Protocol of the Session on March 8, 2017

Im Ältestenrat ist vereinbart worden, eine Aussprache mit einer Dauer von bis zu 60 Minuten vorzusehen. Ich sehe und höre dazu keinen Widerspruch, dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache.

Das Wort hat zunächst für die Landesregierung die Justizministerin Frau Hoffmeister.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich bin davon ausgegangen, dass wir zunächst mal über denselben Begriff beim „deutschen Volk“ reden. Deswegen würde ich am Anfang das vielleicht noch mal vorab klarstellen. Wenn ich über den Begriff rede, und das sollten wir alle tun, dann gehe ich davon aus, dass wir das alles auf der Basis des Grundgesetzes tun und uns insbesondere vor Augen führen, was das Bundesverfassungsgericht uns im 83. Band mit aufgegeben hat, nämlich an die Staatsangehörigkeit anzuknüpfen.

(Beifall vonseiten der Fraktionen der SPD und CDU – Thomas Krüger, SPD: Sehr richtig, sehr richtig! – Zuruf von Enrico Komning, AfD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Mit ihrem Antrag meint die Fraktion der AfD, dass der Straftatbestand der Volksverhetzung, Paragraf 130 StGB, nicht im gebotenen Maß deutsche Staatsangehörigkeit schütze und daher eine Ergänzung der gesetzlichen Opfersubjekte um die Deutschen als Volk beziehungsweise das deutsche Volk als solches erforderlich sei. Dieser Auffassung ist fachlich schon nicht zu folgen. Der Antrag versucht, einen gesetzgeberischen Handlungsbedarf vorzutäuschen, den es gar nicht gibt.

Dieser Antrag, meine Damen und Herren, ist nahezu wortwörtlich bei der Hamburger Fraktion der AfD abgeschrieben worden. Dort war er bereits ein Antrag vom 28.11. des letzten Jahres

(Jacqueline Bernhardt, DIE LINKE: Bisschen spät, ne?!)

und es überrascht sicher nicht, dass die Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg diesen Antrag am 1. Dezember 2016 mit den Stimmen von CDU, SPD, GRÜNEN, LINKEN und FDP abgelehnt hat.

(Torsten Renz, CDU: Hört, hört!)

Und ich prognostiziere, wenn ein solcher Antrag auch in anderen Landtagen gestellt werden würde,

(Dr. Ralph Weber, AfD: Wird er werden.)

wird er aus guten Gründen abgelehnt werden.

Lassen Sie uns aber bitte nun gemeinsam einen Blick in den Straftatbestand der Volksverhetzung werfen: Wegen Volksverhetzung nach Paragraf 130 Absatz 1 macht sich strafbar, „wer in einer Weise, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören“, zum Hass „gegen eine nationale, rassische, religiöse oder durch ihre ethnische Herkunft bestimmte Gruppe, gegen Teile der Bevölkerung oder gegen einen Einzelnen wegen seiner Zugehörigkeit zu einer vorbezeichneten Gruppe … aufstachelt, zu Gewalt- oder Willkürmaßnahmen“ gegen sie „auffordert“ (Nummer 1) oder deren „Menschenwürde … beschimpft, böswillig verächtlich macht oder verleumdet“ (Nummer 2).

Seinen Ursprung hat Paragraf 130 StGB in seiner heutigen Gestalt in dem Sechsten Strafrechtsänderungsgesetz von 1960. Seit 1960 ist dieser Paragraf in der Tat mehrfach verändert und verschärft worden. Geschütztes Rechtsgut dieses Paragrafen 130 Absatz 1 und 2 ist nach allgemeiner Auffassung der öffentliche Friede, teilweise wird auch die Menschenwürde der Betroffenen hinzugezählt. Durch die Strafandrohung soll bereits im Vorfeld das Entstehen eines Meinungsklimas verhindert werden, in dem bestimmte Menschen aggressiv ausgegrenzt werden und dadurch die Gefahr besteht, dass sie auch zu Opfern von Gewaltanwendungen werden könnten. So viel in der Kürze zur Entstehungsgeschichte und zur Zielsetzung der Strafnorm.

Zurück aber zum Ausgangspunkt des Antrags. Wer wird da nun in Paragraf 130 StGB geschützt und gibt es wirklich eine Regelungslücke, die es zu schließen gilt, wie die Fraktion der AfD meint? Nach der geltenden Auffassung schützt Paragraf 130 Teile der Bevölkerung und bestimmte Gruppen. Damit eine solche Personenmehrheit als Teil der Bevölkerung anerkannt werden kann, muss sie über eine geringfügige Zahl hinausgehen und von einer Erheblichkeit sein. Sie muss zahlenmäßig so groß sein, dass der Kreis der zugehörigen Individuen nicht überschaubar ist. Schließlich muss die Gruppe Teil der inländischen Bevölkerung sein, da die Vorschrift ja – das haben wir gerade gehört – den innerstaatlichen Frieden schützt.

Lassen Sie uns das jetzt mit Leben füllen. Was ist dann „Teil der Bevölkerung“? Nach der obergerichtlichen Rechtsprechung ist die Liste lang und bezieht sich gleichfalls auf Frauen und Männer – insbesondere heute, am 8. März –, Gaststudenten, Sinti und Roma, dunkelhäutige Menschen, Arbeiter, Bauern, Katholiken, Protestanten, Juden, Arbeitgeber, Arbeitnehmer, Kapitalisten, Kommunisten, Arbeitslose, Bayern, Schwaben, Einheimische, Vertriebene, Soldaten der Bundeswehr und so weiter und so weiter. Das alles sind Beispiele aus der Rechtsprechung, die uns klarmachen, was Teile der Bevölkerung sind. Sie haben

recht, der Gesetzgeber hat hier einen unbestimmten Rechtsbegriff gewählt, „Teile der Bevölkerung“, der auszufüllen ist. Aber das Rechtsstaatsprinzip nach Artikel 20 Absatz 3 gewährt eben auch, dass unter diesem Begriff eine Vielschichtigkeit von Lebenssachverhalten gefasst werden kann und er auszufüllen ist durch die Gerichte.

Wie die beispielhafte Ausführung verdeutlicht haben dürfte, ist es schlichtweg unmöglich – und vor allem eben nicht erforderlich –, sämtliche vom Volksverhetzungstatbestand erfassten und geschützten Gruppen im Gesetzestext aufzuführen. Der Bundesgesetzgeber hat sich bewusst dafür entschieden, der Rechtsprechung die Subsumtion des Begriffes „Teile der Bevölkerung“ im Einzelfall zu überlassen. Hieraus ergibt sich nach meiner Auffassung kein gesetzgeberischer Handlungsbedarf.

Die Frage, ob die Deutschen als Volk nach dem grundgesetzlichen Volksbegriff, also die Gesamtheit der die deutsche Staatsangehörigkeit innehabenden inländischen Bevölkerung, unter die geschützte Gruppe fällt, ist noch nicht gerichtlich entschieden worden. Eine klärende Rechtsprechung liegt auch nicht in den staatsanwaltschaftlichen Einstellungen einzelner einschlägiger Ermittlungsverfahren im Bundesgebiet, wie jüngst in Hamburg. Abgesehen davon, dass diese Entscheidung nach meinen Informationen noch nicht bestandskräftig ist und die Landesregierung sich ohnehin verbietet, Justizbehörden anderer Länder zu kommentieren, wäre hier eine Klärung durch die Rechtsprechung, und zwar durch eine höchstrichterliche Rechtsprechung, der richtige Weg.

Nach alledem, meine sehr geehrten Damen und Herren, geht der vorliegende Antrag auf Ergänzung von Paragraf 130 StGB an der Sache vorbei. Er sollte nach meiner Auffassung keinen Erfolg haben. – Vielen Dank.

(Beifall vonseiten der Fraktion der CDU)

Vielen Dank, Frau Ministerin.

Das Wort hat jetzt für die Fraktion der SPD der Abgeordnete Herr Friedriszik.

(Zuruf von Peter Ritter, DIE LINKE)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! Als ich die Überschrift gelesen habe, dachte ich erst, wir befänden uns in der vorhergehenden Legislaturperiode. Nach Lektüre des Antrages war klar, was der Antrag bezwecken soll. Er soll einen Gegensatz zwischen Deutschen und Nichtdeutschen konstruieren. Deutsche werden als vermeintlich schutzlos dargestellt, es geht, wie so oft, um Abgrenzung und Ausgrenzung.

Damen und Herren Abgeordnete, es ist einheitliche Meinung in der Rechtsprechung wie auch bei den Strafverfolgungsbehörden und in der Kommentierung zum Straftatbestand der Volksverhetzung, dass das „deutsche Volk“ als Gesamtheit nicht als mögliches Angriffsobjekt angesehen wird. Hier in der Antragsbegründung lediglich von einer „Klarstellung“ zu reden, gibt die Situation da wohl kaum zutreffend wieder. Im Übrigen ist diese Auffassung auch logisch, ist der Volksverhetzungsparagraf doch insbesondere vor dem Hintergrund der historischen Erfahrung des NS-Massenmordes an Juden, Sinti und Roma auf den Schutz von Minderheiten ausgerichtet. Bei

dem, was die AfD hier betreibt, blendet sie die Verhältnisse von Minderheiten und Mehrheitsgesellschaft aus. Der Antrag fügt sich ein in die immer wieder von der AfD vorgetragene Geschichte von Deutschen als Opfer von Ausländern.

Meine Damen und Herren, Volksverhetzung kann sich gegen eine der im Gesetz aufgezählten Gruppen, gegen Teile der Bevölkerung oder gegen einen Einzelnen wegen seiner Zugehörigkeit zu einer der Gruppen richten. Für eine Volksverhetzung im Sinne des Paragrafen 130 Absatz 1 StGB bedarf es übrigens deutlich mehr als einer Beleidigung. Wer den Beschlusstext des Antrages liest, könnte auf den Gedanken kommen, dass Deutsche nicht als Schutzobjekt von der Norm erfasst sind, tatsächlich aber fallen bereits heute selbstverständlich auch Deutsche unter den Schutzbereich des Paragrafen, nur eben nicht das gesamte deutsche Volk an sich. Auch können Täter sowohl Deutsche wie auch Ausländer sein.

Abgesehen davon wirft die Forderung in dem Antrag eine Reihe von Fragen auf: Was ist mit jenen Menschen mit Migrationshintergrund, die deutsche Staatsbürger sind? Was ist, wenn Täter selbst einen deutschen Pass besitzen und ihre eigene Gruppe beschimpfen? Können sie einen Teil der Bevölkerung verleumden, zu dem sie selbst gehören? Das führt zu der Frage: Was versteht die AfD eigentlich unter „Deutsche als Volk“ beziehungsweise „deutsches Volk als solches“?

(Enrico Komning, AfD: Das hat die Ministerin gerade gesagt.)

Meint sie Deutsche im Sinne des Grundgesetzes, also deutsche Staatsangehörige ungeachtet ihrer Herkunft, oder geht sie von einem ethnisch-völkischen Begriff aus?

An der Stelle, wo die Diskussion endlich interessant wird, drückt sich die AfD. In der Antragsbegründung ist von „das deutsche Volk bzw. die deutschen Staatsangehörigen“ die Rede. Ich hoffe doch sehr, dass die AfD nicht den Volksbegriff à la NPD vertritt!

(Peter Ritter, DIE LINKE: Man weiß es nicht genau. Man weiß es nicht genau.)

Wissen kann ich es hingegen nicht mit absoluter Gewissheit.

Meine Damen und Herren, im Übrigen scheint die AfD mit dem Antrag wieder mal eine konzertierte Aktion zu fahren. Ein ähnlicher AfD-Antrag wurde Ende letzten Jahres in Hamburg debattiert und einhellig von allen anderen Fraktionen abgelehnt beziehungsweise Mitte Februar dieses Jahres von der AfD in Rheinland-Pfalz eingebracht.

(Peter Ritter, DIE LINKE: Was? – Jacqueline Bernhardt, DIE LINKE: Und zurückgezogen.)

In beiden Anträgen wird übrigens in der Begründung – anders als beim vorliegenden Antrag – ausdrücklich ausgeführt: „Schon nach dem jetzigen Wortlaut der Vorschrift sind Deutsche mögliches Opfer der Volksverhetzung.“ Warum die AfD dies in dem vorliegenden Antrag unter den Tisch kehrt, wüsste ich gerne mal.

Meine Damen und Herren, es wäre eine interessante Debatte geworden, heute einmal öffentliche Reden von

AfD-Politikern zu diskutieren, was ist mit dem Begriff „Schande“, wenn er nicht im Kontext der Reue für Verbrechen genutzt wird, sondern als Angriff auf unser politisches System. Anstatt dieses Antrages hätte ich mir gewünscht, dass die AfD hier einmal die Gewalttaten gegen Flüchtlinge und Attacken auf Flüchtlingsunterkünfte deutlich verurteilt und sich klar von Björn Höcke und seinen Äußerungen zur Erinnerungskultur distanziert.

(Beifall vonseiten der Fraktionen der SPD und DIE LINKE)

Damen und Herren Abgeordnete, die SPD-Fraktion hält die Strafvorschrift des Paragrafen 130 StGB insgesamt für sachgerecht. Die bestehenden Regelungen im Strafgesetzbuch bieten hinreichende Möglichkeiten zur Ahndung entsprechender Delikte. Dies gilt ganz unabhängig davon, welcher Nationalität oder Herkunft Täter und/oder Opfer angehören. Die SPD-Fraktion lehnt den Antrag ab. – Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall vonseiten der Fraktionen der SPD und DIE LINKE)

Das Wort hat jetzt für die Fraktion DIE LINKE die Abgeordnete Frau Bernhardt.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! In Ihrem heute vorliegenden Antrag, sehr geehrte Damen und Herren von der AfD, fordern Sie, den Tatbestand der Volksverhetzung auf Deutsche als Volk als taugliches Tatobjekt auszudehnen. Sie wollen, um es deutlich zu machen, bewusste dramatische Geschichtsverfälschung gleichsetzen in der Bestrafung mit Ausdrücken wie „Deutschland ist scheiße“. Also jede – wie Sie es nennen – Demütigung und Entwertung der Deutschen soll nach Ihrem Willen zukünftig mit mindestens drei Monaten Gefängnisstrafe bestraft werden.

Worum geht es Ihnen bei diesem Antrag? Sie wollen wirksam gegen aggressive Äußerungen vorgehen. Und gegen wen richten Sie sich dabei? Das geht so auf den ersten Blick nicht aus Ihrem Antrag hervor. Wir haben es heute von Herrn Professor Weber noch mal hören können und wir haben es auch sehen können, als die AfD mit zwei gleichlautenden Anträgen sowohl in Hamburg als auch Rheinland-Pfalz war.

Zu dem Antrag in Hamburg ließ der Parlamentarische Geschäftsführer der AfD-Fraktion in der Hamburgischen Bürgerschaft, Dr. Alexander Wolf, im November 2016 verlautbaren: „Der öffentliche Friede wird gestört, wenn Deutsche diffamiert und in ihrer Menschenwürde angegriffen werden.“

(Beifall vonseiten der Fraktion der AfD)

„Viele inländerfeindliche Diffamierungen werden von Migranten und antideutschen Linken getätigt.“

Sie richten sich also in Ihrem Antrag gegen „Migranten und antideutsche Linke“. Vielleicht können Sie mir ja mal beantworten, was „antideutsche Linke“ sind? Sind wir es, weil wir für Offenheit und Toleranz gegenüber jedem Menschen kämpfen, weil wir für die Menschenwürde eines jeden Menschen kämpfen, so, wie es in Artikel 1 unseres Grundgesetzes verankert ist? Sie machen hier einen Begriff auf, den es so gar nicht gibt. Sie versuchen

mit Ihrem Antrag rechtspopulistisch den Leuten weiszumachen, dass es angeblich im deutschen Strafrecht keinen ausreichenden Schutz gäbe vor Ausdrücken wie „Deutschland ist scheiße“ oder „Deutschland verrecke“, dass es keinen ausreichenden Schutz vor „Migranten und antideutschen Linken“ als Ihrem Feindbild gäbe. Beides ist erstunken und erlogen.