Protocol of the Session on May 23, 2019

Unsere Ablehnung des vorliegenden Antrages möchte ich darüber hinaus in drei Punkten zusammenfassen:

Erstens sind auch nach Auffassung unseres Innenministers nicht die Flüchtlinge das Problem, sondern die nach dem Dublin-III-Abkommen zuständigen europäischen Staaten, die nicht immer kooperativ sind. Ob sich hieran durch die Vereinbarung zwischen Bund und Land etwas ändert, muss sich erst zeigen. Abschiebehaft ändert jedenfalls nichts an fehlender innereuropäischer Kooperation. Wir sollten eher darüber nachdenken, ob Deutschland sich mit den Dublin-Verordnungen nicht freigekauft hat, denn um in Deutschland als erstes europäisches Land einen Fuß auf den Boden zu setzen, müsste man mit dem Fallschirm abspringen, einen Tunnel graben oder sich beamen.

(Dr. Ralph Weber, AfD: Oder mit dem Flugzeug kommen, was immer mehr tun.)

Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen, zweitens soll die Unterbringung von Abschiebungshäftlingen in Strafhaftanstalten nur in Notlagen möglich sein. Gerade vor dem Hintergrund der Menschenwürde muss hier die Frage gestellt werden, ob eine solche vorliegt oder ob eine Notlage nicht vielmehr durch die ständigen Verschärfungen des Aufenthaltsrechtes erst hervorgerufen wird.

Werte Kolleginnen und Kollegen, neben politischen, juristischen und moralischen Aspekten sollten wir uns auch die Situation in unseren Justizvollzugsanstalten vor Augen führen. Meine Kollegin Jacqueline Bernhardt hat der Landesregierung immer wieder entsprechende Fragen gestellt. Hohe Arbeitsbelastung, hoher Krankenstand, neue Aufgabenfelder, neue Gefängnisstruktur und umfangreiche Baumaßnahmen bei laufendem Betrieb sprechen insgesamt für eher zusätzliches Personal, aber gegen eine zusätzliche Unterbringung von Abschiebungshäftlingen.

Werte Damen und Herren, drittens schließlich sorgen das sogenannte Geordnete-Rückkehr-Gesetz – wir würden es sehr gerne „Hau-ab-Gesetz“ nennen – wie auch der vorliegende Antrag für eine Stimmung kippender Akzeptanz für eine humane Flüchtlingspolitik. Dem treten DIE LINKE und unsere Linksfraktion konsequent entgegen! Die flüchtlingspolitischen SprecherInnen der Linksfraktion der ostdeutschen Bundesländer haben entsprechende Forderungen formuliert. Es geht darum, an Frau Merkels „Wir schaffen das!“ anzuknüpfen. Es gilt, für Bedingungen zu sorgen, die ein „Wir schaffen das!“ auch ermöglichen, sowohl für die Zugewanderten als auch für die Aufnahmegesellschaft. Der vorliegende Antrag verfehlt

diese Aufgabe deutlich. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall vonseiten der Fraktion DIE LINKE – Zuruf von Dr. Ralph Weber, AfD)

Das Wort hat jetzt für die Fraktion der SPD die Abgeordnete Frau Tegtmeier.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Abgeordnete!

Herr Förster, auch wenn es sich so angehört hat, der Innenminister ist nicht auf Ihrer Linie. Denn Sie haben eine wahre Zahl vorhin genannt, 70 Prozent,

(Zuruf von Thomas de Jesus Fernandes, AfD)

darauf komme ich gleich noch mal zurück, und daraus ableitend kann man dieses unterschiedliche Verständnis, was dieses neue Gesetz auslösen soll oder auslösen kann, gut nachvollziehen. Unser Innenminister hat eben gesagt, 2022 ungefähr kann durch diese neue Gesetzesregelung die Lücke der Bedarfe an Haftplätzen geschlossen werden, deswegen auch diese Übergangsfrist. Der Herr Seehofer hat ausgeführt, in dieser Zeit, also durch das Trennungsgebot – oder durch die Aufhebung für eine bestimmte Frist – sollen 500 neue Abschiebehaftplätze entstehen. Dann kann man ja mal 500 und 500 ungefähr zusammenzählen, das sind 1.000 für die ganze Bundesrepublik.

(Simone Oldenburg, DIE LINKE: Circa!)

Darauf bezieht sich das ja. Es ist ja nicht nur Bayern genannt, sondern das ist ja die ganze Bundesrepublik.

Aber wenn wir mal schauen, wie viele Ausreisepflichtige von diesem neuen Gesetz betroffen sein können, da haben wir ganz andere Zahlen, und die sind jetzt schon da. Und da helfen auch diese ein/zwei Wochen Ingewahrsamnahme nicht wirklich viel, um schneller darauf zu kommen, dass weder die Bundesrepublik – oder die Bundesregierung – noch die Landesregierung vorhaben, alle Menschen, die eventuell davon erfasst werden könnten, tatsächlich zu inhaftieren, und das aus gutem Grund. Und da hat nämlich auch der Bundesrat zwischengegrätscht. Wenn wir mal davon ausgehen, die Zahl 70 Prozent haben Sie vorhin genannt, wir haben in der Bundesrepublik 235.000 Ausreisepflichtige, gut 70 Prozent davon haben eine Duldung und teilweise diese Duldung aufgrund dessen, weil sie keine Papiere haben, keine gültigen.

(Zuruf von Jens-Holger Schneider, AfD)

Und rein theoretisch wären 40 Prozent davon nach dem neuen Gesetz, oder bestünde die Möglichkeit, 40 Prozent davon in Haft zu nehmen. Das sind, wenn wir das auf Mecklenburg-Vorpommern runterrechnen mit den Zahlen zum Stichtag 31. August 2018, dann wären das immerhin noch über 1.000 Menschen,

(Zuruf von Thomas de Jesus Fernandes, AfD)

die man rein theoretisch jetzt nach den neuen gesetzlichen Regelungen in Haft nehmen könnte, und das ist ja wohl eine Herausforderung. Wenn Sie wirklich auf all diese Menschen das anwenden wollten, dann wäre das

aber eine volkswirtschaftlich ziemlich irrsinnige Veranstaltung, muss ich mal sagen.

(Jens-Holger Schneider, AfD: Ach so!)

Und dann wäre Ihnen auch überhaupt gar nicht damit geholfen, wenn sich Innenminister und Justizministerin hier im Land einig wären,

(Peter Ritter, DIE LINKE: Aber schlecht wäre es nicht.)

weil immer noch gilt,

(Zuruf von Jens-Holger Schneider, AfD)

auch wenn man dieses Gebot aussetzt, dass die Unterbringung getrennt zu erfolgen hat.

Und was hier überhaupt noch nicht gesagt wurde, wir sprechen hier bei diesen über 1.000 Personen von Frauen, Männern und Kindern.

(Dr. Ralph Weber, AfD: Menschen.)

Und da kommt nämlich der Bundesrat ins Spiel mit seiner zu Recht vorgebrachten Stellungnahme. Der Bundesrat weist nämlich darauf hin, dass den Belangen von Minderjährigen und Familien mit minderjährigen Kindern in den Regelungen zur Abschiebehaft und Ausreisegewahrsam eben nicht ausreichend Rechnung getragen ist.

(Zuruf von Jens-Holger-Schneider, AfD)

Insoweit bedarf es ergänzender Regelungen. Insbesondere ist durch konkrete gesetzliche Regelungen sicherzustellen, dass die europarechtlichen Vorgaben zur Inhaftnahme von Minderjährigen in nationales Recht umgesetzt werden. Das ist eine ganz wichtige Voraussetzung, die hier schlichtweg einfach fehlt.

Die „tagesschau“ hat das Thema neulich auch aufgegriffen. Die haben zum Beispiel auch eine Umfrage des Bayerischen Rundfunks hierzu veröffentlicht oder angeführt. Da wurden die Bundesländer abgefragt oder angefragt, wie sie mit den neuen Regelungen umgehen wollen. Einige Länder wollen das gar nicht machen, weil die auch sagen, wir haben den Bedarf nicht. Andere sagen, wir haben sogar noch freie Kapazitäten und wollen das aus dem Grund nicht. Also insgesamt ist das Ganze noch keine runde Sache.

(Dr. Ralph Weber, AfD: Deshalb machen wir es ja jetzt.)

Ihr Antrag zu diesem Zeitpunkt, den hätten Sie sich echt schenken können. Wir haben hier mindestens zum dritten Mal über die Abschiebehaft jetzt diskutiert, unlängst sehr ausführlich. Da habe ich Sie gefragt, wen wollen Sie denn alles hier in Haft nehmen. Das haben Sie mir nicht beantwortet.

(Dr. Ralph Weber, AfD: Alle Ausreisepflichtigen, die nicht freiwillig ausreisen.)

Und auch jetzt klafft Ihre Vorstellung, glaube ich,

(Dr. Ralph Weber, AfD: Das ist doch ganz einfach!)

eklatant von dem, was wirklich hier als Vorhaben auf dem Tisch liegt, auseinander, sodass Ihr Antrag wirklich nur wieder abzulehnen ist. Und eigentlich, wenn man den befürworten würde, das wäre wieder, das wäre echt ein totaler wirtschaftlicher Unsinn. Anders kann man das nicht nennen. – Vielen Dank.

(Beifall vonseiten der Fraktion der SPD – Heiterkeit vonseiten der Fraktion der AfD)

Das Wort hat jetzt für die Fraktion Freie Wähler/BMV der Abgeordnete Herr Dr. Manthei.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Wir werden den Antrag ablehnen. Ein Ausländer, der keinen Aufenthaltstitel besitzt, ist gesetzlich zur Ausreise verpflichtet. Erfüllt er seine Pflicht nicht, kommt eine Abschiebung in Betracht. Und diese muss der Staat durchführen, wenn die Voraussetzungen vorliegen. Es gibt kein Ermessen hier beim Staat. Das ist seine rechtsstaatliche Pflicht.

Im vergangenen Jahr – meine Kleine Anfrage ist ja hier schon mehrfach zitiert worden – sind in MecklenburgVorpommern 932 Abschiebungen gescheitert. Nur 368 waren erfolgreich, also 72 Prozent der Abschiebungen sind gescheitert. Das war auch kein Einzelfall im letzten Jahr. In den letzten zehn Jahren sind die gescheiterten Abschiebungen von 75 im Jahr 2009 – und ich rede jetzt nur über Mecklenburg-Vorpommern natürlich – auf nunmehr 932 angestiegen.

Hauptgrund für das Scheitern war stets mit Abstand das Untertauchen des Ausländers. Im Jahr 2018 war es ungefähr die Hälfte der Fälle. Das Untertauchen ist eben ein leichtes Mittel, eine Abschiebung zu verzögern. Die Passersatzpapiere werden ungültig, es müssen neue beschafft werden und so vergehen dann wieder viele Monate. Und daneben gab es bekanntlich als Grund des Scheiterns noch die Renitenzfälle, also in denen die ausreisepflichtige Person Widerstand geleistet hat. Auch hier hatten wir einen Anstieg um fast 50 Prozent von 2017 zu 2018.

Diese mangelhafte Durchsetzung des Rechts ist nicht tolerierbar. Der Staat ist zur Durchsetzung des Rechts verpflichtet. Es geht darum, dass der Bürger das Vertrauen in den Rechtsstaat behält. Wir fordern daher, dass der Staat alle erforderlichen Maßnahmen ergreift, um Ausreisepflichten durchzusetzen. Hierzu gehört auch die Abschiebungshaft. Die Abschiebungshaft muss laut Gesetz in Abschiebehaftanstalten vollstreckt werden. Das besagt das Trennungsgebot, nach dem zwischen Abschiebehaft und Strafhaft zu unterscheiden ist.

Damit komme ich dann jetzt zum Gesetzentwurf der Bundesregierung. Dieser Entwurf sieht vor, von diesem Trennungsgebot abzuweichen und vorübergehend die Abschiebehaft auch in Justizvollzugsanstalten zu vollstrecken. Das ist erlaubt und notwendig, wenn es eine Notlage gibt. Und das ist sozusagen der entscheidende Punkt hier bei dem Antrag auch. Notlage bedeutet, es müsste also zu wenig Abschiebehaftplätze geben. Damit bin ich sozusagen bei einem Logikfehler, der dem Antrag zugrunde liegt, und deshalb muss ich heute, das ist ja selten der Fall, aber tatsächlich Frau Tegtmeier mal recht geben.

(Dietmar Eifler, CDU, Marc Reinhardt, CDU, und Simone Oldenburg, DIE LINKE: Was?!)

Wir müssen nämlich unterscheiden. Wir müssen unterscheiden – sie ist die Einzige, die das bisher richtig gemacht hat von allen Vorrednern – zwischen den Ausreisepflichtigen und den zu Inhaftierenden. Das sind zwei völlig verschiedene Dinge. Alle argumentieren – und da ist der Entwurf der Bundesregierung auch ein bisschen schwach, da war ich auch ein bisschen enttäuscht, als ich den dann studiert habe zu dem Punkt –, die argumentieren nur mit den Ausreisepflichtigen.

(Horst Förster, AfD: Vollziehbar.)

Vollziehbar Ausreisepflichtigen, okay.

Aber, noch mal, nicht alle vollziehbar Ausreisepflichtigen sind auch Fälle, die zu inhaftieren sind. Genau. Denn eine Haft erfordert mehr. Da brauchen Sie einmal die vollziehbare Ausreisepflicht, Sie brauchen einen Haftgrund, also Sie brauchen ein Gericht, das sozusagen einen Haftbefehl dann gegen den Abzuschiebenden erlässt, und das sind mit Sicherheit viel weniger als die Ausreisepflichtigen. Ich selbst war als Richter Anfang der 2000er mit Abschiebehaft auch beschäftigt. Also das war, zu der Zeit wurde noch relativ viel angeordnet.