Protocol of the Session on March 12, 2020

Ich bin mir bewusst, dass bei Debatten dieser Art gerne staatstragende Sätze erwartet und hinterher in den Medien wiedergegeben werden, aber eins liegt auf der Hand, diese Anschläge waren Anschläge auch auf die Gesellschaft, aber vor allen Dingen, in erster Linie sollten hier gezielt Menschen anderer Herkunft, anderen Glaubens und nur einfach anderen Aussehens getötet werden – die Urdefinition, wirklich die Urdefinition eines rassistischen Mordes. Und es wurde jemand getötet, der sich im Sinne unserer Werte und unserer Verfassung dafür eingesetzt hat, dass Menschen anderer Herkunft, anderen Glaubens und anderen Aussehens selbstverständlich einen Platz in unserer Gesellschaft haben.

Und wenn man hört, was in diesem Land teilweise geredet wird, wenn man sieht, welche Taten diesem Gerede folgen können, dann kommt man nicht umhin festzustellen, dass wir in diesem Land zurzeit ein Problem mit Rassismus haben. Und diejenigen, die rechtsextremistisches und rassistisches Gequatsche als alternative Meinungen abtun und Extremisten auch noch Deckung geben, tragen verdammt noch mal eine Mitverantwortung dafür, wenn dieses Gequatsche Gehör findet und anschließend Worten Taten folgen, meine Damen und Herren. Es ist ein Leichtes, es ist ein Leichtes, durch Fingerzeig auf andere von diesen Problemen abzulenken, zu relativieren und zu bagatellisieren.

Ja, auch Linksextremisten sind keine Kinder von Traurigkeit. Es gibt sie und wir bekämpfen sie auch, aber ich werde niemals den einen Extremismus mit dem anderen Extremismus vergleichen. Leider hat aber offensichtlich auch beispielsweise Bernd Riexinger nicht begriffen, dass Worte Waffen sind und das gesellschaftliche Klima vergiften können. Das, was da bei den sogenannten Strategietreffen passiert, ist eine Riesensauerei.

(Beifall vonseiten der Fraktion der CDU)

Ich bin jedoch sehr froh, dass auch DIE LINKE in Mecklenburg-Vorpommern das so sieht und sich von diesen Äußerungen klar distanziert hat, und das, meine Herren von der AfD, ist etwas, was Sie nie zustande bringen würden und weshalb Ihr Fraktionsname eben auch auf diesem Antrag fehlt.

(Unruhe vonseiten der Fraktion der AfD)

Natürlich ist es jedoch mit einem Antrag und einigen magischen Worten nicht getan. Vielmehr hoffe ich, vielmehr hoffe ich, dass wir uns alle bei der Wahl unserer Worte und Anträge, ob nun im Parlament oder bei Strategietreffen oder anderen Beratungen, immer bewusst sind, dass Worte wie „Respekt“, „Wertschätzung“ und „Miteinander“ eben keine Einbahnstraße sind, sondern es gilt für uns alle, wenn wir wollen, dass wir in dieser Gesellschaft zusammenhalten. Genau das, liebe Kolleginnen und Kollegen, meine Damen und Herren, steht derzeit aber auf dem Spiel.

Der Bundesminister hat richtigerweise festgestellt, dass inzwischen vom rechten Bereich derzeit die höchste Bedrohung für die Sicherheit in unserem Land ausgeht.

(Zuruf von Thomas de Jesus Fernandes, AfD)

Und da reicht es eben ganz einfach nicht,

(Zuruf von Dr. Ralph Weber, AfD)

und da reicht es eben einfach nicht, wenn wir uns nach jedem Anschlag gebetsmühlenartig hinstellen und festhalten, dass wir Ängste ernst nehmen, den Betroffenen zuhören und den eigenen Rassismus reflektieren müssen. Und natürlich müssen wir auch öffentliche Unternehmen und Einrichtungen wie Synagogen und Moscheen besser schützen, und die Sicherheitskonzepte werden ja dementsprechend auch angepasst.

Aber ich habe schon nach den Anschlägen von Halle gesagt, dass wir endlich auch eine offene Debatte zu Befugnissen und Ausstattungen der Sicherheitsbehörden führen müssen, denn natürlich haben die Täter zwar ein offensichtlich rechtsextremistisches Weltbild vertreten, aber dieses wird stärker denn je auch schlicht am eigenen Laptop von zu Hause aus zusammengebastelt. Die unterschiedlichsten Radikalisierungsszenarien sind heute denkbar und die potenziellen Täter vorab dementsprechend schwer zu erkennen. Ich habe das im November hier an gleicher Stelle in diesem Haus vorgetragen. Deshalb werden die Sicherheitsbehörden bei der Bekämpfung des Rechtsextremismus künftig auch deutlich breiter aufgestellt mit neuen Inhalten, mit neuem Personal. Deshalb hat der Deutsche Bundestag nach Halle 600 neue Stellen für das BKA und das Bundesamt für Verfassungsschutz bewilligt, nachdem bereits zuvor 500 Extrastellen für das BKA eingestellt wurden, und deshalb wird im BKA auch eine nationale Zentralstelle gegen Hasskriminalität im Internet aufgebaut.

Die Provider werden zukünftig strafbare Inhalte an das BKA zu melden haben. Wir als Bundesland haben im Bundesrat zum entsprechenden Netzwerkdurchsetzungsgesetz darauf hingewirkt, dass dies auch auf Spieleplattformen ausgeweitet wird und eine Anmeldung bei den entsprechenden Providern mit einer Identifizierungspflicht einhergeht. Es geht darum, Netzwerke früher und besser zu erkennen, Kontakte bekannter Extremisten mit zu betrachten und die Früherkennung insgesamt zu verbessern. Aber genau deshalb gehören eben Quellen-TKÜ, Onlinedurchsuchungen und Vorratsdatenspeicherungen da eben auch noch einmal zum notwendigen Repertoire. Wer das verkennt, belügt sich selbst. Gerade die Vorratsdatenspeicherung bietet wichtige Anhaltspunkte, um relevante Personen sowie Nutzer von einschlägigen Onlineportalen zu identifizieren und Beziehungsgeflechte und Strukturen zwischen den beteiligten Personen aufzuklären. Wie wollen wir denn sonst im Vorfeld zu möglichen Anschlägen auf unsere Mitbürger in die Köpfe potenzieller Attentäter reinschauen? Und wer, wenn nicht bitte schön der Staat, soll diese Arbeit leisten? Räte, Bürgerwehren und so weiter.

Ich weiß, dass es da aus bestimmten Ecken Beißreflexe in Sachen Sicherheitsbehörden gibt, aber „Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass“ geht eben nicht, wenn es darum geht, im 21. Jahrhundert Gefahrenabwehr zu betreiben. Ich wiederhole mich gerne, hier kann sich jeder gegen den Einsatz der Vorratsdatenspeicherung aussprechen, dann muss derjenige aber auch sagen, dass er sich gegen den Einsatz der Vorratsdatenspeicherung im Kampf gegen rechtsextremistische Terrornetzwerke ausspricht.

Die Debatte zu neuen Kompetenzen ist deshalb unausweichlich. Deshalb will natürlich gerade ich als Innenminister, dass die Bürger in unserem Land sich zu 100 Prozent auf die Arbeit der Sicherheitsbehörden verlassen können. Deshalb will ich neben der Regelabfrage beim Verfassungsschutz im Zusammenhang mit dem gerade erst auch verschärften Waffengesetz, dass wir etwas Ähnliches grundsätzlich auch bei den Einstellungen im öffentlichen Dienst in Mecklenburg-Vorpommern machen. Die Botschaft muss klar sein: Radikale und Extremisten haben im Staatsdienst nichts zu suchen. Und wo sie enttarnt werden, werden sie entfernt. Dass all diese Kompetenzen, Befugnisse und Maßnahmen auch Geld kosten, liegt auf der Hand, und das werden wir auch in regelmäßigen Abständen gemeinsam mit dem Gesetzgeber zu beraten haben.

Meine Damen, meine Herren, aber selbst dann, selbst, wenn wir im Vorfeld allen staatlichen Handelns nach unserer Auffassung alles getan haben, um zu verhindern, dass hasserfüllte Menschen zur Waffe greifen und unsere Mitmenschen töten, im Kampf um die Köpfe kann kein Innenminister, kann keine Polizei, kann kein Verfassungsschutz, kann kein Parlament gewinnen, sondern dieser Kampf muss gemeinsam in den Vereinen, auf den Dorffesten und mitunter sogar in der Familie geführt werden. Das Problem sind am Ende des Tages nicht Kompetenzen und Personal, sondern das Problem – ich habe es eingangs gesagt –, es ist ein gesellschaftliches Problem.

Erschreckenderweise wird die Halbwertzeit der Schocks über Morde wie bei Kassel, in Halle und in Hanau von Mal zu Mal kürzer. Die Twittertrends belegen, dass nach jedem Anschlag wieder etwas schneller zur Tagesordnung übergegangen wird. Aber das kann, das darf nicht sein! Der liberale Rechtsstaat, die gesamte Idee der Demokratie mit allen ihren unterschiedlichen Interessen und mit ihrem Schutz für Minderheiten steht so offen wie nie im modernen Deutschland unter Beschuss. Wir brauchen keine Rhetorik, die suggeriert, dass nur die eigenen Ideen die einzig richtigen sind. Es gibt noch eine Welt über den eigenen Erfahrungshorizont hinaus. Und das müssen wir als empathiefähige und aufgeklärte Menschen doch hoffentlich sehen können.

Ich sage das ganz klar in Richtung der AfD, aber auch in Richtung aller Abgeordneten, Regierungsvertreter und Zuschauer im Saal: Es ist Zeit, dass wir uns an die eigene Nase fassen und wieder mehr miteinander ins Gespräch kommen und dass wir da, wo wir leider feststellen müssen, auf rassistisches oder extremistisches Gedankengut zu stoßen, auch unbequeme Gespräche führen und auch in unserem Alltag klare Trennmauern zu Extremisten ziehen. Sorgen darf jeder Mensch haben und es ist niemandem von uns geholfen, wenn wir diese totschweigen. Das würde einem schon jeder Familienpsychiater mit an die Hand geben. Aber Sorgen, liebe Kolleginnen und Kollegen, dürfen nie Ausrede dafür sein, den Boden des Grundgesetzes zu verlassen. Das ist gerade in einem demokratischen Rechtsstaat nicht verhandelbar. – Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.

(Beifall vonseiten der Fraktionen der SPD, CDU und Simone Oldenburg, DIE LINKE)

Vielen Dank, Herr Minister!

Der Minister hat die angemeldete Redezeit um fünf Minuten überschritten.

(Torsten Renz, CDU: Oh nee!)

Ich rufe jetzt auf für die Fraktion der AfD den Fraktionsvorsitzenden Herrn Kramer.

(Zuruf von Wolfgang Waldmüller, CDU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! Liebe Landsleute! Es ist ein sehr ernstes Thema, über das wir heute debattieren.

(Zuruf von Martina Tegtmeier, SPD)

Die erschütternden Morde von Hanau, Halle und Kassel haben Spuren hinterlassen. Wir erleben eine neue Form der Radikalisierung, die die Sicherheit der Menschen auch in Mecklenburg-Vorpommern angreifen kann. Deshalb kann es nur folgerichtig sein, genau dieses Thema im Landtag zu behandeln. In schnelllebigen und unruhigen Zeiten ist der politische Blick für die gesellschaftliche Situation zu schärfen. Wir müssen genau hinsehen, um zu verstehen, was passiert. Das geht nur mit einer klaren Analyse, die uns voranbringt.

(Torsten Renz, CDU: Dann mal los!)

Meine Damen und Herren, Mitglieder des Hohen Hauses, was wissen wir über die Morde von Hanau bis zum jetzigen Zeitpunkt? Nach so einer schrecklichen Tat ist es schwierig, direkte Antworten auf das Geschehene zu geben. Da ist Vorsicht geboten. Im Rahmen des heutigen Antrages versuche ich dennoch, eine vorläufige Einschätzung des Täters und der politischen Diskussion hierzu vorzunehmen.

Die anerkannte Psychiaterin Nahlah Saimeh hat den Täter analysiert. Gestatten Sie mir, Frau Saimeh zu zitieren: Das ist ein Mann mit Schizophrenie. „Ich mache das daran fest, dass er bizarre Wahnideen hat,... zum Beispiel in Bezug auf Zeitreisen, wo man wirklich sagt, jetzt verlässt er jeden politisch-diskursiven Raum gänzlich.“ Dann hat er akustische Halluzinationen. Er berichtet über Stimmen, die er seit vielen Jahren in unterschiedlicher Intensität und Frequenz hört. Hinzu kommen Äußerungen, „die für eine sehr schwere narzisstische Persönlichkeitsstörung sprechen, mit einem wirklich pathologisch übersteigerten Größengefühl.“ Er hat eine sehr bürgerliche Form. Er scheitert in seinem Leben aufgrund der Psychose. Das ist tragisch. Zitatende.

Die Tat von Hanau selbst beschreibt Frau Saimeh wie folgt: Das ist sicherlich ein Täter, der den Rechtsstaat nicht „aus den Angeln“ hebt. Professioneller Terrorismus ist eine Bedrohung für den Rechtsstaat. Ein solcher sehr schwer psychisch kranker Täter ist sicher nicht in der Lage, den Rechtsstaat zu bedrohen. Es ist eine „extremistisch motivierte Gewalttat im öffentlichen Raum durch eine komplex schwer gestörte Persönlichkeit.“ Zitatende.

(Wolfgang Waldmüller, CDU: Worauf wollen Sie denn jetzt hinaus?)

Meine Damen und Herren, die Expertenanalyse von Frau Saimeh beschreibt einen psychotischen Täter. Wir wis

sen, dass er in seinem Wahn rassistische Gedanken als Folie genutzt hat. Ein so krankhaftes Hasspotenzial, meine Damen und Herren, hat auf kaum vorstellbare Art und Weise elf Menschen das Leben genommen und schreckliches Leid verursacht.

Ein solcher Fall ist für unsere Behörden nicht einfach zu verhindern, da der Täter aufgrund seiner bürgerlichen Sozialisation lange Zeit unter dem Radar läuft. Es ist auch die Aufgabe der Gesellschaft, die Gefährlichkeit rechtzeitig zu identifizieren und präventive Maßnahmen zu ergreifen. Daher besteht die Frage auch darin, wie wir so furchtbar kranken Menschen rechtzeitig helfen können.

Meine Damen und Herren, nach Ansicht des Psychologen Nils Böckler,

(Zuruf von Christian Brade, SPD)

der zu Radikalisierung und Extremismus forscht, gehört zu einer ehrlichen Analyse, dass voreilige Schuldzuweisungen völlig deplatziert sind. Die Einzeltäter von Hanau oder Halle haben kein geschlossenes Weltbild. Sie flicken sich ihre Weltanschauung zusammen, um ihre Persönlichkeit zu inszenieren. Das unterscheidet sie vom politischen Terror der Roten-Armee-Fraktion oder Organisationen anderer extremistischer Schattierungen.

Meine Damen und Herren, in Hanau und Halle haben wir es mit einer besonders schwierigen Form mörderischer Gewalt zu tun. Eine Konsequenz aus diesen Vorfällen kann nur sein, dass eine Sensibilisierung von Politik und Gesellschaft stattfindet, und bei dieser Aufgabe, werte Abgeordnete der Koalition und der LINKEN, stehen wir fest an Ihrer Seite.

(Heiterkeit vonseiten der Fraktionen der SPD und DIE LINKE – Beifall vonseiten der Fraktion der AfD – Zuruf von Julian Barlen, SPD)

Meine Damen und Herren,

(Dr. Ralph Weber, AfD: Darum geht es jetzt nicht.)

der Deutschlandkorrespondent der „Neuen Zürcher Zeitung“ Hansjörg Müller hat sich in Bezug auf die Ereignisse von Hanau irritiert gezeigt,

(Peter Ritter, DIE LINKE: Er hat gestern auch erzählt, dass er fest an der Seite der Journalisten steht.)

in welcher Selbstverständlichkeit eine Verbindung zur AfD gezogen wurde.

(Zuruf von Peter Ritter, DIE LINKE)

Die Opportunität siegt über eine seriöse Analyse. Jeder weiß, dass sich der Täter auf keinen Politiker berufen hat. Es würde der politischen Debatte in unserem Land guttun, wenn ein so nüchterner Blick häufiger zu lesen wäre. Dass dem nicht so ist, liegt an der politischen Kultur in Deutschland.

(Beifall vonseiten der Fraktion der AfD – Zuruf von Thomas Krüger, SPD)

Es hängt insbesondere davon ab, Herr Krüger, wie wir miteinander ins Gespräch kommen und wo wir unsere Demokratie ernst nehmen.

(Thomas Krüger, SPD: Ich möchte mit Ihnen nicht ins Gespräch gehen. – Simone Oldenburg, DIE LINKE: Wir kommen nicht miteinander ins Gespräch.)