Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es ist erstaunlich, was sich so in trockenen Paragrafenwerken wie den Sozialgesetzbüchern an lyrischen Ergüssen findet. Im Paragrafen 1 des in dem Antrag angesprochenen Sozialgesetzbuches VIII heißt
es: „Jeder junge Mensch hat ein Recht auf Förderung seiner Entwicklung und auf Erziehung zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit.“ Das klingt gut.
Was der sogenannte Gesetzgeber aber unter Entwicklungsförderung versteht, offenbart sich, wenn man den Gesetzesband etwas zurückblättert, zum SGB II, wo die kümmerlichen Regelsätze für die Kinder und Jugendlichen festgesetzt sind, die sie selbst oder als Mitglieder von Bedarfsgemeinschaften Hartz IV beziehen. 900.000 junge Menschen zwischen 15 und 24 Jahren sind betroffen. Nach einer neueren Studie erhalten außerdem noch 300.000 Jugendliche Arbeitslosengeld I oder wurden in sogenannte Förderkurse gesteckt, sodass auf drei erwerbstätige Jugendliche mindestens einer kommt, den Arbeitsgemeinschaften, Arbeitsagenturen oder Kommunen mit dem abspeisen, was die Grund sicherung hergibt.
Sieht so die Förderung der Entwicklung aus? Die besteht in der Praxis darin, dass die Regelsätze für Kinder erst im Jahre 2010 geändert werden sollen, obwohl das Bundessozialgericht dies für verfassungswidrig hält. Das Kindergeld wird natürlich angerechnet. Über die letzte Erhöhung können sich besserverdienende Haushalte freuen. Hartz-IV-Empfängern wird das gleiche Geld wieder abgenommen.
Was die Sozialbehörden aus den gesetzlichen Vorschriften machen, übertrifft oftmals noch die schlimmsten Erwartungen. In Ostvorpommern haben wir Kenntnis von einem Fall, wo eine junge Frau mit Billigung einer Sozialpädagogin der Volkssolidarität aus ihrem Elternhaus ausziehen und deshalb Hartz IV beantragen sollte. Die Sozialpädagogin war als Familienhelferin und Erziehungsbeistand tätig gewesen. In einer schriftlichen Erklärung riet sie der Sozialagentur dringend, dem Antrag im Hinblick auf die prekäre familiäre Situation stattzugeben. Aber die Behörde weigerte sich, den Antrag auch nur zur Entscheidung anzunehmen. Sie verwies die junge Frau darauf, ihre Eltern auf Unterhalt zu verklagen. Wovon sie bis dahin leben solle, spielte keine Rolle. Erst das Sozialgericht hat diesem skandalösen Vorgehen der Sozialagentur ein Ende gesetzt,
ebenso wie dem Vorgehen der Arbeitsgemeinschaft Uecker-Randow, die einer Mutter von zwei Kindern die Leistungen komplett strich und ihr so wenige Lebensmittelkarten zugestand, dass diese gerade mal für eine Woche reichten.
Wie oft so etwas vorkommt, darüber gibt es keine Zahlen. Wahrscheinlich häufiger, als manche Leute das wahrhaben wollen. Nicht nur die einschlägigen Gesetze müssen geändert werden, es ist vor allem dafür zu sorgen, dass solche Willkürakte der Bürokratie unterbunden werden. Die Sozialgerichte können nicht überall sein und nicht jeder traut sich vor Gericht.
Ich komme zum Schluss: Vor allem scheren viele Behörden sich einen Dreck um die Rechtslage und pfeifen auf Urteile, auch höchst richterliche. Solange sich daran nichts ändert, wird man mit Gesetzesänderungen nicht so viel ausrichten können, wie es wichtig wäre.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es gibt einen gesetzlichen Auftrag, die individuelle und soziale Entwicklung von Kindern und Jugendlichen zu fördern und dazu beizutragen, Benachteiligungen zu vermeiden oder abzubauen. Im Paragrafen 1 des Sozialgesetzbuches VIII heißt es: „Eltern und andere Erziehungsberechtigte bei der Erziehung beraten und unterstützen … Kinder und Jugendliche vor Gefahren für ihr Wohl schützen“ und Jugendhilfe soll „dazu beitragen, positive Lebensbedingungen für junge Menschen und ihre Familien sowie eine kinder- und familienfreundliche Umwelt zu erhalten oder zu schaffen.“ So weit, so gut. Das sind die Pflichtaufgaben.
Aber neben der Jugendarbeit, der Förderung der Jugendverbände, der Jugendsozialarbeit und dem erzieherischen Kinder- und Jugendschutz sind auch die allgemeine Förderung der Erziehung in der Familie nach Paragraf 16 und gemeinsame Wohnformen nach Paragraf 19 sogenannte Sollvorschriften. Und wie sieht es denn da konkret bei der Umsetzung in unserem Land aus? Jede und jeder, der sich in der Jugendhilfe wirklich nur ein bisschen auskennt, weiß, wie wichtig diese Leistungen sind, um junge Familien zu unterstützen, ihnen zu helfen, den richtigen und im Interesse des Kindes und der Familie gemeinsamen Weg zu finden. Aber was vielleicht nicht jeder weiß, um jede dieser Leistungen müssen Eltern und Jugendliche kämpfen und um jeden Euro mehr Honorar für erbrachte Leistungen müssen die Leistungserbringer ebenfalls kämpfen, ganz einfach weil es keine Pflichtaufgaben sind. Aber selbst bei den pflichtigen Aufgaben, wie den Hilfen zur Erziehung, wäre eine bessere Finanzausstattung der Kommunen notwendig, um diese Pflichtaufgabe entsprechend dem Bedarf und in einer höheren Qualität erfüllen zu können.
Frau Ministerin Schwesig, wenn Sie sich die Kreishaushalte mal ansehen würden, zum Beispiel in UeckerRandow, zum Beispiel in Ostvorpommern, dann wüssten Sie, dass dort eben kein finanzieller Handlungsspielraum für mehr Geld für die Sollaufgaben in der Jugendhilfe ist. Und da helfen auch keine Appelle an die Kreistagsmitglieder, dass sie sich vielleicht doch anders entscheiden könnten und Prioritäten für die Jugendhilfe setzen könnten.
(Raimund Frank Borrmann, NPD: Da kommt sofort der Innenminister. – Zuruf von Barbara Borchardt, DIE LINKE)
Notwendig wäre nach Auskunft der Träger zum Beispiel eine höhere Anzahl von Betreuungsstunden bei der intensiven sozialpädagogischen Betreuung oder bei der sozialpädagogischen Familienhilfe. Das wäre wahre präventive Arbeit und es ist die einzige mögliche Alternative zu den Vorschlägen, wie wir sie gestern von Herrn Sarrazin gehört haben. Bisher steht einer besseren Finanzausstattung der Jugendhilfe aus eigener Kraft aber die Finanzschwäche der Kommune gegenüber. Und die führt in der Regel, wenn die Verbesserungen in der Jugendhilfe umgesetzt werden, zu einer Erhöhung der Kreisumlage. Und wer mag denn da schon zustimmen von den hauptamtlichen Bürgermeistern und den Amtsleitern, die im Kreis sitzen? Da wird dann doch wirklich eher gesagt, wir halten die Kreisumlage niedrig und beschränken uns in den notwendigsten Ausgaben.
Vorhin erst haben wir einen Antrag meiner Fraktion diskutiert, meine Damen und Herren, der das Vorhaben der Bundesregierung kritisiert hat, die Aufgaben der Jugendhilfe zu erweitern, ohne zusätzliche Mittel dafür bereitzustellen. Den haben Sie wie üblich abgelehnt, meine Damen und Herren.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Unsere Gesellschaft spaltet sich aber als Erstes bei den Kindern. Und dieser Spaltungsprozess vollzieht sich nachweislich und sichtbar schon seit Jahren. Sozialräumliche Disparitäten, Segregation und Spaltung der Gesellschaft, keine auskömmlichen finanziellen Rahmenbedingungen, insbesondere nicht für Familien mit Kindern, und auch die Individualisierung der Gesellschaft gehen nicht spurlos an den Menschen vorüber, insbesondere nicht an den jüngsten Menschen, die ja, so, wie wir es alle immer betonen und hochhalten, unsere Zukunft verkörpern und diese auch irgendwann mal meistern sollen. Ausdruck dieser Spaltung sind neben der Zunahme von Armut insbesondere die Kinderarmut, Bildungsbenachteiligungen, was dann bei der Jugendhilfe als zusätzlicher Bedarf an Beratung und Betreuung und anderen Leistungen zu Buche schlägt. Die Jugendhilfe ist finanziell und personell nicht bedarfsgerecht aufgestellt
und es gelten gerade in unserem Land in vielen Kommunen strenge Auflagen. Ich hatte vorhin eine Besuchergruppe aus einer Gemeinde, die für mehrere Jugendklubs nur eine teilzeitbeschäftigte Jugendarbeiterin hat. Sie berichtete über ihre Arbeitsbedingungen. Sie hat glücklicherweise vier ehrenwerte Mitbürgerinnen in einem schon höheren Alter gefunden, die die Jugendklubs an mehreren Tagen in der Woche ehrenamtlich mit betreuen und dafür nicht mal eine Aufwandsentschädigung erhalten. Und das soll qualitativ hochwertige Jugendarbeit sein, meine Damen und Herren? Diese Jugendsozialarbeiterin hat ganz klar gesagt, was sie braucht. Sie braucht nämlich eine bessere Bezahlung, sie braucht Fortbildung, um auf das reagieren zu können, was die Jugendlichen ihr alles präsentieren, und sie braucht langfristige Verträge. Ihr nützt es nichts, wenn sie immer wieder einen Jahresvertrag bekommt, sondern sie braucht einen festen Vertrag.
Aber alles das ist mit der gegenwärtigen Finanzierung der Jugendsozialarbeit nicht möglich, weil – ich komme sofort zum Schluss – das Land nur 40 Prozent übernimmt und den Rest können die Kommunen und die freien Träger zusammensuchen.
Meine Damen und Herren, meine Fraktion spricht sich deshalb für eine umfassende Stärkung der Jugendhilfe im Land aus und richtet diese Forderung auch an alle Verantwortlichen, und zwar vom Bund bis hin zu den Kommunen. – Danke schön.
Im Rahmen der Debatte ist beantragt worden, den Antrag der Fraktion DIE LINKE auf Drucksache 5/2547 zur
Beratung an den Sozialausschuss zu überweisen. Wer diesem Überweisungsvorschlag zuzustimmen wünscht, den bitte ich jetzt um das Handzeichen. – Danke. Gegenstimmen? – Danke. Stimmenthaltungen? – Damit ist der Überweisungsvorschlag bei Zustimmung der Fraktion DIE LINKE, der Fraktion der FDP und der Fraktion der NPD sowie Gegenstimmen der Fraktion der SPD und der CDU abgelehnt.
Wir kommen nun zur Abstimmung in der Sache über den Antrag der Fraktion DIE LINKE auf Drucksache 5/2547. Wer diesem zuzustimmen wünscht, den bitte ich jetzt um das Handzeichen. – Danke. Gegenstimmen? – Danke. Stimmenthaltungen? – Danke. Damit ist der Antrag der Fraktion DIE LINKE auf Drucksache 5/2547 bei Zustimmung der Fraktion DIE LINKE und der Fraktion der NPD, Gegenstimmen der Fraktion der SPD und der Fraktion der CDU sowie Stimmenthaltung der Fraktion der FDP abgelehnt.
Ich rufe auf den Tagesordnungspunkt 27: Beratung des Antrages der Fraktion der FDP – Konzept zur archäologischen Sicherung, wissenschaftlichen Aufarbeitung und musealen Präsentation von Kulturgütern in Mecklenburg-Vorpommern, Drucksache 5/2533.
Antrag der Fraktion der FDP: Konzept zur archäologischen Sicherung, wissenschaftlichen Aufarbeitung und musealen Präsentation von Kulturgütern in Mecklenburg-Vorpommern – Drucksache 5/2533 –
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wohl jeder im Land war schockiert und betroffen von der Tatsache, dass einzigartige Kulturgüter wie die sogenannten Einbäume von Stralsund höchstwahrscheinlich unwiederbringlich zerstört sind.
Meine Damen und Herren, die Einbäume zeigen, wenn es ein Konzept zur Sicherung wissenschaftlicher Aufarbeitung und Präsentation von Kulturgütern in Mecklenburg-Vorpommern gegeben haben sollte, so ist es auf dramatische Weise gescheitert. Mich persönlich interessiert weniger die Schuldfrage. Wir als Liberale fordern aber vor allem, dass auf der Stelle – ich sage, auf der Stelle – alles getan wird, damit weiterer Schaden verhindert wird und dass unser reicher Schatz an Kulturgütern zum besten Nutzen für die Wissenschaft und die Bürger Mecklenburg-Vorpommerns gesichert, aufgearbeitet und präsentiert wird.
Meine Damen und Herren, bei einem Ortstermin zusammen mit Dr. Bednorz und Herrn Lemcke konnte ich mir ein eigenes Bild vom dramatischen Zustand sowohl einzelner Fundstücke als auch vom Zustand einzelner Depots machen. Dass dies seit Jahren von dieser, aber vor allem von den Vorgängerregierungen so toleriert, ja, ignoriert wurde, welche Missstände hier herrschen, ist unbegreiflich. Die Zustände in der Remise in der Stelling-Straße und in Willigrad sind unerträglich, und die Arbeitsbedingungen der Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen spotten jeder Beschreibung. Daher unser dringender Appell an den Landtag: Stellen Sie zusammen mit uns sicher, dass bis zum Ende des ersten Quartals 2010 ein ganzheitliches Konzept zur archäologischen Sicherung, wissenschaftlichen Aufarbeitung und musealen Präsentation von Kulturgütern Mecklenburg-Vorpommerns vorliegt! Das muss auch im Haushalt 2010/2011 mit berücksichtigt werden.
Meine Damen und Herren, dabei darf es in der Zukunft keine weiteren Provisorien geben. Und ich meine bewusst nicht nur eine Standortentwicklungskonzeption für das Landesamt für Kultur- und Denkmalpflege. Dies liegt in der Tat schon vor und kann als Grundlage einbezogen werden. Es beantwortet aber nicht die Fragen zur inneren Organisation des Landesamtes auf Landes- und regionaler Ebene und es erklärt nicht die Kommunikation zwischen Landesamt, regionalen Institutionen und der Landesregierung. Genau diese Punkte sind aber mindestens so wichtig wie die Entwicklung der einzelnen Standorte des Landesamtes.
Daher wollen wir, meine Damen und Herren, mit unserem Antrag auch und gerade diese Aspekte ansprechen. Wenn irgendwo in unserem Land Kulturgüter gefunden werden, dann reicht es nicht, sich ausschließlich auf die amtlichen Kräfte zu verlassen. Es gibt vor Ort engagierte Experten, die mit entsprechender Sachkunde helfen können, dass Fundstücke sach- und fachgerecht rechtzeitig gesichert werden können. Diese Kooperation zwischen der Obersten Denkmalschutzbehörde in Schwerin und den lokalen Fachleuten vor Ort gibt es zwar schon, die Kommunikation und Zusammenarbeit kann aber nach unseren Informationen deutlich verbessert werden.
Meine Damen und Herren, es besteht zurzeit akute Gefahr für andere Fundstücke. Ich habe es mit eigenen Augen gesehen, Herr Kokert.
Ich habe es mit eigenen Augen gesehen. Und eh Sie hier so schwatzen, sollten Sie mal ruhig zuhören, denn es wäre auch für Ihre Fraktion wichtig, sich das mal genau anzusehen.
(Vincent Kokert, CDU: Gott sei Dank sind wir nicht in der Schule und ich muss mich von Ihnen nicht belehren lassen, Herr Kreher.)
Ich habe es mit eigenen Augen gesehen. Hier muss sofort gehandelt werden und eine neue Konzeption zur wissenschaftlichen Präparierung und Aufarbeitung von Fundstücken vorgelegt werden. Schließlich fehlt es offenbar auch an einem schlüssigen Konzept zur musealen Präsentation. Wir fordern ein überregionales Konzept zur Präsentation von Kulturgütern, das sowohl der wissenschaftlichen und bildungspolitischen Dimension als auch den regionalen Bedürfnissen gerecht wird.
Meine Damen und Herren, ich sehe, dass meine fünf Minuten zur Einbringung beendet sind. Ich hoffe, dass ich Ihnen klar gemacht habe, wie wichtig es ist, dass wir hier gemeinsam handeln, und bitte um Ihre Zustimmung für unseren Antrag im Interesse der Kulturgüter unseres Landes. – Ich danke Ihnen, meine Damen und Herren.
Im Ältestenrat wurde eine Aussprache mit einer Dauer von 45 Minuten vereinbart. Ich sehe und höre keinen Widerspruch, dann ist es so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache.