Protocol of the Session on April 29, 2010

Die von der Kommission vorgeschlagenen fünf bis 2020 zu erreichenden Ziele erscheinen ebenfalls aus der Lissabon-Strategie als recht bekannt. Sie lauten:

1. 75 Prozent der Menschen im Alter zwischen 20 und 64 Jahren sollen in Arbeit stehen.

2. 3 Prozent des BIP der Europäischen Union sollen in private und öffentliche Forschung und Entwicklung investiert werden.

3. Die 2020-Klima-und-Energie-Ziele sollen verwirklicht werden.

Zugegeben, genau dieser Punkt ist neu und wurde vom Prinzip her auch im Hinblick auf die Europäische Union, auf ihre klimapolitische Strategie schon längst beschlossen.

4. Der Anteil der Schulabbrecher muss auf 10 Prozent zurückgehen und 40 Prozent der jungen Menschen sollen eine Hochschulausbildung absolvieren – Teil der Lissabon-Strategie.

5. 20 Millionen Menschen weniger als bisher sollen von Armut bedroht sein.

Dieser Schwerpunkt wurde bereits 2001 in den Beschlüssen des Europäischen Gipfels von Nizza und der EUSozialstrategie zu Sozialschutz und sozialer Integration angesprochen. Neu ist somit zunächst, dass die bereits beschlossenen EU-Klima-und-Energie-Ziele sowie der Kampf gegen Armut und soziale Ausgrenzung symbolisch innerhalb der Europäischen-Union-2020-Strategie anerkannt werden.

Meine Damen und Herren, dass wir uns den Bereich Armutsbekämpfung besonders angesehen haben, wird Sie nicht verwundern. Immerhin findet in diesem Jahr das „Europäische Jahr gegen Armut und Diskriminierung“

statt. Und da ist es schon sehr interessant, was die Europäische Kommission diesbezüglich vorschlägt. Das ist enttäuschend. Die Ziele im Bereich Armuts konferenz fallen gegenüber den Orientierungen der vergangenen Periode 2000 bis 2010 sogar zurück. Die portugiesische Ratspräsidentschaft sollte die Europäische Union in 2000 auf das Ziel verpflichten, bis 2010 die Armut zu überwinden. Der Europäische Gipfel von Nizza beschloss dann das Ziel, die Beseitigung der Armut entscheidend voranzubringen. Viele verstanden darunter zunächst eine Halbierung der Armut bis 2010. Im wirklichen Leben stieg die Armutsquote in der Europäischen Union 27 aber insgesamt. Und, um das gleich vorwegzunehmen, das kann man nicht nur mit dem Beitritt von Rumänien und Bulgarien rechtfertigen, nein, das ist auch Ergebnis der Politik der Europäischen Union.

Die jetzt angestrebte, von der Europäischen Kommission als „realistische“ Reduzierung benannte fällt deutlich hinter der Lissabon-Strategie zurück. Man spricht nur noch von einer Reduzierung um rund 25 Prozent. Oder anders gesagt, von den 80 bis 90 Millionen Betroffenen sollen 20 Millionen weniger Arme vorhanden sein. Wir müssen also feststellen: Unter dem Strich ergibt sich zwar eine symbolische Anerkennung der Umwelt- und Armutsthematik in der europäischen Strategie 2020, aber eine Politik mit angezogener Handbremse in diesen Bereichen.

Und was wohl am deutlichsten wird: Kein Wort von Grundsicherungssystemen, vom gesetzlichen Mindestlohn, vom allgemeinen Zugang zu Gesundheits- und Pflegeleistungen und zu angemessenem Wohnraum.

(Udo Pastörs, NPD: Ländersache.)

Und wenn man sich die sieben Leitlinien ansieht, wird es noch deutlicher. Die Europäische Kommission setzt auf die alten Instrumente und Strategien, die bereits die Lissabon-Strategie zum Scheitern brachten. Sie verweisen auf eine ungebrochene Voranstellung von Liberalisierung, Flexibilisierung und Privatisierung im europäischen Binnenmarkt mit dem Ziel, die Wettbewerbsfähigkeit der Europäischen Union gegenüber den USA, Japan, China, Indien, Brasilien und so weiter zu steigern.

Ich will auf ein weiteres Problem hinweisen. Neben der Außen- und Sicherheitspolitik fehlt auch die gesamte Landwirtschaftspolitik. Schließlich sind es doch 45 Prozent des EU-Gebietes, die von Bauern bewirtschaftet werden.

(Udo Pastörs, NPD: Agrarindustriellen. Die Bauern sind schon lange tot, leider!)

Wenn ich dann noch in der Strategie der Europäischen Union 2020 die Aussage finde, dass die Effizienz der bestehenden EU-Budgets ein genaues Ausrichten der EU-Ausgaben auf die Ziele von 2020 einfordere und gerade die Landwirtschaft aber dort nicht enthalten ist, dann können wir uns doch gemeinsam Fragen stellen und vielleicht auch das Ergebnis an den Fingern abzählen. Wollen wir das ernsthaft hinnehmen? An dieser Stelle sei bemerkt, dass der Bundesrat sich bezüglich der Einmischung in die Bildungspolitik gerade gemacht hat. Die Frage Landwirtschaft hat sie nicht berührt.

Und damit komme ich zum Bereich der Bildung. Die Ziele hatte ich bereits genannt, allerdings greift die Strategie in nationale und an dieser Stelle gerade in die Kompetenzen der Bundesländer, so auch in die Kompetenz des Landes Mecklenburg-Vorpommern, ein. Deshalb unter

stützen wir auch den Punkt 1 des Koalitionsantrages. Denn wenn in der Strategie Folgendes zu lesen ist: „Auf EU-Ebene übernimmt die Kommission folgende Aufgaben: … Ausbau des Modernisierungsprogramms der Hochschulen …, auch durch Benchmarking der Hochschulleistung und der Ergebnisse der Bildungseinrichtungen im globalen Zusammenhang“, dann ist das ein deutliches Signal.

Meine Damen und Herren, ich möchte zum Abschluss auf ein weiteres und aus unserer Sicht schwerwiegendes Problem hinweisen. Wir alle wissen, dass eine Reihe von EU-Mitgliedsstaaten auch nach 2010 noch ein weiteres Minuswachstum verzeichnen werden. Bei den meisten anderen ist die Perspektive für die nächsten Jahre schlicht und simpel wirtschaftliche Stagnation um den Nullpunkt. Fast alle Mitgliedsstaaten haben bereits Maßnahmen ergriffen, um einerseits öffentliche Investitionen, Renten, die Gehälter im öffentlichen Dienst und vieles mehr zu kürzen sowie die Löhne zu drücken.

(Zuruf von Raimund Frank Borrmann, NPD)

Andererseits wollen sie Mehrwertsteuern oder Sozialausgaben sowie das Renteneintrittsalter erhöhen. Sozialdemokratisch geführte Länder wie Griechenland, Spanien, Portugal und Großbritannien tragen diesen Kurs ebenso mit wie die europäischen Länder mit konservativ liberalen Regierungen.

Wissenschaftler sind sich einig: Durch eine deflationäre Politik droht ein erneuter Rückfall in die Rezession. Wenn in den kommenden drei Jahren öffentliche Ausgaben und Investitionen in nie gekanntem Ausmaß zurückgestutzt werden, dann stellt sich doch die Frage, woher sollen dann die Investitionen kommen,

(Udo Pastörs, NPD: Aus dem privaten Sektor vielleicht. – Zuruf von Raimund Frank Borrmann, NPD)

um die Ziele der europäischen Zielstellung realistisch erreichen zu können. Mehr noch als bei der alten Lissabon-Strategie entpuppen sich die Ziele von EUROPA 2020 unter diesen Bedingungen von Anfang an als un erfüllbare Versprechen. Dies ist eigentlich die entscheidende Auseinandersetzung, die auf dem EU-Gipfel im Juni im Mittelpunkt stehen sollte.

Meine Damen und Herren, so weit zu den inhaltlichen Aussagen. Gestatten Sie mir zum Abschluss, ein paar formelle Punkte anzusprechen. Von einem offenen und vertrauensvollen Dialog kann wohl keine Rede sein. Immerhin reden wir über eine Strategie der Europäischen Kommission bis 2020. Wenn die Europäische Kommission ernsthaft an einem Dialog interessiert wäre, dann würde dieser Prozess nicht in einem Schnelldurchlauf organisiert sein. Anfang März 2010 wurde sie verabschiedet. Ende März 2010 sollte sie beim Treffen der Staats- und Regierungschefs verabschiedet werden. Das heißt, innerhalb eines Monats sollten die Mitgliedsstaaten und auch deren Untergliederung, wie wir als Bundesland, sich dazu verständigen. Nun versuchen wir im Rahmen unserer Möglichkeiten, eine Stellungnahme abzugeben, ohne Anhörung, Fachgespräche und, und. Unter einer demokratischen Einbeziehung verstehen wir etwas anderes. – Danke schön.

(Beifall bei Abgeordneten der Fraktion DIE LINKE)

Vielen Dank, Frau Borchardt.

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Herr Dr. von Storch für die Fraktion der CDU.

Frau Präsidentin! Meine Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Die bisherige Diskussion hat schon deutlich gemacht, wo die Probleme liegen, mit denen wir uns in den Ausschüssen beschäftigen werden.

Und es ist auch richtig, die Kritik, Frau Borchardt, ist berechtigt, dass das Ganze eigentlich in diesem Schnelldurchlauf eine unangemessene Beteiligung der Länderparlamente ist. Das muss man einfach sagen. Wenn wir uns vor Augen führen, dass wir im Jahre 2010 jetzt die Diskussion anzetteln, was denn von 2013 bis 2020 sein soll, dann ist diese Eile erst recht nicht zu verstehen.

(Udo Pastörs, NPD: Sagen Sie erst mal, was nächstes Jahr sein soll! – Raimund Frank Borrmann, NPD: Sie wissen noch nicht mal, was dieses Jahr sein soll.)

Herr Kollege Borrmann, Sie wären gut beraten,

(Wolf-Dieter Ringguth, CDU: Du weißt gar nichts.)

Ihre Einwürfe in der Ausschusssitzung zum Ausdruck zu bringen und sich nicht darauf zu beschränken,

(Zuruf von Raimund Frank Borrmann, NPD)

zu Beginn einer Ausschusssitzung ein Wortprotokoll zu verlangen und die Sitzung zu verlassen.

(Wolf-Dieter Ringguth, CDU: Jawoll.)

Das ist kein konstruktiver Beitrag.

(allgemeine Unruhe – Beifall bei Abgeordneten der Fraktionen der SPD, CDU und FDP – Zurufe von Dr. Armin Jäger, CDU, und Michael Andrejewski, NPD)

Meine Kolleginnen und Kollegen, wir sind inmitten einer ganz umfassenden Diskussion um die Hilfen für Griechenland.

(Raimund Frank Borrmann, NPD: Tja.)

Dahinter steht aber

(Michael Andrejewski, NPD: Die unendlichen Hilfen.)

eigentlich noch etwas ganz anderes. Die Gründer der EU haben sich das nicht vorgestellt, dass die EU in diesem Umfang über eine Solidargemeinschaft zu einer Haftungs gemeinschaft ausgebaut werden soll.

(Dr. Armin Jäger, CDU: Das ist gut so. – Zuruf von Raimund Frank Borrmann, NPD)

Damit hat niemand gerechnet.

(Raimund Frank Borrmann, NPD: Ja, natürlich, das war doch abzusehen.)

Und die Zahlen, die wir gerade heute im Pressespiegel aus der Zeitung „Die Welt“ gelesen haben, müssen uns sehr nachdenklich stimmen, ob wir diese Aufgaben überhaupt in Zukunft werden bewältigen können.

(Raimund Frank Borrmann, NPD: Ja genau, das ist es.)

Denn die Leichtfüßigkeit mediterraner Staatshaushalte