Protocol of the Session on December 9, 2020

Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich begrüße Sie zur 104. Sitzung des Landtages von Mecklenburg-Vorpommern. Ich stelle fest, dass der Landtag ordnungsgemäß einberufen wurde und beschlussfähig ist. Die Sitzung ist eröffnet. Die vorläufige Tagesordnung der 104., 105. und 106. Sitzung liegt Ihnen vor. Im Ältestenrat bestand Einvernehmen, den Tagesordnungspunkt 36 mit dem Tagesordnungspunkt 38 zu tauschen. Wird der vorläufigen Tagesordnung widersprochen? – Das ist nicht der Fall. Damit ist die Tagesordnung der 104., 105. und 106. Sitzung gemäß Paragraf 73 Absatz 3 unserer Geschäftsordnung festgestellt.

Wir kommen jetzt zu unseren zurückliegenden Geburtstagen. Ich gratuliere recht herzlich Karen Larisch, der Vizepräsidentin Frau Dr. Mignon Schwenke, Dietmar Eifler und meinem Schriftführer Wolfgang Weiß sowie Susann Wippermann und Nikolaus Kramer zu ihren kürzlich begangenen Geburtstagen im vergangenen und in diesem Monat. Herzlichen Glückwunsch!

(Beifall vonseiten der Fraktionen der SPD, CDU, AfD, DIE LINKE und Christel Weißig, fraktionslos)

Ganz herzlich gratuliere ich von hier aus – vielleicht schaut sie uns auch zu – unserer Ministerin Stefanie Drese zu ihrem heutigen Geburtstag. Wir wünschen ihr alles Gute, vor allen Dingen Gesundheit. Liebe Steffi, alles Gute von uns!

(Beifall vonseiten der Fraktionen der SPD, CDU, AfD, DIE LINKE und Christel Weißig, fraktionslos)

Gemäß Paragraf 4 Absatz 3 unserer Geschäftsordnung benenne ich für die 104., 105. und 106. Sitzung die Abgeordnete Christiane Berg zur Schriftführerin.

Es ist mir eine besondere Freude, auf der Besuchertribüne unsere Landesbischöfin Frau Kühnbaum-Schmidt zu begrüßen. Schön, dass Sie heute da sind!

Meine Damen und Herren, Ihnen liegt ein Dringlichkeitsantrag der Fraktion DIE LINKE auf Drucksache 7/5656 zum Thema „Kindertagesförderung gerecht ausfinanzieren“ vor. Wir werden diese Vorlage, um die die Tagesordnung erweitert werden soll, nach angemessener Zeit für eine Verständigung innerhalb und zwischen den Fraktionen nach dem Tagesordnungspunkt 2 aufrufen. Ich werde das Wort zur Begründung des Dringlichkeitsantrages erteilen sowie die Abstimmung über dessen Aufsetzung durchführen. Ich sehe und höre keinen Widerspruch, dann werden wir so verfahren.

Ich rufe auf den Tagesordnungspunkt 1: Aktuelle Stunde. Die Fraktion der AfD hat gemäß unserer Geschäftsordnung eine Aktuelle Stunde zu dem Thema „Islamistischer Terror – Wen schützt der Verfassungsschutz?“ beantragt.

Aktuelle Stunde Islamistischer Terror – Wen schützt der Verfassungsschutz?

Das Wort hat der Abgeordnete und Fraktionsvorsitzende Herr Kramer.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! Liebe Landsleute! In der Weihnachtszeit des ausgehenden Jahres 2016 wurde mit einem gestohlenen Lastwagen ein Terroranschlag auf dem Berliner Breitscheidplatz verübt. Der Islamist Anis Amri tötete zwölf Menschen und verletzte 55 weitere Personen zum Teil schwer. Das war ein mörderischer Angriff auf unsere Art zu leben. Dieser Anschlag ist an Grausamkeit und Heimtücke kaum zu überbieten. Er ist grausam, weil Amri seinen Opfern aus einer gefühlslosen und unbarmherzigen Gesinnung heraus besonders körperliche und seelische Qualen zufügte. Sein Anschlag war heimtückisch, weil von ihm bewusst die Wehrlosigkeit der Opfer ausgenutzt wurde.

Der Anschlag vom Breitscheidplatz und die Attentate von Paris, Nizza, Wien und Dresden in diesem Jahr zeigen, dass wir uns im 21. Jahrhundert mit einer neuen Form der Radikalisierung auseinandersetzen müssen. Der französische Terrorismusexperte Olivier Roy betont, ich zitiere: „Die jungen Radikalen sind eine No-FutureGeneration. Kein Einziger von ihnen nimmt am wirklichen Leben der Gesellschaft teil. Dass eine Tat begangen wird, ist Ausdruck einer persönlichen Revolte. Diese gründet sich in einer Art Drehbuch, die den jungen Mann zu einem Herrn des Schreckens stilisiert.“ Zitatende.

Meine Damen und Herren, wir alle müssen uns angesichts der vergangenen Terroranschläge – und ich betone dabei im Grunde eine Selbstverständlichkeit, egal welchen ideologisch-politischen Hintergrundes – folgende Frage stellen: Was bringt diese Menschen dazu, unseren Kontinent mit einem solch schrecklichen Leid zu überziehen? Dieser Islamismus gehört weder zu Deutschland noch zu Europa.

(Beifall vonseiten der Fraktion der AfD)

Wenn Sie heute mit Polizisten oder Verfassungsschützern sprechen, werden diese Ihnen sagen, dass die Sicherheitslage in Deutschland auch aufgrund der islamistischen Gefahr weiterhin sehr angespannt ist. Wir müssten also eigentlich darüber reden, wie wir Ursachen bekämpfen und Sicherheitsbehörden stärken können. Aber der Anlass der heutigen Debatte hier im Landtag Mecklenburg-Vorpommern ist ein anderer. Was hat der von Amri verübte Terroranschlag in Berlin mit Mecklenburg-Vorpommern zu tun? Laut Informationen leider überraschend viel.

Es steht zu befürchten, dass das Landesamt für Verfassungsschutz in Mecklenburg-Vorpommern äußerst wichtige Hinweise auf das Umfeld und die Hintergründe des Berliner Attentäters entweder aus purer Bequemlichkeit verschlampt oder sogar bewusst zurückgehalten hat. Es wird dem Verfassungsschutz vorgeworfen, wichtige Erkenntnisse eines Mitarbeiters der eigenen Behörde zum Umfeld von Amri ohne gründliche Prüfung einfach weggewischt zu haben. Bezeichnend dabei ist, dass dieser Mitarbeiter kurze Zeit später aus dem Geheimdienst entfernt wurde. Ein Verfassungsschutz, der so agiert, schützt die Verfassung gerade nicht.

(Beifall vonseiten der Fraktion der AfD und Holger Arppe, fraktionslos)

Dabei ist diesem der Öffentlichkeit unbekannten Beamten hoch anzurechnen, dass er gegen dieses hohe ekla

tante Führungsverfahren aufbegehrt hat. Seine wichtigen Erkenntnisse sandte er an den für Terrorismusbekämpfung zuständigen Generalbundesanwalt. Ein solch couragiertes Verhalten stünde einem Innenminister gut zu Gesicht.

Meine Damen und Herren, der Generalbundesanwalt hat dieses Material eingehend geprüft und ist nach vielen Monaten zu der Erkenntnis gelangt, dass die Informationen des Mitarbeiters aus Mecklenburg-Vorpommern wichtige Aspekte des Anschlaggeschehens berühren. Es stehen nun gegenüber dem Innenministerium folgende Vorwürfe im Raum: erstens Aktenunterdrückung und zweitens Verhinderung von Ermittlungstätigkeiten. Sollten diese Anschuldigungen tatsächlich zutreffen, dann muss das personelle Konsequenzen haben, meine Damen und Herren.

(Beifall vonseiten der Fraktion der AfD)

Viele Bürger unseres Landes schauen heute auf diese Debatte. Der Chefredakteur der „Schweriner Volkszeitung“, Michael Seidel, hat angesichts des bisher nicht vorhandenen Aufklärungswillens des Innenministeriums von einem Staat im Staate gewarnt. Seidel hat zu Recht diesen Skandal als eine Sache des Parlaments bezeichnet. Und genau deswegen debattieren wir heute zu diesem Skandal in diesem Hause.

Liebe Bürger Mecklenburg-Vorpommerns, diese Aktuelle Stunde trägt den Namen „Islamistischer Terror – Wen schützt der Verfassungsschutz?“. Die Frage ist berechtigt. Wer wird in diesem Fall geschützt? Sind es die Bürger, die seit der Wiedervereinigung einer noch nie dagewesenen Terrorgefahr ausgesetzt sind? Oder ist es der Staatssekretär des Innenministeriums, Herr Thomas Lenz, der morgen in Berlin vor dem Parlamentarischen Untersuchungsausschuss aussagen soll und damit vermutlich um seine politische Zukunft kämpft? Ist es der Leiter des hiesigen Verfassungsschutzamtes, Herr Reinhard Müller, der bisher auffällig defensiv in dieser Angelegenheit agiert, einen peinlichen Auftritt des Schweigens im Untersuchungsausschuss hinlegte und nun von einem Bußgeld bedroht ist? Oder sind diese beiden Beamten nun die letzte Verteidigungslinie des jüngst als Innenminister zurückgetretenen Lorenz Caffier, der wohl nicht wegen eines von LINKEN dramatisierten Waffenkaufs gehen musste, sondern wegen der jetzt sichtbaren Dynamik dieses Verfassungsschutzskandals?

Sehr geehrter Herr Innenminister Renz, ich beneide Sie in der Tat nicht darum, ein solch schwieriges politisches Erbe anzutreten. Auf Fragen zum Verfassungsschutzskandal in Ihrem Hause sind Sie bisher eine Antwort schuldig geblieben. Herr Innenminister, sorgen Sie jetzt für Wahrheit und Klarheit! Sie haben selbst im NDR Folgendes gesagt, ich zitiere abermals: „Ich weiß um die Angelegenheit, dass sie Transparenz verlangt. Ich stehe in meiner gesamten politischen Laufbahn für Transparenz … Und Sie können davon ausgehen, dass ich mich mit diesen Fakten intensiv beschäftigen werde.“ Zitatende.

Herr Innenminister, wann und wo wird diese Ankündigung mit Leben gefüllt werden? Die Landesregierung war und ist es den Opfern von Amri schuldig, jedes Staubkorn mit Bezug zum Terroranschlag umzudrehen.

(Beifall vonseiten der Fraktion der AfD)

Ein solches Transparenzversprechen darf keine leere Phrase sein. Ansonsten muss die Glaubwürdigkeit des Innenministeriums angezweifelt werden. Darunter leiden Demokratie und Rechtsstaat immens. Es ist nun an der Zeit, den Rechtsstaat wirksam zu verteidigen und sämtliche Hintergrundinformationen zu diesem Skandal auf den Tisch zu legen. Es sind Fragen an den neuen Innenminister, die in der heutigen Landtagsdebatte beantwortet werden sollten: Herr Innenminister Renz, wann gewähren Sie dem Innenausschuss Akteneinsicht? Wie begründen Sie Ihr Festhalten an den Verantwortungsträgern Lenz und Müller? Herr Innenminister Renz, wo sehen Sie die Ursachen der Radikalisierung? Was tun Sie, um diese zu erforschen und politische Maßnahmen abzuleiten? Was tun Sie, um die Sicherheitsbehörden für den Antiterrorkampf zu stärken?

(Thomas Krüger, SPD: Von Radikalisierung haben wir im Ausschuss mehrfach gesprochen, wie Sie wissen.)

Herr Innenminister Renz, wie lösen Sie heute in diesem Hohen Haus Ihr öffentlich abgegebenes Transparenzversprechen ein?

(Thomas Krüger, SPD: Sie kennen sich da ja aus.)

Meine Damen und Herren und auch Herr Krüger, das werden keine einfachen Antworten sein. Wenn Terroristen den Ernstfall herbeiführen, dann muss der Staat zurückschlagen können. Dass unsere demokratischen Institutionen sich genau hierüber verständen und auch unser Parlament hierbei einen aktiven Beitrag leistet, ist das Gebot der Stunde.

(Beifall vonseiten der Fraktion der AfD)

Wir sind es unseren Bürger und den Opfern der bisherigen Anschläge auf deutschem Boden verdammt noch mal schuldig. – Herzlichen Dank!

(Beifall vonseiten der Fraktion der AfD – Zuruf von Thomas de Jesus Fernandes, AfD)

Vielen Dank, Herr Fraktionsvorsitzender!

Das Wort hat jetzt der Minister für Inneres und Europa Herr Renz.

(Tilo Gundlack, SPD: So,

Herr Innenminister, die erste Rede! –

Die erste Rede! – Peter Ritter, DIE LINKE:

Der hat sich bestimmt bessere Themen

gewünscht für die erste Rede.

Wahrlich kein Grund zur Freude.)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! DIE LINKE postete gestern: „Wir sind gespannt, was der neue Innenminister zum Nordkreuz-Skandal und den Vertuschungen innerhalb seiner Behörde sagt.“ Das Trommelfeuer ging jetzt weiter mit dem Fraktionsvorsitzenden der AfD, der vorsichtig formulierte „laut Information“ und dann „ohne Gründlichkeitsprüfung“. Vom „Skandal“ sprachen Sie. In Ihrer Pressemitteilung am 27. haben Sie auch von „Vertuschungsvorwürfen“ noch mal gesprochen. Das

heißt, das Ergebnis steht ja auch fest – auch das haben Sie mir damals ja schon mitgeteilt –, ich möchte mich sofort von Staatssekretär Lenz und vom Verfassungsschutz Müller trennen. Und insofern dann heute Ihr Titel „Islamistischer Terror – Wen schützt der Verfassungsschutz?“. Ich muss schon sagen, sehr skurril formuliert.

Ich will aber trotz dieser aufgeheizten Debatte versuchen, mich diesem Thema sachlich zu nähern, und mit Ihnen über diese Thematik dann hier heute an dieser Stelle debattieren. Ich selbst hätte das Thema natürlich Ihnen vorgeschlagen und lieber gewählt „Wehrhafte Demokratie – Auftrag und Verpflichtung des Verfassungsschutzes“. Und dann hätten wir genau die Punkte ansprechen können, zum Beispiel Rechtsextremismus, Identitäre Bewegung, der Verdachtsfall „Der Flügel“, „Junge Alternative“, Reichsbürger, Selbstverwalter, Linksextremismus, islamistischer Terror.

(Thomas de Jesus Fernandes, AfD: Das ist Ihre Prioritätenliste, Herr Renz. Vielen Dank!)

Genau das sind die Punkte, die wir hätten diskutieren sollen und die ich auch mit Ihnen diskutieren werde, weil das nämlich alles Bedrohungen in diesem Staate sind. Diesen Bedrohungen, diesen Feinden der Demokratie hat sich jetzt ein Mann 14 Jahre lang gewidmet und dagegen angekämpft, und dieser Mann heißt Lorenz Caffier.

(Beifall vonseiten der Fraktion der CDU und Thomas Krüger, SPD – Zuruf von Horst Förster, AfD)

Und dieser Mann: Unter dessen Führung ist unser Land sicherer geworden, denn er hat vom ersten Tage an den Rechtsextremismus bekämpft. Und er hat auch den Linksextremismus und auch insbesondere in den letzten Jahren den Islamismus ins Visier genommen und mit allen Möglichkeiten des Rechtsstaates diesen religiösen Extremismus versucht einzudämmen. Und angesichts dieses Engagements, gekoppelt an seine Leistung für die Kommunen und auch für die Feuerwehren, möchte ich an dieser Stelle als Erstes Dank und Anerkennung ganz persönlich noch mal an Lorenz Caffier aussprechen.

(Beifall vonseiten der Fraktionen der SPD und CDU)