Protocol of the Session on April 27, 2018

Wenn Sie das hier mal ganz nüchtern betrachten, und deshalb habe ich diesen Artikel vorgelesen, ist es so, dass sie in einem Milieu groß werden, wo sie lernen, dass die Grundversorgung, auch wenn die bescheiden ist – dazu zählt, dass man nicht frieren muss, dass man nicht hungern muss –, dass diese Grundversorgung die Regel ist, ohne dass man dafür etwas tun muss. Deshalb ist mein Beispiel, ich habe ja nicht heldenhafte Dinge berichtet, sondern was ich Ihnen damit sagen wollte, ist: Für ein Kind, das so groß wird wie ich damals, ist es ein besseres Rezept, ganz früh schon zu lernen, dass man Verantwortung tragen muss und dass man sich alles, was man bekommt, irgendwo auch verdienen muss, dass man, ohne etwas dafür zu tun, normalerweise nichts bekommt.

(Beifall vonseiten der Fraktion der AfD)

Insofern denke ich, bei demjenigen, der so groß wird, in diesem Milieu, dass die Grundversorgung gesichert ist, muss sich das zwangsläufig psychologisch in gewisser Weise wie ein Motor für die Entmotivierung zur Arbeit auswirken. Das ist die Realität.

Deshalb: Um Armut zu bekämpfen, müssen wir natürlich alles das tun, was Familien und Kinder stärkt. Wenn ich zum Beispiel ins Museum gehe, ärgere ich mich jedes Mal, wenn ich als sogenannter Rentner eine Vergünstigung habe, die ich nie wahrnehme, und frage mich jedes Mal: Wie steht der Vater mit drei oder vier Kindern da? Der zahlt das Mehrfache. Es gibt so viele Bereiche, wo wir gegen Armut steuern können, wo wir insbesondere steuern können, dass die Kinder aus solchen Verhältnissen nicht dafür bestimmt sind, die Situation ihres Elternhauses als Normalität zu empfinden und dem nachzueifern, dass die noch Motivation haben. Deshalb gefiel mir die Formulierung einer der Vorredner, dass wir bei der Förderung und bei der Unterstützung ganz stark an die tatsächlichen Befähigungspotenziale anknüpfen müssen

und uns nicht was vormachen dürfen. Diese Tatsache, glaube ich, kann man nicht bestreiten.

Das knappe Geld ist schlimm, aber ist bei Weitem nicht alles. Deshalb, meine ich, ist es ein großes Problem –

(Karen Larisch, DIE LINKE: Arme Menschen sind deshalb keine schlechten Eltern, sie sind genauso gut wie die anderen.)

auch das ist ja so ein gewisses heißes Eisen –, dass bei Hartz IV überhaupt nicht unterschieden wird zwischen denen, die vielleicht Jahrzehnte gearbeitet haben und dann aus irgendwelchen Gründen da hineingerutscht sind,

(Karen Larisch, DIE LINKE: Unglaublich!)

und dem Nachbarn um die Ecke, der noch nie in seinem Leben die Hand krumm gemacht hat.

(Torsten Renz, CDU: Was schlagen Sie denn vor? – Glocke der Vizepräsidentin)

Da sollte differenziert werden. Aber das ist jetzt nicht meine Aufgabe, ich bin kein Sozialexperte, das gebe ich zu. Aber ich spreche es deshalb an,

(Torsten Renz, CDU: Warum sprechen Sie das denn an, wenn Sie nichts dazu sagen können?)

weil der Blickwinkel falsch ist, den wir haben, und das zeigt die Spahn-Schelte ganz deutlich. Es ist eben nicht alles mit Geld zu regeln.

Und nochmals: Das ist eine schädliche Nebenwirkung und man muss darüber nachdenken, wie man die Kinder aus dieser psychologischen Situation, aus dieser Psychofalle herausbekommt. Wenn die so aufwachsen, ist das doch für sie Normalität. Dann passiert genau das, was hier steht, dass diese Kinder nicht motiviert sind zu lernen, weil sie nie gelernt haben, dass Lernen fürs Leben wichtig ist. Wenn sie erleben, dass die Grundversorgung ohne Zutun erfolgt, dann ist das eine ganz schädliche Voraussetzung für die Prägung dieser Kinder.

Eigentlich wollte ich nur darauf hinweisen, dass diese totale Verkürzung auf Geld und Erhöhung von Hartz-IVSätzen das Problem überhaupt nicht löst. Damit ich nicht missverstanden werde: Natürlich sind die wichtig! Jeder ist wichtig! Aber wir nehmen doch den Menschen dadurch, dass sie arbeitslos sind, dass sie nicht selbst für sich sorgen können, die Würde. Und diese Würde stellen wir nicht her, indem wir ihnen Geld und nochmals mehr Geld geben,

(Torsten Koplin, DIE LINKE: Das sagt unser Antrag nicht aus! Der redet nicht nur von Geld!)

dass dann in der Höhe noch kaum einen Abstand hat zu dem, der bescheiden arbeitet und vielleicht nur 50 oder 100 Euro mehr verdient. – Vielen Dank.

(Beifall vonseiten der Fraktion der AfD)

Für die Fraktion DIE LINKE hat das Wort Frau Oldenburg.

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren!

Herr Förster, Sie haben eben den Menschen, die von Armut bedroht sind oder arm sind, die Würde genommen!

(Unruhe vonseiten der Fraktion der AfD – Thomas de Jesus Fernandes, AfD: Wenn Sie das sagen!)

Sie waren es, der eben gesagt hat, „Armut im Kopf“ ist identisch mit der „Armut im Portemonnaie“.

(Horst Förster, AfD: Nein, nein, das habe ich nicht getan!)

Das haben Sie eben gesagt,

(Andreas Butzki, SPD: Das kann man im Protokoll nachlesen!)

nachdem Sie natürlich erst mal über die Armut in Ihrer Kindheit berichtet haben. Welche Schlüsse das dann zulässt, das überlasse ich jetzt allen anderen, die darüber vielleicht noch mal nachdenken möchten.

Es geht nicht um die Armut, Herr Förster, es geht nicht um die Armut, dass jemand verhungert in Deutschland. Es geht um die Armut der Teilhabe. Darum geht es. Wer gesellschaftlich nicht teilhaben kann, der ist auch arm. Tun Sie nicht so, reduzieren Sie das nicht darauf, als würde jemand verhungern! Darüber reden wir nicht! Wir reden über Ausgrenzung von der gesellschaftlichen Teilhabe, um Ausgrenzung von kultureller Bildung, um Ausgrenzung von sportlicher Betätigung.

(Zuruf von Jens-Holger Schneider, AfD)

Darüber reden wir und das muss abgeschafft werden.

(Zuruf von Stephan J. Reuken, AfD)

Da müssen wir alle etwas tun und nicht irgendwelche dämlichen Sprüche klopfen.

(Beifall vonseiten der Fraktion DIE LINKE)

Für die Fraktion der SPD hat noch einmal das Wort der Abgeordnete Heydorn.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren Abgeordnete! Die Frau Kollegin Oldenburg hatte scheinbar die gleiche Idee wie ich. Ich finde, das, was Herr Förster hier von sich gegeben hat, ist nicht von vertiefter Sachkenntnis geprägt,

(Jens-Holger Schneider, AfD: Sie haben es einen „Scheiß“ genannt, ich habe es gehört!)

sondern von irgendwelchen Ideologien und Erfahrungen, die er meinte, in seiner Kindheit mal gemacht zu haben.

Es gibt heute in der Armutsforschung einen Ansatz, das ist der sogenannte Verwirklichkeitschancenansatz. Das heißt nichts anderes, als wenn Sie sich einen Studenten angucken, der drei Jahre auf Grundsicherungsniveau leben muss. Wenn Sie den fragen, bist du arm, was wird

der Ihnen sagen? Nee, eigentlich nicht. Mir geht es gut. Der hat eine Perspektive,

(Horst Förster, AfD: Da der noch einigermaßen fit ist, kann der noch nebenbei verdienen!)

der hat die Perspektive, dass es ihm in drei Jahren deutlich besser geht. Der wird sich nicht als arm bezeichnen. Wenn Sie aber jemanden befragen, der, was weiß ich, 65 ist, eine Frau, 65, lebt von sozialer Grundsicherung, hat noch eine Lebenserwartung von 20 Jahren, wenn Sie die fragen, fühlen sie sich als arm, dann wird die sagen, ja, ich bin arm. Ich fühle mich arm. Ich habe in dieser Gesellschaft keine entsprechenden Partizipationsmöglichkeiten und so weiter und so fort.

Und wenn Sie hier Milieus beschreiben – die Milieus, die Sie beschreiben, die gibt es doch kaum noch. Das ist doch ein Heile-Welt-Ansatz. Ich bin nicht ganz so alt wie Sie, aber ich kenne das auch noch, dass große Teile meines Umfelds Leute auf meinem Niveau waren. Die Eltern hatten gleichgelagerte Arbeitsverhältnisse, wir besuchten die gleiche Schule und so weiter und so fort. Unsere Gesellschaft ist doch von Singularisierungs- und von Pluralisierungstendenzen geprägt, die auch Sie nicht wieder einfangen werden. Da können Sie sich noch 25-mal hier hinstellen und Ihr Familienbild zum Besten geben,

(Zuruf von Jens-Holger Schneider, AfD)

die gesellschaftliche Realität sieht völlig anders aus.

(Bernhard Wildt, BMV: Stimmt.)

Wenn man sich zum Beispiel anguckt, in welchen Bereichen häufig Kinder geboren werden, dann ist das eher im sozial schwachen Milieu, wo Eltern heute schon Schwierigkeiten haben, ihre Kinder entsprechend zu fördern. Ich finde, da ist der Staat gefragt, ganz klar. Das ist unsere Überzeugung, da ist der Staat gefragt.

(Zuruf von Jens-Holger Schneider, AfD)

Es gibt eine schöne Untersuchung, die ist schon ewig und drei Tage alt, von einer Sozialpädagogikprofessorin Traudel Becher – ich weiß nicht, ob die im Internet noch zu finden ist –, die einmal geforscht hat im Wohnungslosen- und Obdachlosenmilieu und festgestellt hat,

(Bernhard Wildt, BMV: Die haben Sie schon mal zitiert.)

dass es Generationenketten gibt von Leuten, die in Wohnungslosenunterkünften leben.