Dabei, und das sage ich hier von diesem Pult ganz deutlich, gab es gerade in unserem heutigen Bundesland schreckliche Beispiele für Willkür und unfassbare Gewaltakte der russischen Truppen und der sowjetischen Militärverwaltung – das hat Herr Holter, ich muss das hier aufnehmen, auch gesagt –, gerade in den ersten Maitagen in Demmin.
Dies wird nicht vergessen und dies darf auch nicht vergessen werden. Ich will hier keine Wunden aufreißen, aber wir müssen auch den Opfern des Stalinismus Gerechtigkeit widerfahren lassen.
Wir müssen uns mit der Tatsache auseinandersetzen, dass in den ehemaligen Konzentrationslagern der Nazis sehr bald wieder Opfer gelitten haben, die ohne jedes rechtsstaatliche Verfahren von den neuen Machthabern dorthin gebracht worden sind, wie zum Beispiel in unserem Land in das Lager Fünfeichen. Schlimme Qualen haben diese Menschen erlitten.
(Helmut Holter, DIE LINKE: Das ist richtig. – Zurufe von Peter Ritter, DIE LINKE, und Raimund Frank Borrmann, NPD)
hatte die Vereinigung der Opfer des Stalinismus zu ihrem 60. Jahrestag in Berlin eingeladen. Im Rahmen dieser Veranstaltung berichtete ein ergrauter Mann über seine Verhaftung als Jugendlicher durch die Stasi, die ihn dann an die sowjetische Militärjustiz übergab, über seine Verschleppung nach Sibirien, über Hunger,
Misshandlung und Erniedrigung und seine Freilassung nach dem Besuch des damaligen Bundeskanzlers Adenauer in der Sowjetunion. Dies, meine Damen und Herren, sind die Ereignisse, die es nicht zulassen, dass wir den 8. Mai 1945 nur als Tag der Freude betrachten. Das ist die eine Seite. Und dennoch, es war der 8. Mai 1945, an dem die nationalsozialistische Gewaltherrschaft über Deutschland und große Teile Europas
endgültig endete. Es war der Tag, mit dem die systematische Verfolgung europäischer Juden endlich ein Ende fand.
Die Verfolgung und physische Vernichtung, das ist der wesentliche ideologische Unterschied zwischen dem völkischen, unmenschlichen, rassistischen Nationalsozialismus in Deutschland und dem ebenfalls totalitären Faschismus, wie er in Italien und in Spanien herrschte.
Der 8. Mai 1945 war der Tag für einen Neuanfang und für viele ein lang ersehntes Ende. Wir gedenken an diesem Tag aller Toten des Krieges der Gewaltherrschaft, wir gedenken insbesondere der sechs Millionen Juden, die in deutschen Konzentrationslagern ermordet wurden, wir gedenken aller Völker, die im Krieg gelitten haben, vor allem auch der vielen Bürger Russlands, Weißrusslands, der Ukraine und Polens, die ihr Leben verloren haben. Natürlich gedenken wir als Deutsche auch in Trauer der eigenen Landsleute,
der Soldaten wie der Zivilbevölkerung, auch der Zivilbevölkerung, das sage ich hier sehr deutlich, die bei den Fliegerangriffen in der Heimat, die Soldaten, die in der Gefangenschaft, die Menschen in der Vertreibung, die ums Leben gekommen sind, wir gedenken der ermordeten Sinti und Roma, wir gedenken der getöteten Homosexuellen, der umgebrachten Geisteskranken, der Menschen, die um ihrer religiösen und politischen Überzeugung willen sterben mussten, wir gedenken der erschossenen Geiseln und wir denken an die Opfer des Widerstandes sowohl in allen von den Nazis besetzten Ländern wie auch im eigenen Lande.
Neben diesem großen Heer der Getöteten türmt sich ein Berg menschlichen Leides auf, und zwar von denen, die überlebt, aber wahnsinnigen Schaden genommen haben. Da gab es Leid durch Verwundung, durch Verkrüppelung, Leid durch die unmenschliche Zwangssterilisierung, Leid in den Bombennächten, Leid durch Flucht und Vertreibung, durch Vergewaltigung und Plünderung, durch Zwangsarbeit, durch Unrecht und Folter, durch Hunger und Not, Leid durch Angst vor Verhaftung und Tod und Verlust all dessen, woran man irgendwie geglaubt und wofür man gearbeitet hatte.
Den vielleicht größten Teil dieses Leides haben die Frauen der Völker getragen. Ihr Leiden, ihre Entsagung, ihre stille Kraft vergisst meistens oder leider zu häufig die Weltgeschichte. Sie haben gebangt, sie haben gearbeitet, sie haben menschliches Leben getragen und beschützt, sie haben getrauert um gefallene Väter und Söhne, um Männer, Brüder und Freunde. Sie, die Frauen, haben in den dunkelsten Jahren das Licht der Humanität vor dem Erlöschen bewahrt
und am Ende des Krieges haben sie als Erste und ohne Aussicht auf eine gesicherte Zukunft Hand angelegt, um wieder einen Stein auf den anderen zu setzen.
(Udo Pastörs, NPD: Ich dachte, es wären die Türken gewesen, die Deutschland wieder aufgebaut haben.)
(Udo Pastörs, NPD: Tue ich eben nicht, Herr Dr. Jäger. Das ist mein Recht, Zwischenrufe zu machen. – Zuruf von Irene Müller, DIE LINKE)
Mit der durch die Siegermächte beschlossenen Teilung Deutschlands fand auch eine Teilung Europas statt. Der Osten unseres Kontinents versank über vier Jahrzehnte hinter dem sogenannten Eisernen Vorhang.
Der 8. Mai ist ein tiefer historischer Einschnitt, nicht nur in der deutschen, sondern auch in der europäischen Geschichte. Der europäische Bürgerkrieg war an sein Ende gelangt. Der große Krieg – Herr Nieszery, Sie haben darauf hingewiesen – war an sein Ende gelangt. Die alte europäische Welt ist damals zu Bruch gegangen. Und die Begegnung amerikanischer und sowjetrussischer Soldaten an der Elbe wurde zu einem Symbol für das vorläufige Ende der europäischen Ära.
Herr Kollege Nieszery, Sie haben in Ihren Ausführungen zu der aktuellen Situation in dieser Welt Stellung genommen.
Ich sage Ihnen eins: Wenn die Amerikaner sich damals aus dem Krieg der Europäer herausgehalten hätten, weiß ich nicht, was geschehen wäre,
(Peter Ritter, DIE LINKE: Das kann man nicht vergleichen, Herr Dr. Jäger, das kann man wirklich nicht vergleichen. Das ist ein unzulässiger Vergleich. – Dr. Norbert Nieszery, SPD: Das kann man wirklich nicht vergleichen.)
weiß ich nicht, ob wir heute hier so frei reden könnten. Und wir sollten nicht den 8. Mai damit verbinden, dass wir anderen und uns vorschreiben, wo wir helfen müssen, können
(lang anhaltender Beifall bei Abgeordneten der Fraktionen der CDU und FDP – Zuruf von Udo Pastörs, NPD)
Die Fraktion DIE LINKE hat noch Redezeit und hat auch beantragt, noch mal einen Redner zu Wort kommen zu lassen.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! „Nie wieder Faschismus! Nie wieder Krieg!“, Herr Müller, das ist keine kommunistische Forderung, sondern eine Forderung derer, die die KZ-Hölle Buchenwald überlebt haben.
Diese Forderung, liebe Kolleginnen und Kollegen, beinhaltet die Feststellung: Nie wieder Krieg, Herr Roolf. Und die Bundeswehr ist eben nicht im Manöver oder im Feldlager in Afghanistan. Die Soldaten der Bundeswehr fallen auf dem Kriegsschauplatz Afghanistan. Und diese Fragen darf und muss man hier im Landtag diskutieren. Deshalb bin ich dem Fraktionsvorsitzenden der SPDFraktion für seine klaren Worte in dieser Hinsicht sehr dankbar.
Ich bedanke mich auch beim Kollegen Dr. Jäger für seine differenzierte Rede, denn das zeichnet uns Demokraten hier im Landtag aus,
dass wir sehr wohl in der Lage sind, mit einem solchen Thema auch sehr unterschiedlich, aber dann doch gemeinsam umzugehen.