Protocol of the Session on November 13, 2014

und sie leben, die Demokratie, damit Zivilgesellschaft blühen und sich entfalten kann,

(Zuruf von Udo Pastörs, NPD)

und dieses insbesondere mit den Brüchen der Menschen, die hier gelebt haben, die auch geblieben sind oder vielleicht auch wieder zurückkehren.

Ich wünsche mir, dass wir hier im Parlament den Dialog führen, sachorientiert, und nicht der Machtpolitik das Zepter unseres politischen Handelns überlassen. Ich denke, da ist noch viel zu tun. Der ehemalige Landtagspräsident, Herr Prachtl, hat uns gestern in der Feierstunde zum 20-jährigen Bestehen unserer Landesverfassung noch mal eindrücklich unserer parlamentarischen Verantwortung und auch Verpflichtung erinnert. Mein Traum, mein Traum ist noch lange nicht ausgeträumt und auch dieses Land schreit nach Veränderungen. – Ich danke für die Aufmerksamkeit.

(Beifall vonseiten der Fraktionen der CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und Martina Tegtmeier, SPD)

Ums Wort gebeten hat jetzt der Ministerpräsident des Landes Herr Erwin Sellering.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! In vielen Veranstaltungen wurde in den letzten Tagen an den Fall der Mauer erinnert. Menschen in ganz Deutschland haben zurückgedacht an die großen Ereignisse der Herbstes 1989. Aus aller Welt waren die Blicke noch einmal gerichtet auf Berlin, auf Deutschland, auf diesen beispiellosen friedlichen Umbruch.

Ich finde gut, lieber Herr Kokert, dass Sie noch einmal an die lange Vorgeschichte erinnert haben: Solidarność, Gorbatschow, der Papst – das stimmt alles. Ich will noch ergänzen, eine wichtige Grundlage für die Ereignisse 1989/1990 war ganz sicher auch die mutige Politik Willy Brandts, der schon 20 Jahre vorher Wandel durch Annäherung versucht hat,

(Michael Andrejewski, NPD: Durch Anbiederung.)

übrigens eine Politik, die damals heftig, manchmal gehässig bekämpft worden ist.

(Beifall vonseiten der Fraktionen der SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Norbert Nieszery, SPD: Sehr richtig.)

Meine Damen und Herren, ich finde gut, dass wir auch hier im Landtag die Gelegenheit nutzen, um zu schauen, was sich bei uns im Land damals ereignet hat, vor allem aber, was wir seitdem gemeinsam erreicht haben.

Meine Damen und Herren, dass die Grenze am späten Abend des 9. November 1989 geöffnet wurde, war für alle eine große Überraschung, trotz der stürmischen Entwicklungen, die dem schon vorausgegangen waren. In den Wochen zuvor haben sich immer mehr DDRBürger aufgemacht, um gegen die SED-Herrschaft und für mehr Freiheit zu demonstrieren. Mit Rufen wie „Wir sind das Volk“ oder „Demokratie – jetzt oder nie“ forderten sie immer selbstbewusster Reisefreiheit, freie Wahlen, Meinungsfreiheit, Pressefreiheit, Demonstrationsfreiheit, die Zulassung von Oppositionsgruppen und weitere Reformen: in Leipzig und Berlin, aber auch hier in den drei Nordbezirken, in vielen großen und kleinen Orten zwischen Wismar, Waren und Wolgast. Dabei ließen sie sich auch vom allgegenwärtigen Sicherheitsapparat immer weniger einschüchtern. Und als sich am Abend des 9. November die Nachricht verbreitete, die Grenze sei frei passierbar, da war es der machtvolle Strom der vielen Tausend Menschen, der die tatsächliche Öffnung der Grenzübergänge erzwang.

Meine Damen und Herren, der Fall der Mauer, der das Ende der Teilung Deutschlands und den Beginn des Zusammenwachsens markiert, ist einer der strahlendsten Momente in der deutschen Geschichte. Wir haben das am Sonntag mit einer großen Gedenkveranstaltung hier im Schweriner Theater gefeiert – zusammen mit unseren Nachbarn aus Schleswig-Holstein, die auf der anderen Seite der Grenze den Fall der Mauer erlebt haben als Beginn des dann folgenden großen Prozesses des Zusammenwachsens in der deutschen Einheit.

Ich habe am Sonntag gesagt – und ich wiederhole das hier –: Ich wünsche mir, dass wir uns das immer wieder bewusst machen, dass dies heute der wichtigste Teil unseres Erinnerns ist, dieses Glücksgefühl, das die Menschen in Ost und West im Herbst 1989 miteinander verband, das uns alle näher zusammenrücken ließ.

Für mich ist der Mauerfall vor allem Ergebnis und Ausdruck großen Mutes. Ich bewundere zutiefst den Mut der vielen Menschen, die im Herbst 1989 ihr Schicksal in die eigene Hand genommen haben und friedlich für Freiheit, Demokratie und die Öffnung der Grenzen eingetreten sind. Das Beispiel dieser Menschen zeigt uns deutlich: Wo sich die Menschen gemeinsam mit aller Kraft einsetzen, wo sie zusammenstehen, da können sie alles bewirken. Und es bleibt dabei: Es waren die Menschen in Ostdeutschland selbst, die im Herbst 1989 die Mauer zu Fall gebracht haben.

(Beifall vonseiten der Fraktionen der SPD, CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, am 9. November 1989 war wohl für niemanden absehbar, dass es nicht einmal ein Jahr später, am 3. Oktober 1990 zur deutschen Einheit kommen sollte und auch, dass aus den drei Nordbezirken der DDR binnen weniger Monate das Bundesland Mecklenburg-Vorpommern werden sollte. 25 Jahre deutsche Einheit und 25 Jahre Mecklenburg-Vorpommern, an diese beiden runden Jubiläen werden wir im kommenden Jahr erinnern und wir wollen sie auch feiern – auf fünf Festen, an fünf verschiedenen Orten bei uns im Land, fünf mal fünf.

Meine Damen und Herren, solche besonderen Jubiläen laden nicht nur zur Rückschau ein. Sie werfen auch die Frage auf, wie sich Mecklenburg-Vorpommern und wie

sich die übrigen ostdeutschen Länder seit 1990 entwickelt haben und wie es um das Zusammenwachsen von Ost und West fast 25 Jahre nach der deutschen Einheit steht.

Der Fall der Mauer und die deutsche Einheit haben den Menschen in Mecklenburg-Vorpommern und in den ostdeutschen Ländern große Vorteile gebracht, viele neue Möglichkeiten eröffnet. Meinungsfreiheit, Reisefreiheit, Pressefreiheit, freie Wahlen, all das wurde im Herbst 1989 von den Ostdeutschen selbst erkämpft. Hinzu kamen im Zuge der deutschen Einheit neue wirtschaftliche Möglichkeiten. Der Übergang in eine neue politische Ordnung und in ein neues Wirtschaftssystem war aber auch mit großen Schwierigkeiten verbunden. Es ging nicht ohne Brüche und Verletzungen, nicht ohne Enttäuschungen und Frustration, gerade in den ersten Jahren nach der deutschen Einheit. Fast alle Menschen in Mecklenburg-Vorpommern und den anderen ostdeutschen Bundesländern mussten sich beruflich umorientieren. Viele haben die Erfahrung von Arbeitslosigkeit machen müssen, manche sogar mehrfach.

Beide Erfahrungen aus der Wendezeit und aus der Zeit nach der deutschen Einheit, der positive Aufbruch und die damit verbundenen Schwierigkeiten, beides prägt nach meinem Eindruck das Leben in den ostdeutschen Bundesländern bis heute. Aber natürlich sind in den letzten beiden Jahrzehnten weitere Erfahrungen hinzugekommen. Und es ist eine neue Generation nachgewachsen. Die jungen Erwachsenen von heute haben ihr gesamtes Leben im vereinten Deutschland verbracht. Es lohnt sich also, Bilanz zu ziehen nach 25 Jahren Mauerfall.

Mein Eindruck ist, dass wir in Mecklenburg-Vorpommern eine insgesamt positive Bilanz ziehen können. Die meisten Menschen in unserem Land haben den Übergang in die neue Zeit sehr gut gemeistert und wir alle gemeinsam haben auf dem langen Weg seit 1989 viel erreicht. Unsere Städte erstrahlen in neuem Glanz.

(Gelächter bei Udo Pastörs, NPD)

Gerade Schwerin ist das beste Beispiel dafür. Die BUGA hat noch mal einen sehr positiven Schub gegeben. Und wenn ich hinten viele Besucher aus Wismar sehe, muss ich sagen,

(Zuruf von Udo Pastörs, NPD)

auch Wismar hat sich ganz hervorragend entwickelt als Welterbestadt.

Wir kommen wirtschaftlich weiter voran. Die Arbeitslosigkeit ist auf dem niedrigsten Stand seit der deutschen Einheit und wir bieten gute Lebensbedingungen für alle Generationen, ganz besonders für junge Familien. Bei den Kitas sind wir anderen Ländern weit voraus.

(Udo Pastörs, NPD: Jaja.)

Besonders erfreulich finde ich, dass im vergangenen Jahr erstmals mehr Menschen nach Mecklenburg-Vorpommern gezogen sind, als von hier abgewandert sind. All das ist das Ergebnis eines beispiellosen Aufholprozesses, den wir alle gemeinsam positiv gestaltet haben.

(Beifall vonseiten der Fraktionen der SPD und CDU)

Das ist eine große Leistung der Menschen bei uns im Land, für die ich als Ministerpräsident sehr dankbar bin und auf die wir alle zusammen sehr stolz sein können.

(Dr. Norbert Nieszery, SPD: Sehr richtig.)

Die Bürgerinnen und Bürger sind sich dieser Entwicklung bewusst. Die Landesregierung gibt einmal im Jahr eine Umfrage in Auftrag und fragt darin, wie sich Mecklenburg-Vorpommern seit der deutschen Einheit entwickelt hat. Die Ergebnisse sind sehr erfreulich. 88 Prozent der Menschen in Mecklenburg-Vorpommern meinen, dass sich das Land seit 1990 gut oder sehr gut entwickelt hat. Und sogar 90 Prozent sagen, dass es sich heute in unserem Land gut oder sehr gut leben lässt.

(Vincent Kokert, CDU: Tja.)

Das zeigt, Mecklenburg-Vorpommern ist inzwischen ein hoch attraktives Bundesland.

Wir fragen natürlich auch nach der Entwicklung in verschiedenen Bereichen, nach der unterschiedlichen Entwicklung. Da zeigen sich Unterschiede. Am besten wird die Entwicklung im Tourismus, beim Erscheinungsbild der Dörfer und Städte und in der Umwelt eingeschätzt. Sehr erfreulich ist, dass 81 Prozent meinen, dass sich der Ruf unseres Landes in Deutschland gut oder sogar sehr gut entwickelt hat. Das, meine ich, wäre vor einigen Jahren undenkbar gewesen. Ebenso erfreulich ist, dass rund zwei Drittel der Befragten eine positive Entwicklung im Gesundheitswesen, bei der Kinder- und Familienfreundlichkeit sehen.

Unsere Umfrage zeigt aber auch, wo Defizite bestehen und wo möglicherweise sogar etwas verloren gegangen ist. So wird die Entwicklung des sozialen Zusammenhalts seit 1990 nur von knapp der Hälfte der Befragten positiv bewertet. Insbesondere die Älteren sehen das kritisch. Ich halte das für einen sehr wichtigen Punkt. Es gibt in unserem Land zum Glück sehr viele Menschen, die sich ehrenamtlich engagieren. Fast jeder Dritte tut das – im sozialen Bereich, im Sport, in der Feuerwehr, in der Kultur. Dieses Engagement müssen wir weiter stärken. Die Landesregierung plant zu der bisher schon von den einzelnen Ministerien sehr engagiert gegebenen Unterstützung, zusätzlich den Aufbau einer Ehrenamtsstiftung. Denn ich bin davon überzeugt, unser Land wird nur dann weiter so gut vorankommen, wenn der soziale Zusammenhalt, die Gemeinschaft, gewahrt bleibt.

(Beifall vonseiten der Fraktion der SPD)

Meine Damen und Herren, der zweite Bereich, in dem kritische Stimmen überwiegen, ist die Verringerung der Arbeitslosigkeit. Das ist wenig überraschend. Wir sind zwar am Arbeitsmarkt gut vorangekommen, aber natürlich sind die Arbeitslosenzahlen immer noch höher als in den westlichen Ländern. Es bleibt die wichtigste Aufgabe, das Land wirtschaftlich voranzubringen, damit Arbeitsplätze entstehen und erhalten bleiben.

(Zuruf von Udo Pastörs, NPD)

Meine Damen und Herren, noch in einem weiteren Punkt können wir eine positive Bilanz ziehen. Ostdeutsche und Westdeutsche waren sich noch nie so nah wie heute. Wir sind in den vergangenen zwei Jahrzehnten wirklich näher zusammengekommen, wir sind immer mehr zusammen

gewachsen, so, wie Willy Brandt das in den Tagen nach dem Mauerfall und der Öffnung der Grenzen vorhergesehen und gewünscht hat. Es ist ein großes Glück, dass die Deutschen in Ost und West nach Jahrzehnten der Teilung heute wieder ganz selbstverständlich in einem Land leben.

(Beifall vonseiten der Fraktionen der SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und Vincent Kokert, CDU)

Meine Damen und Herren, natürlich muss beim Zusammenwachsen auch noch einiges verbessert werden. Es gibt leider immer noch wechselseitige Vorurteile,

(Dr. Norbert Nieszery, SPD: So ist es.)

an deren Abbau wir gemeinsam arbeiten müssen. Und ich wünsche mir manchmal noch mehr Respekt für die ostdeutschen Lebensleistungen, nicht nur für die Zeit nach dem Fall der Mauer, im Aufholprozess, sondern auch vorher unter den schwierigen Bedingungen der DDR-Zeit. Ich kann dazu nur sagen: Es geht nicht, das gesamte Leben in der DDR in einem einzigen Begriff pauschal negativ zusammenzufassen.

(Beifall vonseiten der Fraktion der SPD – Dr. Norbert Nieszery, SPD: Sehr gut. – Silke Gajek, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Macht doch niemand. – Stefan Köster, NPD: Aber Fakten müssen trotzdem genannt werden.)

Es gab in der DDR schweres staatliches Unrecht. Viele Menschen sind zu Opfern geworden und manche leiden bis heute. Sie brauchen unsere Unterstützung und sie brauchen auch die klare Botschaft: Euch ist schlimmes Unrecht angetan worden. Ich sage ganz klar, das darf und das will niemand verharmlosen.

(Beifall vonseiten der Fraktionen der SPD und CDU)

Fakt ist aber auch, es gab Millionen von Menschen in der DDR, die weder Täter noch Opfer waren,