Ungeklärt ist weiterhin, ob eine generelle Umstellung auf die gestuften Studiengänge wirklich sinnvoll ist. Es ist auch die Frage zu stellen, ob nicht der Erhalt von Diplomstudiengängen oder Staatsexamen im Einzelfall sinnvoll ist. Die damit verbundenen höheren Qualitätsstandards sollten wir nicht ohne Not aufgeben.
Im Übrigen darf ich anmerken, das amerikanische Hochschulwesen, auch das englische Hochschulwesen, ist gar nicht so einheitlich, wie immer behauptet wird. Es ist sehr, sehr differenziert, auch was die Abschlüsse betrifft. Und insofern ist es sicherlich richtig, auch die amerikanischen Erfahrungen dabei mit einzubeziehen, wenn wir das Hochschulsystem weiterentwickeln wollen. In einigen Fällen, wie zum Beispiel bei der Lehramtsausbildung, bei den Juristen, bei den Theologen oder Ärzten, ist es nach wie vor nicht klar, welcher erster berufsqualifizierender Abschluss mit dem Bachelor erreicht wird.
Ich habe die Hoffnung, das sage ich hier ganz ehrlich, dass Hochschulen, Fakultätentage und andere Beteiligte dieser Uniformierung der Studien erfolgreich Widerstand leisten werden. Die Kultusministerkonferenz hat bereits im Juni 2003 in zehn Thesen einige offene Fragen thematisiert und einen Beschluss gefasst. Das hat aber offensichtlich nicht dazu geführt, dass sich grundlegend etwas ändert. Die Kritik hat sich nicht vermindert, sie ist im Gegenteil lauter geworden.
Kollege Brodkorb begrüßt in seiner Presseerklärung vom 22. September neue Pläne der Kultusministerkonferenz und meint, dass es jetzt darauf ankommt, ich zitiere: „ohne ideologische Scheuklappen selbstkritisch neue Wege“ zu „suchen“.
Nichts gegen Optimismus, lieber Herr Brodkorb, aber nach zehn Jahren Bologna-Prozess habe ich doch erhebliche Zweifel, ob es diesmal klappen wird. Ich weiß auch nicht, welche Scheuklappen Sie bei wem vor Augen haben. Der grundlegende Mangel des BolognaProzesses ist aus meiner Sicht eben nicht unbedingt ideologischer Art, es sei denn, man versteht unter Ideologie die Absicht, eine ganzheitliche humanistische und wissenschaftliche Bildung im humboldtschen Sinne auf ein marktfähiges, marktangepasstes Bildungsprodukt zu reduzieren. Falls Kollege Brodkorb diese Ideologie meint, will ich ihm gerne beipflichten.
Mit großem Interesse habe ich dazu den Artikel von Professor Konrad Schily, Gründer der privaten Universität Witten-Herdecke, heute Mitglied des Deutschen Bundestages für die FDP, in der „Zeit“ vom 25.06.2009 gelesen und ich darf daraus zitieren:
Man ist „auch bei der Konzeption und Durchsetzung des Bologna-Prozesses einem bloßen politischen und ökonomischen Nützlichkeitskalkül gefolgt, das jede pädagogische Zielsetzung vermissen lässt. Angetrieben vom Phantasma größtmöglicher Effizienz, haben Bildungspolitiker aller Parteien versucht, das Bildungssystem im Dienste ökonomischer Anforderungsprofile so umzubauen, dass das gebrauchte ‚Humankapital‘ schneller und passgenauer als bisher in den Verwertungskreislauf eingeführt werden kann.“
Und an einer anderen Stelle schreibt Herr Schily: „Die Ideologie einer umfassenden Ökonomisierung aller Lebensbereiche hat damit in den zurückliegenden zwei Dekaden etwas geschafft, das in seiner Tiefendimension mit der Kritik an Hartz IV und gierigen Bankmanagern nicht zu fassen ist: eine Hyperindividualisierung der Gesellschaft, in der Begriffe wie Solidarität, Diskurs und gesellschaftliche Verantwortung immer weniger verstanden werden.“
Ich glaube durchaus, dass Herr Schily mit dieser Bewertung nicht ganz den Mainstream seiner Partei trifft, aber das wird entsprechend noch zu diskutieren sein.
Ich will auch gerne auf das Interview verweisen, das Interview im neuen DSW-Journal, Herr Kreher hat schon auf diese Zeitschrift hingewiesen, ein Interview mit Professor Strohschneider, das ist der Vorsitzende des Wissenschaftsrates, und den Artikel von Herrn Wagner haben Sie hier schon genannt. Ich glaube, dass es wert ist, sich mit diesen Bewertungen zu beschäftigen, das auf unser Land herabzubrechen und gemeinsam mit den Hochschulen, mit den Studierenden darüber zu reden,
wie wir den Hochschulprozess weiter gestalten. Im Interesse der Hochschulen und der Studierenden werden wir nicht umhinkommen, uns dazu zu verständigen, wie wir landesbezogen den Bologna-Prozess gestalten wollen. Dazu gehören sicherlich nicht nur strukturelle und inhaltliche Fragen, sondern auch finanzielle Rahmenbedingungen.
Ich will mit Günter Grass schließen, der von einem „weiten Feld“ gesprochen hat. Lassen Sie uns dieses Feld so gut bestellen, dass auch eine gute Ernte,
nämlich gute Absolventen, eingefahren werden kann. In diesem Sinne möchten wir uns für diesen Antrag, für die Überweisung aussprechen, selbst wenn wir in Details andere Positionen vertreten. – Danke schön.
Es hat jetzt das Wort für die Fraktion der NPD der Abgeordnete Herr Lüssow. Bitte, Herr Abgeordneter.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! So langsam scheint zumindest die FDP hier im Landtag zu merken, dass der sogenannte Bologna-Prozess in einer Sackgasse steckt. Richtig zugeben wollen das die Liberalen natürlich nicht. So langsam beginnt der Traum von einem Studium ohne Grenzen in Europa, ein Studium mit freiem Hochschulzugang ohne lästigen Anerkennungsstreit zwischen Einzelstaaten zu platzen. Immer mehr Bildungsexperten und die von Bachelor- und Masterstudiengängen drangsalierten Studenten merken jetzt, dass der Traum von Bologna so nicht funktioniert, wie sich das damals einige Minister erdacht hatten.
Die Kritik am Bologna-Prozess kommt zwischenzeitlich aus fast allen politischen Lagern. Der konservative Bund Freiheit der Wissenschaft bezeichnete den Bolognaprozess gar als „Trojanisches Pferd“ für das deutsche Hochschulsystem. Der Berliner Politologe Herfried Münkler von der Humboldt-Universität spricht von einem „strategischen Dilettantismus“. In Deutschland war die Europaeuphorie der herrschenden politischen Klasse mit Ursache dafür, dass man das bis dato hervorragend funktionierende deutsche Hochschulwesen so schnell reformierte und bolognagerecht umkrempelte, dass man jetzt vor großen Problemen steht.
Den Kern unserer wissenschaftlichen Ausbildung an den Universitäten bildete in Deutschland der Grundsatz der Freiheit von Forschung und Lehre. Mit der Einführung der Studiengänge mit dem Bachelor- und Masterabschluss haben Sie für unsere Studenten nichts Gutes getan. Im Prinzip ist der Bologna-Prozess gescheitert. Dies müsste Ihnen doch auch hier im Hohen Haus von Schwerin klar sein. Selbst die Hochschulrektorenkonferenz räumt zwischenzeitlich ein, dass der Bologna-Prozess in einer Sackgasse steckt. Allerdings hätten wir uns schon eine Fehleranalyse durch die HRK gewünscht. Dies geschieht aber nicht, weil man einräumen müsste, dass die tolle Reform der Technokraten, von oben den Universitäten übergestülpt, nicht funktionieren kann. Eine Reform gegen die Betroffenen funktioniert eben meistens nicht.
Was sollte die Reform denn bewirken? Man wollte, und das wird immer deutlicher, eine schnellere Arbeitsmarkt
fähigkeit der Studierenden. Man wollte offenbar an den Universitäten für die Großkonzerne rasch funktionierende Arbeitnehmer produzieren, die dann kritiklos alles mitmachen, was man ihnen so präsentiert, so zum Beispiel im Bereich der Atomindustrie, wo man möglichst kritiklose Technokraten möchte und eben keine mit Grundbildung ausgestatteten verantwortungsvollen Wissenschaftler. Die schnellere Arbeitsmarktfähigkeit geht aber ganz klar zulasten der Bildung.
Sie haben die Universitäten zwischenzeitlich dermaßen verschult, dass die Freiheit der Forschung und Lehre regelrecht auf der Strecke geblieben ist. Es ist aber auch augenscheinlich, dass nicht alle Bachelorstudenten, die einen Master machen möchten, dies dann auch können. Gerade dies ist ein großer Nachteil der neuen zweistufigen Struktur, die durch den Bologna-Prozess so durchgesetzt wurde. An den forschenden Instituten der Universitäten, gerade im Bereich der Chemie, können die Bachelorstudenten die Anforderungen oft nicht erfüllen, weil man dort den Masterabschluss als Mindestabschluss betrachtet.
Es passiert aber noch etwas anderes. In dem neuen System gehen immer mehr Studenten regelrecht unter, weil sie dem Druck durch die vorgegebene Vollzeitstudien woche nicht standhalten.
Die Politik der Nationalen sieht anders aus. Wir wollen, dass auch Studenten noch studieren können, die darauf angewiesen sind, neben dem Studium auch noch zu arbeiten. Wir wollen keine Politik, bei der nur noch die Kinder von reichen Eltern studieren können. Allein mit dem BAföG, das wir für unzureichend erachten, kommt man nicht weiter.
Erstaunlich ist aber auch, dass gerade die linke Gewerkschaft GEW zehn Jahre nach Einführung der neuen Studiengänge einen radikalen Kurswechsel fordert. So führt nach einer Studie der Max-Traeger-Stiftung der Erfolgsdruck im Bachelor bei den betroffenen Studenten überdurchschnittlich oft zu Nervenerkrankungen und psychischen Erkrankungen. Immerhin sind zehn Prozent der Medikamente, die Studierenden verschrieben werden, Antidepressiva. Auch dies weist auf einen enormen Erfolgsdruck hin.
Die GEW findet es alarmierend, dass auch zehn Jahre nach dem Beginn des Bologna-Prozesses die neuen Abschlüsse auf dem Arbeitsmarkt oft nicht akzeptiert worden sind.
Oft würden, so die GEW, Studenten mit wertlosen Examen auf den Arbeitsmarkt geschickt. Des Weiteren seien eben nicht die Studienbedingungen verbessert worden, sondern es gebe nunmehr neue Studiengänge, die in vielen Fällen schlicht nicht studierbar seien. Hier seien 30 Prozent höhere Studienabbrecherquoten zu verzeichnen als vorher.
Die großen Ziele des Bologna-Prozesses sollten bis 2010 erreicht werden. Allerdings sind wir davon weit entfernt. Sie tragen die Verantwortung für die Schmalspurstudiengänge und für die völlige Verschulung der Studiengänge. Wir Nationalen stellen fest, der Bologna-Prozess war falsch und es ist Zeit für einen grundlegenden Wechsel.
Ich komme zum Schluss: Wir wollen wieder Studiengänge, die mit einem Diplom oder Magister abgeschlossen werden können.
Der Antrag der FDP ist sinnlos und wird deshalb von uns abgelehnt, weil die FDP an dem unseligen BolognaProzess im Prinzip festhalten will.
Es hat jetzt noch einmal im Rahmen der Diskussion das Wort für die Fraktion der FDP Vizepräsident Herr Kreher. Bitte schön, Herr Abgeordneter, Sie haben das Wort.
Frau Lochner-Borst, ich kenne das ja von Ihnen, dass Sie sich dann, wenn Sie keine Argumente haben, immer in solche …