Die Chipkarte, wie vorgesehen, lehnen wir ab, aber Ihren Antrag, Frau Dr. Linke von der Fraktion DIE LINKE, auch. Ich finde es auch ein bisschen widersprüchlich, was in Ihrem Antragstext steht, Frau Dr. Linke, und das, was Sie gesagt haben.
Zunächst einmal sind die Vorgaben vom Bundesverfassungsgericht ja eindeutig. Die Teilhabe und die Sicherstellung der Teilhabechancen von Kindern, die Anspruch auf Regelleistungen haben, ist darin verankert. Das betrifft Bildung, das betrifft soziokulturelle Teilhabe, das wurde ja alles mehrfach ausgeführt. Es wird so sein, wie Herr Grabow es gesagt hat, diese Zeitschiene ist auch zu mir durchgesickert, dass nächste Woche wohl die Berechnungsgrundlagen offengelegt werden sollen und eine Woche später sollen die Regelsätze auf den Tisch kommen. Wenn ich allerdings höre, dass man verschiedene Modelle zurzeit rechnet, können sich einem die Nackenhaare ein bisschen sträuben. Das hört sich an oder man könnte es so auslegen, dass man guckt, nicht zu viel Geld hier ausgeben zu brauchen.
Aber egal, was dabei herauskommt, Frau Dr. Linke, Ihnen wird das nicht gefallen, mir wahrscheinlich auch nicht. Wenn Sie in Ihren Antrag noch mal in die vorletzte Zeile reingucken, da fokussieren Sie sogar auf reale Aufwendungen, nicht auf Mindestbedarfe, wie Sie das vorhin hier in der Begründung referiert haben, auf die das Urteil abzielt, also Mindestbedarfe an Bildung, an soziokultureller Teilhabe, die über einen Regelsatz gedeckt werden sollen, sondern hier stehen sogar die realen Aufwendungen dafür. Wir wissen doch alle, dass reale Aufwendungen, wofür auch immer, von Kind zu Kind, von Familie zu Familie vollkommen unterschiedlich sind. Also reale Aufwendungen abzudecken, das kann überhaupt gar kein Regelsatz leisten.
Aber was noch viel wichtiger ist für uns in MecklenburgVorpommern, ist einfach die Feststellung, dass wir hier in der Tat nur etwas über den Ausbau der Infrastruktur an dieser Stelle erreichen können, und am besten angebunden, um ein Mindestangebot für alle, und das betrifft überhaupt nicht nur diejenigen, die Sozialleistungen erhalten, das betrifft eigentlich alle Kinder. Wenn Sie sich unsere Siedlungsstruktur, unsere Einwohneranzahl in der Fläche angucken, trifft das auch nicht nur die Menschen, die ganz wenig Geld haben, das trifft auch durchaus Menschen mit normalem Einkommen, dass zwischen dem Wunsch, Angebote anzunehmen, und der Entfernung, um dahinzukommen, oft ein unüberwindbares Hindernis besteht, es sei denn, man kann seinen Kindern einen Chauffeur an die Seite stellen, der dann zu den Angeboten die Kinder hinfährt, dann kann man das natürlich gewährleisten. Aber das ist etwas, was man sich hier wohl kaum finanzieren können wird, weder die mittleren Einkommen, ganz zu schweigen von den unteren Einkommen.
Deswegen geht es darum, ein solides Angebot für alle erreichbar zu machen. Erreichbarkeit hat jedes Kind bei uns in Bezug auf seine Schule. An den Schulen und an den Kitas sind für alle Kinder die Angebote, die dort angesiedelt sind, kostenfrei. Die kann man zunächst einmal problemlos erreichen, das muss auch der Schülerverkehr abdecken. Teilweise ist da sicherlich etwas anders im Ganztagsschulangebot. Das betrifft ja oft ein Angebot, das weit über das normale vorgeschriebene Bildungsangebot hinausgeht. Was das angeht, haben wir beim ÖPNV teilweise oder beim Schülerverkehr teilweise die Situation, da muss man verbessern, dass Nachmittagsrouten nicht bedient werden, wenn es hier Angebote gibt, die außerhalb des normalen Schulbetriebs sind. Das muss man realistisch sehen. Hierzu können wir sicherlich selber noch etwas beitragen.
Ich denke, dass der Ansatz der Teilhabe eine Verpflichtung für den Bund ist, am Aufbau einer entsprechenden Infrastruktur bundesweit – übrigens, das betrifft ja nicht nur uns, sondern bundesweit – seinen Anteil zu leisten. Und in dieser Beziehung müssen wir ihn in die Pflicht nehmen. Das ist eine Feststellung des Bundesverfassungsgerichts, dass für einen Mindestanspruch, der die soziokulturelle und Bildungsteilhabe außerhalb des normalen staatlichen Angebots betrifft, die Verpflichtung für den Staat besteht, auch dazu beizutragen. Das heißt für mich nichts anderes, als dass die Ebene, die diese Leistungen bereitstellen muss, dafür auch Geld bekommt. Und wenn das dazu führen würde, dass der Bund den Kommunen, auf welchen Umwegen auch immer, dafür mehr Geld zur Verfügung stellt, dann hätten wir hier einen Schritt in die richtige Richtung gemacht und tatsächlich einen Gewinn für unsere Kinder, die das betrifft, erreichen können.
Noch einmal: Ihr Antrag, wie er hier vorliegt, bringt uns überhaupt nicht weiter. Er bringt uns überhaupt nicht weiter, denn er ist auch durch den Zeitablauf einfach schon überholt, was hier die transparente Berechnungsweise und die wörtliche Umsetzung angeht. Zu der Chipkarte haben Sie heute im Verlauf des Tages ja schon ausreichend diskutiert. Für meine Fraktion zählt die Infrastruktur an erster Stelle, um ein Angebot für alle auch gewährleisten zu können, und nicht in erster Linie Zusatzangebote, die doch sowieso nicht von allen wahrgenommen werden können. – Vielen Dank.
Die Sozialhilfe war viel realistischer als das Arbeitslosengeld II, weil damals anerkannt wurde, dass das Leben nicht abstrakten mathematischen Regelsatzmodellen folgt. Es konnte auch mal etwas kaputtgehen und dann existierte die Möglichkeit, eine Sonderleistung, etwa für die Anschaffung neuer Schuhe oder eines Bettes, zu beantragen. Im Regelsatz ist jeder denkbare Bedarf mit einem Anteil an der Leistung enthalten und alles kann immer rechtzeitig angespart werden, bevor es gebraucht wird. Das ist so festgelegt.
In der mathematisch abstrakten Regelsatzwelt vergisst ein Kind den Beutel mit den Sportsachen an der Bushaltestelle immer erst dann, wenn aus den entsprechenden Regelsatzanteilen das Geld für die Neuanschaffung angespart ist, niemals vorher. Das Kind kommt auch immer erst dann mit verschmutzten oder zerrissenen Sachen vom Spielen, macht sein Lineal immer nur dann kaputt und benötigt auch immer nur dann ein rezeptfreies selbst zu bezahlendes Medikament für Erkältungen, wenn aus dem Regelsatz die notwendigen Ersparnisse bereitstehen, auch niemals vorher. Das wurde in den Gremien einfach mal so festgelegt und das funktioniert auch wunderbar in der Theorie.
Die klarste und zugleich auch bescheuertste Darstellung dieser Theorie ist das berühmte Hartz-IV-Menü des Herrn Sarrazin, das er in seinem neuen Buch mal eben wieder aufgewärmt hat. Dafür ist er übrigens nicht aus der SPD geflogen, sondern dafür, dass er die Ausländerproblematik angesprochen hat. Bei optimalen Bedingungen, die es in der Lebenswirklichkeit niemals gibt, sondern nur im keimfreien Soziallabor irgendwelcher abgehobener Pseudointellektueller kann das funktionieren, das Regelsatzmodell und das Hartz-IV-Menü, wenn zu den von Sarrazin angegebenen Preisen immer alles genauso zu kaufen ist, von dem für die Ernährung vorgesehenen Geld nie etwas vorher für kaputte Schuhe ausgegeben werden muss und sich das Leben auch sonst schön brav an die Versuchsanordnung hält.
In der Wirtschaftswissenschaft ist man gerade dabei, den blinden Glauben an mathematische Modelle aufzugeben. Aus denen konnte man alles Mögliche herauslesen, nur nicht die Weltfinanzkrise, die all die Spitzenwissenschaftler, Fachpolitiker und Qualitätsjournalisten kalt erwischt hat. Dass die Regelsätze nicht alltagstauglich sind, darunter leiden allerdings nicht die Politiker und ihre wissenschaftlichen Helfer und auch nicht der Herr
Sarrazin mit seiner um 1.000 Euro aufgestockten Bundesbankpension, sondern allein die Langzeitarbeitslosen und ihre Familien, besonders die Kinder, und auch die Aufstocker, die Vollzeit arbeiten und trotzdem Hartz-IVEmpfänger sind.
Es genügt nicht, die Regelsätze zu erhöhen. Vielmehr muss die vor der Einführung von Hartz IV in der Sozialhilfe zulässige Praxis wieder eingeführt werden, dass die Wechselfälle des Lebens berücksichtigt werden und das Beantragen besonderer Leistungen bei nachgewiesenem Bedarf wieder eingeführt wird. Heute wird das entweder pauschal abgelehnt oder bestenfalls gnädig als Darlehen gewährt. Es muss aber wieder ein Anspruch werden. Gerade der Bedarf von Kindern ist, wie alle Eltern bestätigen können, oftmals unberechenbar. Die Hilfe darf daher nicht starren Regeln folgen. Sie muss flexibel sein, denn der Bedarf von Kindern ist auch flexibel.
Ja, Herr Grabow, ich finde es gut, wenn Sie hier feststellen, dass Sie bei manchen Anträgen von uns den Eindruck haben, den hätten Sie schon mal gehört. Das ist vollkommen richtig. Und es gibt Thematiken, da werden Sie von uns keine Anträge mehr bekommen, wenn das Problem gelöst ist. Gerade hier in dem Problemkreis „Regelsätze für Kinder“ ist das Problem eben noch nicht gelöst. In Anbetracht dessen, dass Frau Schwesig ja angemahnt hatte, in der richtigen Reihenfolge an die Problematik heranzugehen, haben wir unseren Antrag so formuliert, wie er hier steht, nämlich die gerechten Regelsätze für Kinder und Jugendliche, das sage ich jetzt dazu.
Frau Tegtmeier, natürlich finden Sie zwischendurch in den Anträgen beziehungsweise in der Diskussion Worte, die Sie im Antrag nicht finden. Erstens kann das gar nicht sein, weil eine Rede immer noch etwas anderes ist als ein Antrag, und zweitens muss es natürlich auch uns, den LINKEN, gewährt sein, dass wir in unseren Reden unsere Stellung zu der Problematik darstellen.
Frau Schwesig, an vielen Stellen kann ich Ihnen vollkommen recht geben, da sind wir im Konsens miteinander, in welcher Reihenfolge für welche Dinge gestritten werden soll und auf welche Art und Weise wir gestalten wollen, gestalten wollen so, dass im Endeffekt alle Kinder von der Art und Weise, wie dann geregelt wird, wie Kinder zu Leistungen kommen, profitieren können.
Allerdings muss ich noch mal auf die Genese eingehen und da auch ganz genau sagen, es war die SPD in der rot-grünen Koalition, die erst diese Gesetze, dieses Hartz IV und dieses SGB II möglich gemacht hat, möglich gemacht hat mit all den Auswirkungen, die von uns schon lange kritisiert werden, auch hier, auch in dieser 5. Legislaturperiode. Und bevor die Arbeits- und Sozialministerkonferenz, die 84. Arbeits- und Sozialministerkonferenz, nicht die Problematik der nicht richtig errechneten und bedarfsgerechten Regelsätze erkannt hatte, wurden alle Anträge von uns hier abgelehnt. Wir mussten uns mehr als einmal erklären lassen, das SGB II wäre so, das ist so und das bleibt so, egal mit welchen Anträgen und mit welchen Untermauerungen wir kamen.
Gerade die Problematik Bildung haben wir von Anfang an hier immer dargestellt. Wir haben dargestellt, dass mit dieser Formulierung Kinder und Jugendliche von Bildung ausgeschlossen sind. Erst nach der Arbeits- und Sozialministerkonferenz war Herr Sellering, damals noch Sozialminister, und zwar zwei Monate danach, so mutig – in Anführungsstrichen –, dass er einen von uns schon längst gestellten Antrag zu den Regelsätzen für Kinder natürlich verändert hier ins Parlament gab und dahin gehend argumentierte, dass es nötig ist, vom Parlament die Unterstützung für sein Agieren zu bekommen. Die hätte er schon längst haben können, die hatten wir in Anträgen von uns schon längst dargestellt.
Und, Frau Schwesig, ich beneide Sie nicht dafür, welche dicken Bretter Sie hier zu bohren haben werden. Denn wenn ich mir unsere 91. Landtagssitzung hier im Plenarsaal vor Augen führe, habe ich sehr wohl noch die Worte von Herrn Seidel, unserem Wirtschaftsminister, im Ohr, der bei der Berechnung der Regelsätze, dass dieses und jenes nicht geglückt ist, die Bemerkung losließ, das wäre ein konsensbedingter Unfall, ein konsensbedingter Unfall – Sie können das gerne nachlesen – und wäre eine Bagatelle.
Wer so agiert, in der Richtung für Bildung zu arbeiten für unsere Kinder, für ein Land zu arbeiten, wo wir sagen, Kinder sind unsere Zukunft, der ist enger mit ganz anderen Sichtweisen verbunden als wir.
Ja, das Bundesverfassungsgericht hat so reagiert, wie wir es, DIE LINKE, erwartet haben. Es ist beschämend und vernichtend zugleich. Vernichtend deshalb, weil schon vorher ein Landesverfassungsgericht festgestellt hat, dass diese Regelsätze nicht mit dem Grundgesetz konform sind. Zweimal also die gleiche Klatsche, ehe reagiert werden muss. Und Fakt ist: Reagiert werden muss bis zum 31.12. dieses Jahres, also nicht 2012, 2013, 2015 oder was sonst noch für Jahreszahlen herumschweben möchten, sondern dieses Jahres.
Unser Antrag geht darauf hinaus, dass wir Druck machen wollen, Druck aus dem Parlament heraus, also von uns allen heraus, bis zum 31.12. verfügbar Handhabbares zu haben, um ab dem 01.01. des Jahres 2011 allen Kindern die Möglichkeit zu geben, dass sie die Bildung erhalten können, die ihnen auch zugestanden werden muss – werden muss! – laut unserer Verfassung.
Die Argumentation, dass Bildung nicht regelsatzrelevant wäre, ist, denke ich mir, mit diesem Verfassungsgerichtsurteil ad acta gelegt worden, ad acta gelegt worden nach allen Regeln der Kunst, beziehungsweise beschämend für die, und das war Rot-Grün, die zugelassen haben, und für meine Begriffe wissentlich zugelassen haben, dass, seit es Hartz IV gibt, seit es dieses SGB II gibt, seit dem 1. Januar 2005, Kinder und Jugendliche aufgrund dieser Regelsätze von Bildung ausgeschlossen waren, zumindest von vielen Dingen ausgeschlossen waren, die in der Bildung auch der Zuzahlung bedürfen. Solche Ausschlusskriterien darf es nicht geben.
Ich bin der festen Überzeugung, dass gestern die Demonstration der Eltern und der Kinder, der mehrfach behinderten Kinder ein klares Bild gezeigt hat, was das Bewusstsein über Ausschluss bringen kann, nämlich Menschen, die auf die Straße gehen und dagegen demonstrieren. Aber hier haben wir dieses Verfassungsgerichtsurteil, nach dem gehandelt werden muss. Es
soll nachvollziehbar und transparent erarbeitet werden, wie sich Regelsätze zusammensetzen. Sie wissen, dass unsere Fraktion grundsätzlich gegen Hartz IV ist und grundsätzlich gegen diese Regelsätze ist. Daran hat sich auch nichts geändert.
Aber wenn es ein Bundesverfassungsgericht gibt, das ein Urteil gefällt hat, was die Lage von Kindern, die man nun mal in dieses Korsett gezwungen hat, erleichtern soll, dann wollen wir auch ganz bestimmt und sehr intensiv hier von dieser Stelle aus, dass das durchgesetzt wird, und zwar nicht mit irgendwelchen Verlängerungen, weil man noch diese und jene Zahl brauchte und nicht vergleichen konnte und was weiß ich alles, sondern durchgesetzt wird.
Die SPD, das muss ich hier klipp und klar sagen, ist seit etlichen Jahren verantwortlich dafür, dass es hier im Lande in der Zwischenzeit Menschen gibt, die bereits in der zweiten Generation Hartz-IV-Empfänger sind, dass es Menschen gibt, denen Armut in der Zwischenzeit vererbt wird, dass es Menschen gibt, die von Bildung ferngehalten werden, auch schon in der zweiten Generation, dass es dadurch Menschen gibt, die kein Vertrauen mehr in die Arbeit der Politik, der Politikerinnen und Politiker haben, dass es Menschen gibt, die politikmüde sind. Das haben Sie zu verantworten, auch Sie von der SPD.
Wenn Frau Schwesig mit langem Finger auf Frau von der Leyen zeigt, ist das ihr Recht. Es ist auch ihr Recht, Druck zu machen.
Aber ich bitte darum, Ross und Reiter zu nennen. Und ein Reiter dieser ganzen falsch gerittenen Strecke sind Sie von der SPD.
Deshalb würde ich Sie bitten, dass Sie unserem Antrag zustimmen und es nicht so machen wie Herr Seidel, der sich erst mal
(Heinz Müller, SPD: Wir geben uns alle Mühe, Sie zu überzeugen. – Zurufe von Angelika Peters, SPD, und Egbert Liskow, CDU)
von allen Sozialministern die Anforderungen anhören lassen musste, bis er hier im Parlament tatsächlich auch darum bat, dass er Rückenstütze bekommt. So herum, Frau Schwesig und liebe Koalitionsfraktionen, ist es auch falsch, wenn man erst über die Chipkarte redet und dann über die Regelsätze. So herum ist es auch falsch. Wir haben hier als Parlament die Kraft und die Macht, unsere Ministerin mit den vorhandenen Argumenten auszustatten, dass sie dafür gestärkt sorgen kann, dass das Verfassungsgerichtsurteil umgesetzt wird, und zwar …