Protocol of the Session on January 29, 2015

In den Koalitionsverträgen mehrerer Bundesländer wurde bereits vereinbart, auf eine Abschaffung der in die Zuständigkeit des Bundes fallenden Abschiebehaft und bis dahin auf eine weitgehende Reduzierung der Abschiebungshaftanträge hinzuarbeiten. Mecklenburg-Vorpom- mern sollte sich dem anschließen.

Wie das geht, macht zum Beispiel die Freie Hansestadt Bremen vor. Nach dem Erlass des dortigen Senators für Inneres und Sport vom 15. Mai 2013 ist stets zu prüfen, ob zur Vermeidung von Abschiebungshaft die Anordnung milderer Maßnahmen infrage kommt. Solche Maßnahmen können unter anderem die Erteilung von Melde- auflagen, die räumliche Beschränkung des Aufenthalts, die Verpflichtung zur Teilnahme an einer Ausreisebera

tung, die Vereinbarung von Sicherheitsleistungen oder -garantien durch Vertrauenspersonen darstellen. Die Inhaftnahme ist zudem auf die kürzest mögliche Dauer zu beschränken. Ein Haftantrag soll grundsätzlich für höchstens zwei Wochen gestellt werden. Besonders schutzbedürftige Personen sind grundsätzlich nicht in Haft zu nehmen. Besonders schutzbedürftige Personen sind Minderjährige, Menschen ab dem vollendeten 65. Lebensjahr, Schwangere, Alleinerziehende oder Eltern mit minderjährigen Kindern sowie Menschen mit ärztlich attestierten oder offensichtlichen psychischen Erkrankungen oder anerkannter Schwerbehinderung.

Die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN fordert die Landesregierung dazu auf, das ihr Mögliche zu tun, um die Inhaftierung von Menschen zum Zwecke ihrer Abschiebung weitgehend zu vermeiden.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, die Bundesregierung hat unterdessen dem Bundesrat am 29. Dezember 2014 auf Bundestagsdrucksache 642/14 den Entwurf eines Gesetzes zur Neubestimmung der Aufenthaltsbeendigung und des Bleiberechts zugeleitet. Dieser sieht vor, dass die Abschiebungshaft erleichtert und deutlich ausgeweitet wird. Technisch funktioniert das wie folgt: Nach dem bisherigen Paragrafen 62 Absatz 3 Nummer 5 Aufenthaltsgesetz ist ein Ausländer zur Sicherung der Abschiebung auf richterliche Anordnung in Haft zu nehmen – das ist die Sicherungshaft –, wenn „der begründete Verdacht besteht, dass er sich der Abschiebung entziehen will“. Künftig soll dies immer dann geschehen, wenn, Zitat, „im Einzelfall Gründe vorliegen, die auf den in § 2 Absatz 14 festgelegten Anhaltspunkten beruhen und deshalb der begründete Verdacht besteht, dass er sich der Abschiebung durch Flucht entziehen will (Fluchtgefahr) “, Zitatende.

Konkrete Anhaltspunkte dafür können nach dem neuen Paragrafen 2 Absatz 14 Aufenthaltsgesetz unter anderem sein, dass „der Ausländer über seine Identität (täuscht) ,“ – Zitat – „insbesondere durch Unterdrückung oder Vernichtung von Identitäts- und Reisedokumenten oder das Vorgeben einer falschen Identität“, und dass „der Ausländer zu seiner unerlaubten Einreise erhebliche Geldbeträge für einen Schleuser aufgewandt (hat)“, Zitat- ende.

Dieser Gesetzentwurf macht sich den Umstand zunutze, dass es für Flüchtlinge schlicht keine legalen Wege nach Europa gibt. Nur ein Beispiel: Mehr als 200.000 Menschen versuchten im vergangenen Jahr, über das Mittelmeer nach Europa zu gelangen. Das ist nach Einschätzung der Vereinten Nationen die gefährlichste Fluchtroute der Welt. Schleuser lassen sich die Überfahrt oft mit mehreren Tausend Euro pro Person teuer bezahlen.

(Stefan Köster, NPD: Wo die das Geld wohl herhaben?!)

Die Menschen, die diese Route nehmen, stammen überwiegend aus Syrien, Eritrea, Somalia oder aus Afghanistan. Sie hätten an sich einen Anspruch auf unseren Schutz. Dass sie künftig leichter in Haft genommen werden können, lehnt meine Fraktion rigoros ab.

Wir fordern die Landesregierung dazu auf, sich im Bundesrat dafür einzusetzen, dass gegen den Gesetzentwurf Einspruch eingelegt wird. – Ich danke für die Aufmerksamkeit und wünsche uns eine gute Debatte zu diesem Punkt.

(Beifall vonseiten der Fraktionen DIE LINKE und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Im Ältestenrat ist vereinbart worden, eine Aussprache mit einer Dauer von bis zu 90 Minuten vorzusehen. Ich sehe und höre dazu keinen Widerspruch, dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache.

Um das Wort gebeten hat zunächst der Minister für Inneres und Sport Herr Caffier.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren Abgeordnete!

Zunächst erst mal, Frau Gajek, ich kann Ihnen schon mal versprechen, dass wir dem zustimmen werden im Bundesrat. Es ist eine Umsetzung der Vereinbarung in der Großen Koalition,

(Silke Gajek, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Das habe ich mir fast gedacht.)

und ich bin auch sehr dankbar, dass das so kommt.

Auch um einige Unwahrheiten von Ihnen auszuräumen beziehungsweise richtigzustellen, möchte ich zunächst erst mal feststellen, dass ich meinen Kollegen der Fraktion DIE LINKE und der SPD in Brandenburg sehr dankbar bin, dass sie uns die Möglichkeit einräumen, die Abschiebehaftanstalt in Eisenhüttenstadt mit zu nutzen. Wir werden das jetzt auch vertraglich regeln, weil wir genau das dann umsetzen, was vom Europäischen Gerichtshof gefordert worden ist.

Zum anderen muss ich Ihnen leider widersprechen. Wir haben nicht jahrelang verstoßen, sondern es hat im letzten Jahr ein Gerichtsurteil gegeben,

(Silke Gajek, BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN: Ja.)

und im Gerichtsurteil ist es immer so, dass die eine Seite oder die andere Seite eine Betrachtung hat. Das Gericht ist zu einer anderen Auffassung gekommen, damit haben sich alle Länder darauf einzustellen. Erwecken Sie hier nicht den Anschein, wir hätten über Jahre gegen geltendes Recht verstoßen. Das ist unwahr, was Sie behaupten, deswegen will ich das auch ganz klar richtigstellen.

Und wenn Sie das bedauern, dass nun in Brandenburg derzeit in der Abschiebehaft nur einer sitzt, dann müssen Sie sich mal entscheiden.

(Silke Gajek, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Das habe ich so nicht gesagt. Das ist Ihre Auslegung.)

Sollen denn da jetzt viele …

Natürlich, Sie haben gerade,

(Zuruf von Silke Gajek, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Sie haben gerade „nur“ gesagt, da ist „nur“ einer. Da müssen Sie sich mal überlegen, wofür Sie nun sind, dass da viele sitzen

(Silke Gajek, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Dass er gar nicht da ist.)

oder dass wir, entsprechend den rechtlichen Bedingungen, das vorhalten, was dementsprechend auch notwendig ist.

(Zuruf von Silke Gajek, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das ist dann mal so im Leben, Frau Gajek.

(Silke Gajek, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Ach so!)

Der von der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN unter Ziffer 1 genannte Gesetzentwurf dient maßgeblich der Reform des Bleiberechts sowie des Ausweisungs- und Abschiebungsrechts

(Zuruf von Silke Gajek, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

und setzt einige Festlegungen der Koalitionsvereinbarung der Bundesregierung um.

(Silke Gajek, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Ja, da haben wir keine andere Auffassung.)

Der Gesetzentwurf zielt einerseits darauf ab, die Rechtsstellung derjenigen zu stärken, die auch ohne einen rechtmäßigen Aufenthalt anerkennenswerte Integrationsleistungen erbracht haben oder, wie Sie richtigerweise ausgeführt haben, die schutzbedürftig sind. Andererseits ist der Gesetzentwurf auch darauf ausgerichtet, verstärkt den Aufenthalt von Personen, denen unter keinem Gesichtspunkt, und das möchte ich betonen, ein Aufenthaltsrecht in der Bundesrepublik Deutschland zusteht, wieder zu beenden und deren vollziehbare Ausreisepflicht gegebenenfalls auch zwangsweise umzusetzen. Das ist geltendes Recht, das haben wir umzusetzen und das ist auch richtig so.

(Silke Gajek, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Man kann es aber ändern.)

Dieses vorangestellt, möchte ich zum eigentlichen Kernpunkt der Ziffer 1 des Antrages der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN kommen. Letztlich wird bemängelt, dass die im Gesetzentwurf genannten konkreten Anhaltspunkte im Sinne des Paragrafen 62 Absatz 3 Satz 1 Nummer 5 des Aufenthaltsgesetzes dazu führen würden, dass zukünftig Sicherungshaft beinahe für jeden beantragt und durchgeführt werden könnte. Das wiederum ist ebenfalls nicht richtig, Frau Gajek. Vielmehr ist es so, dass die Verordnung der EU, das ist die Verordnung Nummer 604, das ist die sogenannte Dublin-Verordnung,

(Silke Gajek, BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN: Genau.)

gewisse Kriterien an eine Fluchtgefahr anlegt, die bisher im internationalen Recht nicht ausreichend verankert waren. Das zumindest hat der Bundesgerichtshof mit Beschluss vom 26. Juli 2014 entschieden. Die bisherigen Regelungen hatten keine objektiven Kriterien für die Annahme von Fluchtgefahr festgelegt und genügten insofern nicht den durch Artikel 2n) der sogenannten Dublin-Verordnung gestellten Anforderungen.

Genau diese objektiven Kriterien werden jetzt mit der Gesetzesänderung neu geregelt beziehungsweise eingeführt. Wichtig ist dabei, dass die neu geregelten Tatbestände an Gesichtspunkte anknüpfen, die in Rechtsprechung und Verwaltungspraxis bisher für die Annahme, sich einer Abschiebung entziehen zu wollen, herangezogen wurden. Sie bilden insofern die bisher geltende Rechtslage ab.

Wie nach bisheriger Rechtslage stellt das Vorliegen eines Anhaltspunktes – eines Anhaltspunktes! – letztlich ein Indiz oder ein erstes Indiz dafür dar, dass im konkreten Falle eine Fluchtgefahr bestehen könnte. Welche Gefahr diesem Indiz zukommt und ob tatsächlich, gegebenenfalls gestützt auf weitere Indizien, vom Bestehen einer Fluchtgefahr ausgegangen werden kann, bedarf der Prüfung im Einzelfall.

(Zuruf von Silke Gajek, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Dabei sind selbstverständlich auch Umstände zu berücksichtigen, die gegen die Annahme einer Fluchtgefahr sprechen. Kurzum, aus meiner Sicht steht nicht zu erwarten, dass die Zahl von Sicherungsfällen sprunghaft ansteigen wird.

Meine sehr geehrten Kollegen und meine lieben Damen von der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, zu diesem Schluss müssten Sie wahrscheinlich auch kommen, wenn Sie die Begründung des Gesetzentwurfes aufmerksam gelesen hätten.

(Silke Gajek, BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN: Haben wir.)

Dann aber hätten Sie die Bundesregierung nicht mehr mit unbegründeter Kritik angreifen können.

Ziffer 2 des Antrages verlangt nach einem Erlass meines Hauses, der die Nutzung der eröffneten Handlungsspielräume zugunsten der von Abschiebegewahrsam oder Sicherungshaft betroffenen Menschen fordert. Bei näherer Betrachtung ist mir aufgefallen, dass im Kern die erhobene Forderung mit den Fragestellungen des Abgeordneten Kollegen Suhr in Frage 7 der Kleinen Anfrage 6/2794 vom 11. März 2014 vergleichbar ist. An den Antworten der Landesregierung zur damaligen Zeit hat sich nichts, gar nichts geändert.

(Silke Gajek, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Ja.)

Ich bin gern bereit, dies zu wiederholen.