(Dr. Norbert Nieszery, SPD: Die sind geklärt, die Gründe, eindeutig. Also da gibt es überhaupt kein Vertun.)
„Konjunktur hat Vorrang“ ist ein selten primitives Motto. Man kann auf dem Gebiet der Wirtschaftspolitik unterschiedlich komplexe Überlegungen anstellen. Am einfachsten ist rein eindimensionales Denken, also wie eine Gerade,
Problemlösungen, Feierabend – ja, ich spreche jetzt Sie besonders an –, mit Scheuklappen, ohne nach links und rechts zu gucken. Die Konjunktur lahmt, pumpen wir also Geld mit der Gießkanne in die Wirtschaft. Problemlösung fertig.
Theoretisch ließe sich so jede kritische Lage blitzartig bewältigen. Die Möbelindustrie ist in Schwierigkeiten, schön, also kauft der Staat mal eine halbe Million Schrankwände für je 5.000 Euro. Das kostet Milliarden. Dann lagert er die Schrankwände irgendwo ein oder verbrennt sie, aber die Konjunktur ist jedenfalls angeheizt und die Möbelindustrie ist glücklich. Problem gelöst.
Oder die Kneipen sind leer, dann gibt es eben für jeden, der irgendwas bestellt, Freibier im Wert von 20 Euro.
Die Rechnung können die Gastwirte an die Bundesregierung schicken. Schon rauscht die Gastronomie wieder. Problem gelöst.
Es könnte alles so einfach sein, ist es aber nicht, denn man kann und muss auch zweidimensional denken, zuerst mal nicht nur Problem und Lösung, wie die Gerade, sondern auch quer davon die Nebenwirkungen bedenken. Und die Nebenwirkungen können sein: Staatsverschuldung.
Die FDP spricht sich theoretisch gegen Staatsverschuldung aus, in der Praxis hat sie sie aber fröhlich vorangetrieben. Wir hatten von 1982 bis 1998 Bundes-FDPWirtschaftsminister und die Staatsverschuldung ist explodiert. Ich kann mich noch entsinnen, 1990 zur Einheit hatten wir gerade in Westdeutschland eine Billion D-Mark Staatsschulden. 1998 waren es schon fast 2, heute sind es 3, wenn man in D-Mark rechnet, über 3 Billionen D-Mark Staatsschulden. Alle zehn Jahre machen wir 1 Billion Schulden zusätzlich. Allein das ist schon eine Krise, da brauchen wir gar keine aktuelle Finanzkrise.
Weitere Nebenwirkungen können Inflation sein oder bei der Abwrackprämie durch das Vorziehen wohl bereits geplanter Autokäufe hinterher Nachfrageeinbruch oder auch politischer Glaubwürdigkeitsverlust.
Bei der Bundestagswahl 2005 hat die SPD gereimt: „Merkelsteuer, das wird teuer.“ Hinterher hat sie zugestimmt, die Mehrwertsteuer um drei Prozent zu erhöhen. Daran knabbert sie heute noch, das kostet heute noch Prozente.
Es kann also nicht heißen: „Konjunktur hat Vorrang“, sondern die Konjunktur muss gegen die Nebenwirkungen abgewogen werden, gegen Staatsverschuldung etwa. Es kommt auf die Situation an. Man kann nicht immer sagen, ein gewisses Patentrezept ist richtig. Mal ist Staatsverschuldung richtig, mal Sparen, mal ist Protektionismus richtig und mal ist freier Handel richtig, je nach Situation. Wer nach starren Rezepten herangeht und sagt, ich bin ein Free Trader, ich bin Marktwirtschaftler, ich bin Marxist, der hat höchstens mal zufällig recht, wie eine Uhr, die stehen geblieben ist, die zweimal am Tag die richtige Zeit anzeigt, aber er ist wirtschaftspolitisch ein Idiot.
Eindimensionale Lösungen wie die Abwrackprämie sind höchstens zulässig als Verzweiflungstaten in Situationen, wenn man keine Zeit zum Nachdenken hat und blitzschnell reagieren muss. Im American Football gibt es einen Spielzug, der nennt sich Hail Mary, da schmeißt man kurz vor Schluss, wenn man völlig verzweifelt ist, von ganz hinten den Ball nach vorne, weil sich sowieso nichts mehr verderben lässt, weil man keine Zeit zum Nachdenken mehr hat. Und unter diesen Gesichtspunkten würde ich die Abwrackprämie sogar für richtig halten. Als Ausnahmesituation in einer verzweifelten Lage auf dem Höhepunkt der Lehman-Brothers-Panik hätte jede Regierung irgendwas in der Richtung unternehmen müssen.
Komischerweise ist die FDP gegen diese Einzelaktion, obwohl sie sie aber theoretisch zum System erheben will. Sie will besinnungslos Geld mit der Gießkanne in die Wirtschaft pumpen und hofft, dass die Konjunktur dann so anspringt, dass das Ganze sich durch Steuereinnahmen finanziert. Das hat man in Amerika mal Voodoo Economics genannt.
Schließlich kann man zum Abschluss noch in die dritte Dimension des wirtschaftspolitischen Denkens vorstoßen, nämlich über Problem und Lösung und auch Nebenwirkung hinaus, und sich fragen: Stimmt das Wirtschaftssystem eigentlich, das darüber aufgebaut ist?
Kann es sein, dass Banken spekulieren dürfen, wie sie wollen, dann wegen Milliardenverlusten zusammenkrachen und die Konjunktur gefährden und dann kommt der Staat und bezahlt das alles? Das ist ja das System, in dem wir leben. Wenn Sie das einmal machen und zweimal und dreimal geht’s noch, beim vierten Mal sind Sie erledigt. Und da hilft Ihnen keine schlaue Einzelmaßnahme in einem solchen Selbstmordsystem. – Vielen Dank.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Interessanter Antrag unter dem Titel „Konjunktur hat Vorrang“.
Herr Roolf, Sie hatten festgestellt, das ist ein Zitat unseres Wirtschaftsministers. Und erfreulicherweise ist eins deutlich geworden in der Debatte: dass wir hier in diesem Hause größtenteils dafür eintreten, dass Konjunktur Vorrang hat, bis auf einige Herren an der Fensterfront, wo ich aber nicht unbedingt die große wirtschaftspolitische und finanzpolitische Kompetenz erkennen kann.
(Udo Pastörs, NPD: Die liegt bei Ihnen, die liegt bei Ihnen, Herr Löttge. – Zuruf von Michael Andrejewski, NPD)
Ich freue mich aber, dass Sie ansonsten hier gemeinsam in diesem Haus für eine entsprechende konjunkturelle und wirtschaftliche Entwicklung eintreten. Ich denke, das ist erst mal ein guter Ansatzpunkt.
(Beifall bei Abgeordneten der Fraktionen der SPD, CDU und DIE LINKE – Udo Pastörs, NPD: Auch an ihren Früchten könnt ihr sie erkennen.)
Meine Damen und Herren, es gibt natürlich manchmal unterschiedliche Auffassungen, welchen Weg man dabei beschreitet. Herr Roolf, ich habe Ihnen heute in einer anderen Debatte durchaus in Teilen recht gegeben, möchte aber hier zu diesem Antrag aus finanzpolitischer Sicht sehr deutlich einiges bemerken.
Erstens. Als wir uns dafür entschieden haben, diese Mittel für die Wadan-Werften bereitzustellen, haben wir alle gewusst, dass es Kredite sind. Wir sind alle davon ausgegangen, dass diese Mittel wieder in den Haushalt zurückfließen. Ich halte es, meine Damen und Herren, lieber Herr Roolf, liebe Kollegin und Kollegen der FDP, ganz einfach für falsch, in diesem Augenblick, wo wir tatsächlich nicht wissen, was uns in diesem Jahr noch erwartet, wo wir tatsächlich noch davon ausgehen müssen, dass die Krise vielleicht noch nicht voll gewirkt hat und dass wir noch nicht wissen, was die nächste Steuerschätzung bringt, da zu sagen, wir geben jetzt in dem laufenden Haushalt 12 Millionen als Zuschuss irgendwohin, was nie gedacht war. Das halte ich aus finanzpolitischer Sicht für unverantwortlich.
Wir können uns gerne nach Vorliegen der Steuerschätzung im Zuge der weiteren Haushaltsdiskussion über solche Maßnahmen verständigen, das ist in Ordnung.
Und dann werden wir sehen, wo wir stehen, dann werden wir irgendwo Kassensturz machen müssen, auch unter Berücksichtigung dessen, meine Dame, meine Herren von der FDP, was Sie heute debattiert haben. Wenn Sie es dann vielleicht irgendwo umsetzen, wird das für den Kassensturz natürlich Auswirkungen haben. Aber wir müssen gucken, was können wir in diesem Land bewegen, und müssen uns überlegen, wofür können wir zusätzliche Mittel einsetzen.
Ich finde es gut, dass wir gerade hier in MecklenburgVorpommern sehr zügig auf die Krisensituation reagiert haben, viele konjunkturfördernde Maßnahmen eingeleitet und zügig umgesetzt haben. Aber darüber hinaus ist in diesem Jahr aus finanzpolitischer Sicht ganz einfach kein weiterer Zuschuss möglich. Insofern kann man Ihren Antrag nur ablehnen, was nicht bedeutet, dass wir zukünftig nicht gucken müssen, was können wir uns im Land noch leisten und wie können wir Wirtschaft in diesem Land noch mehr fördern, als wir das bisher schon tun. Aber ich denke, die Maßnahmen, die wir bisher eingeleitet haben, sind auf jeden Fall konjunkturfördernd. Insofern ist Ihr Antrag aus dieser Sicht nur abzulehnen. – Recht herzlichen Dank.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wenn mein Kenntnisstand richtig ist, dann beschließen wir hier immer den Beschlusstext, und Begründungen sind zur Erläuterung da.
Ja, das ist eine Feststellung, ne?! Und wenn wir in der Begründung Erläuterungen machen, dann sollen sie dafür da sein, um den Beschlusstext transparent darzustellen.
(Dr. Norbert Nieszery, SPD: Ja, und die Glaubwürdigkeit zu untersetzen. – Wolfgang Waldmüller, CDU: Was kommt jetzt?)
Und wenn wir in der Begründung sagen, „könnte eingesetzt werden“ oder „ist zu überprüfen“, dann ist das einfach ein Vorschlag, woran man denken könnte, wenn man den Beschlusstext umsetzen will.