Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich begrüße Sie zur 48. Sitzung des Landtages. Ich stelle fest, dass der Landtag ordnungsgemäß einberufen wurde und beschlussfähig ist. Die Sitzung ist eröffnet. Die Tagesordnung der heutigen Sitzung liegt Ihnen vor. Wir setzen unsere Beratungen vereinbarungsgemäß fort.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, gestatten Sie mir folgenden Hinweis. Heute Morgen erreichte uns die Mitteilung, dass die Justizministerin erkrankt ist. Sie wird durch die Ministerin für Bildung, Wissenschaft und Kultur vertreten.
Ich rufe auf den Tagesordnungspunkt 24: Beratung des Antrages der Fraktionen der CDU und SPD – Mobilitätsangebote des ÖPNV für den ländlichen Raum weiterentwickeln, Drucksache 7/2668. Hierzu liegt Ihnen ein Änderungsantrag der Fraktion der BMV auf Drucksache 7/2756 vor.
Antrag der Fraktionen der CDU und SPD Mobilitätsangebote des ÖPNV für den ländlichen Raum weiterentwickeln – Drucksache 7/2668 –
(Peter Ritter, DIE LINKE: Sind denn noch mehr Ministerinnen und Minister krank? – Minister Dr. Till Backhaus: Aber Harry ist nicht krank. – Dr. Mignon Schwenke, DIE LINKE: Dann wirds ja heute ein bisschen ruhiger.)
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren Kolleginnen und Kollegen Abgeordnete! Einen guten Morgen dem Hohen Haus! Ich freue mich, dass ich heute diesen Antrag hier einbringen kann:
Sehr geehrte Damen und Herren, die Gesellschaft in Mecklenburg-Vorpommern steht bei der Frage der Mobilität vor neuen und großen Herausforderungen. Gerade in den ländlichen Räumen ist der Rückgang des ÖPNV bis auf die Verbindung zwischen den Ankerstädten besonders bemerkbar. Sowohl der innergemeindliche als auch zwischengemeindliche Flächenverkehr, also die Zuführung zu den ÖPNV-Haltestellen, sind oft stark reduziert beziehungsweise komplett eingestellt. Bewohnerinnen und Bewohner ohne Zugang zu Individualverkehr haben nur eingeschränkt beziehungsweise keine Möglichkeiten der Teilhabe an der Versorgungsinfrastruktur und Interaktion.
Um aber der Zersiedlung und Abwanderung im ländlichen Raum entgegenzutreten, müssen die Menschen neben der allgemeinen Daseinsvorsorge über ausreichende Mobilität verfügen. Gerade die Träger des öffentlichen Personennahverkehrs sind hierbei gefordert, neue Wege zu gehen. Nur so kann am Ende dem demografischen Wandel in unserem Land entgegengewirkt werden. Die Mobilität ist die entscheidende Voraussetzung für den heutigen und künftigen Wohlstand in unserer Gesellschaft. Während der ÖPNV in den Städten gut ausgebaut ist, fehlt es an Mobilitätsmöglichkeiten im ländlichen Raum. Um gleichwertige Lebensverhältnisse auch im ländlichen Raum zu gewährleisten, sind der Erhalt und der Ausbau der Mobilität von entscheidender Bedeutung.
Sehr geehrte Damen und Herren, schon in der Koalitionsvereinbarung haben die Koalitionäre deshalb – unter den Punkten 104 bis 110 nachlesbar – entsprechende Vorgaben und die Landesregierung im Landesraumentwicklungsprogramm Festlegungen zu Mobilitätsangeboten getroffen. Obwohl an Werktagen zwischen 6.00 und 8.00 Uhr circa 85 Prozent der Bevölkerung den nächsten zentralen Ort innerhalb von 30 Minuten erreichen können, sind weitere Maßnahmen zwingend notwendig. An Wochenenden und in der Ferienzeit, wenn der Schülerverkehr wegfällt, sieht dies schon weitaus schlechter aus.
In der Vergangenheit hat meine Fraktion bereits mehrfach Anträge zur Verbesserung der Mobilität in den Landtag eingebracht.
Heute wollen wir mit dem vorliegenden Antrag Maßnahmen unterstützen, die das Mobilitätsangebot des öffentlichen Personenverkehrs im ländlichen Raum verbessern. Wir wollen, dass die Träger des öffentlichen Personennahverkehrs vernetzt werden, Erfahrungen austauschen und gemeinsam Projekte initiieren. Hierbei wollen wir den Trägern des ÖPNV mit finanziellen und technischen Mitteln unter die Arme greifen.
Es gibt schon mehrere Ansätze im Land, dem Mobilitätsdefizit entgegenzuwirken. Die beiden weitestgehenden sind: Ich nenne hier das Projekt Ilse-Bus in der Region Loitz und Jarmen. Das ist ein öffentlicher Personennahverkehr, der on Demand als Rufbus fährt. Der Betrieb wird vom regionalen Verkehrsunternehmen in Zusammenarbeit mit örtlichen Privatbetrieben, zum Beispiel Taxi- oder Busunternehmen, organisiert. Es gelten die Beförderungsbedingungen im ÖPNV. Der Landkreis Vorpommern-Greifswald prüft gegenwärtig, ob das Ilse-Projekt auf weitere Regionen des Landkreises ausgeweitet werden kann.
Das Projekt ELLI ist ein System von Bürgerbussen im Amt Röbel, das von einem Bürgerbusverein betrieben wird. Die Busse fahren je nach örtlichem Mobilitätsbedarf im Takt oder on Demand, vorrangig aber zu den Haltestellen der Busse der Mecklenburg-Vorpommerschen Verkehrsgesellschaft auf den Magistralen. Bei dem Projekt ELLI arbeiten die Fahrer im Ehrenamt. Der Landrat des Landkreises Mecklenburgische Seenplatte, Herr Heiko Kärger, ist Pate dieses Projektes und dieses Modells. Darüber hinaus gibt es einige ganz wenige traditionelle Bürgerbusse, die aber alle nur einen Hotspot abdecken und nicht flächenversorgend wirken.
Sehr geehrte Damen und Herren, das Projekt der Verkehrsgesellschaft Vorpommern-Greifswald mbH, der sogenannte Ilse-Bus, kann als Vorzeigeprojekt gelten. Hier werden mit Mitteln des Ministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur des Bundes neue Wege beschritten, um eine Vernetzung zwischen ÖPNV und individuellen Angeboten zu ermöglichen. So verkehrt der sogenannte Ilse-Bus ohne Fahrplan und Linie ganz nach den Mobilitätswünschen der Nutzer. Sie können sich kreuz und quer zwischen den Haltestellen im Einzugsbereich bewegen. Der Bus fährt von Montag bis Freitag zwischen 8.00 und 18.00 Uhr und dient als Zubringer zu den Linienbussen der Verkehrsgesellschaft.
Sinn dieser Projekte ist eine ganzzeitliche Rufbereitschaft, vergleichbar mit einem Taxiunternehmen, aber zu tariflich gebundenen Kosten der Verkehrsbetriebe. Ein wichtiges Detail ist hierbei, dass selbstverständlich kein öffentliches Verkehrsmittel in dem gewünschten Zeitraum bereitsteht. Das ist eine gute Möglichkeit, mit einfachen Mitteln Arbeitsplätze zu fördern und den öffentlichen Nahverkehr zielstrebiger zu organisieren. Technisch ist dieses Unterfangen mit modernen Mitteln, ressourcen- und umweltschonend durchführbar, jedoch an finanzielle Mittel gebunden.
Ein weiteres Projekt ist das Rufbus-System im Landkreis Ludwigslust-Parchim. Wir sind der Auffassung, dass im Bereich der Mobilitätsangebote des ÖPNV im ländlichen Raum neue Wege beschritten werden müssen. Gleichzeitig wollen wir die Rahmenbedingungen schaffen, dass Träger des öffentlichen Personenverkehrs voneinander lernen, Erfahrungen austauschen und gegebenenfalls Hard- und Software gemeinsam nutzen können. Wir wollen, dass für Mobilität im ländlichen Raum fachliche Unterstützung, Beratung, Implementierungsbegleitung, Start und Finanzierung durch die Landesförderung sichergestellt werden. Deshalb bitte ich Sie, dem vorliegenden Antrag zuzustimmen. Auf den Änderungsantrag der Fraktion von BMV werde ich in der Debatte eingehen. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Im Ältestenrat ist vereinbart worden, eine Aussprache mit einer Dauer von bis zu 90 Minuten vorzusehen. Ich sehe und höre dazu keinen Widerspruch, dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache.
Ums Wort gebeten hat von der Landesregierung in Vertretung des Ministers für Energie, Infrastruktur und Digitalisierung die Ministerin für Soziales, Integration und Gleichstellung Frau Drese.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! Ich darf heute den Verkehrsminister vertreten und möchte zu Ihrem Antrag Folgendes ausführen. Sie greifen mit Ihrem Antrag ein zentrales Thema des Landes auf: die Alltagsmobilität durch Nutzung des öffentlichen Busnahverkehrs. Hierbei unterliegt der öffentliche Personennahverkehr in Mecklenburg-Vorpommern der besonderen Herausforderung des dünn besiedelten Bundeslandes. Der klassische Linienbetrieb lässt sich aufgrund der geringen Nutzerzahlen nur bei erheblichem Zuschussaufwand mit einem nutzerfreundlichen Rhythmus darstellen. Trotz der rund 90 Millionen Euro, die der Landeshaushalt auf verschiedenen Wegen für den busbasierten öffentlichen Nahverkehr an die Landkreise und die beiden kreisfreien Städte ausreicht, bleibt ein klassischer, ständig verkehrender Busverkehr im ländlichen Raum nahezu unbezahlbar.
Dieser Herausforderung haben sich die verschiedenen Landkreise mit unterschiedlichen Modellprojekten genähert. Die Kreise, zu deren originären Aufgaben im eigenen Wirkungskreis der Bus-ÖPNV gehört, greifen verschiedene Ideen auf. Aufgabe ist dabei, durchgängig bei möglichst gleichem Ressourcenaufwand, vor allem gleichbleibendem Zuschussbedarf die vorhandenen Mittel möglichst effektiver einzusetzen, als dies bislang im klassischen Busfahrplanmodell gelingt. Es soll also mit gleichbleibendem Aufwand eine größere Erschließung der Fläche und nach Möglichkeit eine häufigere Beförderungsmöglichkeit aus und in die kleinen Gemeinden möglich werden.
Der Landkreis Vorpommern-Greifswald hat hierzu das Modellprojekt Ilse mithilfe des Bundes aufgelegt. Derzeit erprobt der Kreis dieses Modell im Amt Peenetal/Loitz. Ohne Fahrplan und Linien können Beförderungen zu den verschiedenen Haltestellen des Linienverkehrsnetzes erfolgen, gebucht per App oder Telefon, spätestens 60 Minuten vor Fahrtantritt. Der Kreis erwägt eine Erweiterung auf weitere Teile des Kreises. In der Mecklenburgischen Seenplatte bietet ein Bürgerverein die Elde-Linie an. ELLI verbindet damit seit 2017 Bürgerbus und traditionelle Busstrukturen im Amt Röbel. Es wird dabei der Verkehr links und rechts der ÖPNV-Magistralen zusätzlich erschlossen. Vor Ort wohnende Fahrerinnen und Fahrer bringen Fahrgäste mit zwischenzeitlich drei Fahrzeugen verschiedener Größen je nach Bedarf auf Abruf oder im Linienverkehr zu den Haltestellen der Mecklenburg-Vorpommerschen Verkehrsgesellschaft MVVG oder holen sie von dort ab. Die Fahrerinnen und Fahrer werden über die Ehrenamtspauschale oder als Minijobber für ihre Tätigkeit entschädigt. Im Amt Demmin-Land bringt der Bürgerbus des Törpiner Forums die Gemeindeeinwohnerinnen und -einwohner an die Knotenpunkte von Bus und Bahn oder auch zum Arzt und zum Einkaufen.
Dieses Modell ist ein klassischer Bürgerinnen- und Bürgerbus. Er basiert auf ehrenamtlichem Engagement.
Das Modell mit der größten Breitenwirksamkeit finden Sie im Landkreis Ludwigslust-Parchim. Dort wird bereits der gesamte Landkreis erfasst. Die Verkehrsgesellschaft Ludwigslust-Parchim hat vor knapp zwei Jahren den Rufbus zwischen Parchim, Plau und Lübz eingeführt. Damit wurde die Zahl der Bushaltestellen im ländlichen Raum signifikant erhöht. Dort gilt ein Fahrplan, der über den Tag alle zwei Stunden Fahrtmöglichkeiten anbietet. Dafür muss jedoch zwei Stunden vor Fahrtantritt telefonisch eine Bestellung erfolgen. Der Fahrgast wird dann auf eine Haltestelle an einer der ständig befahrenen Hauptrouten zugeführt und steigt dort in den regulären Linienverkehr um. Auf dem Rückweg gilt Gleiches. Hierfür ist ein kleiner Aufpreis zu zahlen.
Dieser Anrufsammelbus ist eingeführt worden, ohne den Zuschussbedarf des Gesamtsystems Bus/Nahverkehr signifikant zu erhöhen. Er hat nahezu jede kleinere Gemeinde wieder mit Bushaltestellen angeschlossen und mit dem in der Regel alle zwei Stunden nach Anruf möglichen Nahverkehrsangebot eine wesentliche Qualitätsverbesserung ermöglicht. Die hierdurch erreichten zusätzlichen Fahrgastzahlen und Potenziale zeigen, dass die Fahrgäste dies als qualitative Steigerung des Nahverkehrs annehmen. Einen ähnlichen Umbau des Nahverkehrssystems hin zu sehr viel direkter verkehrenden und damit schneller werdenden Busverbindungen zwischen den Grund- und Mittelzentren und darauf zuführenden, auf vorherige Bestellung reagierenden Anrufsammeltaxen hat der Landkreis Nordwestmecklenburg vor einigen Jahren vorgenommen.
Diese unterschiedlichen Modelle landespolitisch wahrzunehmen, würdigt die Kraft und das Engagement der Landkreise und insbesondere der Modellträger. Hierfür vielen Dank!
In der Sache wird der Landtag dabei Fingerspitzengefühl wahren müssen. Es handelt sich um eine originäre Selbstverwaltungsaufgabe der Landkreise. Deren Entscheidung für das Austesten verschiedener alternativer Modelle entspringt nicht selten der Einschätzung der konkreten Situation vor Ort. Wohl wissend, dass es den einen ländlichen Einheitsraum nicht gibt, ist daher die regionale Kenntnis durchaus wichtig. Eine Übertragbarkeit auf andere Regionen kann daher nur durch die originär zuständigen Landkreise und kreisfreien Städte entschieden werden.
Es wird einer Bewertung bedürfen, welche Modelle und wie die einzelnen Ideen geeignet sind, unter Wahrung der finanziellen Rahmenbedingungen mit den vorhandenen Ressourcen – Personal, Fahrzeuge und Haushaltsmittel – mehr Flächenerschließung und häufigere Fahrtmöglichkeiten zu erreichen. Es geht also darum, mit den vorhandenen Ressourcen effektiver umzugehen und damit mehr Qualität und Quantität möglich zu machen. – Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
Sehr geehrtes Präsidium! Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! Liebe Mecklenburger und Vorpommern! Dass wir die Mobilität im ländlichen Raum erhalten müssen, um auch dort Lebensverhältnisse zu schaffen, unter denen sich die Bevölkerung wohlfühlt, das ist natürlich richtig, aber es ist auch nicht neu.
Lassen Sie uns also ruhig heute wiederholt hier im Landtag feststellen, dass – ich zitiere aus dem Antrag – „Mobilität eine entscheidende Voraussetzung für den heutigen und künftigen Wohlstand unserer Gesellschaft ist“. Zitatende. Ebenso ist der Ausbau der Mobilität von entscheidender Bedeutung, damit die Regionen nicht aussterben, sondern neue Bewohner angelockt werden, die gerne kommen, die sich niederlassen und die vor allem auch bleiben möchten.
Dass das Thema einmal im Halbjahr von der Koalition auf die Tagesordnung gesetzt wird – zuletzt haben wir im Februar darüber gesprochen –, zeigt die große Herausforderung, die dahintersteckt. Dabei sollte uns allen bewusst sein, dass es das eine Angebot, das alle heutigen und zukünftigen Herausforderungen für die Mobilität im ländlichen Raum flächendeckend löst, wohl nicht geben wird. Lokal angepasste Lösungen und für die jeweilige Region geeignete Angebote, die darüber hinaus gut vernetzt sind und aufeinander abgestimmt sind – darin liegt die große Chance für den ländlichen Raum. Außerdem ist eine gute Kommunikation erforderlich, um das vielfältige Spektrum an Lösungen unter einen Hut zu bekommen und auch publik zu machen. Was nützen gute Ansätze, wenn niemand davon weiß und nicht darüber gesprochen wird? Nur so können auch gute Beispiele übertragen und für alle Regionen weiterentwickelt werden, ganz im Sinne der Nachhaltigkeit.