Protocol of the Session on November 18, 2010

Ein weiterer Aspekt der heutigen Diskussion bezieht sich auf die Anschuldigungen und Angriffe im Zusammenhang mit großen Tierhaltungsanlagen. Diese Art von Protesten einzuordnen, fällt immer noch schwer. Einerseits wollen viele Verbraucherinnen und Verbraucher regelmäßig Fleisch essen und dafür auch möglichst wenig Geld bezahlen, andererseits sollen die Tiere, die dafür genutzt werden, glücklich und zufrieden aufwachsen wie zu Urgroßmutters Zeiten. Dafür habe ich großes Verständnis, aber die Wirklichkeit ist heute leider eine andere.

(Udo Pastörs, NPD: Da müssen die Tiere drunter leiden.)

Das klingt so nach dem Motto: Trabant bezahlen und Mercedes fahren. Den Mittelweg zu finden, das heißt nämlich, dass landwirtschaftliche Produkte für alle bezahlbar sind, dass es den Tieren und auch den Tierhaltern während des Lebensumfanges gut geht, nämlich dem Landwirt ein vernünftiges Einkommen zu sichern, das ist das Kunststück, meine Damen und Herren, das

wir hier in Deutschland und in Europa versuchen umzusetzen. Der Verbraucher, die Verbraucherin muss die Herkunft der Lebensmittel, die er täglich verzehrt, kennen und schätzen. Es muss aus meiner Sicht bewusst eine gesellschaftliche Diskussion geführt werden, dass Milch eben nicht aus der Tüte kommt oder die Wurst mit dem Gesicht auf der Wurstscheibe eben von lebenden Tieren stammt. Auch daran müssen wir weiter gemeinsam arbeiten.

Mit Freude sehe ich im Übrigen das große Interesse der Verbraucherinnen und Verbraucher, die sich durchaus sachbezogen informieren, nicht nur zu Investitionsvorhaben oder zur Errichtung von Stallanlagen, sondern, wenn ich mir die überwältigende Resonanz des „Tages des offenen Hofes“, der MeLa oder verschiedene andere Veranstaltungen ansehe, die wir hier organisieren, die zeigen glücklicherweise, dass es eine Vielzahl interessierter Menschen gibt, die wirklich wissen wollen, wie Tiere tierschutzgerecht in Mecklenburg-Vorpommern gehalten werden. Und wenn Sie sich die letzten 21 Jahre und davor anschauen und auch noch ein bisschen Erinnerungsvermögen haben, wie in der Vergangenheit Tiere gehalten worden sind und wie sie heute gehalten werden, dann kann ich nur sagen, es hat sich ganz, ganz viel im Sinne des Tierschutzes von der ehemaligen DDR bis heute entwickelt. Darüber bin ich sehr froh und dafür danke ich den Landwirten in diesem Lande. Unsere Fachbehörden, meine Damen und Herren, stehen Ihnen allen gerne als Ansprechpartner zur Verfügung, um über Tierhaltungen zu informieren, wo immer es möglich ist.

Am Ende meiner Ausführungen möchte ich den Antrag gedanklich um eine Bitte an die Menschen in unserem Lande erweitern, und zwar in ihrem eigenen Wirkungsbereich dafür zu sorgen, dass mehr Aufmerksamkeit im Umgang mit Tieren und den von ihnen stammenden Produkten gepflegt wird. Das wäre ein realistischer Beitrag. Jeder Einzelne muss sich dafür entscheiden, ob seine eigene Lebens- oder auch Essgewohnheit dem hohen Anspruch gerecht werden kann. Denn wenn er feststellt, dass Tierhalter oder Landwirte oder verarbeitendes Gewerbe eine Zukunft haben sollen, dann muss man sich wirklich intensiver mit der Produktion und den Produktionsabläufen beschäftigen und nicht mit Polemik darauf antworten. – Herzlichen Dank.

(Beifall bei Abgeordneten der Fraktion der SPD)

Danke schön, Herr Minister.

Es hat jetzt das Wort für die Fraktion DIE LINKE der Abgeordnete Herr Ritter. Bitte, Herr Abgeordneter.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Für die Fraktion DIE LINKE ist Gewalt, in welcher Form und von wem auch immer angewandt, kein Mittel der politischen oder der fachlichen Auseinandersetzung. Deshalb stimmt meine Fraktion dem vierten Punkt des vorliegenden Antrages, der die Anschläge auf die Gebäude des Bürgermeisters der Gemeinde Alt Tellin verurteilt, inhaltlich voll zu.

(Helmut Holter, DIE LINKE: Richtig.)

Für die Fraktion DIE LINKE ist die Beteiligung von Naturschutz- oder Tierschutzverbänden, von Bürgerinitiativen oder einzelnen interessierten Bürgerinnen und Bürgern bei der Entwicklung und Umsetzung von Vorhaben, die ihre Interessen berühren, ihre Lebensumwelt beeinflussen, die Gestaltung ihrer Lebensbedingungen nach

haltig gestalten, ein wichtiges Element in der Ausgestaltung der Möglichkeiten zur demokratischen Teilhabe an Entscheidungsprozessen. Für die Fraktion DIE LINKE ist es daher nicht hinnehmbar, dass unter dem Deckmantel eines Antrages dieses berechtigte Interesse von Bürgerinnen und Bürgern als unzulässig und unsachlich dargestellt wird.

(Zurufe von Ute Schildt, SPD, und Egbert Liskow, CDU)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, in der Begründung des Antrages werden Aktivitäten der Tierschutzorganisation PETA zum Anlass genommen, …

(Egbert Liskow, CDU: Als Beispiel.)

Das kann man nun bewerten, wie man will.

… das Engagement von allen anderen Naturschutzverbänden und Bürgerinitiativen gegen überdimensionierte Tierhaltungsanlagen in unserem Land in Misskredit zu bringen. Mit Sachlichkeit, sehr geehrter Herr Minister, hat das nichts zu tun.

(Beifall bei Abgeordneten der Fraktion DIE LINKE)

Das Argument des Deckmantels und die Aktivitäten von PETA werden bemüht, um dem Engagement von Naturschutzverbänden und Bürgerinitiativen etwas Verbotenes, Unsachliches und Gewalttätiges zu unterstellen. Dies aber geht an den Realitäten vorbei.

Doch nicht nur der vorliegende Antrag gibt aus unserer Sicht eine falsche Widerspiegelung. In einer Zeitung, in der über die öffentliche Anhörung zum Bauvorhaben in Alt Tellin berichtet wurde, war zu lesen, ich zitiere: „Beim öffentlichen Erörterungstermin des Bauvorhabens im April 2009 brauchte der Sicherheitsdienst nicht einzugreifen. Trotz der 800 Einwendungen blieb alles friedlich.“ Zitatende.

Ja, liebe Kolleginnen und Kollegen, was hat man denn dort erwartet? Etwa, dass unter dem Deckmantel des Tierschutzes gewaltsame Übergriffe auf die Vertreter der Investoren verübt werden?

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wäre es nicht viel sinnvoller, sich die Frage zu stellen, warum es bei einem Vorhaben wie der Schweinezuchtanlage in Alt Tellin zu über 800 Einwendungen kommt? Wer wie ich zeitweise an der öffentlichen Erörterung teilgenommen hat, wird zwei Dinge festgestellt haben:

1. dass die Naturschutzverbände und Bürgerinitiativen mit hohem Engagement und Sachverstand für ihre Interessen sachlich gestritten haben,

2. dass es dennoch ein ungleicher Kampf ist, denn die rechtsstaatlichen Genehmigungsverfahren mit all den gesetzlichen Regelungen sind für Laien ein fast undurchschaubarer Dschungel.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, für die Fraktion DIE LINKE hat mein geschätzter Kollege Professor Dr. Tack hier bereits mehrfach darauf hingewiesen, dass auch wir eine Ausweitung der Tierhaltung im Land wollen, so Professor Dr. Tack auf der 101. Sitzung des Landtages am 9. Juli dieses Jahres. Ich zitiere: „Die Landwirtschaft wird in unserem Lande auch in Zukunft eine Schlüsselrolle einnehmen … die Viehwirtschaft gehört zur Landwirtschaft, die Landwirtschaft gehört zum Dorf.“ Zitatende. Der Investor in Alt Tellin aber ist kein Bauer, sondern ein Agrarindustrieller. Und ob seine Art und

Weise, Viehwirtschaft zu betreiben, zur Landwirtschaft und zum Dorf gehört, das darf doch bezweifelt werden.

(Udo Pastörs, NPD: Absolut.)

Mit einem Deckmantel „Tierschutz“ hat dieses kritische Hinterfragen jedoch nichts zu tun.

(Helmut Holter, DIE LINKE: So ist es.)

Deshalb hat Professor Dr. Tack im Juli zu Recht darauf verwiesen, dass es angesichts der ständig wachsenden Allianz gegen jegliche Tierproduktionsinvestitionen unsere Aufgabe als Abgeordnete ist, ich zitiere: „Nutzungskonflikte zu vermeiden, Nutzungskonsens in den ländlichen Räumen zu erreichen“, Zitatende. Der vorliegende Antrag ist aber aus unserer Sicht kein Beitrag zum Herstellen des Nutzungskonsenses im ländlichen Raum.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, in der Ausgabe Nummer 11 der „Verbandsnachrichten“ des Bauernverbandes Mecklenburg-Vorpommern schreibt der Bauernpräsident des Landes, ich zitiere: „Gesetze sind für alle bindend. Wenn ein Gesetzesinhalt nicht mehr zeitgemäß ist, muss man das Gesetz ändern.“ Zitatende. Diese Feststellung findet unsere volle Unterstützung. Herr Tietböhl fügt jedoch an, das will ich nicht verschweigen, dass er nichts davon hält, dass über die Raumplanung ein Ersatzgesetz geschaffen wird, um eigene Vorstellungen zur Verhinderung moderner Tierhaltung durchsetzen zu können.

Hier haben wir einen Dissens, denn erstens – Sie werden sich erinnern – wollten wir mit unserem Antrag zum Raumordnungsverfahren für überdimensionierte Tierzuchtanlagen keine Verhinderung moderner Tierhaltung, und zweitens wollten wir berechtigte Forderungen, zum Beispiel an Raumentwicklung oder Klimaschutz, beachtet wissen. Darüber sind wir auch mit den Interessenvertreter/-innen der Bäuerinnen und Bauern im Gespräch. Diese Offenheit, diese Dialogbereitschaft wünschte ich mir auch von den Koalitionsfraktionen gegenüber Naturschutzverbänden und Bürgerinitiativen, die nichts weiter tun, als sich um eine nachhaltige Entwicklung ihrer Lebensumwelt Gedanken und Sorgen zu machen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie unterstellen, wie im Antrag geschrieben – ich zitiere –, „dass Investoren, Bürgermeister und Genehmigungsbehörden zunehmend bedroht bzw. angegriffen werden“, Zitatende. Das hat nichts – ich wiederhole, nichts! – mit der Realität im Land zu tun.

(Egbert Liskow, CDU: Das stimmt ja überhaupt nicht.)

Das verhindert Dialog. Sie tun gerade so, als würde jeden Tag in irgendeinem Dorf ein Bürgermeister überfallen.

(Egbert Liskow, CDU: Aber zunehmend, trotzdem zunehmend.)

Das ist doch nun völliger Unsinn, Herr Kollege. Das trägt nicht zur Konsensfindung und nicht zum Dialog bei.

(Beate Schlupp, CDU: Das steht so nicht drin.)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, zusammengefasst:

Erstens. Die Fraktion DIE LINKE verurteilt die Anschläge auf die Gebäude des Bürgermeisters in Alt Tellin.

Zweitens. Die Fraktion DIE LINKE wendet sich gegen pauschale Verunglimpfungen von Berufsständen, aber auch gegen die pauschale Verunglimpfung von Bürgerinitiativen.

(Zuruf von Egbert Liskow, CDU)

Drittens. Die Fraktion DIE LINKE verurteilt alle Vorhaben, in denen gegen Tierschutzvorgaben verstoßen wird.

Viertens. Die Fraktion DIE LINKE setzt sich für artgerechte Tierhaltung und landwirtschaftliche Nutztierhaltung ein,

(Stefan Köster, NPD: Seit wann denn das?)

die die nachhaltige Entwicklung unserer landwirtschaftlich geprägten Region befördern.

(Beifall bei Abgeordneten der Fraktion DIE LINKE – Udo Pastörs, NPD: Die setzen sich jetzt auch für das Grundgesetz ein.)

Diese unsere Herangehensweise unterscheidet sich aber deutlich von der eigentlichen Zielsetzung des Antrages, deshalb können wir dem Antrag in der vorliegenden Form nicht zustimmen. – Danke schön.

(Beifall bei Abgeordneten der Fraktion DIE LINKE)