Ähnliche oder vergleichbare Äußerungen gab und gibt es von Bundesverkehrsminister Ramsauer und den Länderkollegen von Herrn Schlotmann. Auch alle Oppositionsparteien im Bundestag stoßen ins gleiche Horn, denn ehrlich, meine Damen und Herren, was wir in diesem Winter in Bezug auf die Deutsche Bahn bisher erleben mussten, ist kaum noch zu überbieten und gleichzeitig der vorläufige Höhepunkt einer Entwicklung, die mit der Bahnreform im Jahr 1993/1994 begann.
An dieser Stelle würde ich gern einmal daran erinnern, warum und wie es zu dieser Entwicklung kommen konnte. Anfang der 90er-Jahre waren die Bestrebungen von allen Seiten groß, aus den chronisch defizitären Staatsbetrieben Deutsche Bahn, die damals schon einen riesigen Schuldenberg angehäuft hatte, und der Reichsbahn der DDR mit ihrer zugegeben teils maroden Infrastruktur ein privatrechtlich organisiertes Unternehmen zu machen. Ein Unternehmen, das betriebswirtschaftlich gut geführt den Versorgungsauftrag erfüllen und dem Staat gleichzeitig eine Menge Geld sparen sollte, sollte es werden.
Die Interessen der Bahnkunden und der Beschäftigten spielten allerdings von Anfang an keine sehr große Rolle in diesem Spiel. Der damals vorherrschende Zeitgeist forderte Privatisierung aller Staatsunternehmen, angeblich weil private Unternehmen alles besser und billiger können. „Der Markt wirds schon richten“, war die gängige Losung.
1994 trat dann das von allen Bundestagsparteien beschlossene Eisenbahnneuordnungsgesetz in Kraft. Nur die PDS im Bundestag stand mit ihrer Ablehnung damals ziemlich allein da. Dieses Gesetz regelte die Entschuldung der Bahn und vielleicht erinnern Sie sich noch, damals zahlten wir sieben Pfennige mehr Mineralölsteuererhöhung für diesen Zweck. Die Regionalisierung des SPNV wurde mit diesem Gesetz geregelt und dieses Gesetz war auch Grundlage für die Bildung der Deutschen Bahn AG mit ihren, aus den ehemaligen Unternehmensbereichen gegründeten Firmentöchtern.
Gleichzeitig wurden mit der Bahnreform die Weichen in Richtung Verkauf des Staatsvermögens gestellt. Die DB AG sollte dann mit der zweiten Stufe der Bahnreform ab 1999 die Möglichkeit der Marktkapitalisierung – sprich Privatisierung – erhalten. Wohin das führt, wurde in den letzten zehn Jahren für jedermann sichtbar. Auf dem Weg zum börsennotierten Logistikkonzern sparte die DB AG unter Hartmut Mehdorn vor allem an Personal, rollendem Material und dessen kostenintensiver Wartung.
Die Schieneninfrastruktur wurde sträflich vernachlässigt, die Preise für Bahnkunden stiegen an, obwohl der Service immer schlechter wurde. Die Bahn zog sich aus der Fläche zurück, dünnte die Verbindungen aus und alles wurde nur unter Kostenaspekten betrachtet. Die ausschließliche Ausrichtung auf die billigstmögliche Absicherung des Betriebs der Bahn führte zu den seit Jahren bekannten Problemen, falls mal eine Schnee
Der Staatskonzern wurde in den vergangenen Jahren planmäßig auf Verschleiß gefahren, denn das Betriebsergebnis musste unbedingt stimmen. Auf der anderen Seite investierte die Deutsche Bahn in internationale Fluglinien, beteiligte sich an ausländischen Bahnen oder kaufte den britischen Transportkonzern Arriva. Sie legte sich einen Kai in Shanghai zu, betrieb SPNV in Schweden und gründete ein eigenes Logistikunternehmen auf der Straße und konkurrierte so mit sich selbst um die bestmögliche Güterbeförderung in Deutschland.
Mittlerweile ist die Deutsche Bahn in mindestens 136 Ländern aktiv. Das Kerngeschäft der Deutschen Bahn AG, nämlich die Grundversorgung der Bevölkerung mit Mobilitätsleistungen, galt lange Zeit nichts mehr. Im Gegenteil, der Versorgungsauftrag wurde 1993 aus dem Grundgesetz gestrichen. Die Herren im Bahnvorstand träumten von einem Global Player, die Bundesregierung von fetten Veräußerungsgewinnen. Wer sprach da über die paar Probleme auf dem Heimatmarkt der Deutschen Bahn? Wen störten die unzufriedenen Kunden? Welches Interesse hatten alle Bundesregierungen seit 1990 daran, die Mobilität der Bevölkerung als Teil der Daseinsvorsorge mit einem preiswerten und qualitativ hochwertigen Angebot zu gewährleisten? Alles, die ganze Bahnpolitik wurde dem Ziel Börsengang untergeordnet.
Nach mehrjährigen Diskussionen, meine Damen und Herren, über die Art und Weise des Verkaufs des Staatsvermögens, einigte sich die Koalition aus CDU/CSU und SPD im Jahr 2008 auf einen als Holdingmodell bezeichneten Privatisierungsentwurf, der die Ausgliederung der Personen- und Güterverkehrssparte der DB AG in eine Holding vorsah. Diese sollte zu Teilen an private Investoren veräußert werden.
Der bereits vorbereitete Börsengang wurde dann kurzfristig im Oktober 2008 gestoppt, da die mittlerweile eingetretene Finanzmarktkrise keine großen Erlöse erwarten ließ. Im Gegenteil, es war zu befürchten, dass die Bahn regelrecht verschleudert werden würde. Bahnchef Grube hat das Scheitern des Börsengangs im Jahr 2008 inzwischen als Glück bezeichnet. Wie wahr, wie wahr! Zwar will die SPD von ihrer Rolle bei der Bahnreform nichts mehr wissen und rückt derzeit von vielen ihrer Beschlüsse ab, wie beispielsweise auf dem Bundesparteitag, als die Delegierten mehrheitlich der Führung die Zustimmung verweigerten und die Privatisierung verweigerten.
Dennoch, vor allem sozialdemokratische Verkehrsminister trieben den geplanten Börsengang der DB AG voran. Die CDU war sich da immer mit der SPD, mit CDU/CSU und der FDP einig. Und die Grünen haben auch mitgespielt, solange sie an der Bundesregierung beteiligt waren.
Auch die derzeitige Koalition aus CDU/CSU und FDP hält am Börsengang weiterhin fest. Sie hat sich aber bisher weder auf einen Termin noch auf Form und Umfang der Privatisierung festgelegt, denn wer würde eine Pleitenund-Pannen-Bahn schon mit viel Geld bezahlen?
Aber, meine Damen und Herren, auch wenn es scheint, als ob in der derzeitigen Situation an eine Privatisie
rung nicht zu denken ist, fordere ich noch einmal für die LINKE: Das Staatsunternehmen Deutsche Bahn darf nicht veräußert werden.
Nun, nachdem alle Welt mitbekommen hat, dass der Kaiser nackt ist und die Bahn am Ende ist, suchen die Herren Grube und Ramsauer fieberhaft nach Ursachen, versprechen vollmundig Besserung und unterschlagen dabei, dass dieses ein Prozess über viele Jahre sein wird. Und das, meine Damen und Herren, liegt nicht nur an langen Bestell- und Lieferfristen, an defekter Infrastruktur, mangelnden Reparaturkapazitäten und zu wenig Personal.
Verschärft wird die entstandene Situation noch durch die Einbindung der Bahn in das Sparpaket der Bundesregierung. In diesem wurde beschlossen, zur Sanierung des Bundeshaushaltes jährlich 500 Millionen Euro als sogenannte Dividende aus der Unternehmensholding DB AG zu ziehen, aus unserer Sicht ein völlig falscher Beschluss. Bahnchef Grube selbst beziffert das jährliche Investitionsdefizit für sein Unternehmen mit mindestens 600 Millionen Euro. EVG-Chef Kirchner sprach von 1,5 Milliarden Euro jährlich.
Dass in einer solchen Situation Bundesverkehrsminister Ramsauer und die Kanzlerin selbst auf einer Entnahme von noch mal 500 Millionen Euro jährlich bestehen, ist für uns LINKE absolut unverantwortlich. Uns reicht es aber nicht, wenn Herr Schlotmann per Presseerklärung den Bund auffordert, auf die Ausschüttung der Bahndividende zu verzichten. Das ist uns eindeutig zu wenig. Wir fordern, dass der Bund mindestens so lange auf die Entnahme der 500 Millionen Euro verzichtet, bis der Investitionsstau der DB AG abgebaut ist. Das wäre ein eindeutiges Bekenntnis der Landesregierung, Mobilität als Daseinsvorsorge hier in Mecklenburg-Vorpommern in guter Qualität und bezahlbar sicherzustellen.
Und ich füge an dieser Stelle hinzu, das wäre auch ein Anfang, um solche Projekte wie die Karniner Brücke und den Ausbau der Bahnstrecke Lübeck–Schwerin–Magdeburg, wie sie heute die Koalitionsfraktionen auf die Tagesordnung gebracht haben, zukünftig zu finanzieren. Deshalb bitte ich Sie an dieser Stelle um Zustimmung zu unserem Antrag.
Meine Damen und Herren, im Ältestenrat wurde eine Aussprache mit einer Dauer von 60 Minuten vereinbart. Ich sehe und höre keinen Widerspruch, dann ist es so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache.
Um das Wort hat zunächst gebeten der Minister für Verkehr, Bau und Landesentwicklung, Herr Schlotmann. Herr Schlotmann, Sie haben das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auf Ihre Aussagen, Kollegin Schwebs, gehe ich gleich noch mal ein.
Viele erinnern sich: „Alle reden vom Wetter, wir nicht.“ Das war mal eine Werbekampagne der Deutschen Bahn
in den 60er- und 70er-Jahren, teilweise bis in die 80erJahre. Zumindest diese Zeiten sind leider vorbei, weil davon kann man nicht mehr reden, denn jetzt reden alle von der Deutschen Bahn, und zwar über die Themen
Verspätung, Zugausfälle und vieles andere und leider bei jedem Wetter. Das ist für uns auch unerträglich.
Ich könnte mich jetzt bei Frau Schwebs bedanken, dass sie so umfassend meine Pressemitteilung hier zitiert hat.
(Birgit Schwebs, DIE LINKE: Das hab ich in diesem Falle gern gemacht. – Zurufe von Egbert Liskow, CDU, und Michael Roolf, FDP)
Darüber müssen wir mal reden. Wenn Sie so als Multiplikator für meine Pressemitteilungen auftreten, das ist erst einmal nichts Negatives.
Meine Damen und Herren, was sind denn die Konsequenzen? Ich kann ja nun jetzt in der ganzen Breite die technischen Fragen im Hintergrund hier beleuchten. Das will ich aber in Anbetracht der Tatsache, dass wir noch einiges an Programm heute vor uns haben, nicht tun. Ich will auf den Kern der Sache kommen: Die Unzuverlässigkeit der Bahn muss Konsequenzen haben. Wenn wir dann hören, und diese Auffassung vertrete ich genauso, dass die Bahn ihre Infrastrukturen und ihre Fahrzeuge offensichtlich auf Verschleiß gefahren hat und dieses auch im Moment noch tut, dann muss man sich wirklich angucken, was die Ursache ist, und da will ich mich hier auch klar und deutlich politisch positionieren. Das sind die Folgen einer verfehlten Privatisierungspolitik. Das sage ich hier klipp und klar.
Meine Damen und Herren, ich sage auch klipp und klar, dass ich einen Börsengang der Deutschen Bahn ablehne, denn die Bahn ist nicht da, um Gewinn einzufahren, sondern um Fahrgäste zu befördern, trotz der Grundgesetzänderung.
Meine Damen und Herren, man kann sich trefflich streiten – aber man hat zwei Alternativen, entweder privatisiere ich …
Man hat die Bahn nicht wirklich privatisiert, sie ist aber jetzt in einer Art Zwitterform, das heißt, sie agiert am freien Markt mit Instrumenten eines Staatskonzerns.