Protocol of the Session on April 27, 2018

dass es Generationenketten gibt von Leuten, die in Wohnungslosenunterkünften leben.

(Horst Förster, AfD: Das ist es doch!)

Da muss man sagen, die sind nicht da drin, weil man sie substituiert hat, sondern die sind einfach da drin, weil sie keine entsprechenden Rahmenbedingungen gehabt haben, groß zu werden und ihre Partizipationsmöglichkeiten in dieser Gesellschaft zu realisieren. Das sind die Sachen, an denen man arbeiten muss und wo man erkennen muss, wer braucht Unterstützung und wer braucht keine. Auch das kann man klar erkennen.

Ich habe den Eindruck, dass auf der einen Seite der Anteil derjenigen, die ihre Kinder ordentlich unterstützen und ordentlich fördern können, größer wird. Aber wir

haben es andererseits auch mit einem Anteil von Menschen zu tun, die dabei Schwierigkeiten haben, und die muss man entsprechend unterstützen. Das macht man nicht dadurch, dass man ihnen die Leistung reduziert. Das wollte ich noch mal klarstellen und erwähnt haben. – Danke schön.

(Beifall vonseiten der Fraktion der SPD)

Weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Ich schließe die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der Fraktion DIE LINKE auf Drucksache 7/1998. Wer dem Antrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. – Danke schön. Gegenstimmen? – Stimmenthaltungen? – Damit ist der Antrag der Fraktion DIE LINKE auf Drucksache 7/1998 bei Zustimmung der Fraktion DIE LINKE und Ablehnung der Fraktionen von SPD, CDU, AfD und BMV abgelehnt.

Ich rufe auf den Tagesordnungspunkt 38: Beratung des Antrages der Fraktion der AfD – Deutsch-türkisches Sozialversicherungsabkommen aufkündigen, auf Drucksache 7/1989.

Antrag der Fraktion der AfD Deutsch-türkisches Sozialversiche- rungsabkommen aufkündigen – Drucksache 7/1989 –

Das Wort zur Begründung hat für die Fraktion der AfD der Abgeordnete Herr Professor Dr. Weber.

(Torsten Koplin, DIE LINKE: Jetzt kommt ein Beispiel, wie wir den Sozialstaat erhalten.)

Liebe Bürger von Mecklenburg und Vorpommern! Frau Präsident! Werte Kollegen! Liebe Gäste! Das deutsch-türkische Sozialversicherungsabkommen ist am 1. November 1965 in Kraft getreten und gilt seitdem unverändert. Das ist besonders bemerkenswert in einem Rechtsgebiet, das ähnlich wie das Steuerrecht besonders schnelllebig ist. 1965 in Kraft getreten und gilt seitdem unverändert

(Torsten Renz, CDU: Sie sagten es bereits.)

in einem besonders schnelllebigem Rechtsgebiet, das schnelllebiger ist als die Technik. Man stelle sich vor, Sie haben noch einen Kühlschrank von 1965 zu Hause stehen oder fahren mit dem Auto Baujahr 1965 rum. Ungefähr so ist es mit diesem Sozialversicherungsabkommen.

(Zuruf von Torsten Koplin, DIE LINKE)

Es hatte damals, als es in Kraft getreten ist, seine guten Gründe, denn nach türkischer Sozialvorstellung und dem dortigen Sozialversicherungsrecht sind Kinder dazu da gewesen, ihre Eltern im Alter zu unterstützen und finanziell abzusichern. Dementsprechend war es nur möglich, türkische Arbeitnehmer zu uns zu holen, wenn man ihnen dieses heimische Sozialrecht auch bei uns sichert. Dementsprechend sind in diesem deutsch-türkischen Sozialversicherungsabkommen eben nicht nur die Ehegatten und die Kinder – wie bei uns – bei Arbeitnehmern mitversichert, sondern auch die Eltern des Arbeitnehmers. Das entspricht bis heute türkischem Sozialversicherungsrecht

und es entspricht dem dortigen und bis heute gelebten Familienbild. Das hatte also seinen guten Grund, denn man wollte türkische Arbeitnehmer zu uns bringen und die mussten sich den Einwand der Eltern anhören, wenn du jetzt weggehst, wie bin ich dann versorgt. Dann konnte man immerhin sagen, die Krankenversicherung ist weiter gewährleistet. Das war der eine Grund.

Der zweite Grund war, dass man damals davon ausging – das war Teil des Anwerbeabkommens mit der Türkei aus dem Jahre 1961 –, dass die deswegen sogenannten Gastarbeiter sich maximal zwei Jahre hier befristet aufhalten, danach die Arbeitserlaubnis erlöscht und sie wieder nach Hause gehen. Das hat sich natürlich als Trugschluss erwiesen. Man hat diese Fristen erst immer weiter verlängert und irgendwann diese Kündigungsmöglichkeit ganz aufgegeben.

Die Folge davon ist, dass die Eltern der ersten Gastarbeitergeneration, die abgesichert werden sollten, inzwischen gar nicht mehr leben und dass die Eltern der zweiten oder dritten Arbeitnehmergeneration türkischer Herkunft sich hier in Deutschland aufhalten. Das hat auch dazu geführt, dass die entsprechenden Zahlungen pauschaliert wurden und heute einen nicht mehr deutlich erheblichen finanziellen Umfang einnehmen. Es geht also nicht darum, finanzielle Leistungen in einem erheblichen Umfang durch unseren Antrag abzusenken. Die Pauschalen sind überschaubar und die Zahlen derjenigen, deren Eltern sich als türkische Arbeitnehmer in Deutschland in der Türkei aufhalten, sind sehr gering geworden.

Im Jahr 2003 hat man das in Rheinland-Pfalz und im Bund erkannt. Und wenn ich jetzt fragen soll, raten Sie mal, von welcher Seite damals die Kündigung des deutschtürkischen Sozialabkommens gefordert wurde – es war von der CDU, eingebracht im Landtag in Rheinland-Pfalz und im Bundestag, damals als Opposition.

(Thomas Krüger, SPD: Jetzt ernsthaft?)

Als man dann sowohl in Rheinland-Pfalz als auch im Bund Regierungsverantwortung übernommen hat, …

(Thomas Krüger, SPD: Das war die CDU, ja?)

Das war die CDU.

(Thomas Krüger, SPD: Das ist ja interessant.)

… wurden diese Anträge nicht weiterverfolgt.

(Jörg Heydorn, SPD: Kluge Entscheidung!)

Da können Sie sagen, kluge Entscheidung. Heute hat es jedenfalls dazu geführt, dass eine erhebliche Ungleichbehandlung im Sozialversicherungsrecht aufzuweisen ist, nämlich diejenige deutscher und übrigens aller anderen europäischen Arbeitnehmer, sprich derjenigen, die Bewohner und Bürger von Staaten der EU sind. Bei denen nämlich sind die Eltern nicht mitversichert. Nur bei den Arbeitnehmern türkischer Nationalität, deren Eltern sich in der Türkei aufhalten, haben die Arbeitnehmer das Privileg, dass ihre Eltern in unserer Sozialversicherung mitversichert sind.

Es ist heute also durch keine realen Umstände weder vom Bedürfnis noch vom Anwerbestatus her mehr gedeckt und es hat sich zu einem reinen Instrument der Ungleichbe

handlung ausgewirkt. Heute werden Arbeitnehmer ungleich behandelt, und zwar EU-Arbeitnehmer, Deutsche und EU-Arbeitnehmer schlechter als Arbeitnehmer türkischer Nationalität, die hier arbeiten. Das ist ein Zustand, den wir nicht für hinnehmbar halten. Deswegen bitten wir darum, dieses deutsch-türkische Sozialabkommen zu kündigen.

Das kann unser Land nicht. Deswegen können wir hier nur beantragen, dass sich die Landesregierung dafür einsetzt, das im Bundesrat voranzubringen. Kündbar ist dieses Übereinkommen nach dessen Artikel 58 mit einer Frist von drei Monaten jährlich. – Danke schön.

(Beifall vonseiten der Fraktion der AfD)

Im Ältestenrat ist vereinbart worden, eine Aussprache mit einer Dauer von bis zu 120 Minuten vorzusehen. Ich sehe und höre dazu keinen Widerspruch, dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache.

Das Wort für die Fraktion der SPD hat jetzt der Abgeordnete Herr Heydorn.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren Abgeordnete! Mit diesem Antrag will die AfD uns natürlich tüchtig hinter die Fichte führen, was aber nicht funktionieren wird. Wenn Sie sich die Kleine Anfrage einer Gruppe von Abgeordneten der LINKEN im Deutschen Bundestag vom 30.01.2018 angeguckt hätten, dann hätten Sie Ihren Antrag nicht stellen müssen. Hier wird ja auf das Thema „Ungleichbehandlung, Ungerechtigkeiten im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung“ abgestellt. Im Rahmen der Kleinen Anfrage wurde gefragt, welchen Anteil das am Gesamtaufkommen der gesetzlichen Krankenversicherung hat, das, was wir zahlen. Das sind 0,006 Prozent der Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung, die im Rahmen dieser pauschalierten Zahlung in die Türkei gehen.

(Zurufe von Dr. Gunter Jess, AfD, und Jens-Holger Schneider, AfD)

Die nächste Frage: Inwieweit ist das denn beitragsrelevant? Auch die ist beantwortet worden. Eine Beitragsrelevanz dafür ist nicht vorhanden. Also völlig egal, ob wir das jetzt aufkündigen oder nicht, es würde keine Auswirkungen haben auf die Beiträge, die Arbeitgeber und Arbeitnehmer bei uns in die gesetzliche Krankenversicherung zahlen. Und was uns Herr Professor Weber, der ja immer für sich beansprucht, mit intellektuellem Tiefgang an die Dinge ranzugehen,

(Zuruf von Martina Tegtmeier, SPD)

hier verschweigt, ist, dass dieses Sozialversicherungsabkommen nicht nur die gesetzliche Krankenversicherung impliziert, sondern auch die Unfall- und die Rentenversicherung. Wenn man dieses Abkommen kündigen würde, hätte das in erheblichem Umfang auch Auswirkungen auf Deutsche, die sich in der Türkei aufhalten, sei es als Touristen. Wenn Sie als Tourist mit einer deutschen gesetzlichen Krankenversicherung in der Türkei Urlaub machen, hätten Sie für diese Zeit keinen Krankenversicherungsschutz, dann müssten Sie sich hier privat versichern und ansonsten passiert das nicht.

Wenn Sie beispielsweise als Arbeitnehmer eines deutschen Arbeitgebers in die Türkei gehen und dort arbeiten

würden, möglichst noch für mehrere Jahre, wären Sie in der Türkei sozialversicherungspflichtig. Das Abkommen beinhaltet zum Beispiel auch, dass diese Beitragszahlungen wechselseitig anerkannt werden. Das heißt also, wenn es zu Sozialleistungen kommt, werden diese Zeiten berücksichtigt und so weiter und so fort.

Nachdem ich mir das angeguckt habe, habe ich mir die Frage gestellt: Was ist eigentlich des Pudels Kern?

(Zuruf von Dr. Ralph Weber, AfD)

Was wollen die damit?

(Dr. Gunter Jess, AfD: Gleichbehandlung.)

Was wollen die damit? Dass wir uns quasi den Hut nicht mit dem Hammer aufsetzen und schnell erkennen, dass das nur ein ganz kleiner Teil des Sozialversicherungsabkommens ist, was hier thematisiert werden soll? Solche Sozialversicherungsabkommen gibt es übrigens sehr, sehr viele mit allen möglichen Ländern.

(Dr. Ralph Weber, AfD: Aber doch ohne die Eltern.)

Brasilien will ich nennen, Russland und sonst was. Also auf der ganzen Welt gibt es diese Sozialversicherungsabkommen.

(Dr. Ralph Weber, AfD: Das ist doch Unsinn, was Sie erzählen. Es geht um die mitversicherten Eltern.)

Das ist offenkundig, das ist Ihr Konzept. Sie betreiben folgende Strategie: Der erste Schritt ist Geschichtsrevisionismus.