Protocol of the Session on April 1, 2009

dass sich die Landesregierung auf Bundesebene für die Einführung ermäßigter Mehrwertsteuersätze einsetzen soll.

Meine Kollegen von den LINKEN, auch wir sehen es so, dass geringere Mehrwertsteuersätze niedrigere Preise ermöglichen und damit zu einer höheren Nachfrage führen können. Dieses möchte ich an dieser Stelle noch einmal betonen. Von großer Bedeutung ist für die Fraktion der FDP dabei allerdings auch die Verbesserung der Wettbewerbssituation der einheimischen Unternehmen durch eine mögliche Angleichung im Mehrwertsteuersatz.

Sehr geehrte Kollegen von den LINKEN, Sie wollen in Ihrem Antrag ermäßigte Steuersätze für arbeitsintensive Dienstleistungen, insbesondere im Handwerk und im Hotel- und Gaststättengewerbe. Meine Fraktion ist der Auffassung, dass klar zum Ausdruck kommen muss, dass es um die Umsetzung der Einigung der EU-Finanzminister vom 10.03. geht.

(Michael Roolf, FDP: Ganz genau so.)

Die von Ihnen getroffene Formulierung könnte aufgrund eines unterschiedlichen Begriffsverständnisses Begehrlichkeiten wecken, die nicht erfüllbar sind. Sie mögen das vielleicht als Wortklauberei empfinden, aber die Rahmen und Möglichkeiten sind durch die Einigung der EU-Minister klar fixiert. Die Besteuerung bestimmter im Beschluss der EU-Finanzminister genau festgelegter Branchen mit dem ermäßigten Steuersatz muss aus Sicht der FDP auch das Überdenken der Höhe des ermäßigten Steuersatzes ermöglichen.

Die Ausnahmemöglichkeiten für die Anwendung des ermäßigten Steuersatzes – teilweise finden sich diese ja auch in Ihrer Antragsbegründung wieder – sind sehr konkret. Zum einen sind Reparaturen von Fahrrädern, des Schuster- und Schneiderhandwerks erfasst. Hinzu kommen das Reinigungsgewerbe mit der Reinigung von Fenstern und privaten Haushalten, häusliche Pflegedienstleistungen wie Haushaltshilfen, Kinderbetreuung, Betreuung von Älteren und Behinderten. Anwendbar ist die Richtlinie auch für Frisörleistungen, Dienstleistungen im Gaststättengewerbe und für Bücher. Eine letzte Anwendbarkeit nach der Richtlinie ist die Renovierung und Reparatur von Privatwohnungen mit Ausnahme des Materials.

Da der Rahmen, wie eingangs erwähnt, vorgegeben ist, sollte er auch mit in den Antragstext hineinformuliert werden. Das hört sich dann zwar alles nach Verkomplizierung an, gibt aber einen ausgezeichneten Überblick und Klarheit über die tatsächlich machbaren Maßnahmen. Insbesondere sehen wir einen positiven Effekt bei der Anwendung der Ausnahmemöglichkeit im Bereich des Gaststättengewerbes.

Durch die neu geschaffenen Möglichkeiten eines einheitlichen absenkbaren Steuersatzes für die Gastronomie könnte die stets streitbefangene und manipulationsanfällige Unterscheidung des Gaststättenumsatzes im Verzehr vor Ort und Stelle und außer Haus beseitigt werden. Gerade der Bereich der Gaststätte ist von einer einseitigen Ablehnung Deutschlands besonders hart betroffen. Aufgrund der hohen Mehrwertsteuer von 19 Prozent bestehen erhebliche Wettbewerbsnachteile

gegenüber den Gaststätten in Nachbarländern, die ihre Leistungen erheblich geringer besteuern.

Zum Schluss möchte ich noch auf eine Aussage zu einer möglichen Gegenfinanzierung der Steuersenkung zu sprechen kommen, da die ablehnende Haltung des Bundesfinanzministers im Wesentlichen mit der Haushaltslage begründet wird. Die FDP geht klar davon aus, dass sich die Einführung ermäßigter Mehrwertsteuersätze im Rahmen des Beschlusses der EU-Finanzminister in missbrauchsanfälligen Branchen eben durch die Missbrauchsbekämpfung zum Großteil selbst finanziert.

(Michael Roolf, FDP: Richtig.)

Durch einen geringeren Mehrwertsteuersatz besteht weniger Anreiz, Leistungen schwarz anzubieten und Umsätze zu verkürzen.

(Beifall bei Abgeordneten der Fraktionen der CDU und FDP – Egbert Liskow, CDU: Ganz genau so ist das.)

Und nun noch mal zu den vorliegenden Änderungsanträgen. Der Änderungsantrag der Koalitionsfraktionen, so verstehen wir ihn, fasst unsere Ansätze mit ein. Wir ziehen unseren zurück und werden Ihrem zustimmen. – Ich danke Ihnen.

(Beifall bei Abgeordneten der Fraktionen der CDU und FDP)

Danke schön, Frau Abgeordnete.

Es hat jetzt das Wort für die Fraktion der SPD der Abgeordnete Herr Borchert. Bitte schön, Herr Abgeordneter.

(Michael Roolf, FDP: Jetzt sagen Sie doch mal, was Herr Steinbrück sagen würde! – Zuruf von Barbara Borchardt, DIE LINKE)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wie wir wissen, hat am 10. März der Rat für Wirtschaft und Finanzen in Brüssel, bestehend aus den europäischen Wirtschafts- und Finanzministern, das System der ermäßigten Mehrwertsteuersätze in Europa mal wieder umfassend beraten und ist dabei – und das ist neu – zu konkreten Ergebnissen gelangt. Es sind im Wesentlichen drei Ergebnisse und da bisher die Redner die Ergebnisse sehr verkürzt dargestellt haben, möchte ich mir erlauben, alle drei Hauptergebnisse hier noch mal kurz zu nennen.

Erstens. Der Rat erkennt an, dass sich ermäßigte Mehrwertsteuersätze je nach Umständen positiv oder negativ auf die Wirtschaft auswirken können, sodass ein Mitgliedsstaat immer auch effizientere alternative Lösungen erwägen sollte, bevor er sich für die Anwendung von ermäßigten Steuersätzen entscheidet. Auch das haben die Minister beschlossen.

Zweitens. Allen Mitgliedsstaaten wird die Möglichkeit eröffnet, ermäßigte Mehrwertsteuersätze anzuwenden auf die schon genannten arbeitsintensiven Dienstleistungen, Dienstleistungen im Gaststättengewerbe und Bücher auf jeglichen physischen Trägern.

Drittens. Ich glaube, den dritten Punkt sollte man auch noch mal zur Kenntnis nehmen. Für alle anderen im Kommissionsvorschlag von 2008 aufgeführten Posten und Bereiche wird keine ermäßigte Mehrwertsteuer zugelassen. Es war nicht so, dass die Minister praktisch alle Türen geöffnet haben für alle ermäßigten Mehrwertsteuersätze, sondern sie haben sehr genau und dezidiert

diese Frage beraten und sind nur zum Teil den Vorschlägen der Kommission gefolgt.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, die politische Einigung der EU-Finanzminister vom 10. März über die Anwendung ermäßigter Mehrwertsteuersätze in bestimmten Sektoren wird von der SPD-Fraktion ausdrücklich grundsätzlich begrüßt. Für die betroffenen EU-Staaten bringt diese Option, bestimmte Mehrwertsteuersätze zu reduzieren, zusätzliche nationale Entscheidungsspielräume und Rechtssicherheit. Und positiv ist vor allem auch der Versuch zu werten, gleichzeitig, meine sehr geehrten Damen und Herren, eine weitere Ausdehnung von ermäßigten Mehrwertsteuersätzen einzuschränken und in diesem wichtigen Steuersektor einen ersten kleinen Schritt in Richtung Steuerharmonisierung zu gehen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, der Handlungsbedarf ist sehr groß bei dieser Steuerart, denn wie bei keiner anderen Steuerart ist der Flickenteppich in Europa größer als bei der Mehrwertsteuer. Die Normalsätze schwanken zwischen 15 Prozent in England und 25 Prozent in Schweden und Dänemark, allein ein Unterschied von sage und schreibe 10 Prozent. Dazu gibt es diverse Zwischensätze, ermäßigte Sätze und stark ermäßigte Sätze von 13,5 Prozent, zum Beispiel für Kunstgegenstände in Irland, bis zu 2,1 Prozent in Frankreich für pharmazeutische Erzeugnisse, Bücher, Zeitungen und Fernsehgebühren.

Bei Hotels und Gaststätten liegt die Spanne von in Dänemark und Schweden 25 Prozent bis Luxemburg 3 Prozent. In Dänemark haben wir jetzt für Hotels und Gaststätten sowie in Schweden für Hotels 12 Prozent und für Gaststätten 25 Prozent. Und diese Tourismusländer Dänemark und Schweden haben – zumindest, was die Gästezahlen betrifft – trotz 25 Prozent bewiesen, dass es also nicht nur an ermäßigten Mehrwertsteuersätzen liegen kann.

Interessant ist auch noch die Tatsache, dass sich die ermäßigten Mehrwertsteuersätze in Europa praktisch in drei Gruppen aufteilen, einmal die eine Gruppe, die überhaupt keine ermäßigten Mehrwertsteuersätze hat, dazu gehört zum Beispiel Dänemark, die zweite Gruppe wie Deutschland, die relativ wenig ermäßigte Mehrwertsteuersätze hat, und die dritte Gruppe, an deren Spitze Frankreich steht. In Frankreich ist der ermäßigte Mehrwertsteuersatz der Normalfall, weil vieles oder fast alles einem ermäßigten Mehrwertsteuersatz unterliegt. Warum sage ich das? Hier wird also deutlich, dass es eine sehr, sehr bunte Landschaft im Mehrwertsteuerrecht in Europa ist.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, langfristiges Ziel – und diesen Ehrgeiz sollte man schon haben in Europa – muss eine Angleichung der Mehrwertsteuersätze sein, und zwar nicht nur in den absoluten Steuersätzen, sondern natürlich auch in der Vielzahl von ermäßigten Steuersätzen, und das, das wäre aus meiner Sicht das beste Mittel, langfristig, nachhaltig, um zugegebenermaßen Wettbewerbsverzerrungen zwischen den Ländern zu vermeiden oder zumindest zu reduzieren, gleichzeitig aber im Auge zu behalten, dass das Steueraufkommen in der Europäischen Union insgesamt stabilisiert und gestärkt wird. Ein Dumpingwettbewerb um die geringsten und am stärksten ermäßigten Mehrwertsteuersätze in Europa kann nicht in unserem Interesse sein und insofern muss man dieses Thema auch sehr sensibel betrachten unter dem Gesichtspunkt der Aufkommensneutralität. Es sollte aber auch klar sein, dass ermäßigte

Mehrwertsteuersätze in geeigneten – ich betone, dafür geeigneten – Bereichen zukünftig eine wichtige Rolle spielen könnten.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, im zweiten Teil ihres Antrages fordert die Fraktion DIE LINKE die Einführung ermäßigter Umsatzsteuersätze in Deutschland auf arbeitsintensive Dienstleistungen, insbesondere im Handwerk, im Hotel- und Gaststättengewerbe entsprechend der Beschlusslage der EU-Minister vom 10. März. Bisher ist ja in Deutschland der Mehrwertsteuersatz – ermäßigt auf 7 Prozent – im Wesentlichen auf drei Bereiche beschränkt, Grundnahrungsmittel, Zeitschriften und Bücher, aber auch auf Herzschrittmacher, Hörgeräte, pharmazeutische Produkte, Kunstgegenstände, Fütterungs-, Arzneimittel und Blumen und auch auf lebende Tiere. Das hat sicherlich alles seine Gründe. Irgendwann war eine gewisse Tradition entstanden, aber ich gebe gern zu, hier ist kritisch zu hinterfragen, ob das so noch zeitgemäß ist.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, für die SPDFraktion möchte ich als Erstes natürlich klarstellen, dass es zum jetzigen Zeitpunkt – und das geht vor allen Dingen an die Adresse der FDP –, absolut keinen Spielraum für weitere Steuersenkungen gibt.

(Barbara Borchardt, DIE LINKE: Ach ja? Das ist ja nicht zu fassen!)

Dies gilt auch für die kurzfristige – ich betone, kurzfristige – Einführung ermäßigter Umsatzsteuersätze.

(Zuruf von Barbara Borchardt, DIE LINKE)

Allerdings – und da sind wir wieder beieinander – sehen wir als SPD grundsätzlich durchaus den Handlungsbedarf für eine umfassende Reform des Umsatzsteuerrechtes in Deutschland.

(Zuruf von Barbara Borchardt, DIE LINKE)

Das ist auch kein Widerspruch, wenn ich unterscheide zwischen Kurzfristigkeit und Mittelfristigkeit. Die Notwendigkeit besteht nämlich erstens vor allen Dingen im Kontext mit der europäischen Diskussion. Da geht es um die Harmonisierung des Steuerpolitik generell in Europa. Das ist der eine Aspekt, der es notwendig macht, eine Umsatzsteuerreform in Deutschland zu diskutieren,

(Irene Müller, DIE LINKE: Nein, zu handeln, zu handeln, nicht nur zu diskutieren.)

denn wir können und wir wollen uns auch nicht vom europäischen Zusammenhang unterscheiden und trennen. Und zweitens müssen wir uns auch in Deutschland fragen, welche ermäßigten Umsatzsteuersätze denn überhaupt geeignet sind, um nachweislich positive Wirkungen auf die Wirtschaft zu erzielen. Dazu können auch arbeitsintensive Dienstleistungen oder das Hotel- und Gaststättengewerbe gehören.

Wichtig ist für uns als SPD-Fraktion, dass aber jede Steuerreform – ich betone, jede, auch die des Umsatzsteuerrechts – aufkommensneutral sein muss. Gerade die aktuelle Wirtschaftskrise beweist ja die Notwendigkeit eines handlungsfähigen Staates und dazu braucht er vor allen Dingen ein stabiles, ein hohes Steueraufkommen,

(Zuruf von Helmut Holter, DIE LINKE)

das heißt also, auch die Sicherung der bisherigen 177 Milliarden Euro Umsatzsteueraufkommen.

(Birgit Schwebs, DIE LINKE: Aber bei allem brauchen wir die Steuern.)

Ich könnte mir durchaus vorstellen, dass man auch bei ermäßigten Umsatzsteuersätzen zu einer gewissen Kompensation kommt durch eine verbesserte Nachfrage. Das kommt auf die entsprechenden geeigneten Bereiche an. Man muss aber auch in Erwägung ziehen, dass eine weitere Stellschraube natürlich die Steuersätze selbst sind. Und man muss natürlich auch sehen, was man außerhalb des Umsatzsteuerrechts realisieren kann, um insgesamt das Steueraufkommen nicht zu reduzieren, sondern wünschenswerterweise nach Möglichkeit noch zu erhöhen. Denn eins kann nicht sein: Wir können nicht ermäßigte Steuersätze diskutieren und einführen und gleichzeitig billigend in Kauf nehmen, dass das Steueraufkommen möglicherweise reduziert wird.

(Helmut Holter, DIE LINKE: Das will ja auch niemand.)

Das wird von uns so nicht mitgetragen. Ich weiß, dass es von der Fraktion DIE LINKE so nicht gewollt ist, aber ich habe von der FDP vernommen, dass Sie das durchaus billigend in Kauf nehmen wollen, weil Sie immer noch an die Wunderkraft der Selbstfinanzierung von gesenkten Steuersätzen glauben.

(Michael Roolf, FDP: Das war jetzt ein bisschen kritisch.)

Das war kritisch, das war auch so kritisch gemeint.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, um zu einer vernünftigen Gesamtlösung zu kommen, ist es nicht sinnvoll, losgelöst einzelne Bereiche wie Hotel- und Gaststättengewerbe oder Arzneimittel zu betrachten, sondern die Koalitionsfraktionen stellen mit ihrem Änderungsantrag klar, dass wir im Rahmen einer Reform des Umsatzsteuerrechts selbstverständlich auch diese Bereiche diskutieren wollen, letztendlich entscheiden wollen unter den von mir genannten Prämissen.

Ich finde es gut, dass die FDP von sich aus erkannt hat, dass unser Antrag weitergehend ist. Insofern brauchen wir den dann auch nicht abzulehnen. Das ist eine gute Verständigung. So bleibt mir dann nur noch übrig: Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich bitte um Zustimmung zum Änderungsantrag der Koalitionsfraktionen. – Vielen Dank.

(Beifall bei Abgeordneten der Fraktion der SPD – Barbara Borchardt, DIE LINKE: Schwacher Beifall bei der SPD.)