Sehr geehrte Frau Landtagspräsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Manchmal treffen wir im Landtag Entscheidungen, die sich in der Praxis als nachteilig erweisen. Wir müssen den Mut haben, diese Entscheidungen rückgängig zu machen. Die Linksfraktion sieht eine solche nachteilige Entscheidung des Landtages in der Kommunalisierung der Aufgaben der Kinder- und Jugendhilfe im Jahr 2010.
Mit der Verabschiedung des Aufgabenzuordnungsgesetzes Mecklenburg-Vorpommern wurden nach dessen Paragraf 20 teilweise die Aufgaben des überörtlichen Trägers der öffentlichen Jugendhilfe nach Paragraf 85 Absatz 2 SGB VIII vom Landesamt für Gesundheit und Soziales Mecklenburg-Vorpommern auf den Kommunalen Sozialverband, kurz KSV, übertragen. Dieser Prozess der Übertragung war 2012 abgeschlossen und das Landesjugendamt und somit auch der Landesjugendhilfeausschuss sind seitdem dem Kommunalen Sozialverband zugeordnet. Wie der Name bereits sagt, sind die Entscheider im KSV die Landkreise und kreisfreien Städte. Der KSV erfüllt diese Aufgaben nach Paragraf 21 Aufgabenzuordnungsgesetz im eigenen Wirkungskreis und erhält vom Land einen finanziellen Ausgleich von jährlich 2,3 Millionen Euro.
Es gab im Rahmen der Funktionalreform sicherlich Gründe, die für eine Übertragung der Aufgaben des Landesjugendamtes zum Kommunalen Sozialverband gesprochen haben. Nach drei Jahren der praktischen Arbeit gibt es jedoch gute Gründe für eine Rückübertragung der Aufgaben der Kinder- und Jugendhilfe. Zum einen sind es rechtliche Bedenken, die damals schon der Übertragung entgegengestanden haben. Paragraf 85 SGB VIII, also die vorrangige bundesrechtliche Regelung, geht eindeutig von der Zuständigkeit des überörtlichen Trä
gers des Landes aus. Aber diese rechtlichen Bedenken möchte ich hier gar nicht weiter vertiefen, weil sie 2010 sicherlich im Rahmen der Beratung zum Aufgabenübertragungsgesetz schon eine Rolle gespielt haben. Nein, ich möchte auf die praktischen Folgen der Kommunalisierung eingehen.
Kommunalisiert wurde unter anderem die Aufgabe der Aufsicht über Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe, Beratung im laufenden Betrieb und Erteilung von Betriebserlaubnissen nach Paragraf 45 in Verbindung mit Para- graf 85 SGB VIII. De facto hat also praktisch das Land keine Aufsicht mehr über die Jugendhilfe. Gerade aber die Aufsicht über Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe ist das der Landespolitik zur Verfügung stehende Instrument, um die Einheitlichkeit erbrachter Leistungen im landesweiten Vergleich zumindest in wesentlichen Teilen zu kontrollieren, einheitliche Standards durchzusetzen und ihrer Verantwortung für die ihr anvertrauten schutzbedürftigen Kinder und Jugendlichen gerecht zu werden.
Seitens der Landespolitik können wir jedoch die Einheitlichkeit der erbrachten Leistungen derzeit nicht mehr sicherstellen, weil wir keinen Einfluss mehr darauf haben. Weder der Landtag noch die Landesregierung haben Einfluss auf den KSV. Der KSV nimmt die Aufgaben der Kinder- und Jugendhilfe weisungsfrei wahr, mit ganz praktischen und nicht nachvollziehbaren Folgen.
2014 stellte ich eine Kleine Anfrage. Ich fragte nach den Beschwerden von Kindern und Jugendlichen bei der Einhaltung von gesetzlichen Standards nach dem SGB VIII in Kinder- und Jugendeinrichtungen. Antwort der Landesregierung: „Siehe Vorbemerkung.“ Dort wurde klargestellt, dass die Landesregierung keine Fachaufsicht hat, heißt übersetzt, sie weiß es nicht. Wie soll aber die Landesregierung, die nach Paragraf 85 Absatz 2 Nummer 1 SGB VIII weiterhin für die Erarbeitung von Empfehlungen zuständig ist, Empfehlungen zum Kinderschutz herausgeben, wenn sie die praktischen Probleme nicht kennt, wenn sie noch nicht einmal weiß, ob und wie ein Beschwerdemanagement von Kindern und Jugendlichen in den Einrichtungen sichergestellt ist?
Zweitens obliegt dem KSV mit der Aufgabenübertragung auch die Erteilung von Ausnahmegenehmigungen für Erzieherinnen und Erzieher. Weder die Landesregierung noch wir wissen, wie viele Ausnahmegenehmigungen nach welchen Kriterien vom Fachkräftegebot des Kindertagesförderungsgesetzes Mecklenburg-Vorpommern vom KSV erteilt wurden. Diese Kenntnis ist der Landesebene entzogen. Wir stellen im KiföG ein Fachkräftegebot auf und wissen nicht, wie es eingehalten wird. Mehr noch: Die Landesebene erfährt nicht, wie viele Ausnahmegenehmigungen infolge des Fachkräftemangels erteilt wurden, und sehen so eventuell überhaupt nicht rechtzeitig den sich abzeichnenden Bedarf an Fachkräften. Eine Nachsteuerung in der dem Land obliegenden Ausbildungsplatzplanung kann so mangels Kenntnis und Transparenz nur zu spät erfolgen. Wir werden in naher Zukunft genau vor diesem Problem stehen.
Weitere Unzulänglichkeiten wurden auch hier in der Anhörung im Sozialausschuss zum Haushalt am 7. Oktober 2015 vorgebracht. Im Land gibt es keine beziehungsweise nur noch eine ungenügende Landesjugendhilfeplanung. Gemäß Paragraf 80 SGB VIII ist dies Pflicht für die Träger der öffentlichen Jugendhilfe. Auf Landesebene ist der KSV nach Paragraf 8 Landesjugendhilfe-
organisationsgesetz Mecklenburg-Vorpommern überörtlicher Träger der Jugendhilfe und es obliegt somit seiner Verantwortung, die Jugendhilfeplanung sicherzustellen. Auf Nachfragen in der Anhörung wurde bestätigt, dass die unzureichende Jugendhilfeplanung mit der Kommunalisierung der Aufgaben im Zusammenhang stehe.
Was jedoch das Fass zum Überlaufen brachte, war die Behinderung der Arbeit der Unterausschüsse des Landesjugendhilfeausschusses. Dieser Vorgang machte nochmals die Folgen der fehlenden Einflussnahme seitens der Landesebene deutlich. Im Oktober 2013 stellte der Kommunale Sozialverband einen Antrag beim Innenministerium Mecklenburg-Vorpommern auf einen auskömmlichen und dynamisierten Mehrbelastungsausgleich. Ein strukturelles Defizit wurde 2013 noch durch den KSV ausgeglichen.
Auf der im Mai 2014 stattgefundenen Verbandsversammlung des KSV sollte über die Errichtung und Bildung von Unterausschüssen des Landesjugendhilfeausschusses und über den Erlass einer Satzung zur Errichtung und Besetzung der Unterausschüsse befunden werden. Dies wurde wegen der Unterfinanzierung des KSV abgelehnt. Seit diesem Zeitpunkt arbeiten die vier bis dahin vor- handenen Unterausschüsse des Landesjugendhilfeausschusses nicht mehr.
Im Juni desselben Jahres gab es eine Mitteilung des KSV an den Landesjugendhilfeausschuss, dass keine Fahrtkosten für die Arbeit der Unterausschüsse übernommen sowie die inhaltliche Begleitung der Unterausschüsse durch die Verwaltung des Landesjugendamtes nicht mehr wahrgenommen werden. Die Kommunalisierung der Aufgaben nach dem SGB VIII hat ihre Defizite, die sich in diesem Fall zeigen.
Die Verbandsversammlung, also die Landräte und Oberbürgermeister der kreisfreien Städte haben entschieden, dass der Landesjugendhilfeausschuss keine Unterausschüsse mehr bildet beziehungsweise die Verwaltung des Landesjugendamtes die Arbeit der Unterausschüsse nicht mehr begleitet. Hier treffen Finanzierungsfragen auf inhaltliche Fragen.
Mangels vorgebrachter unauskömmlicher Ausfinanzierung des KSV, die vom Finanzausschuss des Landtages nicht so bewertet und deshalb abgelehnt wurde, wurde die Arbeit des Landesjugendhilfeausschusses beschnitten. Es scheint so, als sei dies das Druckmittel, um den Mehrbelastungsausgleich aufzustocken beziehungswei- se zu dynamisieren. Allerdings hatten die kommunalen Spitzenverbände der Ausstattung, so, wie sie im Aufgabenzuordnungsgesetz Mecklenburg-Vorpommern niedergeschrieben ist, zugestimmt. Im Nachhinein unter Verwendung von dieser Taktik zu einem höheren Mehrbelastungsausgleich zu gelangen, erscheint daher unredlich.
Das Land hat keinen Einfluss mehr, um die Arbeit des Landesjugendhilfeausschusses sicherzustellen. Weder Appelle des Sozialausschusses des Landtages noch die Stellungnahme des Finanzausschusses, die eine auskömmliche Finanzierung sahen und eine nicht aufgaben
gerechte Wahrnehmung durch den KSV feststellten, führten dazu, dass der KSV den Landesjugendhilfeausschuss entsprechend seiner gesetzlichen Verpflichtung unterstützt hat. Alle Appelle prallten bisher am KSV ab.
Es ist erfreulich, zur Kenntnis zu nehmen, dass nach zwei Jahren der nicht aufgabengerechten Wahrnehmung, in der die Landesebene zuschauen musste, nun endlich Bewegung in diese Angelegenheit kommt. Mehr Möglichkeiten, als auf einen positiven Ausgang zu hoffen, haben wir sowohl als Landtag als auch als Landesregierung nicht.
Es geht bei diesem Sachverhalt nicht nur lapidar darum, dass die Unterausschüsse nicht arbeiten konnten, nein, es geht um mehr. Das Landesjugendamt sollte eine primär an Kinderwohlaspekten orientierte Beratungs-, Erlaubniserteilungs- und Aufsichtsbehörde sein. Finanzielle Interessen standen bei diesem Sachverhalt deutlich vor den Interessen des Kindeswohls. Es realisierte sich die Gefahr, dass angesichts der finanziellen Ausstattung der Landkreise und kreisfreien Städte beim KSV in seiner Funktion als Aufsichtsbehörde das Kindeswohl nicht primär im Vordergrund stand. Die Körperschaften, über die die Aufsicht erfolgen soll, beaufsichtigen sich praktisch selbst. Das ist ein unlösbarer Widerspruch, der in sich Gefahren birgt. Aber seitens der Landesebene sind wir einfach verpflichtet, alles zu unternehmen, dass dieser Interessenkonflikt gar nicht erst besteht, sondern bei allen Entscheidungen immer – und ich betone wirklich „immer“ – das Kindeswohl die oberste Priorität haben muss, im Interesse unserer Kinder und Jugendlichen, im Interesse des Landes und im Interesse des KSV, der vor solchen Interessenkonflikten zu schützen ist.
Lassen Sie uns gemeinsam die Aufgaben der Kinder- und Jugendhilfe auf die Landesebene zurückübertragen! Stimmen Sie unserem Antrag zu! – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Im Ältestenrat ist vereinbart worden, eine Aussprache mit einer Dauer von bis zu 60 Minuten vorzusehen. Ich sehe und höre keinen Widerspruch, dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache.
Frau Bernhardt, Sie kennen ja meine Haltung, die deckt sich im Wesentlichen mit der Ihrigen. Ich habe durchaus Sympathien für diesen Antrag, aber – und das muss man einfach auch deutlich sagen – zum jetzigen Zeitpunkt ist er eben nicht umsetzbar. Ich möchte das ganz kurz skizzieren:
Zum Ersten. Wir haben natürlich keine Geschäftsgrundlage. Das heißt also, das Aufgabenzuordnungsgesetz gilt und es gilt für diese Legislatur. Insofern können wir auch mit keinem Fingerschnipp jetzt mal eben so dieses Gesetz ändern.
Das Zweite ist – und das muss man einfach mit bedenken –, dass wir im Moment die Situation haben, dass wir die sogenannten unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge über den KSV verteilen, also verteilen auf die Jugendämter zu der Inobhutnahme, dieses Verfahren gerade angelaufen ist und es aus meiner Sicht jetzt nicht sinnvoll wäre, in diese Anlaufphase reinzugrätschen, sodass ich es für sinnvoll halte, darüber nachzudenken in einer nächsten Legislatur, ob man die Rückführung dann tatsächlich angeht, weil – und das kennen Sie – die kommunale Ebene damals nicht wirklich begeistert von dieser Kommunalisierung gewesen ist.
Insofern halte ich es für sinnvoll, darüber in der nächsten Legislatur nachzudenken, ob man hier gegebenenfalls eine Rückübertragung vornimmt, und das kann ich Ihnen hier auch zusagen. – Vielen herzlichen Dank.
(Heiterkeit vonseiten der Fraktion DIE LINKE – Silke Gajek, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Allumfänglich war das ja nun nicht.)
Meine Damen und Herren, damit ist alles gesagt. Wir werden Ihrem Antrag nicht zustimmen. – Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
(Beifall vonseiten der Fraktion der CDU – Barbara Borchardt, DIE LINKE: Wollen Sie uns kein schönes Weihnachtsfest wünschen?)
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Als ich den Antrag gelesen habe, habe ich gedacht, ach Mensch, Frau Bernhardt, warum,
weil wir das so oft im Sozialausschuss diskutiert haben und die Punkte klar sind. Und ich denke, das sind die Diskussionen, die wir auch im Sozialausschuss geführt haben. In Punkt II heißt es, dass es an das LAGuS übergeben werden soll, und da habe ich persönlich meine Probleme, weil ich eben auch weiß, wie das LAGuS in Teilen arbeitet.
Die arbeiten gut, aber ich denke, auch ein Sozialministerium hat Steuerungsaufgaben und da ist eben die Frage: Ist es nicht dann eher im Sozialministerium besser aufgehoben oder eben beim LAGuS als Amt? Das muss man, denke ich, prüfen. Von daher hätte ich mir für den Bereich gewünscht, dass das offen ist, weil meines Wissens haben wir das auch offen diskutiert. Dass die Konflikte da sind, ich weiß nicht, wie oft wir das hier besprochen haben. Und Frau Tegtmeier hatte, ich weiß nicht, wie oft, auch den KSV angeschrieben, wir hatten den Finanzausschuss darum gebeten. Das ist echt eine Odyssee und zeigt, dass der Paragraf 20 des Aufgabenzuordnungsgesetzes damals offensichtlich falsch umgesetzt wurde. Ich denke und hoffe, dass es dann eine Rücküberführung gibt, ob jetzt ins LAGuS oder ins Sozialministerium, muss noch geklärt werden. Ich hoffe, dass wir das noch im Sozialausschuss inhaltlich diskutieren, wofür die positiven Aspekte, aber auch die negativen Aspekte stehen.
Um dann noch mal zum LAGuS zu kommen: Ja, die machen eine gute Arbeit, Frau Hesse, aber ich glaube, dass das LAGuS in vielen Bereichen Aufgaben übernommen hat, wo ich denke, dass originär das Sozialministerium da mehr das Sagen haben müsste, denn wir vermissen doch in vielen Bereichen die Steuerung. Das wird hier häufig kritisiert. Ich denke, das schon vorher zu sagen, wo das perspektivisch hin soll, ist für mich persönlich nicht der richtige Weg, sondern hier ist noch eine Möglichkeit, das zu diskutieren.
Sie haben jetzt auch die Frage der Flüchtlingspolitik, der unbegleiteten minderjährigen Geflüchteten benannt, aber es gibt eben viele Dinge, wo es auch auf Landesebene schwierig ist, zu sagen, wo gehört es denn jetzt hin. Wir hören immer, das ist der örtliche Träger. Beim Kindeswohl habe ich das eben auch so gedacht. Wenn wir alle an den Fall Lea-Sophie denken, wissen wir genau, wer verantwortlich dafür war, was aufgearbeitet wurde. Das ist das Jugendamt Schwerin mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Gleichwohl müssen Empfehlungen vom Sozialministerium auf den Weg gebracht werden. Die Frage ist: Wie soll perspektivisch der Landesjugendhilfeausschuss aufgestellt werden, also welche politische Kraft hat er teilweise auch? Denn wenn wir uns auf die örtliche Ebene begeben, wissen wir schon, dass gerade der Jugendhilfeausschuss Teil der Verwaltung ist und letztendlich dort Punkte mit begleitet. Das ist, denke ich, eine Frage, die wir uns hier stellen müssen, wie perspektivisch ein Landesjugendamt aufgestellt werden soll und wie wir die fachlichen und verwaltungstechnischen Punkte zusammenbekommen.
Wie gesagt, wir werden uns heute enthalten, weil ich denke, der Antrag ist ein bisschen zu schnell, er ist in Teilen leider aktionistisch. Ich hoffe aber, dass wir hier eine fachliche Debatte führen, wie und was ein Landesjugendamt perspektivisch leisten soll. Und ich denke, da werden wir hoffentlich gute Lösungen finden. – Ich danke für die Aufmerksamkeit.