Protocol of the Session on April 23, 2002

(Beifall bei der CDU)

Meine Damen und Herren, irgendwann dürften wir ja vielleicht aus unserer eigenen Geschichte auch einmal lernen! Diese Geschichte hat ja gezeigt, dass eine Berufsarmee irgendwann anfängt, so etwas Ähnliches wie ein „Staat im Staate“ zu werden. Das will ich in dieser Demokratie nicht!

(Beifall bei der CDU und bei der SPD)

Meine Damen und Herren, aber dieser Vorgang - so wichtig er auch sein mag - hat mit der Frage nach einem sozialen Zwangsdienst für Frauen - so will ich das jetzt einmal nennen - überhaupt nichts zu tun. Insofern hat Frau Pothmer Recht.

Es ist schon merkwürdig, Herr Ministerpräsident - trotz Handbewegung -, dass in einer Zeit, in der alle Parteien die Familie umwerben und bessere staatliche Leistungen versprechen, eine Diskussion hochschwappt, die Sie auch führen und die zeitgleich zu diesen Versprechungen deutlich macht, dass es offensichtlich immer noch Politiker gibt, die die Belastungen der Frauen durch die Geburt von Kindern, ihre Erziehung und die damit verbundenen Kosten sowie zum Teil massive berufliche Nachteile als immer noch nicht ausreichend erachten, um in der Gesellschaft als hinreichendes Äquivalent zu Bundeswehr und Zivildienst anerkannt zu werden.

(Beifall bei der CDU - Zurufe von der SPD)

Meine Damen und Herren, von der Tatsache, dass es fast durchweg Frauen sind, die alte, kranke, behinderte und sterbende Menschen pflegen, will ich erst gar nicht reden. Diesem Personenkreis ein soziales Pflichtjahr zuzumuten, hat mit Humanität und mit Gerechtigkeit nichts, aber auch gar nichts zu tun,

(Beifall bei der CDU)

sondern - so füge ich hinzu - ist zu Ende gedacht in Wahrheit nur noch zynisch.

(Zuruf von der SPD: Dabei hat er das doch nie gesagt!)

Im sozialen Bereich - ich habe mir die Zahlen noch einmal geben lassen - sind heute etwa 90 % Frauen und 10 % Männer tätig. Nachrichtlich sage ich dazu nur: Bei den Gefängnisinsassen ist es genau umgekehrt.

Ein Weiteres ist höchst merkwürdig: Es gelingt uns bekanntermaßen nicht, einen gesamten Jahrgang zum Dienst in der Bundeswehr und zum Zivildienst einzuziehen. Das ist das Problem, über das wir in den letzten Wochen diskutiert haben. Es gelingt uns schon gar nicht, alle dazu fähigen Sozialhilfeempfängerinnen und -empfänger entsprechend § 19 des Bundessozialhilfegesetzes zu ge

meinnütziger Arbeit zu verpflichten. In der Stadt Hannover - da habe ich mich auch erkundigt - sind es lediglich 30 % derer, die man eigentlich verpflichten könnte. Aber statt dass wir uns Konzepte einfallen lassen, wie man diese Probleme löst, sollen pro Jahrgang ca. 100 000 junge Frauen - natürlich mittels entsprechender Bürokratie; darin sind wir in Deutschland unübertroffen - zum Zwangsdienst eingezogen werden. Das verstehe, wer will, ich jedenfalls nicht.

(Beifall bei der CDU)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich darf daran erinnern, dass das Jahr 2001 das Jahr der Ehrenamtlichen war. Es wurden Empfänge gegeben, Verdienstkreuze verliehen und Lobreden gehalten. Heute, wenige Monate später, wird eine Diskussion vom Zaun gebrochen, deren zwangsläufige Folge eine Minderung und Herabwürdigung des ehrenamtlichen Engagements mit sich bringen würde. Darüber gibt es überhaupt keinen Zweifel.

(Beifall bei der CDU)

Meine Damen und Herren, damit eines klar ist - ich sage das hier ganz persönlich -: Ich veranstalte hier keine rhetorische Trockenübung, sondern weiß aufgrund der Erfahrung während meines freiwilligen diakonischen Jahres in den Rotenburger Werken, worüber ich rede.

(Frau Somfleth [SPD]: Wider besseres Wissen!)

Menschlichkeit entsteht in diesen sensiblen Bereichen jedenfalls nicht durch die Ausübung eines zwangsweise verordneten Dienstes.

(Beifall bei der CDU)

In einer freien Gesellschaft müssen wir es, so schwer es auch ist, in Wahrheit ertragen können, dass es auch Menschen gibt, die sich dem Mitmenschlichen entziehen. Diese jedenfalls staatlich zwingen zu wollen, ein Jahr lang sozusagen in diesem Sinne menschlich zu sein, hieße, Mitmenschlichkeit zu pervertieren. Wer Sterbende in einem Hospiz begleiten soll, wer körperlich und geistig Schwerstbehinderte betreuen soll und wer alte Menschen pflegen soll - darum geht es ja! -, braucht dazu eine innere Einstellung, die man nicht staatlicherseits erzwingen kann.

(Beifall bei der CDU)

Deshalb, meine Damen und Herren, ist es richtig - Frau Pothmer hat absolut Recht -, Freiwilligkeit wesentlich besser zu fördern als bisher. Das könnte das Land auch ganz allein tun,

(Glocke des Präsidenten)

- ich komme gleich zum Schluss - wenn es dies denn wollte. Der Ministerpräsident hat in der besagten Zeitung richtigerweise geschrieben, wir sollten nicht nur über die Werte unseres Gemeinwesens reden, sondern wir sollten sie auch durchsetzen. - Ich sage an dieser Stelle: Recht hat er. Allerdings hat er selbst durch aktives politisches Handeln, das er für die Landesregierung eben abgelehnt hat, die beste Gelegenheit dazu, mit gutem Beispiel voranzugehen und eben nicht nur zu reden, sondern auch zu handeln, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der CDU)

Ich hätte mir eigentlich erhofft, dass er in diesem Zusammenhang hier einmal ein Konzept darstellt, wie wir Freiwilligkeit auf sozialem und gesellschaftlichem Gebiet in Niedersachsen stärker fördern können.

(Beifall bei der CDU)

Wir hätten ihm dabei sogar noch geholfen, weil es ein ernstes Anliegen ist, das über die Parteigrenzen hinausgeht.

Fazit: Meine Damen und Herren, ein Staat, dem zur Sicherung seiner sozialen und humanitären Leistungen nichts anderes mehr einfällt, als Frauen zu sozialen Pflichtjahren zwangszurekrutieren, ist mit seiner Humanität in Wahrheit am Ende.

(Zustimmung von Frau Pawelski [CDU])

Jedenfalls kommt die Forderung nach einem solchen Pflichtjahr einer Bankrotterklärung unseres sozialen Rechtsstaats und unseres bürgerschaftlichen Engagements gleich und ist darüber hinaus auch eine Missachtung der Leistungen von Frauen in unserer und für unsere Gesellschaft. Wir jedenfalls lehnen diese Vorstellung mit Entschiedenheit ab.

(Lebhafter Beifall bei der CDU)

Das Wort hat noch einmal der Ministerpräsident.

(Frau Vogelsang [CDU]: Jetzt ent- schuldigt er sich dafür!)

Sehr geehrter Herr Präsident! Lieber Jürgen Gansäuer, ich will Ihnen nur Folgendes sagen, weil ich mich ein wenig an die Zeit zwischen 1990 und 1994 erinnert fühle, in der Sie hier vorne am Pult standen. Anscheinend hat sich seitdem bei Ihnen einiges getan. Herr Gansäuer, ich versuche einmal, das zu betreiben, was Sie mit dem Satz von mir gemacht haben, den Sie aus dem Artikel zitiert haben. Ich will diesen Satz noch einmal vorlesen:

„Wer nicht zum Wehr- oder Zivildienst einberufen wird, engagiert sich ein Jahr für andere Menschen.“

Herr Gansäuer, ich kenne die Verfassung der Bundesrepublik Deutschland gut. Zum Wehrdienst und zum Zivildienst können nur Männer eingezogen werden.

(Beifall bei der SPD)

Wenn ich etwas anderes gesagt hätte, hätte ich insoweit für eine Verfassungsänderung plädiert. Nein, Herr Gansäuer, was Sie machen, ist Rabulistik!

(Beifall bei der SPD - Widerspruch bei der CDU - Glocke des Präsiden- ten)

Ich will hier nur einmal vorführen, in welcher Art und Weise die CDU ein so wichtiges Thema behandelt. Ich lese Ihnen, um Ihnen zu zeigen, was ich mit Ihnen machen könnte, wenn ich in der gleichen Art und Weise mit Ihnen umgehen würde, wie Sie mit mir umgehen, einen Satz aus Ihrer Rede vor, und ich sage Ihnen, was man damit machen könnte, obwohl ich weiß, dass Sie das nicht meinen:

„Menschlichkeit entsteht nicht durch die zwangsweise Verordnung eines Dienstes.“

Was ist das für eine Beleidigung für viele Zivildienstleistende!

(Beifall bei der SPD - Ehlen [CDU]: Lächerlich!)

Jetzt hat Ihr Kollege hinter Ihnen die gleiche Handbewegung gemacht wie ich eben. Ich persön

lich entschuldige mich bei Ihnen dafür, damit das hier zwischen uns beiden nicht zu schlimm wird.

Verstehen Sie, ich will damit nur Folgendes deutlich machen: Wenn man nicht versucht, den Kontext einer Rede und einer sachlichen Auseinandersetzung in den Mittelpunkt seiner eigenen Position zu stellen, wenn man nur versucht, das Ganze sozusagen zu skandalisieren, weil man sich inzwischen in einer Wahlkampfmannschaft befindet, dann wird man dem Thema nicht gerecht, lieber Jürgen Gansäuer.

(Gansäuer [CDU] meldet sich zu einer Zwischenfrage)

Zwischenfrage?

Nein. Vielleicht kann ich das erst zu Ende bringen. - Ich will damit nur auf Folgendes hinweisen: Ich finde eine Auseinandersetzung über diese Position wichtig. Aber ich finde, dass wir sie nicht so führen sollten, dass wir immer versuchen, einen Satz möglichst so zu interpretieren, dass er möglichst weit weg von dem ist, was man gesagt oder geschrieben hat. - Das gilt für mich, weil ich Ihnen das, was ich eben vorgeführt habe, ausdrücklich nicht unterstelle. Aber Wehr- und Zivildienst machen in Deutschland nach unserer Verfassung Männer. Wenn ich für etwas anderes gestanden hätte, hätte ich es sagen oder schreiben müssen.