Protocol of the Session on September 24, 2009

Danke schön, Herr Brodkorb.

Ich schließe die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der Fraktionen der SPD und CDU auf der Drucksache 5/2791. Wer diesem Antrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich jetzt um das Handzeichen. – Danke schön. Gegenstimmen? – Danke. Stimmenthaltungen? – Danke. Damit ist der Antrag der Fraktionen der SPD und CDU auf Drucksache 5/2791 mit den Stimmen der Fraktion der SPD, der Fraktion der CDU, der Fraktion der NPD bei einer Stimmenthaltung sowie Gegenstimmen der Fraktion DIE LINKE und der Fraktion der FDP angenommen.

Ich rufe auf den Tagesordnungspunkt 22: Beratung des Antrages der Fraktion DIE LINKE – Armutsatlas ernst nehmen – Armut wirksam bekämpfen, Drucksache 5/2786.

Antrag der Fraktion DIE LINKE: Armutsatlas ernst nehmen – Armut wirksam bekämpfen – Drucksache 5/2786 –

Das Wort zur Begründung hat die Abgeordnete Frau Borchardt von der Fraktion DIE LINKE.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich darf heute Frau Müller vertreten, die diese Einbringung selber gern vorgenommen hätte, aber krankheitsbedingt leider nicht kann.

Wer definiert Armut, fragt ein Sozialarbeiter in der „Ostsee-Zeitung“, und die gesuchte Antwort wird nicht nur im Bereich der Quelle der Einnahmen oder deren Höhe gesucht. Nun dürfte jedem Sozialarbeiter, aber auch jedem Politiker bekannt sein, dass es diese Diskussion schon seit ewigen Zeiten gibt, die Armut immer größer wird und sich mit der Massen- und Langzeitarbeitslosigkeit und Hartz IV weiter verschärft hat.

Und um auch das gleich vorwegzunehmen: Mittlerweile müsste es auch zu jedem irgendwie wirklich Interessierten durchgedrungen sein, wie Armut europaweit definiert wird. Das bestätigen auch die unterschiedlichen Untersuchungen der einzelnen Verbände der Nationalen Armutskonferenz, der Diakonie.

(Vizepräsident Hans Kreher übernimmt den Vorsitz.)

Ich sage das ganz bewusst, weil ich mir durchaus vorstellen kann, und das zeigen ja auch die Debatten in diesem Hohen Hause, dass wieder einige Politiker/ -innen die Frage der Definition in den Mittelpunkt stellen werden, so wie in der Vergangenheit, denn meine Fraktion greift dieses Thema seit 2007 bereits das fünfte Mal in diesem Hohen Hause auf und da hat man schon seine Erfahrungswerte.

Zum Anlass nehmen wir in diesem Fall den Armutsatlas für Deutschland, den der Paritätische Gesamtverband Mitte Mai veröffentlicht hat.

(Zuruf von Dr. Norbert Nieszery, SPD)

Zum wiederholten Mal bestätigt eine Studie die schreiende Ungerechtigkeit, die in einem der nach wie vor reichsten Länder der Erde herrscht. Es ist bedauerlich, dass die Politik diese Ungerechtigkeit zwar zur Kenntnis nimmt, aber nicht entsprechend handelt. Der Paritätische hat, wie er selbst sagt, mit seinem ersten Bericht 1989, also noch vor dem Zusammenschluss der beiden deutschen Staaten, eine gewisse Tradition in der Armutsberichterstattung begründet. Seitdem folgten zwei weitere Berichte und nun erstmals ein Armutsatlas.

Der Paritätische greift bei seinem Armutsatlas auf eine Sonderauswertung des Statistischen Bundesamtes, also auf offizielle Zahlen zurück. Der Armutsatlas folgt dabei der allgemein anerkannten Armutsdefinition, auf die sich die Europäische Union verständigt hat und die auch im zweiten und dritten Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung Anwendung gefunden hat. Dort ist die Armutsgrenze auf 60 Prozent des mittleren, also des durchschnittlichen Einkommens des jeweiligen Landes festgelegt.

Und ich will auch dies gleich klarstellen: Wer sich auf dem Boden des Grundgesetzes bewegt, nach dem wir alle hier verpflichtet sind, gleichwertige Lebensverhältnisse zu schaffen, der sollte nicht versuchen, die vorhandene Armut in unserem Land kleinzureden, insbesondere die bei Kindern und Familien, aber auch zunehmend bei Älteren in diesem Land. Und er sollte auch keine Vergleiche anstellen, um durch diese Maßnahmen zu versuchen, diese Armut herunterzuspielen.

Der Armutsatlas des Paritätischen für die Jahre 2005 bis 2007 zeigt, dass Deutschland beim Wohlstand in drei Teile zerfällt. Die Armutsquote lag für Deutschland im Jahr 2007, also in den Zeiten, in denen angeblich der Aufschwung bei den Menschen ankam, bei 14,3 Prozent. In Ostdeutschland lag sie bei 19,5 Prozent und in Mecklenburg-Vorpommern bei 24,3 Prozent. Das heißt, fast jeder vierte Einwohner unseres Bundeslandes lebte in Armut. Die Armutsschwelle, und damit will ich auch mit einigen Irritationen und Verwirrungen in der Pressekonferenz am Dienstag aufräumen, lag im Bundesdurchschnitt demnach für Alleinstehende bei einem monatlichen Nettoeinkommen von 764 Euro, für Alleinerziehende mit einem Kind bei einem Einkommen in Höhe von 994 Euro, für Alleinerziehende mit zwei Kindern bei 1.223 Euro und für Paare mit zwei Kindern bei 1.835 Euro.

Und auch das will ich an dieser Stelle sagen und an den Ministerpräsidenten richten, um unsere Debatte vom Juli 2008 über Kinderarmut aufzugreifen: Natürlich ist Geld nicht alles, aber im Moment definiert sich diese Gesellschaft noch über Erwerbseinkommen. Und ohne das notwendige Einkommen bin ich auf die Solidarität, ja, auf Almosen anderer angewiesen oder ich werde vom gesellschaftlichen Leben ausgeschlossen, kann nicht ins Theater gehen, kann nicht in den Zoo, haben viele Familien nicht einmal genug, um ihren Kindern regelmäßig ein warmes Mittagessen zu sichern. Und dass die vielen Tafeln und Suppenküchen, deren Zahl in den letzten Jahren bundesweit und auch bei uns rapide angewachsen ist, darüber hinaus im Wesentlichen ehrenamtlich arbeiten, heimliche Goldgruben sind oder die Erwachsenen und Kinder dort hingehen, weil sie es schick finden, daran glaubt wohl hoffentlich niemand. Wer wie ich regelmäßig in einer solchen Einrichtung ehrenamtlich mitarbeitet, der weiß, wie erniedrigend es für die Betroffenen ist, sich dort versorgen zu lassen, nicht einmal

mehr genug Geld für die eigene Versorgung, für die Versorgung der Kinder zu haben.

(allgemeine Unruhe)

Darf ich weiterreden? – Danke schön.

Dazu kommt das ständige Misstrauen gegenüber den Betroffenen, die aus Sicht einiger Politiker nicht mit Geld umgehen können und das Geld lieber in Alkohol und Tabak umsetzen. Und die Frage muss auch erlaubt sein: Wenn Sie denn daran glauben, warum stecken Sie nicht mehr Geld in das Gesamtsystem, wie kostenfreie Bildung von Anfang an, für kostenfreie Kitas inklusive Essenversorgung, für einen kostenfreien Schul- und Hochschulbesuch und für einen kostenfreien Zugang zu Sportvereinen, Musikschulen und Bibliotheken,

(Dr. Norbert Nieszery, SPD: Ja, das ist ein richtig gutes Wunschkonzert. Und wer bezahlt das?)

nämlich in ein echtes Zukunftssystem für unsere Kinder? Aber auch das machen Sie nicht.

(Dr. Norbert Nieszery, SPD: Nee. – Egbert Liskow, CDU: Sprechen Sie doch mal zum Antrag!)

Deshalb bleiben Ihre Beteuerungen, dass die Kinder unsere Zukunft sind, leere Worthülsen, um nicht zu sagen, Phrasen.

(Dr. Norbert Nieszery, SPD: Das ist doch gar nicht wahr, Frau Borchardt.)

Und deshalb bleiben und wirken Sie auch unglaubwürdig, denn das Leben da draußen sieht ganz anders aus.

(Zuruf von Dr. Norbert Nieszery, SPD)

Frau Präsidentin!

(Egbert Liskow, CDU: Herr Präsident!)

Meine Damen und Herren! Meine Fraktion bleibt dabei:

(Zuruf von Dr. Norbert Nieszery, SPD)

Um Armut zu beenden, brauchen wir armutsfeste Lösungen.

Um Armut zu beenden, brauchen wir armutsfeste Hartz-IV-Regelsätze.

Um Armut zu beenden, brauchen wir armutsfeste Familieneinkommen.

Um Armut zu beenden, brauchen wir auch armutsfeste Renten.

Um Armut zu beenden, müssen auch die Bildungsschranken in diesem Land fallen, denn diese sind ebenfalls seit Jahren schon wissenschaftlich belegt,

(Dr. Norbert Nieszery, SPD: Das ist wohl ein Rundumschlag jetzt hier, oder?)

wie auch die Tatsache, dass das spätere Einkommen von der Bildung abhängt.

Vielleicht sollten Sie sich das Wort des Sozialethikers vor Augen halten: Gerechtigkeit besteht nicht da, wo alle das gleiche Recht haben zum Pflücken von Äpfeln, sondern da, wo die Kleinwüchsigen eine Leiter bekommen.

Uns ist klar, dass wir die notwendigen Schritte, die wir im Antrag dargestellt haben, nicht aus eigener Kraft in unserem Bundesland regeln können. Wir brauchen im Interesse der betroffenen Kinder, der Familien und unserer

betroffenen älteren Bürger das Engagement auf Bundesebene. Denn dass alles dies möglich ist, angefangen vom gesetzlichen Mindestlohn bis hin zur Besteuerung von Vermögen, das zeigt ein Blick in die entwickelten Länder Europas und der Welt.

Und, meine Damen und Herren, ganz wichtig ist, wir brauchen schnell Lösungen für die Betroffenen. Die nicht bedarfsgeprüfte Erhöhung der Regelsätze für Kinder im Hartz-IV-Bezug reicht da nicht aus und erfüllt weder die Forderung des Bundesrates noch die der Arbeits- und Sozialministerkonferenz. Ich denke, das ist Ihnen, Frau Schwesig, klar. Sie erfüllt im Übrigen auch nicht den Beschluss dieses Landtages. Und sagen Sie jetzt nicht, das, was meine Fraktion fordert, können wir uns alles nicht leisten. Ich habe es ja hier vorne schon gehört. Das Einzige – und ich glaube, darüber sind wir uns einig –, was wir uns in Zukunft nicht mehr leisten können, ist Armut, Armut von Kindern, Jugendlichen und Familien, aber auch Armut von Älteren. – Danke schön.

(Beifall bei Abgeordneten der Fraktion DIE LINKE)

Danke, Frau Borchardt.

Meine Damen und Herren, im Ältestenrat wurde eine Aussprache mit einer Dauer von 45 Minuten vereinbart. Ich sehe und höre keinen Widerspruch, dann ist das so beschlossen.

Um das Wort hat zunächst gebeten die Sozialministerin des Landes Mecklenburg-Vorpommern Frau Schwesig. Frau Schwesig, Sie haben das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordnete! Armut wirksam bekämpfen ist eine der Herausforderungen, eine der größten sozialpolitischen Herausforderungen und ist eine wichtige sozialpolitische Aufgabe, die ich mir auch ganz persönlich als Sozialministerin gestellt habe, wenngleich ich weiß, dass eine Ministerin alleine die Dinge nicht auflösen kann oder nicht ganz auflösen kann. Und es ist mir auch ein Anliegen, was mir besonders am Herzen liegt, besonders im Hinblick auf die Bekämpfung von Kinderarmut.

Und, sehr geehrte Frau Abgeordnete Borchardt, ich kann hinter vielem, was Sie gesagt haben, mich auch versammeln, aber ich weise zurück, dass es so ist, dass die Politik Armut nur zur Kenntnis nimmt und nicht handelt. Das stimmt so nicht, das weise ich für die Landesregierung zurück und insbesondere für meine Arbeit als Sozialministerin. Und an der Stelle möchte ich noch mal ausdrücklich zurückweisen, was gestern Ihr Fraktionsvorsitzender Herr Holter gesagt hat, dass wir, dass die Landesregierung sich nicht um die Belange der Menschen im Land kümmern würde. Man kann über einzelne Maßnahmen streiten, und Sie wissen, da bin ich auch immer sehr offen für Diskussionen. Aber nur, weil wir drei Tage oder zwei Tage vor der Bundestagswahl stehen, in Bausch und Bogen ohne eigene Konzepte die Landesregierung an der Stelle einfach nur anzugreifen und rumzupoltern, das reicht nicht aus. Und es reicht schon gar nicht aus, um Armut zu bekämpfen.

(Dr. Norbert Nieszery, SPD: Sehr richtig, Frau Ministerin.)