Protocol of the Session on November 17, 2010

Als nächsten Schritt der Optimierung haben wir zum 1. April 2010 das gemeinsam mit dem Innenministerium des Landes erarbeitete Konzept FoKuS eingeführt. FoKuS stellt eine notwendige Ergänzung zu InStar dar. Im Interesse der Sicherheit der Allgemeinheit wird in FoKuS neben der Betreuung der Haftentlassenen vor allem die Kontrolle in den Vordergrund gerückt. Deshalb steht „FoKuS“ für „Für optimierte Kontrolle und Sicherheit“.

(Udo Pastörs, NPD: Guck an!)

Mit diesem Kontrollsystem wird ein noch stärkeres Augenmerk auf besonders rückfallgefährdete Sexual- und Gewaltstraftäter gerichtet, die unter Führungsaufsicht stehen. Eine 24-Stunden-Überwachung, wie sie derzeit in manchen Ländern für aus der Sicherungsverwahrung Entlassene erfolgt, ist damit aber nicht gemeint. Mithilfe von FoKuS soll vielmehr die Überwachung und Kontrolle von Weisungen und Auflagen verbessert werden, die im Rahmen der Führungsaufsicht vonseiten des Gerichts erteilt wurden.

Mit der Haftentlassung werden die örtlichen Polizeidienststellen unverzüglich bereits aus dem Strafvollzug heraus informiert. Polizei und zuständige Bewährungshelfer arbeiten eng zusammen. FoKuS soll das Risiko reduzieren, dass potenziell gefährliche Menschen nach ihrer Haftentlassung in die Anonymität abtauchen und neue Straftaten begehen. Gerade das Zusammenwirken von Bewährungshilfe, Führungsaufsichtsstelle und Polizei am Wohnort des Haftentlassenen erhöht die Kontrolldichte und ist deshalb geeignet, positiven Druck aufzubauen.

An dieser Stelle ist es mir wichtig, meine Damen und Herren, Ihnen auch einmal die Größenordnungen zu benennen, über die wir in unserem Land im vorliegenden Zusammenhang reden.

Derzeit stehen in Mecklenburg-Vorpommern fast 5.000 Personen unter Bewährung. Dank zusätzlicher Personalstellen in der Bewährungshilfe stehen für diese Arbeit 80 Bewährungshelferstellen zur Verfügung. 80 Mitarbeiter für circa 5.000 Probanden – es liegt auf der Hand, dass diese Vollbelastung ein effizientes Handeln und eine eng verzahnte und klar gegliederte Organisationsstruktur mit kurzen Dienstwegen erfordert. Dazu gehört, dass wir im Land nicht einfach Fälle pro Bewährungshelfer errechnen, sondern die Fälle differenziert betrachten, behandeln und zählen. Je nach Schwere der verurteilten Straftat haben wir die Kontrollintensität Haftentlassener in „intensiv zu begleiten“, mindestens alle 14 Tage, in „eng zu begleiten“, alle vier bis sechs Wochen, und „weniger eng zu begleiten“, alle acht bis zwölf Wochen, kategorisiert.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, jetzt steht der nächste Schritt an, um die ambulante Arbeit mit Straftätern weiter zu verbessern: die Errichtung des Landesamtes für ambulante Straffälligenarbeit – „ambulant“, weil die Behörde ihre Zuständigkeit für all die verurteilten Menschen im Land haben wird, die nicht oder nicht mehr inhaftiert sind, das heißt, unter Bewährung oder Führungsaufsicht stehen.

Der vorliegende Gesetzentwurf sieht vor, die drei Säulen der ambulanten Straffälligenarbeit, die Führungsaufsichtsstellen, die Bewährungshilfe und die forensischen Ambulanzen, unter dem Dach einer Behörde zu vereinen.

Lassen Sie mich zum besseren Verständnis noch einmal kurz die Aufgabe der Führungsaufsichtsstelle erläutern: Bisher sind die Führungsaufsichtsstellen noch den vier Landgerichten angegliedert. Die Leitung der jeweiligen Führungsaufsichtsstelle obliegt zurzeit jeweils einem Richter. Die Führungsaufsichtsstelle hat Straftäter, die unter Führungsaufsicht stehen, mit Blick auf die ihnen erteilten gerichtlichen Weisungen zu überwachen. Im unmittelbaren Kontakt mit den Haftentlassenen erfolgt dies durch die mit der Führungsaufsicht betrauten Bewährungshelfer. Bei Weisungsverstößen, die der Bewährungshelfer der Führungsaufsichtsstelle meldet, entscheidet der Richter über das weitere Vorgehen. Er beantragt entweder, auf die Weisungsverstöße mit einem neuen Strafverfahren zu reagieren, oder er stimmt mit dem Bewährungshelfer und der örtlichen Polizeibehörde andere Maßnahmen ab, um auf die Weisungsverstöße zu reagieren.

An dieser Stelle kann schnelles und intensiv abgestimmtes Handeln von entscheidender Bedeutung sein. Deshalb ist eine enge Verzahnung der Führungsaufsichtsstelle mit der Bewährungshilfe unverzichtbar.

Zu den im Rahmen der Führungsaufsicht erteilten Weisungen kann auch die Auflage gehören, eine Ambulanz aufzusuchen. Eine solche Therapieweisung ist insbesondere bei Gewalt- und Sexualstraftätern geeignet, um während der Inhaftierung begonnene Persönlichkeitsentwicklungen auch nach der Entlassung zu stabilisieren und weiter zu fördern.

Deshalb ist es auch wichtig, den dritten Bereich – die forensische Ambulanz – mit zu verzahnen. Gegenwärtig sind zwei Psychologen im gesamten Land mit der intensiven therapeutischen Arbeit mit diesen Tätern

betraut. Der Anteil an Zuweisungen durch die Gerichte steigt. Schon jetzt deutet sich an, dass der Bedarf Mitte nächsten Jahres durch nur zwei Psychologen nicht mehr gedeckt werden kann. Und hierbei spreche ich nur die Fälle der Führungsaufsicht an.

(Zuruf von Udo Pastörs, NPD)

Die problematischen Fälle der unter Bewährung Stehenden sind hier überhaupt noch nicht berücksichtigt.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, die Tätigkeit der Mitarbeiter in den drei genannten Säulen soll im Landesamt an der Spitze eng zusammengeführt und koordiniert werden. Es soll also zukünftig nur noch eine landesweit zuständige Führungsaufsichtsstelle geben. Diese wiederum soll mit der Bewährungshilfe und der forensischen Ambulanz zu einer schlagkräftigen Organisationseinheit zusammengeführt werden. Dabei orientieren wir uns an den Vorgaben des Landesorganisationsgesetzes.

Nach dem Landesorganisationsgesetz sollen die von den Landesbehörden wahrzunehmenden Verwaltungsaufgaben gebündelt wahrgenommen werden, sofern dies zweckmäßig ist oder es die Effektivität und Effizienz der Aufgabenerfüllung fördert. Das zu schaffende Landesamt entspricht diesen gesetzlichen Vorgaben in besonderem Maße. Hierarchieebenen werden abgebaut, die Aufgaben werden konzentriert und die Aufgabenerfüllung erfolgt aus einer Hand.

Mir selbst war es sehr wichtig, bereits im Vorfeld dieses Vorhabens die Einschätzung von Sachverständigen aus anderen Bundesländern zu hören und in die Überlegungen mit einzubeziehen. Deshalb habe ich Ende März dieses Jahres ausgewiesene Experten zu einer Anhörung eingeladen. Im Rahmen dieser Anhörung haben sich der Direktor der Kriminologischen Zentralstelle in Wiesbaden, Professor Dr. Egg, der Hochschullehrer Professor Dr. Cornel von der Alice Salomon Hochschule in Berlin, der Generalstaatsanwalt des Landes Brandenburg, Dr. Rautenberg, sowie der Innenstaatssekretär des Landes Thüringen, Herr Geibert, zu unserem Vorhaben geäußert. Auch Abgeordnete und Mitarbeiter dieses Hohen Hauses nahmen an dieser Anhörung teil.

Einhellig haben sich die Experten dahin gehend geäußert, dass sie die Errichtung des Landesamtes für ambulante Straffälligenarbeit aus fachlicher Sicht für uneingeschränkt förderungswürdig und in der Sache zukunftsweisend halten. Zudem hat die Expertenanhörung in Detailfragen wichtige und hilfreiche Anregungen ergeben, die in den Gesetzentwurf eingeflossen sind.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, lassen Sie mich an dieser Stelle die tragenden Argumente nochmals zusammenfassen, die für die Errichtung des Landesamtes für ambulante Straffälligenarbeit als optimale Organisationsform sprechen:

Die Konzentration der gesamten ambulanten staatlichen Straffälligenarbeit in einer Behörde fördert die Erfüllung der gesetzlich zugewiesenen Aufgaben durch die enge Verzahnung.

Die Zusammenfassung in einem Landesamt verhindert Informationsverluste an den Schnittstellen zwischen den drei Säulen der ambulanten Straffälligenarbeit und garantiert die Bearbeitung der vielfältigen und zum Teil problematischen Fälle nach landeseinheitlichen Standards.

Mit dem Landesamt steht für alle in der Strafrechtspflege tätigen Institutionen ein entscheidungskompetenter und leistungsstarker Ansprechpartner zur Verfügung, der zeitnahes und effizientes Handeln sichert.

Der letztgenannte Aspekt erlangt besondere Bedeutung im Hinblick auf das seit Anfang April 2010 umgesetzte Überwachungskonzept FoKuS.

Im Sinne einer bürgerfreundlichen Verwaltung ist das Landesamt für ambulante Straffälligenarbeit für jeden – einschließlich der interessierten Öffentlichkeit – als die für diesen Bereich verantwortliche Behörde eindeutig erkennbar.

Gerade durch die Errichtung einer landesweit zuständigen neuen Behörde wird auch in der Außendarstellung gegenüber den Bürgern und den Medien die Bedeutung herausgestellt, die die Landesregierung der Aufgabe der Straffälligenarbeit beimisst.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich sage es hier in aller Klarheit: Mecklenburg-Vorpommern baut mit diesem weiteren Schritt seine Spitzenstellung in der kriminalpolitischen Reformdebatte weiter aus.

(Udo Pastörs, NPD: Dank der Ministerin.)

Bereits aufgrund der genannten Expertenanhörung und entsprechender Veröffentlichungen in Fachzeitschriften haben Justizverwaltungen anderer Bundesländer ihr Interesse am weiteren Gang unseres Vorhabens bekundet. Wir stehen also unter Beobachtung.

(Udo Pastörs, NPD: Im Fokus sozusagen. – Zuruf von Barbara Borchardt, DIE LINKE)

Die Zentrale des Landesamtes soll ihren Sitz in Rostock haben. Das heißt aber nicht, dass die Bewährungshelfer zukünftig alle von Rostock aus agieren. Vielmehr bleiben die bisherigen Geschäftsbereiche der sozialen Dienste in Rostock, Schwerin, Neubrandenburg und Stralsund mit ihren Außenstellen sowie die flächendeckend eingerichteten Außensprechstellen uneingeschränkt erhalten. Die einzelnen Bewährungshelfer sind nach wie vor im ganzen Land mit ihren spezifischen regionalen Zuständigkeiten präsent.

(Udo Pastörs, NPD: Toll!)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, an dieser Stelle noch ein offenes Wort:

(Udo Pastörs, NPD: Endlich!)

Der Umgang mit straffällig gewordenen Mitmenschen stellt ein besonders herausforderndes und sensibles Feld staatlichen Handelns dar. Zunehmend sehen sich die für die Arbeit mit Straffälligen zuständigen Institutionen und politisch Verantwortlichen verstärkten Forderungen nach höherer Sicherheit für die Bevölkerung gegenüber. Anlass für derartige Forderungen sind in der Regel durch die Medien aufgegriffene und öffentlichkeitswirksam aufbereitete Einzelfälle. Diese werden nicht selten in einer Weise dargestellt, die geeignet ist, in Teilen der Bevölkerung, aber auch im politischen Raum den Eindruck zu erwecken, das Gesamtsystem der Kriminalitätsbekämpfung und -verhinderung sei nicht im erforderlichen Maße in der Lage, die Täter zur Rechenschaft zu ziehen und die Bürger wirksam und dauerhaft vor weiteren Straftaten zu schützen.

Eine derartige Diskussion hat nicht nur ihre Wirkung auf die öffentliche Meinung, sondern auch auf die Stimmung, das Selbstbewusstsein und das Gefühl gesell

schaftlicher Anerkennung bei all den Menschen, die sich Tag für Tag im Justizvollzug und außerhalb der Mauern mit hochproblematischen Verurteilten auseinandersetzen, um Rückfälle zu verhindern. Ich habe keinen Zweifel daran, dass diese Mitarbeiter zum Schutz der Gesellschaft ihr Bestes geben. Ich habe keine Zweifel, dass wir insgesamt hoch professionell organisiert sind und aus begrenzten Ressourcen das Optimum herausholen.

(Udo Pastörs, NPD: Plan übererfüllt.)

Es gibt leider aber auch Einzelfälle in der jüngsten Vergangenheit, die wieder schmerzlich gezeigt haben, dass insbesondere nach mehrjähriger Inhaftierung entlassene Straftäter in der ersten Phase nach der Entlassung intensiver unterstützt und betreut, aber auch engmaschig kontrolliert werden müssen, wenn das Risiko einer neuen Straffälligkeit so weit wie möglich reduziert werden soll.

Ich denke in diesem Zusammenhang nicht zuletzt an die seit geraumer Zeit entfachte Diskussion um den Umgang mit Personen, die aufgrund schwerer Straftaten und langjähriger Unterbringung im Strafvollzug mit anschließender Sicherungsverwahrung wieder in Freiheit entlassen und dann für mehrere Jahre unter Führungsaufsicht gestellt werden. In diesen Fällen gilt es, ein ausgewogenes Maß von Kontrolle und Betreuung zu finden, das einerseits dem berechtigten Anspruch der Bevölkerung auf effektiven Schutz vor weiteren Straftaten ausreichend Rechnung trägt, andererseits aber auch dem Entlassenen eine reale Chance auf Wiedereingliederung in die Gesellschaft bietet. Eine Rund-um-die-Uhr-Aufsicht der Bewährungshilfe kann und wird es nicht geben.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, alle unsere Schritte waren und sind an dem Ziel, die Sicherheit der Allgemeinheit zu steigern und die Bevölkerung vor Wiederholungstaten zu schützen, ausgerichtet. Die Organisation wurde verschlankt, die Abläufe wurden effizienter, die fachliche Arbeit verbessert. Alle diese Maßnahmen sind aber im Kern präventiv. Sie sollen weitere Straftaten verhindern beziehungsweise reduzieren. Ich habe immer wieder betont und betone es noch einmal: All dies wird und kann keine absolute Sicherheit vor Wiederholungstaten bieten. Rückfälle werden aber weniger wahrscheinlich.

Und, meine Damen und Herren, wie viele Straftaten durch die schon bestehenden Konzepte verhindert worden sind, kann keiner feststellen. Auch durch die Errichtung des Landesamtes für ambulante Straffälligenarbeit können künftig Rückfälle von Straftätern nicht ausgeschlossen werden. Die Rückfallgefahr wird jedoch, und davon bin ich überzeugt, mit der Arbeit des neuen Landesamtes weiter reduziert. Auch die Anordnung der Führungsaufsicht als einschneidende Maßnahme im Bereich der ambulanten Straffälligenarbeit kann insoweit keinen hundertprozentigen Schutz bieten, denn all diese Menschen befinden sich auf freiem Fuß, unter Kontrolle, aber in Freiheit.

(Udo Pastörs, NPD: Unter Aufsicht, nicht unter Kontrolle.)

Führungsaufsicht ist keine Sicherungsverwahrung und kann es auch nicht sein. Gleichwohl ist es Aufgabe der Justiz, im Rahmen der gesetzlichen Möglichkeiten den bestmöglichen Schutz für die Bevölkerung zu erreichen. In organisatorischer Hinsicht ist hierzu die Errichtung des geplanten Landesamtes für ambulante Straffälligenarbeit ein wesentlicher und richtiger Schritt. Ich bitte um Unterstützung für dieses Vorhaben. – Herzlichen Dank.

(Beifall bei Abgeordneten der Fraktionen der SPD und CDU)

Danke schön, Frau Ministerin.

Im Ältestenrat wurde eine Aussprache mit einer Dauer von bis zu 60 Minuten vereinbart. Ich sehe und höre keinen Widerspruch, dann ist es so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache.

Zuerst erhält das Wort für die Fraktion DIE LINKE die Abgeordnete Frau Borchardt. Bitte schön, Frau Abgeordnete.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Offensichtlich ist es Brauch und Sitte, dass das Justizministerium dem Landtag auf den letzten Drücker Entwürfe von Gesetzen vorlegt. Diese Arbeitsweise, das will ich in aller Deutlichkeit sagen, wird von meiner Fraktion nicht länger toleriert.

(Udo Pastörs, NPD: Oh!)