Protocol of the Session on October 21, 2015

(Beifall vonseiten der Fraktionen der SPD, CDU, DIE LINKE und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Und deswegen, meine Damen und Herren, will ich mit aller Deutlichkeit für mich und meine Fraktion sagen, es gibt keinen gemeinsamen Weg, ob mit der NPD oder der AfD. Oder meint etwa jemand nach den jüngsten Demonstrationen in Deutschland und in Mecklenburg-Vor- pommern, mit Demokratiegegnern und Dogmatikern könne und müsse man reden? Nein, meine Damen und Herren, mit Dogmatikern kann man nicht reden, man muss sie bekämpfen!

(Beifall vonseiten der Fraktionen DIE LINKE und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zurufe von Stefan Köster, NPD, und David Petereit, NPD)

Alle Demokratinnen und Demokraten in MecklenburgVorpommern stehen nicht zuletzt wegen der schrecklichen Ereignisse in Rostock-Lichtenhagen in ganz besonderer Verantwortung, rechtsextremistisches Denken und Handeln zurückzudrängen und dafür zu sorgen, dass es von der Straße, aus den Köpfen und aus den Parlamenten verschwindet.

(Beifall vonseiten der Fraktion DIE LINKE)

Auch aus diesem Grund, und da bin ich voll beim Ministerpräsidenten, auch aus diesem Grund müssen alle Demokratinnen und Demokraten in der Flüchtlingsfrage, und nicht nur in dieser Frage, zusammenstehen. Gemeinsam müssen wir auch dafür sorgen, dass in unserem Land nicht die Ärmsten und die Allerärmsten gegeneinander ausgespielt werden.

So weit, meine Damen und Herren, teilen wir die Auffassungen des Ministerpräsidenten. Dass wir als Oppositionsführerin allerdings auch kritische Anmerkungen haben,

(Udo Pastörs, NPD: Oppositionsführerin!)

dürfte niemand überraschen. So hat sich die Regierungserklärung in großen Teilen wie ein Werbetext aus einer Hochglanzbroschüre eines Reiseveranstalters

angehört: schöne Bilder, wohlfeile Formulierungen. Kennen Sie derartige Werbung? In einer Zeitung konnte ich neulich unter der fragenden Überschrift „Sprechen Sie die Sprache der Reisekataloge?“ Folgendes lesen: Ein „Zimmer zur Meerseite“ bedeutet zum Beispiel nicht, dass sich das Hotel in der ersten Reihe befindet. Wenn das so wäre, würde es auch im Katalog stehen. Ein „naturbelassener Strand“ kann zugemüllt sein oder mit spitzen Steinen übersäht sein, einen tatsächlichen Traumstrand würden die Veranstalter jedenfalls anders beschreiben. Und der Strand vom „Hotel in ruhiger Lage“ heißt in der Regel, dass dieser nur mit dem Shuttle zu erreichen ist.

Meine Damen und Herren, spätestens nach dieser Regierungserklärung wissen wir, dass unser Ministerpräsident die Sprache der Reisekataloge gut beherrscht. Das mag bei Festveranstaltungen, Geburtstagsfeiern und Jubiläumsfeiern gut ankommen, hier im Landtag erwarte ich aber, dass Tacheles geredet wird.

Und damit Sie mich nicht falsch verstehen, Herr Sellering, Sie sind nicht für alles verantwortlich, die Landesregierung kann nicht allein alle Probleme lösen,

(Udo Pastörs, NPD: Für die ist keiner verantwortlich, das ist das Problem.)

nicht umsonst verweisen wir auf den Bund und auf die EU, und schon gar nicht geht das heute und morgen. Herr Sellering, Sie hätten aber zumindest die Probleme heute klar benennen können und sogar müssen.

(Dr. Norbert Nieszery, SPD: Hat er doch.)

Sie, Herr Sellering dürfen Missstände und Fehlentwicklungen im Lande nicht schönreden oder gar ignorieren.

(Dr. Norbert Nieszery, SPD: Das hat er auch nicht getan.)

Damit Sie jetzt nicht reflexartig sagen, ich würde das Land schlechtreden, lassen wir die Fakten sprechen. Dabei zitiere ich nicht Publikationen meiner Fraktion, sondern ich beziehe mich auf den Landesfinanzbericht des Landesrechnungshofes, den Fortschrittsbericht der Landesregierung Aufbau Ost 2014 und auf manche Antworten der Landesregierung auf Kleine Anfragen von Abgeordneten dieses Hauses.

Erstens. Mecklenburg-Vorpommern musste von 1990 bis 2014 einen Bevölkerungsrückgang von fast 340.000 Einwohnerinnen und Einwohnern hinnehmen. Damit hatte sich die Bevölkerungszahl seit Gründung des Landes um über 17 Prozent verringert. Die Bevölkerung verringert sich jedoch nicht nur, sie altert auch. Der Anteil der Kinder und Jugendlichen ist bis Ende 2013 auf 14 Prozent zurückgegangen. Demgegenüber ist der Anteil der Seniorinnen und Senioren auf über 22 Prozent gestiegen. MecklenburgVorpommern war 1990 einst das jüngste Bundesland.

(Heiterkeit bei Silke Gajek, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Ja.)

25 Jahre später sind wir das älteste Bundesland in Deutschland.

Zweitens. Die industrielle Basis ist nach wie vor schwach und die Exportleistung weiterhin gering. Im Jahr 2013 verzeichnete Mecklenburg-Vorpommern ein negatives Wirtschaftswachstum von 1,1 Prozent und liegt damit deutlich hinter den Ostflächenländern zurück.

(Udo Pastörs, NPD: War das bei Ihrer Regierungsbeteiligung anders?)

Somit hat Mecklenburg-Vorpommern 2013 auch im Vergleich mit den anderen Ländern relativ an Wirtschaftskraft verloren. Die wirtschaftliche Entwicklung in 2013 hat die Lücke zwischen Ost und West wieder größer werden lassen und den Angleichungsprozess gedämpft. Der Landesrechnungshof stellt fest, dass die Angleichung der Wirtschaftskraft auch nach über zwei Jahrzehnten seit der Wiedervereinigung nicht erfolgt ist und seit etlichen Jahren stagniert.

Drittens. Mecklenburg-Vorpommern gehört leider nach 25 Jahren zu den Flächenländern, in denen die meisten Menschen von Hartz IV leben müssen. Nur im schwarzrot-regierten Sachsen-Anhalt sieht es noch düsterer aus.

(Udo Pastörs, NPD: Da machen die Roten nichts dagegen.)

Im Juli dieses Jahres, also in einem der beschäftigungsintensivsten Monate, zählte die Bundesagentur für Arbeit in unserem Land 553.300 sozialversicherungspflichtige

Arbeitsverhältnisse. Am 30. Juni des Jahres 2000 waren es immerhin noch 590.000. In Mecklenburg-Vorpommern gibt es die niedrigsten Löhne, die niedrigsten Renten und die höchste Armut.

Viertens. Der Osten des Landes – Vorpommern, Mecklenburg-Strelitz – fühlt sich nicht nur abgehängt, er ist in vielen Dingen tatsächlich abgehängt, und da sind wir wirklich weit auseinander in der Einschätzung, Herr Ministerpräsident. Das beginnt mit den Verkehrsanbindungen. Der Anteil des verarbeitenden Gewerbes an der Bruttowertschöpfung ist nur halb so groß wie in Mecklenburg.

(Unruhe vonseiten der Fraktionen der SPD und CDU – Zuruf von Minister Harry Glawe)

Das Bruttoinlandsprodukt der Erwerbstätigen ist geringer, das verfügbare Einkommen ist geringer, die Anzahl der Arbeitslosen höher.

(Zuruf von Wolf-Dieter Ringguth, CDU)

In Vorpommern, das ist schlimm genug, Herr Ringguth, sterben die Menschen früher als in Mecklenburg hier im Westen.

(Dr. Norbert Nieszery, SPD: Das stimmt doch gar nicht. – Heiterkeit bei Vincent Kokert, CDU: Schuld haben immer die anderen.)

Fünftens. In Mecklenburg-Vorpommern gibt es die meisten Schulabbrecher, die meisten Menschen ohne Schulabschluss.

Sechstens. Die Anbindung der Menschen an den öffentlichen Personennahverkehr ist im ländlichen Raum schlecht. Die Lage droht sogar noch schlechter zu werden – von der Bahn will ich mal gar nicht reden, da sieht es noch schlimmer aus –

(Silke Gajek, BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN: Ja, Südbahn.)

und Mecklenburg-Vorpommern droht, auf das Abstellgleis geschoben zu werden.

Meine Damen und Herren, auch diese Zahlen gehören zu 25 Jahre Mecklenburg-Vorpommern. Das sind keine schönen Bilder, das sind keine wohlklingenden Bilder, aber das ist die Wahrheit. Und wie geht die Landesregierung damit um? Was sagt der Ministerpräsident dazu? Er gibt zum wiederholten Male eine Wohlfühlumfrage in Auftrag. Mit Wohlfühlumfragen zu Wohlfühlergebnissen. Und da ist sie wieder,

(Dr. Norbert Nieszery, SPD: Das passt Ihnen nicht.)

alle Jahre wieder,

(Dr. Norbert Nieszery, SPD: Hören Sie doch auf die Bürger! Hören Sie doch auf die Bürger!)

alle Jahre wieder, Herr Nieszery, diese merkwürdige schöne Sprache,

(Dr. Norbert Nieszery, SPD: Nehmen Sie das doch mal an und hören Sie auf, immer nur zu jammern, Herr Holter!)

die Sprache der Reisekataloge.

(Dr. Norbert Nieszery, SPD: Mann, Mann, Mann!)

Ich darf einmal zitieren, diesmal nicht aus einem Reisekatalog, sondern aus der aktuellen Umfrage der Landesregierung: „Man hört gelegentlich den Satz:“ – so lautet die Frage – „‚Wir können ein bisschen stolz darauf sein, was wir in den letzten Jahren hier in Mecklenburg-Vor- pommern geschaffen haben‘. Stimmen Sie dem eher zu oder stimmen Sie dem eher nicht zu?“ Ich denke, alle, die hier zuhören, würden dem zustimmen, ich natürlich auch, Herr Sellering. Selbstverständlich kann man dem zustimmen, was denn sonst?!

(Dr. Norbert Nieszery, SPD: Ja, also!)

Die Regierung freut sich über die Antworten. Natürlich stimmt dieser messerscharf formulierten Frage die große Mehrheit zu, was denn sonst?! Diese und andere Fragestellungen hat die Landesregierung vorgegeben.

(Udo Pastörs, NPD: Und die Lügenpresse hat es transportiert.)

Die erhoffte Botschaft dieser Umfrage war damit vorgezeichnet.