Protocol of the Session on November 16, 2017

(Jochen Schulte, SPD: Wollten Sie nicht oder durften Sie nicht, Herr Kollege Ritter?)

Ich habe das alles schon hinter mir, lieber Kollege. Ich brauche das nicht mehr.

Anlass für diesen Antrag – zum Ernst der Sache – ist die Tatsache, dass ein Minderjähriger ohne Kenntnis oder gar Einwilligung seiner Eltern konspirativ für die Landespolizei tätig war. Das Thema war schon mehrfach im Innenausschuss auf der Tagesordnung. In dem konkreten Fall ging es zunächst um Informationen zur Drogenszene, dann um Ausforschung rund um den G8-Gipfel in Heiligendamm sowie im Umfeld der damaligen PDS und möglicherweise damit in meinem Umfeld als Landesvorsitzender. Damit ist auch eine Betroffenheit vorhanden. Später schließlich ging es um Informationen aus dem Rockermilieu.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, alles, was bisher bekannt ist, ist, dass hier jemand unter den Augen der Polizei und dem staatlichen Interesse als Minderjähriger tief in das kriminelle Milieu abgerutscht ist, zu

nächst als Informant und später nahezu ohne Pause als V-Person. Die Kriminalität hat diesen Minderjährigen im staatlichen Auftrag und mit staatlicher Unterstützung geprägt und auch deshalb befindet er sich heute im Strafvollzug. Der betroffene junge Mann wandte sich mit der Bitte um Hilfe an uns, ein zugegebenermaßen nicht gewöhnlicher Fall. Aber wirklich helfen konnten wir bislang nicht, auch weil seine Befragung im Innenausschuss durch alle Fraktionen abgelehnt wurde.

Um andere junge Menschen nicht in ähnliche Zwangssituationen zu bringen, wollen wir mit dem vorliegenden Antrag eine Änderung in der Regelung zum Einsatz von Informanten erwirken. Man könnte natürlich in diesem Zusammenhang auch über das leidige V-Leute-Problem überhaupt reden, zum Beispiel über deren Rolle im Versagen im NSU oder über die jüngst beschriebenen Handlungen von V-Leuten im Falle Anis Amri.

Doch darum geht es heute nicht, meine sehr verehrten Damen und Herren. Heute geht es um eine Tatsache, die die einen für einen Skandal halten und andere wiederum für normale Polizeiarbeit. Nutzung von Minderjährigen als Polizeiinformanten, die wir mit dem vorliegenden Antrag ausschließen wollen, ist für uns keine normale Polizeiarbeit.

(Beifall vonseiten der Fraktion DIE LINKE)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, nun hörte ich schon in jüngsten Auseinandersetzungen zu diesem Thema: Ausgerechnet Sie! Ja, ausgerechnet wir, ausgerechnet die Linksfraktion, denn es geht nicht, den vorliegenden Fall ohne einen kritischen Blick auf die DDR-Geschichte zu bewerten. Das Ministerium für Staatssicherheit schreckte nicht davor zurück, Kinder und Jugendliche in seinen Dienst zu stellen, meist ohne Kenntnis der Eltern. Für den Stasibeauftragten Roland Jahn zeigt gerade die Nutzung von Kindern und Jugendlichen, wie ich meine zu Recht, wie menschenverachtend die Stasi war.

(Beifall Dr. Wolfgang Weiß, DIE LINKE)

Das ist alles Geschichte, liebe Kolleginnen und Kollegen, aber ist es deshalb nicht vergleichbar?

Ein Betroffener dieses Systems hat mir geschrieben und mir seine Rehabilitationsbescheinigung zugeschickt. In dieser Bescheinigung vom November 1998 heißt es, ich zitiere: „Es wird festgestellt, dass die im 16. Lebensjahr des Antragstellers auf Initiative des MfS erfolgte Werbung und Verpflichtung seiner Person (1979) als jugendlicher IM rechtsstaatswidrig war. Der Antragsteller hat schlüssig dargelegt, dass er durch diese rechtswidrige Maßnahme gesundheitliche Schäden erlitten habe.“ Zitatende.

Verpflichtung als jugendlicher IM damals rechtsstaatswidrig und heute nicht? Diese Frage, liebe Kolleginnen und Kollegen, muss gestellt werden dürfen. Ich habe sie bereits im Innenausschuss gestellt. Eine schlüssige Antwort darauf habe ich nicht erhalten.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, unsere Polizei ist an Recht und Gesetz gebunden. Sie agiert rechtsstaatlich. Ein Verzicht auf minderjährige Informanten würde ihr dennoch gut zu Gesicht stehen, wie wir meinen.

Und, liebe Kolleginnen und Kollegen, nebenbei will ich auch die Frage stellen, ob es nicht absurd ist, Jugendlichen zwar das Recht und die Fähigkeit abzusprechen, mit 16 Jahren an Landtags- oder Bundestagswahlen teilzunehmen,

(Jacqueline Bernhardt, DIE LINKE: Ja, richtig.)

sie gleichzeitig aber heimlich und verdeckt als verlängerten Arm von Polizei und Staatsanwaltschaft agieren zu lassen.

(Beifall vonseiten der Fraktion DIE LINKE)

Für Wahlentscheidungen, liebe Kolleginnen und Kollegen, nicht reif genug, aber Informant darf man sein!

Meine sehr verehrten Damen und Herren, es geht auch in dem vorliegenden Fall nicht um neue Kriminalitätsformen, welche neue Methoden erfordern würden, es geht auch nicht um den gesetzlichen Auftrag der Polizei, Straftaten aufzuklären und dafür selbstverständlich Augen und Ohren offenzuhalten. Nein, es geht um die scharfe Kritik, welche die Deutsche Kinderhilfe an der Nutzung jugendlicher Informanten durch die Polizei in Mecklenburg-Vorpommern geübt hat. Ich zitiere: „Jugendliche dürfen nicht dazu verleitet werden, sich in kriminellen Milieus zu bewegen und andere Menschen auszuspähen und zu verraten. Welches Menschenbild sollen sie in ihrer zukünftigen Entwicklung verinnerlichen und damit im Erwachsenenalter weiterleben. Und welcher Polizeibeamte wäre bereit und in der Lage, die Verantwortung dafür zu übernehmen, wenn ein jugendlicher Informant enttarnt würde und dadurch Gefahren für Leib oder Leben ausgesetzt wäre.“ Zitatende.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Inanspruchnahme von Informanten und der Einsatz von V-Leuten im Bereich der Strafverfolgung sind nicht speziell gesetzlich geregelt. Diese Erkenntnisgewinnung richtet sich nach den Bestimmungen der Strafprozessordnung und den gemeinsamen Richtlinien der Justizminister, Senatoren, Innenminister, Senatoren der Länder, speziell Anlage D zu den Richtlinien für das Straf- und Bußgeldverfahren, nachzulesen in der Gemeinsamen Verwaltungsvorschrift des Justizministeriums und des Ministeriums für Inneres und Sport, Amtsblatt für Mecklenburg-Vorpommern 2017, Seite 16 bis 18. Eine Legaldefinition für den Informanten sucht man vergeblich.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, es geht also nicht darum, dass die Polizei die Ohren zuhalten soll, wenn ein Minderjähriger vorbeigeht. Informanten der Polizei aber erfüllen öffentliche Aufgaben durch Zusicherung der Geheimhaltung im Bereich mittlerer und Schwerkriminalität, und zwar nur, wenn die Aufklärung sonst aussichtslos oder wesentlich erschwert wäre. Wenn also unsere Polizei nicht in der Lage ist, ohne jugendliche Informanten Straftaten im Bereich mittlerer und Schwerstkriminalität aufzuklären, dann wird es um unsere Landespolizei wirklich schlecht aussehen, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall vonseiten der Fraktion DIE LINKE)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, dieses Tätigwerden für die Polizei kann im Übrigen erhebliche strafrechtliche Folgen auch für den Informanten nach sich ziehen, etwa durch unvollständige Aussagen, leichtfertige

falsche Aussagen oder durch Belastungseifer. Und auch die BKA-Liste zur Bezahlung von Informanten wirft zahlreiche Fragen auf. Es geht etwa um eine mögliche Anzeigepflicht gegenüber den Arbeits- und Sozialämtern. Was haben sie denn an dieser Stelle unseren minderjährigen Informanten für Tipps gegeben?

Meine sehr verehrten Damen und Herren, vielleicht ist aber auch der Rückgriff auf Informanten ganz einfach kostengünstiger als der Einsatz sonstiger Instrumentarien, aber das kann doch nicht wirklich Entscheidungsgrundlage für den Einsatz von Minderjährigen sein.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, der Einsatz von minderjährigen V-Leuten oder Informanten ist also ein Problem, das mit der gebotenen Sorgfalt beraten werden muss. Ich will an dieser Stelle sagen, ich bin froh, dass, anders als sonst, auch in der Debatte hier auf Zwischenrufe verzichtet worden ist. Das zeigt mir, dass alle ein Interesse daran haben, dieses Thema miteinander ernsthaft zu diskutieren.

Da ich aber vermute, liebe Kolleginnen und Kollegen, dass Sie mir und meiner Fraktion, die den vorliegenden Fall kritisch sieht, nicht glauben, lassen Sie mich abschließend den vorliegenden Antrag mit einem Zitat aus aktueller Polizeiliteratur untermauern, „Verdeckte personale Ermittlungen. Recht und Taktik“ von Polizeidirektor Keller, Verlag Deutsche Polizeiliteratur, 1. Auflage 2017. Ich zitiere: „Der Einsatz von Minderjährigen als V-Person ist nicht zulässig. Die Inanspruchnahme einer Person als Informant ist nur möglich, soweit sie das 18. Lebensjahr vollendet hat.“ Nicht mehr und nicht weniger bringt unser Antrag zum Ausdruck. – Herzlichen Dank.

(Beifall vonseiten der Fraktion DIE LINKE)

Im Ältestenrat ist vereinbart worden, eine Aussprache mit einer Dauer von bis zu 120 Minuten vorzusehen. Ich sehe und höre dazu keinen Widerspruch, dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache.

Ums Wort gebeten hat der Minister für Inneres und Europa Herr Caffier.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren Abgeordnete!

Lieber Kollege Ritter, dass der Antrag mit Ihrem Parteitag nichts zu tun hat, das stelle ich mal sehr infrage. Das Thema ist vor acht Monaten sehr ausgiebig und ohne Nachfrage Ihrerseits im Ausschuss abschließend behandelt worden.

(Peter Ritter, DIE LINKE: Was, was, was?! Ohne Nachfrage?! Das ist schon die blanke Lüge! – Jacqueline Bernhardt, DIE LINKE: Dass Sie da nicht rot werden?!)

Sie rufen es jetzt wieder auf. Gut, das kann man tun. Ich werde mich dazu äußern.

Sie haben ja schon vorweg gemutmaßt, wie der Antrag ausgehen wird. Was ich aber mit aller Entschiedenheit zurückweisen will, ist, dass Sie ansatzweise Vergleiche mit der Werbung von Staatssicherheit bei damaligen Jugendlichen und dem heutigen rechtsstaatlichen System,

(Beifall Ralf Borschke, BMV)

das von der Polizei in der Form verkörpert wird, ziehen.

(Beifall Torsten Renz, CDU)

Sie sagen zum einen, die Polizei handelt nach Rechtsstaatlichkeit und Gesetzlichkeit, und bringen solche Vergleiche!

(Zuruf von Jacqueline Bernhardt, DIE LINKE)

Diese halte ich einfach an der Stelle für vermessen und infam!

(Beifall vonseiten der Fraktionen der CDU, AfD und BMV)

Der vorliegende Antrag der LINKEN hat mich allerdings auch etwas belustigt, das gebe ich durchaus zu,

(Jacqueline Bernhardt, DIE LINKE: Na, wenn Sie das lustig finden!)

zugleich aber eben erstaunt. Vollkommen einig sind wir uns beim Einsatz minderjähriger Vertrauenspersonen.

Lieber Kollege Ritter, ich bitte sehr, dass Sie darauf achten, worüber wir reden, ob wir über V-Leute reden, Vertrauenspersonen. Das alles sind exorbitante Unterschiede, die nicht jedem geläufig sein können und gesetzlich gar normiert sind. Wir wollen das auch nicht und haben das deswegen ausgeschlossen. In der Richtlinie über die Inanspruchnahme von Informanten sowie über den Einsatz von Vertrauenspersonen und verdeckten Ermittlern im Rahmen der Strafverfolgung ist es genauso festgehalten worden. Hier gibt es, glaube ich, wenn man sich mit der Materie auskennt, keinen Dissens.

Ich habe es aber so verstanden, jedenfalls haben Sie es heute offengelassen, dass DIE LINKE bisher wollte, dass die Sicherheitsbehörden komplett auf V-Personen verzichten. Nun fordern Sie nur noch den Verzicht auf minderjährige V-Personen.

(Jacqueline Bernhardt, DIE LINKE: Das hat Herr Ritter gesagt.)

Für mich ist das ein klares Bekenntnis zur bestehenden Rechtslage und den Einsatz von volljährigen V-Personen bei Polizei und Verfassungsschutz. Das wäre ein großer Fortschritt aus meiner Sicht von der Fraktion DIE LINKE. Nicht einig werden wir uns hingegen bei den minderjährigen Informanten.

Und ganz ehrlich, die Haltung der LINKEN und auch so, wie Sie es hier vorgetragen haben, ärgert mich schon ein wenig. Mir ist bewusst, dass verdeckte Ermittlung ein unglaublich hohes Maß an Sensibilität durch die jeweiligen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bedeutet, ein besonderes mediales Interesse hervorruft und gesellschaftspolitisch kontrovers diskutiert wird. Gleichwohl sind diese Maßnahmen notwendig und sie sind verfassungsrechtlich legitimiert. Auch das muss ganz deutlich gesagt werden. Deswegen können wir ja gern sachlich über das Thema diskutieren und unsere unterschiedlichen Positionen austauschen, was ich aber nicht akzep