wir über diese Frage streitig reden, nicht entlang der Fraktionsdisziplin, mit der Fairness, dass dazu jeder eine eigene Position haben kann, aber auch mit dem Ziel, in der Sache tiefgreifend zu diskutieren und eine Sekunde lang - Frau Harms! - auf den nahe liegenden Versuch zu verzichten, sich gegenseitig irgendetwas um die Ohren zu hauen; denn dazu sind die „Kisten“ in der Tat voll genug, um das in allen Parteien in Deutschland viel zu lange zu betreiben. Das war nicht mein Ziel.
Der Ministerpräsident hat die ihm zur Verfügung stehende Zeit sehr gedehnt. - Herr Kollege Gansäuer,
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es war ja vielleicht ganz gut, dass der Ministerpräsident noch einmal erläutert hat, wie er es gemeint hat. Nur, geschrieben hat er es anders.
- Ich werde es gleich zitieren. Dort steht: „Von Siegmar Gabriel, Ministerpräsident von Niedersachsen“. Es folgt dann - wörtliches Zitat" -:
„Wer nicht zum Wehr- oder Zivildienst einberufen wird, engagiert sich ein Jahr für andere Menschen.“
Sie haben es eben anders erläutert. Das ist in Ordnung. Nur, geschrieben haben Sie es so, wie ich es eben zitiert habe.
(Beifall bei der CDU und Zustim- mung von Frau Harms [GRÜNE] - Der Ministerpräsident macht auf der Regierungsbank eine Handbewegung - Zuruf von der CDU: Das ist ja wie bei Effenberg! - Weitere Zurufe von der CDU)
- Ich nehme das nicht so ernst. Ich lasse mich nicht von allen Leuten beleidigen, sondern nur von denen, die ich mir aussuche.
Die Debatte ist inzwischen - unabhängig von der Handbewegung des Ministerpräsidenten - in Teilen absurd. Worum geht es? - Das Bundesverfassungsgericht hat entschieden, dass der Wehrdienst und der zivile Ersatzdienst verfassungsgemäß sind. Das war es.
Das, was jetzt ansteht, ist ein Konzept der Politik dafür, wie denn die Wehrgerechtigkeit herzustellen ist. Dabei kann ich nur dringend davor warnen - hier bin ich übrigens mit Herrn Bartling völlig einer Meinung -, auf die politischen Populisten zu hören, die es in dieser Debatte gibt. Eine Berufsarmee ist nämlich am Ende - meine Damen und Herren, das sollten wir bedenken - immer eine teurere Armee als eine Armee, die sich im Wesentlichen aus Wehrdienstleistenden zusammensetzt.