Ich erspare es mir, an dieser Stelle zu Ihren Aussagen über Einkreisung von Städten auszuführen. Wir alle kennen die Reaktionen der Städte hierauf. Mit dem vorliegenden Ansatz wird sich die Landesregierung, sollten Sie daran festhalten wollen, wieder vor Gericht einfi nden müssen.
Im Zweifel machen wir uns auf den Weg. Wir sind uns dafür auch nicht zu schade, um das hier an dieser Stelle zu sagen.
Ein Leitbild, werte Landesregierung, hat Orientierungsfunktion für Entscheider und die Öffentlichkeit. Es dient der Darstellung eines wünschenswerten zukünftigen Zustandes, der durch zweckmäßiges Handeln und Verhalten erreicht werden soll. Der von Ihnen entworfene Ansatz nimmt den Bürger und die betroffene kreisliche Ebene aber eben nicht mit. Machen Sie es sich doch nicht so schwer! Schauen Sie zu unseren südlichen Nachbarn Berlin und Brandenburg! Deren Leitbild liest sich wie ein Forderungskatalog selbstbewusster Bundesländer. Mit knackigen Überschriften stellen diese dar: Wir sind, wir wollen, wir werden! Wo, frage ich Sie, fi nden sich in Ihrem Leitbild Ihre Nummer-eins-Visionen wieder, die Sie sonst so gern ausrufen? Wir haben hier das Gesundheitsland Nummer eins, Kinderland Nummer eins, wir beschäftigen uns mit dem Tourismusland Nummer eins. Neuerdings gibt es auch ein Energieland Nummer eins und bald hoffentlich auch ein modernes Verwaltungsland Nummer eins – ohne eine dazugehörende Verwaltungsmodernisierung. Wie passt das zusammen?
Wenn Sie diese Vorstellung nur im Ansatz für erstrebenswert halten, müssen Sie über Umsetzungsstrategien nachdenken. Sie müssen darüber nachdenken, welche Schritte geeignet sind, diese Ziele zu erreichen. Wer davon ausgeht, dass wir vor diesem Hintergrund Überlegungen über Kreisgrößen das Wort reden, der irrt. Wir müssen über Aufgabenwahrnehmung von Verwaltung und über Entbürokratisierung reden. Beantworten Sie die Frage, wie eine Verwaltung, die wir heute im Land haben, positive Impulse für eine Vision vom Gesundheitsland Nummer 1 erzeugen soll. Erst wenn wir das getan haben, werden Sie wirklich begründen können, warum wir Ihrem Leitbild folgen sollen, vor allem uns darauf zu verständigen, dass die Gebietsreform nicht vor einer Funktionalreform losgelöst zu betrachten sein sollte. Lassen Sie uns also erst über das Wohin streiten und dann über das Wie, und beim Wie bitte erst über das Wem und dann über das Wo, also erst Funktional- und dann Gebietsreform.
Wir als FDP-Fraktion legen Ihnen ans Herz, sich nicht an Ihre Vorgaben zu klammern. Machen Sie nicht den Fehler, wieder zuerst Landkarten freihändig malen zu wollen und dann erst die Überlegung anzustellen, wie man sein Personal darin aufteilt, sonst steht in Ihrem Regiebuch bald der Satz von Wilhelm Busch: Ein jedes Problem, wenn es gelöst ist, kriegt augenblicklich Junge.
Wir werden uns nicht an Zahlenspielereien beteiligen, lassen Sie uns durch die Enquetekommission auf Basis einer breiten Öffentlichkeitsarbeit ein tragfähiges Leitbild erarbeiten. Daran werden wir uns beteiligen, auch wenn wir offensichtlich unterschiedliche Herangehensweisen als Maßstab in unserem Handeln als FDP-Fraktion haben.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Interessant an dieser Angelegenheit ist, wie die Landesregierung mit Zukunftsszenarien jongliert, ganz so, wie es ihr in den Kram passt. Als der Haushalt vorgestellt wurde, da schwelgten der Ministerpräsident und der Wirtschaftsminister in optimistischen Visionen. Endlich sei die Talsohle durchschritten, der Aufschwung Ost sei nun da, die Steuereinnahmen sprudeln, die Wirtschaft wächst, sogar der Haushalt ist ausgeglichen. Mecklenburg-Vorpommern, so hieß es, käme, was den wirtschaftlichen Erfolg anginge, gleich nach Bayern – gleich nach Bayern! – und außerdem sei es Gesundheitsland und auch Kinderland Nummer eins. Glänzende Zukunftsaussichten! Ein Ostseetigerstaat war geboren, das SPD-Wahlversprechen, den Erfolg fortsetzen, übererfüllt.
So, aber das hört sich auf einmal aus dem Munde des Innenministers ganz anders an. Unverzüglich, sagt er, muss eine Kreisgebietsreform durchgeführt werden, denn in Wahrheit ist die Zukunft düster. Keine Zeit ist zu verlieren. Die Schulden der Gemeinden sind erschreckend, die Gelder aus dem Solidarpakt werden bis auf null zurückgehen, die Einwohnerzahlen schrumpfen, das Ende ist nahe. Mich erinnert das nicht so sehr an die griechische Tragödie, sondern eher an so einen mittelalterlichen Bußprediger oder so einen Sektierer von heute,
nachdem man noch eben gesagt hat, dass alles super ist. Nur eine Kreisgebietsreform kann uns retten, heißt es. Die alleine würde einen dreistelligen Millionenbetrag einsparen. Und uns wirft man Panikmache vor, wenn wir sagen, die Lage ist kritisch. Das ist allerdings wahr.
Was soll man nun glauben? Das eine, das andere oder in der Art des Zwiedenkens aus George Orwells „1984“ beides gleichzeitig? Wir glauben, dass die Lage Mecklenburg-Vorpommerns in der Tat kritisch ist, aber nicht deswegen, weil die Kreise zu klein wären, im Gegenteil. Die befi nden sich gerade am Rand dessen, was das Landesverfassungsgericht an regionaler Überschaubarkeit verlangt. In einem Landkreis wie Ostvorpommern sind die regionalen Unterschiede schon erheblich. Die Insel Usedom, ich bin auch Insulaner, ist eine Welt für sich und der Westen des Festlandes ist eher auf Jarmen und Demmin ausgerichtet als auf Ducherow oder Bugewitz
im Osten. Eigentlich ist Ostvorpommern schon zu groß, als dass all zu viele Kreistagsabgeordnete wirklich von sich behaupten könnten, sich mit dem ganzen Gebiet zu identifi zieren und alles, was sich dort abspielt, als ihre regionalen Belange anzusehen.
Eigentlich ist schon Ostvorpommern ein künstliches Gebilde. Das würde erst recht gelten bei einem Zusammenschluss mit Uecker-Randow oder Greifswald. Das wäre keine Kommunalpolitik mehr. Und woher sollen bei der Bildung größerer Landkreise die Einsparungen kommen? Da werden abstrakte Erwägungen präsentiert, die sich im Ungefähren bewegen. Die Verwaltungsarbeit wird automatisch effi zienter, heißt es, wenn sich die Kreise vergrößern – irgendwie, Abrakadabra, durch weniger Personal, wobei man aber abstreitet, betriebsbedingte Kündigungen anzustreben, und wirklich einsparen kann man nur durch Entlassungen, durch E-Gouvernment, ohne dass darauf eingegangen wird, was aus den Bürgern werden soll, die mit Computern nicht umgehen können oder auch wollen oder, das soll es auch geben, sich keinen leisten können. Das alles ist nur Küstennebel, in dem man die wahren Ursachen für die herrschende Misere verbergen möchte, nämlich die schweren Fehler, die schon zur Zeit der Wende gemacht wurden und vor denen damals übrigens die Intelligenteren in den Reihen der etablierten Parteien gewarnt haben, die nicht hier im Saal sitzen, das möchte ich dazusagen.
Ich meine Karl Schiller, Klaus von Dohnanyi oder sogar Hans-Dietrich Genscher. Die haben damals gefordert, man solle die Industrie der damaligen DDR nicht der westdeutschen Konkurrenz ausliefern, sondern sie staatlich unterstützen, etwa durch die Befreiung von Produkten der neuen Länder von der Mehrwertsteuer oder andere Maßnahmen.
Dass schon in den frühen 90er Jahren Westdeutschland einen Handelsüberschuss von 215 Milliarden DM pro Jahr in der ehemaligen DDR erzielte, hielt er für eine gefährliche Entwicklung, womit er recht hatte, und die muss zurückgedreht werden. Die in den Westen und dann ins Ausland abgesaugten Arbeitsplätze müssen zurückgeholt werden,
es muss zur Not gegen den Widerstand der Wirtschaft hier wieder eine Produktion aufgebaut und die Abwanderer müssen ebenfalls zurückgeholt werden,
(Dr. Armin Jäger, CDU: So ist es, ja. Genau. Wir brauchen mehr Zwang. Das glauben Sie. Genau das glauben Sie.)
Entweder das, oder das Land ist nicht mehr zu retten. Albernheiten wie Kreisgebietsreformen helfen da gar nichts und sind nur Pfl aster auf großen Wunden.
Vielleicht fi nden sich ja für einige von Ihnen ein paar warme Plätzchen in der dortigen Bürgerschaft oder im Nordstaat, den Sie irgendwann auch als große Chance anpreisen werden, wenn die Kreisgebietsreformseifenblase geplatzt sein wird.
Deshalb lehnen wir diese sogenannten Ziele und Leitlinien ab und ebenso diese Entschließung. – Danke.
(Beifall bei Abgeordneten der Fraktion der NPD – Dr. Armin Jäger, CDU: Das bestärkt uns alle. – Dr. Wolfgang Methling, DIE LINKE: Er möchte wohl die Grenzen von 1937 wiederhaben. Hat er das gesagt? – Gabriele Měšťan, DIE LINKE: Das hat er so nicht gesagt, aber gemeint.)
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich will es eingangs nicht verpassen, meinen Kollegen Wolf-Dieter Ringguth auf das Herzlichste zu entschuldigen. Er muss leider das Krankenbett hüten und hat mich gebeten, für ihn diese Rede heute hier vorzutragen.
Ich kann mir Ihre Begeisterung vorstellen, Sie hätten natürlich viel lieber Wolf-Dieter Ringguth gesehen,