Protocol of the Session on March 10, 2010

Antrag der Fraktion der FDP: google street view – Drucksache 5/3294 –

Das Wort zur Begründung hat für die Fraktion der FDP der Abgeordnete Herr Leonhard. Bitte schön, Herr Abgeordneter.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Kolleginnen und Kollegen! Vor Kurzem erst bezeichnete die Bundesverbraucherschutzministerin das flächendeckende Fotografieren von Google als, ich darf zitieren, „millionenfache Verletzung der Privatsphäre“.

(Michael Roolf, FDP: Recht hat sie.)

Und weiter sagt sie: „Kein Geheimdienst … würde so ungeniert auf Bilderjagd gehen.“

Vor wenigen Tagen nun veranstaltete Google eine Pressekonferenz zu ihrem Internetdienst Street View und man präsentierte dabei Juristen, die attestierten, dass dieses Projekt datenschutzrechtlich unbedenklich sei, allerdings, und das sollte man wohl der Vollständigkeit halber sagen, mit der Einschränkung: in der momentan geplanten Ausgestaltung. Also es geht um den momentanen, derzeitigen Stand.

Google stellt sich dabei auf den Standpunkt, das Bundesdatenschutzgesetz sei schon gar nicht anwendbar, weil keine personenbezogenen Daten erhoben werden würden. Diese Auffassung ist nach unserer Ansicht, nach Ansicht der FDP-Fraktion sehr umstritten, werden doch Häuserfronten, Autos und Personen abgebildet, ohne Zustimmung der Betroffenen per Internet an eine Vielzahl von Dritten übermittelt. Soweit KfzKennzeichen, natürliche Personen und Häuser, die natürlichen Personen gehören, abgebildet werden, handelt es sich aus unserer Sicht zweifellos um personenbezogene Daten und sind damit ein Anwendungsfall des Datenschutzgesetzes.

Der Hamburger Justizsenator Steffen zum Beispiel spricht in diesem Zusammenhang von einer permanenten und flächendeckenden Verletzung von Datenschutzrecht, meine Damen und Herren.

(Michael Roolf, FDP: Sehr richtig.)

Das ist auch der Grund dafür, warum wir hier heute diese Debatte führen wollen. Unser Ziel ist es, die Landesregierung zu einer rechtlichen, insbesondere auch aus datenschutzrechtlicher Sicht, Prüfung zu bewegen. Das Thema, wie Sie alle wissen, ist hochaktuell. Die technischen Möglichkeiten sind ganz ohne Zweifel beeindruckend. Aber wie es eben so ist, bei jeder technischen Innovation in diesem Bereich gilt es, gerade auch die Bürgerrechte zu schützen und die Belange des Datenschutzes ausreichend zu berücksichtigen. Das soll derzeit, jedenfalls nach Aussagen des Anbieters, so geschehen, dass die Gesichter von Personen und die Kfz-Kennzeichen bei der Internetdarstellung – übrigens nicht bei der Speicherung von Daten, auch da ist ein Unterschied – unkenntlich gemacht werden, wenn die Betroffenen ausdrücklich bei Google widersprechen. Nach eigener Aussage von Google funktioniere das gut, es sei aber noch nicht hundertprozentig. Das ist auch eine konkrete Aussage.

Welche rechtliche Qualität diese Selbstverpflichtung von Google hat, ist offen. Nach unserer Auffassung ist diese Selbstverpflichtung fast wertlos, vor allem aber eben nicht einklagbar. Was mit den sogenannten Rohdaten passiert, ist unbekannt. Google hat lediglich zugesichert, die Daten zu löschen, sobald, und ich darf wieder zitieren, „die Speicherung nicht mehr erforderlich ist“. Bei einem Dienst, der auf Dauer und mit Verknüpfung zu anderen Diensten angelegt ist, ist diese Aussage nichts wert. Sie besagt nur so viel, dass Google wie jeder andere Informationsanbieter auch Datenänderungen für notwendig hält. Inzwischen gibt es schon Forderungen des Verbandes Haus und Grund, Google müsse vor einer Veröffentlichung von Häuserfotos jeden Immobilienbesitzer um Erlaubnis fragen.

(Michael Roolf, FDP: Sehr richtig.)

Vom Deutschen Städte- und Gemeindebund war die Forderung zu hören, von Google eine Sondernutzungsgebühr und eine Zustimmungspflicht zu verlangen.

Meine Damen und Herren, mit unserem Antrag wollen wir die Landesregierung auffordern zu prüfen, inwieweit es eben gerade rechtlich möglich ist, hier im Land Mecklenburg-Vorpommern Google Street View und ähnliche Aktivitäten anderer Anbieter zu untersagen, und wie weit es nötig ist, die Veröffentlichung der Daten an die Einwilligung der Betroffenen zu knüpfen. Denkbar ist auch, dass die Aktivitäten der Anbieter an Bedingungen geknüpft werden könnten. Und ich sage ausdrücklich, die Diskussion Street View hört bei Google nicht auf. Dieser Internetdienst, so technisch faszinierend er auf den ersten Blick auch ist, wirft immer wieder Fragen auf, ob Bürgerrechte genügend geschützt sind und ob die Belange des Datenschutzes ausreichend gewahrt werden können. Diese Frage kann jedenfalls nicht abschließend beantwortet werden mit der Aussage, das Bundesdatenschutzgesetz wäre nicht anwendbar. Dies ist viel zu einfach und viel zu oberflächlich gedacht.

Mit unserer Auffassung, dass es sich bei Street View um einen Anwendungsfall des Datenschutzrechts handelt und es unter Umständen Novellierungsbedarf gibt, stehen wir im Übrigen nicht allein. Der Datenschutzbeauftragte des Bundes Herr Schaar hat dies gerade erst wieder öffentlich erklärt, meine Damen und Herren. Und auf EU-Ebene gibt es inzwischen Forderungen, Google und seine Aktivitäten mit Street View gewissermaßen zu zähmen. EU-Datenschützer wollen, dass Google Anwohner künftig warnt, bevor die entsprechenden Fahrzeuge vorbeifahren. Dazu soll, so die Forderungen, die Benachrichtigung über die bevorstehenden Kamerafahrten auf der Webseite von Google in der Lokalpresse veröffentlicht werden.

Meine Damen und Herren, vor Kurzem hat der Hamburger Datenschutzbeauftragte Johannes Caspar bei der Vorstellung seines Jahresberichtes 2008/2009 klare gesetzliche Regelungen zum Schutz der Menschen vor der Informationssammelwut von Unternehmen und Privatleuten gefordert. Seiner Auffassung nach habe der „Überwachungsstaat, der ,Big Brother‘ George Orwells, … einen noch größeren Bruder bekommen“, nämlich „die Überwachungsgesellschaft“, meine Damen und Herren.

(Unruhe bei Abgeordneten der Fraktionen der SPD und CDU)

Darf ich vielleicht weitermachen? – Danke.

In seiner Behörde, in der Behörde des Hamburger Datenschutzbeauftragten, richteten sich fast 80 Prozent aller Eingaben gegen Unternehmen und Privatleute und die Gesamtzahl der Eingaben in seiner Behörde sei im Vergleich zum vorangegangenen Bericht um 40 Prozent auf mehr als 1.000 gestiegen. Weiter stellt der Hamburger Datenschutzbeauftragte fest, dass immer personenbezogene Daten digitalisiert und kommerzialisiert werden. Diese Entwicklungen seien bedrohlich. Das Recht laufe gerade in Bereichen des Internets der Technik weit hinterher.

Zitiert wird der Datenschutzbeauftragte weiter mit den Worten: „Wenn wir davon ausgehen, was möglich ist, dann stehen uns die größten Bewährungsproben noch bevor. … Die Mittel, die wir zur Verfügung haben, insbesondere zur Überwachung von Google kommen aus dem Vorinternetzeitalter und sind tatsächlich stumpfe Schwerter.“ Und daraus, meine Damen und Herren,

ergibt sich dann seine Forderung nach Debatten, wie sie in der Vergangenheit schon zu Risikolücken, wie zum Beispiel der Atomkraft, geführt worden sind.

Und genau deshalb ist es auch die Aufgabe der Landesregierung, sich des Themas in der von uns geforderten Form anzunehmen:

Welche Antworten hat die Landesregierung auf die Bedenken gegen die Informationssammelwut von Google?

Was sollen die Kommunen nach Auffassung der Landesregierung tun?

Was meint die Landesregierung zu Überlegungen von Kommunen, eine Sondernutzungsgebühr für die Erstellung von Aufnahmen zu erheben?

Und schließlich: Wie bewertet die Landesregierung die Forderungen der Bundesverbraucherschutzministerin Aigner, dass die Bürger nicht gegen eine Veröffentlichung ihrer privaten Daten widersprechen müssen, sondern Google die Pflicht haben sollte, die Genehmigung der Bürger einzuholen, wenn sie selbst oder das Foto ihres Privathauses veröffentlicht werden sollen?

Meine Damen und Herren, vor Kurzem kam ein von der Landesregierung Rheinland-Pfalz in Auftrag gegebenes Rechtsgutachten zu dem Ergebnis, dass der Dienst von Google Street View nur unter gewissen Einschränkungen zulässig ist. Diese Einschränkungen würden teilweise über die von den Datenschutzbeauftragten des Bundes und der Länder erteilten Auslagen hinausgehen. An möglichen gesetzgeberischen Maßnahmen schlagen die Gutachter insbesondere Änderungen des Bundesdatenschutzgesetzes vor. Denkbar wäre danach eine Verpflichtung zum Hinweis auf das Widerspruchsrecht nach Paragraf 35 Absatz 5 des Bundesdatenschutzgesetzes oder eine gesetzlich festgelegte Frist zwischen der Ankündigung der Aufnahme und deren Beginn. Ebenfalls denkbar wäre auch eine Verpflichtung schon zur Anonymisierung des Rohdatensatzes oder eine Erweiterung des Schadenersatzanspruchs nach Paragraf 7 des Bundesdatenschutzgesetzes auf immaterielle Schäden.

Der Deutsche Bundestag hat vor Kurzem interfraktionell die Einsetzung einer Enquetekommission „Internet und digitale Gesellschaft“ beschlossen, meine Damen und Herren. Damit schlägt der Bundestag gewissermaßen ein neues Kapitel auf. Aufgabe dieser Enquetekommission wird es sein, langfristig Perspektiven für den Weg in die digitale Gesellschaft zu erarbeiten. Auf Bundesebene ist die hohe Relevanz dieses Themas damit offensichtlich bekannt.

In Mecklenburg-Vorpommern sieht es ganz anders aus. Mehrmals haben wir das Thema Street View aufgegriffen, so zum Beispiel in meiner Kleinen Antrage bereits vom 6. Juli 2009. Damals habe ich Bezug genommen auf eine Presseveröffentlichung zu Filmaufnahmen von Google in Bützow. Im Zusammenhang mit den Filmaufnahmen in Bützow, vermutlich auch von der dortigen JVA, soll die Justizministerin Kuder geäußert haben, die Filmaufnahmen würden sie nicht stören, Google mache Details auch unkenntlich und darauf verlasse man sich. Nachfragen im Ausschuss im Rahmen der Selbstbefassung wurden ebenfalls mit Hinweis auf die Höhe der Gefängnismauern abgetan, frei nach dem Motto: „Es ist doch alles in Ordnung, was wollt ihr eigentlich?“ Und so schläft die Landesregierung, zumindest gefühlt, in ihrem

Tiefschlaf.

Meine Damen und Herren, technische Informationen erfordern einen zeitgemäßen datenschutzrechtlichen Rahmen. Bei Google und dem neuen Internetdienst Street View ist auch die Landesregierung aufgefordert, sich Gedanken zu machen und gegebenenfalls den Bundesrat zu bemühen. Ich bitte Sie aus diesem Grund, dem Antrag der FDP-Fraktion zuzustimmen. – Vielen Dank.

(Beifall bei Abgeordneten der Fraktion der FDP – Michael Roolf, FDP: Sehr richtig.)

Danke schön, Herr Leonhard.

Im Ältestenrat ist eine Aussprache mit einer Dauer von bis zu 60 Minuten vereinbart worden. Ich sehe und höre keinen Widerspruch, dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache.

Als Erster hat ums Wort gebeten der Innenminister des Landes Herr Caffier. Bitte schön, Herr Innenminister, Sie haben das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren Abgeordnete! Wir leben in einer offenen Informationsgesellschaft und das ist gut so.

(Heiterkeit bei Abgeordneten der Fraktion der FDP)

Das Internet bietet uns eine sich ständig ändernde Vielfalt an Informationen. Bürger und Unternehmen nutzen die meist kostenfrei angebotenen Bilder, Artikel, Videos und Dienste für eine Vielzahl von privaten, aber letztendlich auch von wirtschaftlichen Diensten und Zwecken. Der freie Zugang zu diesem Medium und zu diesen Informationen verbessert die Chancengleichheit des Einzelnen. Der schnellere Austausch der Meinungen im Netz erfüllt die Entwicklung unserer demokratischen Gesellschaft mit Leben. Google Street View ist ein typisches Beispiel für die Vorteile, aber auch für die Gefahren des Internets.

(Vizepräsident Hans Kreher übernimmt den Vorsitz.)

Der Bilddienst ermöglicht jetzt den Betrachtern, zu den in Google Maps bereits vorhandenen Landkarten, Panoramabildern auch Straßenebenen einzusehen. Die Vorteile liegen auf der Hand: Jedermann kann die Welt erkunden, umsonst. Mit Street View wird die Welt für ihre Bürger über die Bilder zugänglicher, insbesondere auch für die ältere Generation. Für Unternehmen hält Street View mit den Bildern eine Vielzahl entscheidungsrelevanter Informationen, beispielsweise über potenzielle Entwicklungsregionen und Kooperationspartner, bereit. Darüber hinaus können Firmen dort zur Abbildung ihres Standortes Werbung einstellen, weltweit einsehbar.

Gleichzeitig gefährdet der Dienst aber die Privatsphäre und die schützenswerten Interessen der Betroffenen.

(Beifall bei Abgeordneten der Fraktion der FDP)

Neben den Abbildungen des öffentlichen Straßenraums lassen die Bilder eben auch Häuser, Fahrzeuge und Menschen im Einzelnen in Detailfragen erkennen. Dies greift eindeutig in die durch unsere Verfassung geschützten Rechte des Einzelnen ein

(Beifall bei Abgeordneten der Fraktion der FDP – Michael Roolf, FDP: Genau so.)

und schafft natürlich auch unter Sicherheits- beziehungsweise Kriminalitätsaspekten zusätzliche Risiken. Die sind nicht von der Hand zu weisen. Darüber hinaus werden durch die Höhe der Aufnahmen und letztendlich auch durch die Qualität Einblicke in ganz private Bereiche, wie das Innere von Gärten und Höfen, der Privatsphäre möglich.

Ich habe Verständnis für alle Menschen, die jetzt Fragen stellen und in Sorge sind, diese Sorge, dass die Bilder aus Deutschland, die Google jetzt aufnimmt und demnächst ins Netz stellen will, die abgebildeten Kinder gefährden kann oder das Haus zum Ziel von Straftätern machen könnten. Auch das Innenministerium wird zukünftig Street View beobachten, um im Zweifelsfall verhindern zu können, dass sicherheitsrelevante interne Details von Liegenschaften des Landes durch Aufnahmen, insbesondere auch dem Innenbereich, preisgegeben werden.

In der öffentlichen Debatte zu diesem Thema gab es schon Stimmen, die das Abbilden des öffentlichen Raumes an sich reglementieren wollten. Ich sage jedoch an dieser Stelle mit aller Deutlichkeit: Abbildungen der Landschaft und öffentlicher Gebäude müssen als Information für jedermann im Internet weiterhin frei verwendbar sein.

(Michael Roolf, FDP: Unstrittig.)

Der freie Zugang zu Informationen ist die Grundlage einer freien demokratischen Gesellschaft.

Meine Damen und Herren Abgeordnete, dieser Antrag fordert die Landesregierung auf, Maßnahmen gegen Google Street View zu prüfen. Ich persönlich würde diesen Antrag ablehnen, weiß aber, dass sich die Fraktionen auch über andere Dinge unterhalten. Das ist auch gut so. Deswegen haben wir ja unterschiedliche Ebenen, haben wir eine Demokratie.

(Michael Roolf, FDP: Nanu!)