Der Bericht attestiert den ländlichen Regionen dramatisch wachsende Defizite bei der Versorgung mit Schulen, insbesondere ein nicht genug differenziertes Schulangebot vor Ort, Defizite bei der Versorgung mit Krankenhäusern, Pflegeeinrichtungen und Einkaufsmöglichkeiten. Diese Defizitliste lässt sich aus dem Raumordnungsbericht fortsetzen. In dieser Studie findet man allerdings kein Wort zu einem Defizit an Kreisverwaltungen, liebe Kolleginnen und Kollegen, und in dem Forderungskatalog dieser Studie nach einer Gemeindefinanzreform, damit die Kommunen wieder genug Geld haben, um ihre Aufgaben für die Sicherung der Daseinsvorsorge zu erfüllen, ist von Wachstumsverlusten durch Kreisgebietsreformen nicht die Rede.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, das Thema müsste daher vielleicht richtigerweise lauten: „Wachstumsverluste in allen Landesteilen durch die Auswirkung der kommunalen Finanzausstattung und daraus resultierender enormer Investitionsstau“. Das wäre vielleicht die richtige Fragestellung, aber nicht die nach der Kreisgebietsreform oder den Verlusten von Kreissitzen.
Dritter und letzter Punkt: Als damals aktiv Beteiligter fühle ich mich selbstverständlich etwas geschmeichelt, lieber Kollege Renz, wenn die aktivsten Reformgegner, etwa Wismars Bürgermeister, der heute schon mehrfach zitierte Thomas Beyer, aus heutiger Erfahrung feststellen, dass insgesamt gesehen das rot-rote Reformprojekt wohl die bessere Variante gewesen wäre.
Herr Beyer ist Politiker und nicht Wissenschaftler, und ich habe gesagt, die Wissenschaft ist an dieser Stelle ein schlechter Ratgeber,
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ein Entstauben des rot-roten Projektes einer Verwaltungsmodernisierung kann aber helfen, die heutigen Probleme schärfer zu erkennen. So lässt sich beispielsweise deutlich erkennen, dass der Schiefgang in einigen Bereichen unserer Landesentwicklung nicht aus den Kreisstrukturen resultiert, sondern aus dem fehlenden zweiten Standbein dieser Reform, nämlich der Funktionalreform, die es bis heute nicht gibt. Da wir schon lange nichts mehr davon gehört haben, nenne ich dieses fehlende Standbein noch einmal deutlich bei seinem Namen, und das führt in Ministerien
zu Furcht, wir kennen da aus unserer Zeit die Funktionalreform. Was haben wir damals mit unseren Ministerinnen und Ministern gestritten: Was könnt ihr abgeben an die kommunale Ebene?
Wie können wir die Landesverwaltung in ihre Zweistufigkeit abbauen? Das war damals nicht anders als heute, liebe Kollege Glawe. Aber wenn wir eine Modernisierung des Landes wirklich wollen, dann müssen wir die Funktionalreform anpacken. Wir müssen anfangen, von der Landesebene bis hinunter zur, …
Der von mir geschätzte und auch manchmal gefürchtete Kollege Dr. Arnold Schoenenburg hat das mal bildlich gesagt: Wenn ich ein Haus reinige und die Treppe kehre, fange ich doch auch von oben nach unten an und schmeiße nicht den Dreck von unten nach oben.
Also wenn ich die Landesverwaltung modernisieren will, muss ich oben anfangen. Ich muss überlegen, welche Aufgaben kann ich auf die kreisliche Ebene verlagern. Die kreisliche Ebene muss überlegen, welche Aufgaben kann ich auf die gemeindliche Ebene verlagern,
und dann bin ich letztendlich wieder bei den Bürgerinnen und Bürgern vor Ort angekommen. Das ist also die Erwartungshaltung, die wir haben.
Da stellt sich die Frage, wie wohl unsere kommunale Ebene in fünf bis zehn Jahren dastehen würde, falls sich dieser Landtag entscheiden sollte, alle Aufgaben der Ministerien und vor allen Dingen der nachgeordneten Einrichtungen,
die Landesämter und so weiter konsequent in Richtung Kommunalisierung zu hinterfragen und dieses Mal ohne das damals von der Ministerialverwaltung selbst entwickelte Totschlagargument gegen jegliche Aufgabenübertragung. Diese – so hieß es damals und so heißt es wohl auch noch heute – könne nur erfolgen, wenn die Aufgabenerfüllung nicht mehr kosten würde nach einer Kommunalisierung, und das ist in der Tat ein Totschlagargument.
Landkreise und zwei kreisfreie Städte zu übertragen, ist ein nicht einfacher Prozess, aber wir müssen uns dem stellen, wenn wir das Land voranbringen wollen. Dann wäre im Ergebnis nämlich auch eine ernsthafte Funktionalreform II notwendig, die sozusagen nicht mit irgendwelchen Selbsteinschätzungen Reformeifer vorgaukelt, weil natürlich jede Gemeinde, soweit ich das kenne, in ihrer Selbsteinschätzung dafür Sorge getragen und solange Punkte gesammelt hat, bis sie erklärt, ich bin zukunftsfähig. Denn wer gräbt sich schon selbst das Wasser ab?! Auch das hat mit Funktionalreform II nichts zu tun, überhaupt nichts.
Also letztendlich geht es um eine schlankere Landesverwaltung und einen tatsächlich gestärkten kommunalen Bereich. Wenn das Ergebnis, lieber Kollege Wildt, der heutigen Aussprache sein könnte, dass sich dieses Parlament gemeinsam auf diesen Weg macht, dann hätte Ihr Antrag heute viel erreicht. – Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, ehe ich den nächsten Redner aufrufe, bitte ich Sie wirklich eindringlich, den Geräuschpegel etwas zu senken. Es war jetzt zum Schluss kaum noch zu verstehen, was Herr Ritter gesagt hat. Es ist ein allgemeines Gemurmel.
Herr Wildt, die Überschrift „Wachstumsverluste im östlichen Landesteil durch die Auswirkungen der Kreisgebietsreform“ ist schon sehr, ich sage mal, polarisierend. Das subsumiert eigentlich, dass das unterschiedliche Wachstum ursächlich mit der Kreisgebietsreform zusammenhängen würde. Ich weiß nicht, ob Sie den Titel bewusst so gewählt haben, um zu sagen, die Kreisgebietsreform ist schlecht und deswegen haben wir das. Das weiß ich nicht. Sie haben in Ihrer Einführung gesagt, Sie wollen einen umfassenden Blick.
Ich will mich aber diesem umfassenden Blick nicht innenpolitisch nähern, so, wie alle anderen das gemacht haben, sondern ich will mich wirtschaftspolitisch nähern, weil ich das so verstanden habe.
Diese Aussprache ist vor dem Hintergrund – Sie haben das ja eingangs auch gesagt – der gescheiterten Kreisgebietsreform in Brandenburg entstanden, wo ein Professor Klüter als Anzuhörender geladen war, und dieser
hat dabei eine Verlustrechnung am Projekt MecklenburgVorpommern aufgemacht. Er hat eine so hohe Verlustzahl errechnet, dass sie am nächsten Tag sogar in der Zeitung stand. Diese haben Sie auch genannt, 4,15 Milliarden. Eine ungeheuerliche Summe habe die Kreisgebietsreform in Mecklenburg-Vorpommern gekostet, so die Aussage. Das ist nun der Titel der Aussprache und jetzt wollen wir ein bisschen genauer auf die Darlegungen vor dem Brandenburger Innenausschuss eingehen.
Wie errechnen sich eigentlich Wachstumsverluste in Höhe von 4,15 Milliarden durch die Kreisgebietsreform? Das ist spannend
und ich beziehe mich dabei im Folgenden auf die entsprechenden Präsentationen von Herrn Professor Klüter in dem Brandenburger Innenausschuss von der Anhörung am 20. Oktober. Er begann mit einer Zeitreihe vom Jahr 2010 an. Zur Erinnerung: Die Kreisgebietsreform in Mecklenburg-Vorpommern trat zum Ende des dritten Quartals 2011 in Kraft und Herr Klüter begründet den Beginn seiner Zeitreihe von 2010 nun damit, dass sich bereits mit den Debatten zur Kreisgebietsreform Wachstumsverluste ergeben haben. Also sobald man begonnen hat, hat man schon die ersten Wachstumsverluste. Und nebenbei, wenn man dieser Argumentation folgen würde, hätte man die Betrachtung auch schon von 1998 an beginnen können, denn bei dem damaligen rot-roten Koalitionsvertrag war bereits ein Prüfauftrag für eine Kreisgebietsreform enthalten, und auch das löste bereits Debatten aus. Das hätte die Argumentation von Professor Klüter zu den Wachstumsdifferenzen zwischen Ost und West, die es bekanntlich auch vor 2010 gab, begründen können.
Dann zur Berechnung: Nun habe ich mir das tatsächlich angetan und das statistische Material eins zu eins mal angeguckt und habe versucht nachzuvollziehen, wie er darauf kommt. Das Bruttoinlandsprodukt in Westmecklenburg betrug laut der Berechnung von Professor Klüter im Jahr 2010 knapp 20 Milliarden, also im Westen 20 Milliarden, und das Bruttoinlandsprodukt in Vorpommern und der Mecklenburger Seenplatte knapp 15 Milliarden. Also haben wir im Westteil 20 Milliarden und im Ostteil 15 Milliarden. Das ist jetzt nicht ungewöhnlich. Das wussten wir auch vorher schon, dass es im Ostteil ein bisschen weniger Wachstum gibt.
Aber jetzt beginnt eigentlich der Wahnsinn. Er unterstellt nun, dass das Wachstum im Westen mit der gleichen Dynamik stattzufinden hat wie im Osten. Und mit dieser auf der Hand liegenden falschen Annahme errechnet er jetzt eine theoretische Wachstumsdifferenz und begründet dies mit der Kreisgebietsreform. Also schlimmer geht es nicht! Das sind im Jahr 2010 minus 230 Millionen und hochgerechnet auf die 215 waren es dann die 4,15 Milliarden. Und so kommt man in die Zeitung!
Faktisch bildet diese Rechnung, die er da aufgemacht hat, eigentlich nur eine Wachstumsdifferenz zwischen Ost und West ab, mehr nicht.