Protocol of the Session on December 11, 2014

(Beifall vonseiten der Fraktionen der SPD und CDU)

Vielen Dank, Herr Waldmüller, für diese Einbringung.

Im Ältestenrat ist vereinbart worden, eine Aussprache mit einer Dauer von bis zu 90 Minuten vorzusehen. Ich sehe und höre dazu keinen Widerspruch, dann ist das so beschlossen. Ich eröffne damit die Aussprache.

Das Wort hat stellvertretend für den Wirtschaftsminister zunächst die Justizministerin Frau Kuder.

(Peter Ritter, DIE LINKE: Wenn

diese Regierung Frau Kuder nicht hätte! –

Wir sind Frau Kuder

dankbar, dass sie anwesend ist und zu allen

Fragen, die die Landesregierung betreffen,

sprechen kann. – Beifall vonseiten

der Fraktion DIE LINKE)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! Ein wirtschaftspolitischer Schwerpunkt der Landesregierung ist die Unterstützung von Handwerk und Mittelstand. Dem Handwerk können in Mecklenburg-Vorpommern 10 Prozent der Bruttowertschöpfung, 14 Prozent der Er- werbstätigen und 25 Prozent des Ausbildungsmarktes zugerechnet werden. 21.200 Handwerksunternehmen beschäftigen rund 102.000 Menschen in unserem Land und bilden 5.061 Lehrlinge aus. Das Handwerk erwirtschaftet einen jährlichen Umsatz von 9 Milliarden Euro.

Die Handwerksordnung regelt, dass in 41 Handwerken die Meisterausbildung Grundvoraussetzung für eine Selbstständigkeit ist. Diese Unternehmen sorgen für eine wirtschaftliche Stabilität auch in konjunkturschwachen Zeiten. Nach der Staatsschuldenkrise im Euroraum haben die Handwerksunternehmen maßgeblich die Stabilisierung in Deutschland und insbesondere auch im Flächenland Mecklenburg-Vorpommern unterstützt. Die Insolvenzgefährdung im Handwerk ist um fast zwei Drittel niedriger als in der Gesamtwirtschaft. Es ist erwiesen, dass 70 Prozent der neu gegründeten Meisterbetriebe nach fünf Jahren noch am Markt bestehen. Durch die Meisterausbildung werden die Gesellen sowohl in Fachpraxis, in Fachtheorie, in Betriebswirtschaft und als Ausbilder zusätzlich befähigt.

(Beifall Regine Lück, DIE LINKE)

Ergebnis der Handwerksnovelle 2004 war und ist es, dass von 94 zulassungspflichtigen Handwerken der Handwerksordnung 53 Handwerke zulassungsfrei wurden. Für diese besteht seit 2004 für eine Selbstständigkeit im Handwerk keine Meisterpflicht mehr. Bei den zulassungsfreien Handwerken, für deren Ausübung seit 2004 keinerlei Qualifikation verlangt wird, brach die Überlebensrate der Betriebe auf unter 50 Prozent ein. Nach fünf Jahren sind fast 60 Prozent der Gründungen am Markt verschwunden. Auch die Ausbildungsfunktion des Handwerks hat in diesen Gewerken stark gelitten. In den heute zulassungsfreien Handwerken wurde vor der Novelle 2004 noch in 13 Prozent der Betriebe ausgebildet. Heute bilden nach Untersuchungen der Universität Göttingen nur noch 4 Prozent der Betriebe aus. Während 2004 in Mecklenburg-Vorpommern in den zulassungsfreien Handwerken 547 junge Menschen ausgebildet wurden, waren es 2013 noch 127 Auszubildende.

Eine Meisterprüfung haben seit 2004 circa 40 Gesellen in den zulassungsfreien Handwerken absolviert. Aufgrund dieser Zahl halten die Handwerkskammern die Möglichkeit für eine Meisterausbildung in den zulassungsfreien Handwerken aus Kostengründen nicht mehr vor.

Trotz der Abschaffung der Meisterpflicht 2004 in 53 Gewerken hat das zulassungspflichtige Handwerk in Deutschland 2013 im europäischen Vergleich zur erfreulich niedrigen Jugendarbeitslosigkeit von 8 Prozent beigetragen. Nur durch das zulassungspflichtige Handwerk wird die hohe Ausbildungsquote von 11 Prozent im Gesamthandwerk erreicht, denn zu 95 Prozent findet im Handwerk die Ausbildung im zulassungspflichtigen Hand- werk und damit in den meisterpflichtigen Gewerken statt.

Das duale Ausbildungssystem wurde kürzlich als vorbildlich in Europa anerkannt. Es erscheint widersprüchlich, wenn die Europäische Kommission gleichzeitig Qualifikationsanforderungen des Handwerks infrage stellt. Mit der Transparenzinitiative der EU-Kommission vom 02.10.2013 werden alle nationalen Reglementierungen des Berufszugangs in Europa nochmals geprüft. Nur durch reglementierte meisterpflichtige Handwerksberufe kann Deutschland die Ausbildungszahlen vorweisen. Deshalb wird immer wieder vonseiten der Politik und Teilen des Handwerks eine Evaluierung der Handwerksnovelle des Jahres 2004 gefordert. In den vergangenen Jahren wurden unter anderem drei parlamentarische Anfragen zum Handwerk an die Bundesregierung gerichtet.

Gegen eine Rückführung der zulassungsfreien Hand- werke der Anlage B1 in die zulassungspflichtigen Handwerke der Anlage A der Handwerksordnung werden aber auch verfassungsrechtliche und politische Bedenken vorgebracht. So sind die Wiedereinführung der Meisterpflicht oder die Einführung einer Mindestqualifikation für zulassungsfreie Handwerke vor dem Hintergrund des Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts vom 5. De- zember 2005 kaum möglich. Das oberste deutsche Verfassungsgericht akzeptiert die Meisterpflicht nur in denjenigen Handwerken als Berufszugangsschranke, bei denen eine besondere Gefahrgeneigtheit vorliegt. Zudem fordert die Europäische Kommission derzeit verstärkt den Abbau von Hindernissen für Unternehmensgründungen und grenzüberschreitende Dienstleistungen mit dem Ziel der weiteren Öffnung des Dienstleistungsbinnenmarktes. Die Wiedereinführung einer weiteren Berufszulassungsschranke würde dem entgegenstehen.

„Es sprechen viele Gründe für den Erhalt der bestehenden Meisterpflicht und als Wirtschaftsminister werde ich mich nachdrücklich für die Beibehaltung dieser Meisterpflicht einsetzen“, so Harry Glawe.

Die Handwerkskammern in Mecklenburg-Vorpommern begegnen seit 2008 gemeinsam mit Unterstützung des Wirtschaftsministeriums der absehbaren Meisterlücke mit der landesweiten Kampagne „Besser ein Meister“. Die Kampagne wird auch 2015/2016 weitergeführt. Ein Schwerpunkt der Landeskampagne ist dabei das zulassungsfreie Handwerk. – Herzlichen Dank.

(Beifall vonseiten der Fraktionen der SPD und CDU)

Vielen Dank, Frau Ministerin.

Das Wort hat jetzt der Fraktionsvorsitzende der Fraktion DIE LINKE Herr Holter.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich möchte es hier noch mal wiederholen, ich bin Frau Kuder, der Justizministerin, wirklich

dankbar, dass sie in Vertretung des Wirtschaftsministers die Rede vorgetragen hat, nicht nur diese Rede, weil ja bekanntermaßen der Wirtschaftsminister bei der Wirtschaftsministerkonferenz in Stralsund ist. Das ist auch gut so, das war jetzt gar nicht kritisch gemeint, sondern das war wirklich, ja,

(Peter Ritter, DIE LINKE: Anerkennend. – Udo Pastörs, NPD: Große Leistung.)

anerkennender Dank, den ich ausgesprochen habe, und es erleichtert mir, bestimmte Dinge hier zu argumentieren.

(Zuruf von Torsten Renz, CDU)

Dieses Thema, Herr Waldmüller, welches Sie gewählt haben, ist doch ein Lehrstück, wie Politik wirkt. Wenn wir Medizin kaufen, dann werden wir immer aufgefordert, die Folgen und Nebenwirkungen zu berücksichtigen, und wir tun so, Sie tun so, als wenn die EU und die Europäische Kommission etwas wäre, womit wir nichts zu tun haben.

(Zuruf von Michael Andrejewski, NPD)

Aber die Bundesrepublik Deutschland ist Bestandteil der Europäischen Union und die Kanzlerin, sie wird ja als starke Kanzlerin in Europa verstanden, hat unmittelbaren Einfluss auf die Geschicke der Europäischen Kommission. Deswegen müssen wir auch heute hier, und das ist ja Ihr Antrag, über Folgen und Nebenwirkungen der europäischen Politik mit entscheiden und mitreden,

(Heiterkeit bei Udo Pastörs, NPD: Mit entscheiden!)

weil, das haben …

Das war ein Versprecher, das haben Sie ja verstanden.

(Heiterkeit bei Udo Pastörs, NPD: Jaja.)

Es muss ja jedem zugestanden werden, dass man sich mal verspricht.

Also reden wir heute über Folgen und Nebenwirkungen der europäischen Politik, die durch die Bundesrepublik Deutschland wesentlich mit beeinflusst wurde. Und deswegen möchte ich in diesem Zusammenhang an Sie appellieren, wenn wir hier über CETA und über das Transatlantische Freihandelsabkommen sprechen, dann reden wir als LINKE genau über die Folgen und Nebenwirkungen solcher politischen Entscheidungen. Wenn nämlich das berücksichtigt worden wäre, worüber wir heute in Übereinstimmung sprechen – im Moment –, dann wäre damals bei den Entscheidungen, die in Europa getroffen wurden, vielleicht etwas anderes passiert, und nicht das, was Sie jetzt befürchten und was auch eingetreten ist.

Herr Waldmüller und Frau Kuder haben die Daten und Fakten bereits dargestellt, deswegen muss ich das jetzt nicht mehr tun – dafür auch meinen Dank. Ich möchte mich mit der Frage des Nutzens und der Wirkung Ihres Antrages beschäftigen. Herr Waldmüller hat es bereits ausgeführt.

Erstens. SPD und GRÜNE, damals in der Bundesregierung, haben in Kauf genommen, dass die Ausbildung und die Qualität in der Ausbildung zurückgehen, um die Zahl

der Existenzgründungen zu erhöhen. Ich will an die IchAG erinnern. Das Ziel ist kurzfristig zwar erreicht worden, aber die Zahl sozialversicherungspflichtiger Beschäftigter ist eben gesunken, und damit wurde auch das Kernziel, für mehr Beschäftigung im Handwerk zu sorgen, verfehlt.

Zweitens – auch darüber ist in den Vorreden schon gesprochen worden – wird in Brüssel die Meisterpflicht als Marktzugangsbeschränkung gesehen. Andererseits, auch das wurde gesagt, wird Deutschland für die geringe Jugendarbeitslosigkeit gelobt, und dabei, das habe ich bei Ihnen auch so verstanden, gibt es einen Zusammenhang zwischen Meisterpflicht, dualer Ausbildung und Jugendarbeitslosigkeit. Und wenn dieser Zusammenhang verkannt wird – nicht von den Rednerinnen und Rednern im Saal, sondern außerhalb dieses Hauses und auch anderswo –, dann wird sich in absehbarer Zeit hier kaum etwas ändern.

Drittens will ich feststellen, dass SPD und CDU im Bundestag bisher – vielleicht gibt es ja jetzt Bewegung, das weiß ich nicht – keine Veranlassung gesehen haben, die Handwerksnovelle tatsächlich zu evaluieren. Im Wesentlichen geht es doch darum, den Status quo zu sichern.

Hier komme ich jetzt zu einem Punkt, der, glaube ich, zur Ehrlichkeit, auch der CDU, dazugehören sollte: Bereits 2012 hatte DIE LINKE einen Antrag zur Evaluierung im Bundestag eingebracht. Deswegen war ich auch so erstaunt, Herr Waldmüller, dass Sie jetzt von der Evaluierung sprechen. Unser Antrag wurde im Bundestag abgelehnt. Und warum? Dazu darf ich Ihnen die Abgeordnete der CDU/CSU-Fraktion Frau Strothmann anführen. Sie hat in der damaligen Aussprache Folgendes ausgeführt, Zitat: „Evaluierungen sind ein gutes Instrument, um Informationen zu erhalten. Evaluierungen machen aber keinen Sinn, wenn bereits umfangreiches Material und Zahlen vorliegen. Wir Abgeordnete haben die Daten mit etlichen großen und kleinen Anfragen selbst angefordert. Außerdem gibt es die Handwerkstatistik. Das heißt, die Datenlage ist sehr gut, und es widerstrebt mir außerordentlich, Dinge zu evaluieren, die wir bereits wissen.“

(Peter Ritter, DIE LINKE: Aha!)

Ende des Zitats. So weit Ihre Kollegin im Bundestag.

Vielleicht hat ja jetzt etwas, was Sie berichtet haben, Herr Waldmüller, an Erkenntnisprozessen eingesetzt.

(Zuruf von Peter Ritter, DIE LINKE)

Ich teile diese Einschätzung der Kollegin Strothmann nicht, denn es ist mitnichten geklärt, ob und wo die Meisterpflicht ihren Zweck erfüllt, wo eine Wiedereinführung der Zulassungsbeschränkung sinnvoll wäre und wo nicht.

Und noch mal Frau Strothmann, Zitat: „Die alte HWO war hervorragend zu begründen, und sie hatte daher zu Recht einen gewissen Bestandsschutz. Aber neue Beschränkungen explizit für die Anlage B wird die EU nicht wieder zulassen; das ist ganz klar.“ So habe ich auch Frau Kuder verstanden, als sie den Beitrag von Herrn Glawe hier vorgetragen hat. Weiter in dem Zitat: „Allein schon mit der Debatte gefährden Sie die verbliebene Anlage A, weil deren Rechtfertigung automatisch mit auf den Prüfstand käme. Wir sehen doch bei der Diskussion um die Berufsanerkennungsrichtlinie, wie die EUKommission die Anlage A und somit mehr oder weniger

unbeabsichtigt das duale System angreift, jenes duale System, das europaweit und sogar weltweit gelobt wird und gerade in Krisenstaaten zur Bekämpfung der hohen Jugendarbeitslosigkeit aufgebaut werden soll.“ So weit das Zitat der Frau Strothmann.