Protocol of the Session on December 15, 2017

Faktisch bildet diese Rechnung, die er da aufgemacht hat, eigentlich nur eine Wachstumsdifferenz zwischen Ost und West ab, mehr nicht.

(Bernhard Wildt, BMV: Die Ursachen sind unbekannt.)

Die Ursachenforschung für diese Wachstumsdifferenz deutet auf den gleichen Statistikkardinalfehler hin, den auch der Titel der heutigen Aussprache zumindest impliziert – ich hatte das eingangs gesagt – nämlich einen Fehlschluss von Ursache und Wirkung.

Es gibt ein gern zitiertes Beispiel für einen Fehlschluss: Die Geburtenrate auf dem Land ist höher als in der Stadt und das Aufkommen von Störchen auf dem Land ist höher als in der Stadt.

(Heiterkeit bei Peter Ritter, DIE LINKE – Jochen Schulte, SPD: Nachts ist es dunkler als draußen.)

Aber nicht einmal Professor Klüter würde jetzt auf die Idee kommen zu sagen, dass der Storch die Babys bringt.

(Heiterkeit bei Peter Ritter, DIE LINKE – Heiterkeit bei Bernhard Wildt, BMV: Wer weiß!)

Er reflektiert also nur auf eine mögliche Ursache – auf eine einzige mögliche Ursache! – und lässt alle anderen Ursachen, warum es möglicherweise Unterschiede gibt, komplett außer Acht.

(Zuruf von Martina Tegtmeier, SPD)

Er nimmt die Ursache Kreisgebietsreform, lässt aber den Beweis völlig außen vor.

(Bernhard Wildt, BMV: Deswegen sprechen wir ja auch darüber.)

So was dient dann als Vorlage zur Begründung, dass eine Kreisgebietsreform nichts taugt in Brandenburg.

Ich sage das noch mit anderen Worten: Diese 4,154 Milliarden von Professor Klüter bilden die Wachstumsdifferenz zwischen Ost und West ab, und zwar in einem willkürlich gewählten Zeitraum. Den Zusammenhang von solch komplexen Daten auf eine einzelne vermutete Ursache zurückzuführen, wie hier etwa die Kreisgebietsreform, ist wissenschaftlich abenteuerlich und empirisch unhaltbar.

Könnte es vielleicht auch sein, dass eine Ursache für die Strukturstärke der westlichen Landesteile gegenüber den vorpommerischen Landesteilen zum Beispiel in der Auswirkung der Metropolregion Hamburg zu suchen ist?

(Bernhard Wildt, BMV: Ja.)

Ein vergleichbares prosperierendes Wachstumszentrum gibt es in Vorpommern in der Art eben nicht. Vielleicht gibt es möglicherweise außenpolitische Aspekte wie das Russland-Embargo,

(Bernhard Wildt, BMV: Richtig!)

den polnischen Nationalismus mit negativen Folgen auf Entstehung und Wachstum der Metropolregion Stettin – wir haben darüber gesprochen, auch schon hier im Plenum –, was dann wiederum auf die Wirtschaftsregion in Vorpommern ausstrahlt.

Insofern verkürzt auch Ihr Titel sozusagen auf einen einzelnen monokausalen Ursache-Wirkungs-Inhalt, denn

wegen Kreisgebietsreform Differenz im Wachstum, das ist einfach falsch. Außer Acht gelassen werden die Ziele der Kreisstrukturreform, die Erzielung von finanziellen Einsparungen auf den kommunalen Verwaltungsebenen und eine effizientere Aufgabenerfüllung durch größere Verwaltungseinheiten.

Im Rahmen der Umsetzung konnten auch in der Tat zahlreiche Stellen eingespart werden, wobei es aufgrund von gesetzlichen Standarderhöhungen und Personalmehrbedarfen, etwa bei Bildung und Teilhabe in der Jugendhilfe, wieder zu Erhöhungen gekommen ist. Ein absoluter Vorher-Nachher-Stellenvergleich ist deswegen auch ein bisschen schwierig.

Vor allem ist davon auszugehen, dass für die kommunale Ebene bei Beibehaltung der alten Strukturen plus den mittlerweile benötigten Mehrbedarfen erhebliche Mehrkosten vor Ort aufgetreten wären. Dies unter gleichbleibenden Bedingungen wie vor 2011 zu finanzieren, hätte aus heutiger Sicht unter anderem wohl eine Steuererhöhung zur Folge. Das wiederum hätte sich bei den Bürgern und der Wirtschaft niedergeschlagen. Entsprechende Zahlen weist diese Präsentation von Professor Klüter aber in keinster Weise irgendwo aus.

Meine Damen und Herren, die Wachstumsdifferenzen zwischen Ost und West stelle ich nicht infrage. Meine Fraktion hat bereits am Anfang dieses Jahres einen Antrag gestellt und in diesem Plenum eingebracht. Wir haben die unterschiedliche Arbeitsmarktentwicklung in Westmecklenburg im Gegensatz zu Vorpommern und der Mecklenburgischen Seenplatte thematisiert. Wir wollen diesen Differenzen mit einem eigenen Programm – das haben wir hier auch besprochen – begegnen. Das Wirtschaftsministerium ist bereits aktiv geworden, was die Mittelausstattung der Regionalbeiräte im Osten anbetrifft. Von den günstigen Entwicklungen auf dem gesamten Arbeitsmarkt profitiert Vorpommern bereits stärker als bisher.

Ich verweise auch auf eine Pressemitteilung des Wirtschaftsministeriums vom 5. Dezember: „Der Abbau der Arbeitslosigkeit geht in unserem östlichen Landesteil gut voran.“ Und – das ist hier schon mehrfach ausgeführt worden – auch nach der Kreisgebietsreform im Jahr 2011 hat es einen kontinuierlichen wirtschaftlichen Aufbau in der Region gegeben. Ich glaube, das hat der Wirtschaftsminister sehr beispielhaft in seiner Rede aufgezeigt, welches Wachstum, welche Aktivitäten da vonstattengehen. Und wenn man wiederum in des Professors Unterlagen reinguckt, beläuft sich bei den Berechnungen von Professor Klüter der Aufschwung des Bruttoinlandsprodukts in der von ihm betrachteten Zeitreihe von 2010 bis 2012 auf 12,67 Prozent. Das hat er selbst geschlussfolgert. Also es ist in sich überhaupt nicht stimmig.

Ich schlussfolgere also, dass wir durchaus einen Leuchtturm haben mit der Ernst-Moritz-Arndt-Universität in Greifswald, die weiterentwickelt wurde. Es gibt weitere Unternehmensansiedlungen im Pommerndreieck. Wir haben das alles gehört. Es gibt einen Außenstandort in M-V, das ist auch eine Maßnahme, um gerade den östlichen Landesteil mehr in den Vordergrund zu schieben. Der Schiffbau in Stralsund und Wolgast floriert und der Tourismus ist ein wirtschaftlicher Impulsgeber.

Deswegen lassen Sie uns diese Entwicklungen weiter so begleiten! Ich glaube, wir sind da auf einem sehr guten Weg, und zwar unter den gegebenen Rahmenbedingun

gen, und nicht, indem wir die gegebenen Rahmenbedingungen mit statistischen Taschenspielertricks kaputtrechnen. Insofern war es gut, dass wir heute darüber gesprochen haben. Mir war es ein immenses Anliegen, die Grundaussage und diesen monokausalen Zusammenhang infrage zu stellen. Ich glaube und hoffe, dass das auch gelungen ist. – Vielen Dank.

(Beifall vonseiten der Fraktion der CDU)

Für die Fraktion der AfD hat jetzt das Wort der Abgeordnete Professor Dr. Weber.

Liebe Bürger von Mecklenburg und Vorpommern! Wertes Präsidium! Werte Kollegen!

Herr Waldmüller, erst mal von meiner Stelle aus auch meinen herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag und herzlichen Glückwunsch zu den gelungenen Ausführungen! Vieles von dem, was ich sagen wollte, haben Sie quasi vorweggenommen. Auch ich habe mir die Präsentation meines Hochschulkollegen Klüter im Innenausschuss in Brandenburg besorgt und habe sie mal etwas kritisch durchgelesen. Sie hatten das geschlussfolgert mit den Worten: „Jetzt beginnt der Wahnsinn“. Frau Tegtmeier hat das umschrieben mit den Worten: „Das ist ein Griff sonst wohin gewesen“. Dem kann man nur zustimmen.

Dieses Gutachten ist kein Gutachten. Es ist ein Sammelsurium von Aussagen, die zum Teil überhaupt nicht belegt sind. Die Masse der Aussagen wurde mit Eigenerfahrungen umschrieben und es wird auch überhaupt nicht deutlich, wo die Reise hingeht. Er unterscheidet zwischen einer Vorphase der Kreisgebietsreform, das sind die Abschreckungswirkungen in der Umsetzungsphase, wo angeblich schon Wirtschaftsverluste eingetreten sind, weil man Leute abgehalten hat, sich in den umstrukturierten Kreisen, den größer werdenden Kreisen anzusiedeln.

Dann gibt es die Mittelphase, die nach seiner Intention bis zum Jahr 2025 dauert. Das soll der Zeitpunkt sein, an dem die mittelfristigen Stellenabbaubewegungen umgesetzt sind, das heißt bei den Verwaltungseinheiten, die jetzt noch in den früheren Mittelzentren oder immer noch vorhandenen Mittelzentren erhalten geblieben sind, die aber abgebaut werden. An die knüpft er einen nie belegten Faktor von 2,8 an, mit dem er aus einer solchen weggefallenen Verwaltungsstelle auf Geldsummen rekrutiert, bei der die Wirtschaft nachgelassen hat.

Das Ganze potenziert er dann in das Jahr 2040, wenn die Kreisgebietsreform ihr vorläufiges Ende nach seinen Berechnungen gefunden haben soll. Ob diese 4,15 Milliarden jetzt in 2025 oder 2040 die Wirtschaftsverluste darstellen sollen, bleibt völlig unklar. Also wissenschaftliche Gutachten sehen anders aus.

Frau Tegtmeier, weil Sie in dem Zusammenhang mich benannt hatten, ich kann Ihnen gern mal einige meiner 200 wissenschaftlichen Gutachten zur Verfügung stellen. So was finden Sie bei mir mit Sicherheit nicht.

Was wir wissen zu den wirtschaftlichen Auswirkungen der Kreisgebietsreform, ist, dass derzeit auf Kreisebene 73 Verwaltungsstellen nach meinem Kenntnisstand, der allerdings den 1. November betrifft, weggefallen sind, die

aber nicht nur kompensiert, sondern überkompensiert worden sind durch einen Stellenzuwachs in den Kommunen. Ob das auf die Kreisgebietsreform zurückgeht oder anders strukturell bedingt ist, steht in den Sternen.

Insofern freue ich mich für die Kollegen von der BMV, dass dieser Antrag Gelegenheit gegeben hat, darüber zu debattieren, aber leider habe ich die Kristallkugel, die mir den Blick in die Zukunft ermöglichen würde, in Tolkiens Mittelerde, oder von mir aus können Sie auch sagen, im Auenland, liegen gelassen. Deswegen plädiere ich dafür, dass wir wirtschaftlich fundiert im Jahr 2025 darüber noch mal sprechen. – Danke schön.

(Beifall vonseiten der Fraktion der AfD)

Für die Fraktion der CDU hat jetzt das Wort der Abgeordnete Herr Renz.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich möchte insbesondere, weil Herr Ritter das aus meiner Sicht schon sehr zutreffend aufgearbeitet hat, das Gesamtthema noch mal mit ein paar Punkten ergänzen, Herr Ritter.

(Peter Ritter, DIE LINKE: Das freut mich, ich bin fasziniert.)

Insbesondere hat mich auch gefreut, dass Sie noch mal klargestellt haben, wie die Ausgangslage war, dass Herr Timm mit Strichen auf der Landkarte die Kreisgebietsreform, diesen Prozess irgendwann mal angestoßen hat, und inwieweit das dann fundiert war, darüber haben wir uns jahrelang gestritten.

Aber das Thema, was Herr Ritter angesprochen hat, ist ja auch: Was ist notwendig, was soll Politik leisten, wozu ist Politik manchmal auch verpflichtet? Da haben Sie das Beispiel mit Herrn Mohring gebracht und möglicherweise war es so ein bisschen für die CDU-Landtagsfraktion von 2002 bis 2006 ein Prozess, der sich angeschlossen hat.

Dann gibt es Politiker, die handeln auch anders. Bestes Beispiel war für mich Peter Harry Carstensen. Der hat nämlich in Schleswig-Holstein, wenn ich mich recht entsinne, so eine Kreisgebietsreform vom Tisch gewischt mit dem Ergebnis, dass er anschließend die Wahlen haushoch gewonnen hat.

(Zuruf von Martina Tegtmeier, SPD)

Das ist eben der Spagat, in dem Politik auch lebt. Die Frage ist dann, ob es politisch richtig war – wahrscheinlich, er hat ja die Wahlen gewonnen. Aber ob es inhaltlich richtig war für die Entwicklung eines Landes, das ist eine ganz andere Frage bezogen auf die Bevölkerung. In diesem Spagat befinden sich möglicherweise Herr Mohring oder auch Politiker in anderen Bundesländern. Insofern ist es vielleicht mal ganz gut, dass man Gelegenheit hat, sich zu einer Debatte hier auszutauschen, die nicht unmittelbare Konsequenzen nach sich zieht, was das politische Handeln betrifft, wobei ich aber wiederum jemand bin, der sich gern, weil ja auch unsere politische Lebenszeit begrenzt ist, auf das konzentriert, bei dem ich wirklich etwas bewirken kann.

(Heiterkeit und Zuruf von Bernhard Wildt, BMV)

Der Redner der AfD hat ja seine Ausführungen etwa so begonnen, dass es sicherlich ein gutes Thema für eine wissenschaftliche Arbeit wäre. Insofern, glaube ich, hat er da nicht ganz unrecht. Wir können eine ernsthafte Diskussion hier führen, wir können dazu eine wissenschaftliche Arbeit in Auftrag geben, aber am Ende müssen wir alle die Frage beantworten, was wir mit den Ergebnissen machen. Dann stehen wir wieder in diesem Spagat, den ich eben so ein bisschen angesprochen habe.

Aber was ich eigentlich insbesondere in Richtung Herrn Wildt noch mal mit auf den Weg geben möchte, ist Folgendes: Wir könnten möglicherweise das Thema auch so nennen: „Schwächung des Ehrenamtes durch die Auswirkungen der Kreisgebietsreform vom 04.09.2011“. Was will ich Ihnen oder uns eigentlich damit sagen? Wir können jetzt einzelne Mosaiksteinchen herausgreifen, die Wirkungen, die durch die Kreisgebietsreform zu spüren sind, und die alle im Detail diskutieren.

Was mir da fehlt, ist zum Beispiel diese Ausgangssituation 2002/2006. Das ist aus meiner Sicht hier noch gar nicht aufgerufen worden und deswegen will ich das tun. Bevor wir nämlich diese ganzen einzelnen Mosaiksteinchen diskutieren, was wir sehr gern tun können, möchte ich erwähnen, ich habe zwischendurch beim Redebeitrag von Frau Tegtmeier dazwischengerufen, als sie sagte, es geht hier um die Verbesserung der Leistung der Bürger, es gehe darum, diese Leistung für die Bürger erst mal zu erhalten.