Protocol of the Session on October 24, 2018

(Dr. Ralph Weber, AfD: Ja, richtig.)

Meine Damen und Herren, aber mal abseits jeglicher Polemik: Die zentrale Frage bleibt, ob diejenigen, die wir nicht nur in Chemnitz mit ihren Auftritten und Forderungen gesehen haben, wirklich noch auf dem Boden des Grundgesetzes stehen. Das ist eine berechtigte Frage, die wir auch schon bei Mitgliedern anderer Parteien gestellt haben und die sich hier genauso dringlich stellt. Ob das am Ende wirklich zu einer Beobachtung der Partei führt oder nicht, wird in den Verfassungsschutzverbünden erörtert. Das ist nicht eine politische Entscheidung, sondern das ist eine Entscheidung auf Grundlage der rechtlichen Lage. Auch das gehört zu dem Thema dazu.

Der Ausgang des Prozesses ist in der Tat offen. Klar ist aber für mich, klar ist für die Landesregierung – ich bin auf keinem Auge blind, nicht auf dem linken und genauso wenig auf dem rechten –: Der Rechtsstaat hat alle Menschen gleich zu behandeln, und das gedenke ich auch weiterhin zu tun. Deshalb, das sei mir erlaubt, geht mir die Opferrolle, in der Sie sich regelmäßig sehen, auch gehörig auf den Zeiger, zuletzt gerade wieder im Zusammenhang mit der Demo in Rostock am 22. September. Da haben Sie sich in Ihrer Demonstrationsfreiheit eingeschränkt gesehen, weil die Polizei eine Sitzblockade der Gegenversammlung als Spontandemonstration bewertet und sie nicht aufgelöst hat. Also mussten Sie und Ihre Leute eine andere Route nehmen, als es ursprünglich geplant war.

Entgegen mancher Verschwörungstheorien genehmigt aber die Spontandemos übrigens nicht der Innenminister, auch nicht die Polizei, sondern allein die Versammlungsbehörde. Daran ist die Polizei gebunden und für die gilt immer noch das Neutralitätsgebot. Ich kann Ihnen klar versichern, die unterscheidet ganz sicher nicht zwischen

einer guten und einer schlechten Versammlung. Sie greift da ein, wo nach ihrer Einschätzung der Lage Körperverletzung, Sachbeschädigung, Verstöße gegen das Versammlungsgesetz oder Ähnliches vorliegen.

Wenn Sie hier wirklich Parteilichkeit unterstellen wollen, dann frage ich mich schon, ob Sie auf Ihren Abgeordnetenbänken in den zurückliegenden vielen Sitzungen hier immer geschlafen haben, denn wie oft habe ich jetzt von der linken Seite Prügel dafür bezogen, dass die Polizei angeblich unberechtigterweise Sitzblockaden von linken Gruppierungen aufgelöst hat.

(Marc Reinhardt, CDU: Das eine oder andere Mal. – Peter Ritter, DIE LINKE: Ich habe den Innenminister noch nie geprügelt! – Heiterkeit und Zuruf von Marc Reinhardt, CDU)

Die Polizei dient nicht irgendwelchen Gruppen, sie dient nicht irgendwelchen Fraktionen, sondern sie dient ausschließlich den Bürgerinnen und Bürgern. Gleiches gilt für den Verfassungsschutz und Gleiches gilt auch für den Rechtsstaat als Ganzes.

(Zuruf von Tilo Gundlack, SPD)

Sie, meine Herren von der AfD, werden nicht unterdrückt, Sie werden auch nicht diskriminiert. Also stellen Sie sich nicht beleidigt in die Ecke, stehen Sie zu den Figuren, mit denen Sie gemeinsame Sache machen, hauen Sie meinetwegen auch weiterhin Ihre Parolen heraus, aber wenn dabei Grenzen überschritten werden, müssen Sie sich nicht beschweren, wenn das Konsequenzen hat. Jeder erwachsene Mensch muss mit den Folgen seines Handelns leben. Das sollten auch Sie in Ihren Ausführungen immer wieder berücksichtigen. – Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.

(Beifall vonseiten der Fraktionen der SPD und CDU)

Für die Fraktion DIE LINKE hat jetzt das Wort die Abgeordnete Larisch.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir leben in einer parlamentarischen Demokratie, im Grundgesetz verankert mit Ewigkeitsgarantie.

(Dr. Ralph Weber, AfD: Nein.)

Daher, werte Kollegen der AfD, hat auch jeder Mensch, der Ihnen vorwirft, unsere Demokratie auszuhebeln und abschaffen zu wollen, erst mal recht. Sie wollen keine parlamentarische Demokratie, Sie wollen aus Deutschland zum Beispiel die Schweiz machen.

(Zuruf von Tilo Gundlack, SPD)

Ja, das ist Meinungsvielfalt, aber eine verfassungskonforme Forderung ist das nicht. Ich halte die Schweiz allerdings für ziemlich demokratisch. Die Schweiz ist aber nicht Deutschland, somit gilt die Schweizer Verfassung eben hier nicht. Hier gilt das Grundgesetz, die deutsche Verfassung, ob Ihnen das passt oder nicht. Wenn Ihnen die Schweiz so gut gefällt, dann wandern Sie doch einfach aus, ein freies Land lässt Sie gerne gehen!

(Zuruf von Tilo Gundlack, SPD)

Aber bedenken Sie: Die Schweiz ist ein multikulturelles Einwanderungsland. Ob Ihnen das so gefällt, weiß ich nicht. Vielleicht ja dann doch lieber Nordkorea, da hat auch nur einer das Sagen und bestimmt, was Demokratie bedeutet.

(Unruhe vonseiten der Fraktion der AfD)

Ein anderes Beispiel dafür, dass viele Menschen mit Ihrem Vorwurf an Sie, werte AfD, im Recht sind, sagen Demonstrationen. Der Innenminister hat eben schon dazu gesprochen, Artikel 8 des Grundgesetzes, jeder Deutsche hat „das Recht, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln“. Unter freiem Himmel kann das per Gesetz geregelt werden. Steht da irgendwo, dass Menschen dazu stehen müssen? Da steht „versammeln“. Das kann man im Sitzen tun, im Liegen, tanzend, singend, schweigend, in Menschenketten, wohl bestimmt auch auf dem Kopf stehend, und es gibt auch nirgendwo ein Erstanmelderecht. Die Entscheidung über eine Versammlung trifft einzig die Versammlungsbehörde und keine Partei. Das ist in den Paragrafen 14 und 15 des Versammlungsgesetzes geregelt. Ob es sich um Straftaten bei einer Demonstration handelt, entscheidet einzig ein Gericht und nicht Ihr persönliches Empfinden. Darüber sind wir sehr froh, denn in Staaten, in denen eine Partei die Meinungshoheit hat, und zwar nur eine Partei, in Staaten, in denen nur eine Partei bestimmt, diese Staaten nennen sich Autokratie oder Diktatur. Demokratie ist Vielfalt, Pluralismus und das Aushalten von kontroversen Debatten.

(Vizepräsidentin Beate Schlupp übernimmt den Vorsitz.)

In Thüringen wird seit September geprüft, ob der dortige AfD-Landesverband demokratiefeindlich ist. In unserem Landtag spricht sich die AfD hingegen für eine Stärkung der Demokratie aus, daher scheint mir zumindest ein gewisses Maß an Vorsicht geboten, wenn gerade die AfD durch eine zu schützende Meinungsvielfalt die Demokratie zu verteidigen vorgibt. Die AfD in MecklenburgVorpommern hat nämlich überhaupt kein Problem damit, sich zum Beispiel mit der Jungen Landsmannschaft Ostpreußen zu treffen. Deren früherer Landesvorsitzender Michael Gellenthin war zugleich Bundesvorsitzender der Heimattreuen Deutschen Jugend. Deren Vorbild war die Hitler-Jugend.

(Peter Ritter, DIE LINKE: Das ist egal! Das ist völlig egal. – Zuruf von Torsten Koplin, DIE LINKE)

Mittlerweile verboten ist nur die Heimattreue Deutsche Jugend.

Welche Vorbilder hat denn eigentlich die Junge Landsmannschaft Ostpreußen? Ich könnte auch anführen, dass sich einige Mitglieder der AfD M-V mit Mitgliedern der NPD beziehungsweise ehemaligen Mitgliedern der NPD trifft, die auch gleichzeitig Mitglied der Burschenschaft Rugia sind.

(Peter Ritter, DIE LINKE: Das macht doch nichts, das ist doch Meinungsvielfalt! – Zuruf von Thomas Krüger, SPD)

Wir nahmen immer an, dass es einen Unvereinbarkeitsbeschluss zur NPD gibt.

Apropos Burschenschaft Rugia: Ein mehrfach wegen Volksverhetzung, Holocaustleugnung und Verunglimpfung des Staates Verurteilter geht dort ein und aus, er wird nicht nur einfach geduldet. In den 1990er-Jahren war dieser Herr, Rigolf Hennig, selbsternannter Staatspräsident eines Freistaates Preußen,

(Heiterkeit bei Peter Ritter, DIE LINKE: Guck an, du!)

heute steht er der Reichsbürgerszene nahe, Verbindungen in die antisemitischen, homophoben, rassistischen Kameradschaftsszenen des Landes – ich will sie hier nicht alle aufzählen, das ist Ihnen ja selbst bekannt –, Güstrow, Rostock, Greifswald, Anklam, ganz tolle Kontakte haben ihre Mitglieder dorthin.

(Peter Ritter, DIE LINKE: Das ist Meinungsvielfalt! – Zuruf von Thomas Krüger, SPD)

Ist das die Meinungsvielfalt, die Sie hier schützen wollen? Holocaustleugnung und Rassismus sind keine Meinung, es sind Verbrechen.

(Beifall vonseiten der Fraktion DIE LINKE)

Meine Damen und Herren, Demokratie und Meinungsvielfalt, ob wir uns diesem Megathema rechtsphilosophisch, staatsrechtlich oder auch gesellschaftspolitisch zuwenden, unstrittig sollte dabei sein, dass die Grundlage hierfür das Demokratiekonzept des Grundgesetzes ist. Das heißt dann zunächst mindestens Dreierlei:

Erstens gibt es keine absoluten Wahrheiten. Mehrheitsentscheidungen werden anerkannt und Minderheiten müssen die Chance haben, selbst zu einer Mehrheit werden zu können.

Zweitens geht das Grundgesetz von Pluralität der Gesellschaft in politischen Fragen aus. Ein Bekenntnis zur Meinungsvielfalt heißt dann Anerkenntnis, dass es den angeblichen, den einheitlichen Volkswillen gar nicht gibt. Die Gefahr von Filterblasen und Echokammern digitaler Netzwerke besteht gerade darin, Meinungseinheit vorzuspiegeln, wo das tägliche Leben vielfältig ist. Meinungsfreiheit heißt in diesem Zusammenhang, dass Widerspruch legitim ist, ob im Landtag oder bei einer Demonstration.

Drittens schließlich setzen Demokratie und Meinungsvielfalt auf der Basis des Grundgesetzes eine Bejahung demokratischer Spielregeln und Institutionen voraus. Hier wird es dann schon komplizierter, auch für mich persönlich, denn es geht um die Anerkennung des anderen als gleichwertig. Es geht um die Achtung anderer politischer Überzeugungen, um die Offenheit für Argumentation und Kompromiss. Entgegengesetze Entwicklungen lassen sich gegenwärtig in Polen, Ungarn oder der Türkei beobachten.

Meine Damen und Herren, dies vorausgeschickt, dürfte klar sein, dass das Thema „Demokratie und Meinungsvielfalt“ mit Populismus grundsätzlich unvereinbar scheint, denn Populismus heißt antipluralistisch und Populismus hat daher eine antidemokratische Stoßrichtung. Demnach, und hier haben wir das nächste Problem, sollten wir populistische Strömungen nicht aus dem

demokratischen Diskurs ausschließen. Dies ist allerdings unter Einhaltung von grundgesetzgezogener Grenzen zweifellos das nächste Problem.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, sollten die Antragsteller, sollte die AfD nun eine mangelnde Meinungsvielfalt beklagen, ist dazu Zweierlei zu sagen:

Erstens sind Entstehung und Aufstieg der AfD zunächst Ausdruck einer lebendigen Demokratie und geschützter Meinungsvielfalt,

(Zuruf von Dr. Gunter Jess, AfD)

gerade wenn dies den einen oder anderen, mich auch, schmerzen mag. Auch Konservatismus gehört zur Meinungsvielfalt. Allerdings wird das Prädikat „konservativ“ mitunter auch gewählt, um das Reaktionäre zu tarnen.

(Dr. Ralph Weber, AfD: Das gehört auch zur Meinungsvielfalt!)

Meine Damen und Herren, wer rhetorisch Schusswaffen gegen Flüchtlinge lädt, der ist für mich nicht konservativ, sondern rechtsextrem.

(Zuruf von Christoph Grimm, AfD)

Zweitens – und auch das gehört zum Schutz der Meinungsvielfalt, den die AfD einfordert – gibt es Grenzen der freien Meinungsäußerung. Gerade im politischen Meinungskampf geht die Meinungsfreiheit sehr weit. Grenzen allerdings werden dann erreicht, wenn die Menschenwürde angegriffen wird. Eine Zivilgesellschaft, und das richte ich ausdrücklich an die Herren der AfD, eine Zivilgesellschaft muss nicht jede Äußerung akzeptieren, sondern zwischen Hetze und Meinung unterscheiden.

(Zuruf von Thomas de Jesus Fernandes, AfD)

Nicht alles, wiederum an die Herren der AfD gerichtet, nicht alles, was so manch einer von sich gibt, ist schützenswertes Gedankengut. Die Freiheit hat dort ihre Grenzen, wo sich in hetzerischen Gedanken und Worten gesuhlt wird, egal, wie sachlich sie verpackt sein mögen. Anders formuliert: Keine Meinungsfreiheit für Volksverhetzer!

Meine Damen und Herren, „Demokratie verteidigen – Meinungsvielfalt schützen!“, dieses übergroße Thema wird plötzlich ganz irdisch, wenn wir uns der Demokratie als wehrhafter, als streitbarer Demokratie bewusst bleiben. Bei allen Problemen, die sich daraus im Einzelnen ergeben mögen, so kann etwa eine Beobachtung durch den Verfassungsschutz ein deutliches Signal sein, um zu zeigen, wo die Grenzen der Meinungsvielfalt sind. Hier schließt sich dann auch der Kreis und ich kann mich wieder direkt an die Herren der AfD wenden.