Protocol of the Session on April 29, 2010

auch das Bildungskonzept für die Null- bis Zehnjährigen vorliegt und umgesetzt werden kann. Die vom Bildungsminister hierzu eingesetzte Kommission wird die Ergebnisse nach Selbstaussage des Ministers – nachzulesen auf den Seiten des Bildungsservers – erst Ende 2011 vorlegen. Ende 2011!

(Michael Roolf, FDP: So ist es. Genau das. Genau das.)

Wir wissen, was dann ist, dann sind Wahlen.

(Michael Roolf, FDP: Ja, ja, genau das.)

Also es wird eine interessante Umsetzung.

Mit dem neuen Gesetz wird also das intakte System der Arbeit nach dem Rahmen plan für die vorschulische Bildung außer Kraft gesetzt, ohne ein neues erprobt und verfügbar zu haben. Ein schädliches Vakuum wird geschaffen.

(Michael Roolf, FDP: Ja.)

Das KiföG 2004 hat im Gesetz die Quote für Fachkräfte, für pädagogische Fachkräfte festgeschrieben. Auch das war eine Besonderheit in Deutschland, wo sonst nur Personalschlüssel ungeachtet der Qualifikation des Personals normiert werden. Ich er innere noch einmal an das geltende Gesetz. Hier heißt es ausdrücklich: „Bildung, Erziehung und Betreuung in Kindertageseinrich tungen erfolgen grundsätzlich durch“ pädagogische „Fachkräfte“, wobei pädagogische Fach kräfte im Weiteren definiert und die pädagogischen Fachkraft-Kind-Relationen im Gesetz ausgewiesen werden. Bildungs arbeit sowie Leitungstätigkeit darf gegenwärtig nur durch pädagogische Fachkräfte geleistet werden. Mit dem Einschub „grundsätzlich“ wären allerdings Aus nahmefälle für unterstüt zende, also assistierende Kräfte im Bildungspro zess denkbar.

In der vorliegenden Novelle nun wird der Begriff „pädagogische Fachkraft“ durch „pädagogisches Personal“ ersetzt, das aus pädagogischen Fachkräften – gemäß alter Definition – und Assistenzkräften, die nach dem KiföG bereits heute schon eingesetzt werden können, gebildet wird.

(allgemeine Unruhe)

Zur Unterstützung des pädagogischen Personal können ferner Praktikantinnen und Praktikanten eingesetzt werden, die, das muss man mal sagen, eigentlich der Anleitung und der Unterstützung des pädagogischen Personals bedürften, denn Praktikantinnen und Praktikanten sind ja selbst noch Lernende. Überdies – und damit wird

der Qualitätsansatz Fachkraftquote des geltenden KiföG dann vollkommen ausgehebelt – kann der überörtliche Träger der öffentlichen Jugendhilfe, also das Landesjugendamt, künftig im Einzelfall von den Anforderungen Ausnahmen zulassen, wenn die Vermittlung der Bildungs- und Erziehungsziele gleichwertig sichergestellt sind.

Ja, wir wissen inzwischen, es ist geplant, das Landesjugendamt dem kommunalen Sozialverband zuzuordnen, also aus den Strukturen der Kinder- und Jugendhilfe herauszulösen und damit aus der Fachlichkeit herauszunehmen. Die strenge Fachkraftquote des KiföG, die auch im Bericht der Bertelsmann Stiftung „Zur Sozialen Situation der Kinder im Lande Mecklenburg-Vorpommern“ ausdrückliche Würdigung erfährt, wird also zu einem ganz schnöden allgemeinen Personalschlüssel mutieren, bei dem lediglich die weiten Relationen erhalten bleiben. Damit wird Mecklenburg-Vorpommern tatsächlich das Land mit den schlechtesten Personalschlüsseln dieser Republik.

Meine sehr verehrten Damen und Herren Abgeordnete, das wollen wir alles nicht. Wir sind noch im Gesetzgebungsprozess, deshalb stellen wir es auch so deutlich heraus. Die Entwicklung eines Kindes ist stark von Anregungen, den Zuwendungen, die ihm zuteil werden, abhängig.

(Zuruf von Raimund Frank Borrmann, NPD)

Es soll jetzt ein Gesetz in Kraft treten, das das inhaltliche Konzept und die strengen Qualitätsanforderungen an das pädagogische Personal aufweicht. Die Empfehlungen der Bildungskommissionen werden damit ignoriert.

(Zuruf von Raimund Frank Borrmann, NPD)

Das Gesetz setzt stark auf individuelle Förderung.

(Zuruf von Raimund Frank Borrmann, NPD)

Eine berechtigte Forderung der Bildungskommission, allerdings von der Landesregierung vollkommen fehlinterpretiert: Im Paragrafen 1 Absatz 5 der Novelle wird auf das Erfordernis einer intensiven Beobachtung und Dokumentation der kindlichen Entwicklung eingegangen, die auch im geltenden Recht verankert und in den Kitas praktiziert wird. Im Paragrafen 1 Absatz 6 allerdings wird für die Zukunft festgeschrieben, dass eine gezielte individuelle Förderung einzusetzen hat, sofern erhebliche Abweichungen von der altersgerechten, sozialen, kognitiven, emotionalen oder körperlichen Entwicklung der Kinder nachgewiesen werden. Darauf soll dann auch die finanzielle Förderung ausgerichtet sein. Für Kinder in besonderen Bedarfslagen, und man orientiert sich hier am Hartz-IV-Leistungsbezug der Eltern, werden 5,1 Millionen Euro zur Verfügung gestellt.

Hier stellen sich zwei Fragen:

Erstens. Sollte es nicht das Ziel frühkindlicher Pädagogik sein, alle Kinder durch entwicklungsgerechte An regungen zu fördern? Was soll dieser Defizitansatz in der pädagogischen Arbeit, den wir seit den Diskussionen um ein längeres gemeinsames, inklusives Lernen und Leben längst hinter uns gelassen haben?

(Raimund Frank Borrmann, NPD: Na!)

Zweitens. Mecklenburg-Vorpommern weist bundesweit die größte Kinderarmut auf. Arme Kinder haben

arme Eltern. Aber sind Hartz-IV-Leistungsempfänger von vornherein jene Eltern, deren Kinder erhebliche Abweichungen von der altersgerechten, sozialen, kognitiven, emotionalen oder körperlichen Entwicklung aufweisen?

(Zuruf aus dem Plenum: Das hat doch keiner gesagt.)

Ist es nicht vielmehr so, dass alle Kinder bei der Einkommensstruktur der Eltern in unserem dünn besiedelten Flächenland besonderer Förderung bedürfen, um am kindgerechten geistig-kulturellen und sportlichen Leben teilhaben zu können, aus finanziellen Gründen teilhaben zu können.

Der Gesetzentwurf sollte unter diesem Aspekt die Haushaltsmittel bündeln und die Mittel zur Förderung von Kindern in besonderen Bedarfslagen. Das sind einmal die 5,1 Millionen Euro, dann die stark reduzierten Mittel für die vorschulische Bildung, die gegenwärtig noch 1 Million Euro betragen. Ursprünglich waren das mal für eine Altersgruppe 5,5 Millionen, jetzt für zehn Altersgruppen 1 Million Euro. Die sollten also gebündelt werden.

Aber auch die 7 Millionen Euro für die Elternbeitragsbefreiung der berufstätigen Eltern in Höhe von 7 Millionen Euro sollten so eingesetzt werden, dass nicht auf eine Defizitförderung der Kinder orientiert wird. Gerade die Bildungskommission, auf die sich die Landes regierung beruft, hatte dringlich an die Landesregierung appelliert, angesichts der begrenzten Finanzmittel die Gelder statt zur Elternbeitragsbefreiung für die Qualitätserhöhung im pädagogischen Prozess einzusetzen.

Meine sehr verehrten Damen und Herren Abgeordnete, das Gesetz und die Art der Förderung sortiert die Kinder in Gruppen und widerspricht damit dem inklusiven Ansatz. Der Entwurf der Landesregierung trägt dem auch mit der Wortwahl Rechnung – der Grundgedanke der Chancengleichheit im geltenden Gesetz, also gleiche Startchancen für alle Kinder zu schaffen, damit sie ihre Potenziale entfalten können, wird durch den Begriff der Chancengerechtigkeit ersetzt.

Ja, ein interessantes Wortspiel, könnte man meinen. Aber Gerechtigkeit ist ein interessensgeleiteter Begriff. Wer bestimmt in dieser differenzierten Gesellschaft, wo es sogenannte Leistungsträger und sogenannte Leistungsempfänger gibt, wer bestimmt hier, was für wen gerecht ist?

(Raimund Frank Borrmann, NPD: Na DIE LINKE! Wer sonst?)

Resümierend stelle ich also zu dem Teil Persönlichkeitsentwicklung der Kinder und den Ausführungen im Gesetz zur Bildung fest, das neue Bildungskonzept liegt nicht vor, das geltende wird außer Kraft gesetzt. Damit fehlt die entscheidende Basis für Leistungsvereinbarungen im Sinne einer qualitativ hochwertigen Arbeit in den Kindertageseinrichtungen. Bildung wird wieder unverbindlich und die Fachkraftquote wird ausgehebelt. Die Qualifikation der Erzieherinnen und Erzieher bleibt unverändert, die Ausbildung allerdings wird um ein Jahr gekürzt. Individuelle Förderung wird zum Schwerpunkt einer Defizitpädagogik.

Die Schaffung von Kindertagesplätzen für unter Dreijährige ist außerordentlich zu begrüßen, aber die Schaffung von Ganztagsplätzen mit einem an kindlichen Anforderungen orientierten strukturierten Tagesablauf für alle Kinder, deren Eltern es wünschen, bleibt eine Aufgabe

des weiteren Gesetzgebungsprozesses. Ich denke, die Aufgaben sind groß, lassen Sie uns die gemeinsam angehen.

(Beifall bei Abgeordneten der Fraktion DIE LINKE)

Danke schön, Frau Dr. Linke.

Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Frau Lochner-Borst für die Fraktion der CDU.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich zitiere: „Was sollte ein Kind in seinen ersten sieben Lebensjahren erfahren haben, können, wissen? Einem Erwachsenen eine ungerechte Strafe verziehen haben, ich denke, Flüche und Schimpfwörter kennen in zwei Sprachen, auf einen Baum geklettert, in einen Bach gefallen sein, Stolz empfunden haben, ein Kind zu sein, nur Kind. Ich finde, wie sieht der eigene Name im Sand geschrieben aus, im Schnee, auf dem Waldboden, an der beschlagenen Fensterscheibe.“ Einige von Ihnen, meine Damen und Herren, werden das Plakat der Spitzenverbände der Freien Wohlfahrtspflege unseres Landes kennen, das ich hier gerade zitiert habe.

Ich möchte es ganz bewusst an den Beginn meiner Ausführungen zum vorliegenden Gesetzentwurf stellen, weil ich uns alle daran erinnern möchte, dass die Bedürfnisse der Kinder oft weit weg von dem sind, was wir hier für vermeintlich richtig oder falsch halten.

(Beifall bei Abgeordneten der Fraktionen der CDU und FDP – Gino Leonhard, FDP: Richtig. – Michael Roolf, FDP: Sehr richtig, sehr richtig.)

Ich möchte, dass wir uns trotz aller unterschiedlichen politischen Auffassungen ihre Einfachheit vor Augen halten und unsere Aufgabe nur darin besteht, für die Bedürfnisse der Kinder einen vernünftigen Rahmen zu schaffen, nicht mehr und nicht weniger.

Dabei kann der heutige vorliegende Gesetzentwurf nur einen Beitrag leisten, aber, wie wir meinen, einen nicht unwesentlichen für unser Bundesland. Schon mit der Koalitionsvereinbarung haben wir einen Schwerpunkt auf Kinder- und Jugendpolitik in unserem Land gelegt. Und nun liegt uns auch ein Gesetzentwurf zur Änderung des Kindertagesförderungsgesetzes vor, der der aktuellen bildungs- und sozialpolitischen Entwicklung Rechnung trägt und die steigende Inanspruchnahme berücksichtigt. Finanziell wurde dies bereits mit der Verabschiedung des Doppelhaushaltes 2010/11 untersetzt. Das Land stellt im Jahr 2010 9,2 Millionen und in 2011 15 Millionen Euro zusätzlich bereit.

Alles, was über die vorliegende Drucksache hinaus diskutiert wird, spielt in der heutigen Debatte keine Rolle und ich werde mich auch genau aus diesem Grunde dazu heute nicht äußern.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, die Novelle des KiföG soll die gesetzlichen Voraussetzungen schaffen, die Kindertagesförderung qualitativ und quantitativ weiterzuentwickeln. Wie Sie der Drucksache entnehmen können, wurde das Gesetz grundlegend überarbeitet, und das alte Finanzierungssystem, das sich als wenig flexibel und bürokratisch erwiesen hat, soll nun umgestellt werden. Das heißt, der bisher unabhängig von

der Zahl der betreuten Kinder festgeschriebene Jahresgesamtbetrag wird auf eine Förderung pro belegten Platz umgelegt. Und es ist natürlich eine gute Botschaft, dass der Zuschuss des Landes zur Förderung von Kindern in Kindertageseinrichtungen und in der Tagespflege von 80,8 Millionen in 2006 auf 92,5 Millionen in 2010 angestiegen ist und in 2011 auf 94,4 Millionen Euro noch weiter ansteigen wird. Ich möchte auch nicht unerwähnt lassen, dass hier pro Jahr jeweils 14,5 Millionen Euro für die Kostenbefreiung der Eltern im letzten Kindergartenjahr sowie beim Mittagessen hinzukommen und diese nun auch gesetzlich fixiert sind.

Aber, meine Damen und Herren, für uns sind andere Zahlen viel wichtiger, Zahlen, die leider keine gute Botschaft sind. Schon bei der letzten Novelle des KiföG war bekannt, dass trotz Besuchs von Kinderkrippe und Kinder garten eine viel zu hohe Zahl von Kindern bei den Schuleingangsuntersuchungen eine Empfehlung für eine Förderschule erhält. Ich möchte das mit den Zahlen aus dem Jahr 2008/2009 untermauern, denn zu diesem Zeitpunkt hatten in unserem Land 10,19 Prozent der Schülerinnen und Schüler einen sonderpädagogischen Förderbedarf, während der Bundesdurchschnitt bei weniger als der Hälfte, nämlich bei 4,91 Prozent lag. Erst wenn sich diese Zahlen zum Positiven verändern, werden wir die Rahmenbedingungen für die Bedürfnisse jedes einzelnen Kindes richtig gesetzt haben. Erst dann wird sich jeder Euro, den wir in die Unterstützung der Kindertagesförderung stecken, wirklich ausgezahlt haben.

Vor diesem Hintergrund ist es für uns ungeheuer wichtig, dass die vorschulische Bildung qualitativ aufgewertet und verbessert wird

(Michael Roolf, FDP: Sehr richtig.)

und jedes Kind eine individuelle Förderung erhält. Dabei spielt die Bildungskonzeption aus dem Hause von Minister Tesch eine wesentliche Rolle.

(Beifall bei Abgeordneten der Fraktion der CDU – Wolf-Dieter Ringguth, CDU: Genauso ist es.)